Inkongruenz 131 bei Zwangsvollstreckung?

  • Hallo allerseits, vielleicht könnt ihr mir helfen, ich habe gerade eine Anfechtungsklage auf dem Tisch und bin unsicher über die Rechtslage! Problem: Zahlungen, die ein Gläubiger in den drei Monaten vor dem Insolvenzantrag durch Zwangsvollstreckung erlangt hat, waren bisher immer inkongruent. Dies sollte nach dem vom Bundestag beschlossenen "Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung" vom 12.08.05 geändert werden. Offenbar ist das aber nicht passiert? Wäre toll, wenn mir ganz schnell jemand was dazu sagen könnte!!!

  • da hat sich nix geändert :gehaess:

    mein Tip als jemand, der auch so die Masse anreichert:

    Die Klage gut durchlesen, ob und objektiv prüfen, ob der Kläger was von der Materie versteht. Bei Bejahung zahlen und dem Mandanten weitere Kosten sparen.

    einen 131 aufgrund von Zwangsvollstreckung zu kippen, liegt weniger daran, dass die Sache unbegründet ist als daran, dass man unsubstantiert vorträgt.

    [SIGPIC] [/SIGPIC] Vertrauue miiir (Kaa: Das Dschungelbuch, 4. Akt, 3. Szene)



  • Als jemand, der solche Klage mit Wonne anstrebt.

    Sofern die Zahlungen nicht im letzten Monat vor dem Insolvenzantrag erfolgt sind, die Zahlungsunfähigkeit nachweisen lassen. Dort sehe ich den einzigen möglichen Anhaltspunkt.


  • Sofern die Zahlungen nicht im letzten Monat vor dem Insolvenzantrag erfolgt sind, die Zahlungsunfähigkeit nachweisen lassen. Dort sehe ich den einzigen möglichen Anhaltspunkt.



    Kritisch zur vorprozessualen Darlegungslast OLG HH , 1W 33/04, ZinsO

    [SIGPIC] [/SIGPIC] Vertrauue miiir (Kaa: Das Dschungelbuch, 4. Akt, 3. Szene)

  • Noch kleine Ergänzung zum gesetzgeberischen Aktionismus:

    Nachdem alle ernstzunehmenden Insolvenzrechtler (inkl. BGH) und alle Fraktionen im Bundestag mehrfach und sehr deutlich zum Ausdruck gebracht hatten, was für ein himmelschreiender Schwachsinn der Gesetzesentwurf im Hinblick auf das Anfechtungsprivileg für FA und SozVers war, hat die liebe Brigitte verkündet, dass er vom Tisch ist.

    Tatsächlich liegt er allerdings nur in der noch offenen Schublade und die Lobbygruppen und -ministerien legen dem BMJ weiter Daumenschrauben an, um irgendwie doch im Ergebnis zu ihrem vermeintlichen Privilegien-Heil zu kommen (das nur zu noch größeren Enttäuschungen führen würde - aber wer möchte schon von Lobbyisten erwarten, dass sie ehrlich zu sich und der Welt sind und über ihren Schreibtischrand und den heutigen Tag hinausdenken). Derzeit werden angeblich Erhebungen durchgeführt, um die bisher bloß behaupteten "Verluste" von Fiskus und SozVers durch die Insolvenzanfechtung zu untermauern. Wenn wir Glück haben, macht sich anschließend jemand an eine volkswirtschaftliche Gesamtbetrachtung und die Sache ist endgültig vom Tisch. Aber das wäre wohl zuviel der Hoffnung, also wird im Zweifel irgendeine Aktion durch die Hintertür kommen, der das "Unsinn" so deutlich auf der Stirn steht, dass die Politik es ca. fünf Jahre später auch entziffern kann und mit "Reformbedarf im Interesse der Funktionsfähigkeit des Insolvenzrechts" übersetzt.

    Fazit: Derzeit (zum Glück) noch keine Änderung in Aussicht.

  • Ihr Lieben! Das ging ja fix!! Dankeschön für eure Hilfe, ich habe mich daraufhin mit dem Kläger auf 2/3 geeinigt, ist doch auch was, oder?

  • @chick

    Seitdem das Anfechtungsprivileg für das FA vom Tisch ist, geht jetzt nix mehr bei uns. Kontopfändung, Fruchtlosprotokoll, InsO-Antrag. Macht insgesamt 4 Wochen Bearbeitungszeit.

    Ist das nicht vielleicht auch volkswirtschaftlich zu hinterfragen??? Früher haben wir Betrieben immer noch mal ne Chance gelassen und uns echt zurückgehalten - insbesondere wenn Arbeitsplätze im Spiel waren. Hat jetzt keinen Zweck mehr: Jeder Dorfanwalt holt uns das Geld wieder aus der Tasche, was wir in Krisenzeiten ratenweise reingeholt haben, weil wir "mal ein Auge zugedrückt haben".

    ... denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben. Römer 13,6

  • Ich habe das in letzter Zeit bei der Prüfung von Anfechtungsansprüchen auch festgestellt, dass in vielen Fällen der Schuldner scheinbar immer pünktlich zahlt und als nächstes kommt der (sicherlich berechtigte) Insolvenzantrag. Wir haben jetzt oft Schuldner mit drei - vier erledigt erklärten (Vor-)Anträgen.

    Aus der Vergangenheit kenne ich aber viele Fälle, in denen das Finanzamt/Krankenkasse nicht einfach so mal die Augen zugedrückt hat, vielmehr wurden die Unternehmen dabei bis auf den letzten Pfennig ausgeblutet. Die Arbeitsplätze gingen dabei nicht bei den Schuldnern, wohl aber bei deren Lieferanten etc, die bekanntlich nicht über die gleichen Möglichkeiten wie das Finanzamt/Krankenkassen verfügen, verloren. Von verlorenen Sanierungschancen gar nicht erst zu reden.

  • Exec

    Ich versuche mal, um Verständnis zu werben:

    1. Ein (wenn nicht der) zentraler Gerechtigkeitsgedanke des Insolvenzrechts ist: Wenn's nicht mehr für alle reicht, soll wenigstens gleichmäßig verteilt werden, und nicht ein einzelner einen Vorteil haben, weil er ein Kumpel vom Schuldner ist, sein Kumpel Iwan der Inkassoschreck heißt, etc. Die Frage ist nun, wo setzt man mit dem Eingreifen der Insolvenzgerechtigkeit an: Bei der formellen Insolvenz (Insolvenzantrag/-eröffnung) oder bei der materiellen Insolvenz (d.h. in dem Moment, wo Passiv mehr als Aktiv wird)? Das Anfechtungsrecht sucht hier nach einem Mittelweg zwischen Vertrauensschutz und Insolvenzgerechtigkeit und greift mit unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen Vermögensschmälerungen an, die der Insolvenzgerechtigkeit im vorstehenden Sinn zuwider laufen/liefen.

    Wenn ich die geschilderte Gerechtigkeitserwägung im Insolvenzfall für sinnvoll halte (wenn ich das nicht mache, kann ich das Insolvenzrecht als solches gleich abschaffen), dann muss ich auch das mit der Anfechtung konsequent für alle gleich durchziehen, sonst habe ich wieder eine Gerechtigkeitsdelle.

    Nun kann man natürlich kommen und sagen, aus sozialen oder fiskalen oder sonstigen Erwägungen heraus sind aber bestimmte Gläubiger schutzwürdiger als andere.
    Dann begebe ich mich zum einen auf sehr glattes Eis, weil sich subjektiv natürlich selbst für am schutzwürdigsten hält und eine Sonderbehandlung will: Warum soll der kleine Handwerksbetrieb, den die Kundeninsolvenz selbst in die Pleite zieht, weniger schutzwürdig sein als der arbeitslos werdende Angestellte (der im Gegensatz zum Selbständigen ALG bekommt) oder der Fiskus, der nicht pleite gehen kann? Der InsO-Gesetzgeber hat (m.E. mit Recht) alle Privilegien abgeschafft und das seinerzeit als großen Fortschritt gefeiert.
    Zum anderen gibt es m.E. wirklich keinen überzeugenden Unterschied zwischen den Gläubigern. Denn auch hinter den öffentlichen Geldern stehen letztlich einzelne Menschen, die Steuerzahler. Jeder Gläubiger ist entweder eine natürliche Person oder er repräsentiert eine kleine oder größere Zahl natürliche Personen, die die Zeche letztlich zahlen. Es bleibt also immer am Einzelnen hängen.

    Im übrigen bin ich (wie die DiskE-Verfasser) ein Anhänger von Jackson (Logic and Limits of Bankruptcy Law), der überzeugend darlegt, dass Insolvenzrecht und -verfahren sich nicht als Heilmittel für gesellschaftspolitische oder makroökonomische Krankheiten eignen, weil man dadurch das Recht und das Verfahren überfordert. Das Insolvenzrecht/-verfahren muss sich auf das konzentrieren, was es leisten kann: Für die Gläubiger (und nur für die) das beste aus dem Dilemma zu machen.

    2. Ein schuldnerischer Betrieb, der erhaltungswürdig ist, weil er (mehr als) kostendeckend läuft, kann in aller Regel in einem Insolvenzverfahren "gerettet" werden. Denn auch im Sinne des Insolvenzzwecks (optimale Gläubigerbefriedigung) wird das bei einem erhaltungswürdigen Unternehmen regelmäßig die bessere Lösung sein. Das Sanierungsinstrumentarium der InsO dürfte hierbei den ausserhalb des Insolvenzverfahrens bestehenden Möglichkeit in der Gesamtbetrachtung relativ klar überlegen sein. Das funktioniert natürlich nur, wenn der Betrieb noch erhaltungswürdig ist; die Regel ist allerdings eher, dass dieser Zeitpunkt weit überschritten wird und das Kind bei Insolvenzantragstellung schon als aufgeblähte Wasserleiche im Brunnen treibt.

    Der Erhalt eines betriebswirtschaftlich nicht erhaltungswürdigen Unternehmens wird in der Regel auch volkswirtschaftlich nicht sinnvoll sein, weil der Staat dann subventionieren muss. Gesellschaftspolitisch notwendige Subventionen (Sozialsystem) lassen wir mal ausser Betracht, das sind Sonderfälle.

    Wenn wir uns einig sind, dass betriebswirtschaftlich erhaltungswürdige Unternehmen erhalten und nicht erhaltungswürdige aus dem Markt entfernt werden sollen, dann spricht m.E. nichts dagegen, dies über ein geordnetes Verfahren zu bewerkstelligen, in welchem der Gesetzgeber seine Gerechtigkeitsvorstellungen für die Behandlung der stärksten Unternehmenskrise umzusetzen versucht hat.

    Fazit: Bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes gehören Unternehmen ins Insolvenzverfahren. Der Insolvenzverwalter ist (im Idealfall) kein Leichenbeschauer oder Grabräuber, sondern ein Arzt. Zum Arzt gehöre ich aber auch nicht erst, wenn ich sich die Würmer über mich hermachen.

    Sollten die institutionellen Gläubiger tatsächlich weniger nachsichtig werden bei der Verschleppung einer betriebswirtschaftlichen Krankheit, und die Unternehmen früher zum "Arzt" schicken, dann kann das m.E. nur zur Gesundung der Markt- und Volkswirtschaft beitragen.

  • Gut also: Folgendes Problem habe ich mit der Anfechterei in der InsO:

    1. 99,5 % aller Insolvenzen führen selbstverständlich nicht zu einer Sanierung des Unternehmens. Habe in meinen gut 1000 Insolvenzen vielleicht 5 Sanierungen erlebt (von denen mindestens 2 noch massiv meinem persönlichen Gerechtigkeitsgefühl zuwiderlaufen).

    Angefochten wird natürlich trotzdem in allen Fällen. Das Geld landet - nicht bei anderen, benachteiligten schutzwürdigen ehrlichen Handwerkern sondern: in der Tasche des Insolvenzverwalters. Die Kosten des Insolvenzverfahrens sind selbstverständlich zuerst zu bezahlen (da habe ich gar nichts dagegen), aber jemehr Masse der InsV durch Anfechtung erhält, desto höher seine Vergütung und damit die Kosten des Verfahrens.

    2. Die Insolvenzverwalter fechten nicht gleichmäßig an. Es ist ach so einfach bei der öffentlichen Hand anzufechten. Ein Schreiben, eine Klageandrohung mit Fristsetzung und die Damen und Herren vom Finanzamt bzw. den Sozialversicherungen springen. Oftmals liefern die sogar noch die nötigen Daten für den Insolvenzverwalter. Und verspäten sich die Jungs mit der Auszahlung verklagt einer aus der gleichen Kanzlei wie der Insolvenzverwalter eben den Staat. Kostenrisiko = Null. Selbst wenn man verliert hat der Kollege für die Kanzlei einen Vergütungsanspruch aus der Masse. Verfahren werden in einigen Gegenden nur deshalb eröffnet, weil die Masse durch Anfechtungstatbestände dafür ausreicht. Ohne Staat vom Geld wäre Masselosigkeit.

    Bei einer Bank oder gar einem anderen privaten Gläubiger: Fehlanzeige. Die rücken mit nichts raus: sowohl Unterlagen als auch Geld.

    Ist ja alles nicht so schlimm. Der Staat sind ja die anderen. Da trifft es ja keinen (erst wieder alle mit der nächsten Steuererhöhung, aber egal).

    3. Im Ergebnis hilft das Insolvenzrecht natürlich den Schuldnern (kein "Schuldturm" mehr) - was im Ansatz durchaus zu begrüßen ist. Den Gläubigern hat es jetzt jahrelang natürlich geschadet (lt. Insolvenzstatistik am härtesten die Versandhäuser - was aufgrund deren Geschäftspraktiken nicht unbedingt das Schlechteste ist). Stichwort Sanierung: Was daran zu toll ist, wenn man den Betrieb einer Person erhält, die schon einmal den Laden an die Wand gefahren hat - während der Nachbar immer fleißig alle bezahlt hat und dessen Preise in der Folge höher waren als die des Insolenzschuldners (bewusst ohne v geschrieben).

    Aber die Gläubiger können sich anpassen. Banken rücken keinen Cent mehr an Mittelständler raus, es sei denn sie sichern die Kredite mit Haus und Hof dreifach ab. Sozialversicherer ziehen wirklich jeden vor das Strafgericht, der auch nur 100 EUR Sozialversicherung zahlt und die Finanzämter kennen kein Pardon mehr: Der Mahnlauf wird verkürzt und fehlende Steueranmeldungen werden gnadenlos geschätzt. Jedes Schreiben eines Steuerschuldners dient quasi schon der Begründung des Insolvenzantrags.
    Der Leidtragende: Der ehrliche Unternehmer, der von einem Insolenzschuldner nicht bezahlt wird.

    Die Konsequenz für den Gesetzgeber: Anfechtungsprivileg gibt es nicht? Dann müssen eben alle dran glauben. Zum Beispiel § 26b UStG lehnt sich erstaunlich nah an § 266a StGB an, oder? Wer die Umsatzsteuer bei Fälligkeit nicht zahlt, der kann wegen einer Ordnungswidrigkeit mit bis zu 50.000 EUR bestraft werden. Oder § 25c UStG: Wer eine Forderung einzieht (weil die Forderung gepfändet, abgetreten oder mit ihr aufgerechnet wurde), für die die UStG nicht abgeführt wurde, haftet zwingend für diese USt (Bemerkenswert: Alle anderen Haftungsvorschriften im Steuerrecht sind Ermessensentscheidung. Bis auf eine: § 25c UStG). Wenn diese Vorschriften rigoros umgesetzt werden (bald ist es soweit, alle Anwendungserlasse sind fertig, Rechtsfragen vorgeklärt), kommt EINIGES auf Banken, andere Gläubiger und ja auch Insolvenzverwalter zu.

    ... denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben. Römer 13,6

  • Eins vorweg: Ich habe in den meisten Fällen großes Verständnis dafür, dass Anfechtungsgegner die Insolvenzanfechtung subjektiv als Anti-Wellness empfinden - auch bei FA und SozVers (!), die versuchen auch nur, ihren Job so gut wie möglich zu machen.

    1. 99,5 % aller Insolvenzen führen selbstverständlich nicht zu einer Sanierung des Unternehmens. Habe in meinen gut 1000 Insolvenzen vielleicht 5 Sanierungen erlebt (von denen mindestens 2 noch massiv meinem persönlichen Gerechtigkeitsgefühl zuwiderlaufen).



    Das könnte durchaus an dem von mir geschilderten Brunner voller Kinder liegen. Selbst wenn wirtschaftlich sinnvolle Sanierungen zu selten durchgeführt werden sollten, handelt es sich nicht um ein Gesetzgebungs- sondern ein Umsetzungsproblem. BTW: Übertragende Sanierungen (Betriebsveräußerung als asset-deal) sind insolvenzrechtlich zwar Liquidationen, faktisch aber auch (Teil-) Unternehmenserhalt. Und solche kommen nach meiner Erfahrung recht häufig vor - wenn man mal die Fälle betrachtet, bei denen das Kind überhaupt noch lebt.

    Zitat von Exec

    Angefochten wird natürlich trotzdem in allen Fällen. Das Geld landet - nicht bei anderen, benachteiligten schutzwürdigen ehrlichen Handwerkern sondern: in der Tasche des Insolvenzverwalters. Die Kosten des Insolvenzverfahrens sind selbstverständlich zuerst zu bezahlen (da habe ich gar nichts dagegen), aber jemehr Masse der InsV durch Anfechtung erhält, desto höher seine Vergütung und damit die Kosten des Verfahrens.



    Dass Insolvenzverwalter eine angemessene Vergütung erhalten müssen, dürfte nicht diskussionswürdig sein. Ich bitte hierbei nicht zu übersehen, dass eine professionell arbeitende Verwalterkanzlei einen ganz passablen Kostenapparat vor sich herschieben muss, und Rechnungen stellt nur der Anwalt/Verwalter, die (nicht anwaltlichen) Angestellten kosten nur Geld.

    Es gibt - soweit ersichtlich - grds. drei Vergütungssysteme weltweit: Vergütung nach Zeitaufwand (z.B. England), erfolgsabhängige Vergütung (z.B. Deutschland) und Festgehalt (z.B. Indien). Im internationalen Vergleich dürften die indischen Verwalter am billigsten sein und die deutschen jedenfalls nicht am teuersten. Ich bezweifle , dass das indische Modell hochqualifizierte, unternehmerisch denkende Verwalter hervorbringt. Wenn solche gewünscht werden, erscheint mir der deutsche Ansatz nicht als schlechteste Lösung.

    Zitat von Exec

    2. Die Insolvenzverwalter fechten nicht gleichmäßig an. Es ist ach so einfach bei der öffentlichen Hand anzufechten. Ein Schreiben, eine Klageandrohung mit Fristsetzung und die Damen und Herren vom Finanzamt bzw. den Sozialversicherungen springen. Oftmals liefern die sogar noch die nötigen Daten für den Insolvenzverwalter.



    Die sichere Realisierbarkeit von Anfechtungsansprüchen macht die Anfechtung gegenüber der öffentlichen Hand zugegebenermaßen attraktiv. Mit "meinen" Finanzämtern bedarf es in der Regel auch keiner größeren Diskussionen in klaren Fällen. Demgegenüber kann ich nicht bestätigen, dass SozVersTräger mit Informationen bzw. Zahlungen auf Anfechtung sich so verhalten, wie man dies von einer der Rechtstreue verpflichteten öffentlichen Institution erwarten m.E. sollte.

    Wenn Insolvenzverwalter gegenüber anderen Gläubigern weniger anfechten, dann kann das an verschiedenen Gründen liegen, die nicht notwendigerweise Willkür implizieren, z.B. größere Schwierigkeiten bei Nachweis (insbes. subjektiver Tatbestand) und Realisierbarkeit. Das Masse-/Vergütungsargument gilt für die Anfechtung gegenüber dem Privaten genauso. Selbst wenn es bei den Verwaltern Faulheit/Willkür gibt, haben wir wieder ein Umsetzungs-, kein Gesetzgebungsproblem (s.o.).

    Zitat von Exec

    Und verspäten sich die Jungs mit der Auszahlung verklagt einer aus der gleichen Kanzlei wie der Insolvenzverwalter eben den Staat. Kostenrisiko = Null. Selbst wenn man verliert hat der Kollege für die Kanzlei einen Vergütungsanspruch aus der Masse.



    Richtig! Aber was ist daran bitte verwerflich? Warum soll ein Anwalt für anwaltliche Tätigkeit kein Geld bekommen? Wenn ich einen externen Anwalt beauftrage, stellt mir der doch auch eine Rechnung. Und dass ich den Experten für Insolvenzanfechtung eher in meiner eigenen Kanzlei finde als in der Allgemeinkanzlei nebenan, dürfte auch nicht überraschen. Verwerflich wird nur es dann, wenn ich aussichtslose Klage führe, an denen meine Kanzlei verdient.

    Zitat von Exec

    Verfahren werden in einigen Gegenden nur deshalb eröffnet, weil die Masse durch Anfechtungstatbestände dafür ausreicht. Ohne Staat vom Geld wäre Masselosigkeit.



    Sorry, but that's the law: § 26 InsO. Ich kann Dir versichern, dass ich die Verfahren, in denen ich nur die Verfahrenskosten und diese nur über Insolvenzanfechtung in Aussicht habe, auch lieber nicht eröffnen würde, weil sich dort Aufwand und Nutzen nicht rechnen. Es ist aber nun mal die m.E. nachvollziehbare) Ansicht des Gesetzgebers, dass ich auch diese Verfahren eröffnen muss bzw. soll, weil der Marktaustritt in einem geordneten Verfahren stattfinden soll.

    Zitat von Exec

    Stichwort Sanierung: Was daran zu toll ist, wenn man den Betrieb einer Person erhält, die schon einmal den Laden an die Wand gefahren hat - während der Nachbar immer fleißig alle bezahlt hat und dessen Preise in der Folge höher waren als die des Insolenzschuldners (bewusst ohne v geschrieben).



    Es ist sicherlich nicht Sinn der Sache, einen unfähigen Unternehmensträger zu erhalten. Aber es kann sowohl für die Gläubiger als auch volkswirtschaftlich sinnvoll sein, einen betriebswirtschaftlich erhaltenswerten Betrieb zu erhalten, weil dieser Arbeitsplätze erhält, zum BSP beiträgt, etc.

    Zitat von Exec

    Aber die Gläubiger können sich anpassen. Banken rücken keinen Cent mehr an Mittelständler raus, es sei denn sie sichern die Kredite mit Haus und Hof dreifach ab. Sozialversicherer ziehen wirklich jeden vor das Strafgericht, der auch nur 100 EUR Sozialversicherung zahlt und die Finanzämter kennen kein Pardon mehr: Der Mahnlauf wird verkürzt und fehlende Steueranmeldungen werden gnadenlos geschätzt. Jedes Schreiben eines Steuerschuldners dient quasi schon der Begründung des Insolvenzantrags.
    Der Leidtragende: Der ehrliche Unternehmer, der von einem Insolenzschuldner nicht bezahlt wird.



    Ich bin relativ zuversichtlich, dass die Kreditwirtschaft sich nicht ihren eigenen Markt zerstört. Im Idealfall wird vielleicht nur ein bisschen besser darauf geachtet, ob Unternehmen/Projekte wirklich die Finanzierung wert sind. Aber selbst da bin ich skeptisch - wenn die Wirtschaft boomt, wird wohl weiterhin jeder Scheiss finanziert werden, wenn wieder die Flaute kommt, werden die Daumenschrauben wieder rausgeholt. Die unendliche Geschichte.

    Zitat von Exec

    Die Konsequenz für den Gesetzgeber: Anfechtungsprivileg gibt es nicht? Dann müssen eben alle dran glauben. Zum Beispiel § 26b UStG lehnt sich erstaunlich nah an § 266a StGB an, oder? Wer die Umsatzsteuer bei Fälligkeit nicht zahlt, der kann wegen einer Ordnungswidrigkeit mit bis zu 50.000 EUR bestraft werden. Oder § 25c UStG: Wer eine Forderung einzieht (weil die Forderung gepfändet, abgetreten oder mit ihr aufgerechnet wurde), für die die UStG nicht abgeführt wurde, haftet zwingend für diese USt (Bemerkenswert: Alle anderen Haftungsvorschriften im Steuerrecht sind Ermessensentscheidung. Bis auf eine: § 25c UStG). Wenn diese Vorschriften rigoros umgesetzt werden (bald ist es soweit, alle Anwendungserlasse sind fertig, Rechtsfragen vorgeklärt), kommt EINIGES auf Banken, andere Gläubiger und ja auch Insolvenzverwalter zu.



    Die Konsequenz einer Diskussion wie der unsrigen hier sollte m.E. sein, dass wir zumindest mal anfangen, unser Frontendenken (auch meins gelegentlich, da nehme ich mich gar nicht aus) zu überdenken: Öffentliche Hand und Insolvenzverwalter sollten sich genausowenig als "Feinde" empfinden und behandeln wie Anwälte und Gerichte. Wenn ich höre, was zwischen BMF und BMJ abgeht und sich bis zu uns "herunter" grabenkriegsartig fortsetzt, dann kommt mir irgendwie das Bewusstsein zu kurz, dass doch beide Seiten im Auftrag des gleichen Herrn unterwegs sind. Läuft da nicht irgendwas schief?

  • @ chick:
    Da warst Du wohl wieder schneller als ich.

    @ exec:
    Ich kann den Ausführungen nur voll und ganz zustimmen.

    Eine Anmerkung hätte ich allerdings noch. Dass Finanzämter und Krankenkassen überdurchschnittlich oft der Insolvenzanfechtung unterliegen, liegt m.E. eben auch daran, dass diese aufgrund der gegebenen Privilegien (z.B. Vollstreckungsprivileg ohne Kostenrisiko) Anfechtungstatbestände verwirklichen. Im Übrigen gilt, dass bei mir zwischen Finanzämtern, Banken, Krankenkassen und anderen Anfechtungsgegnern grundsätzlich kein Unterschied gemacht wird!

  • Ich denke, dass wir gar nicht so weit auseinander liegen. Ich sehe auch, dass Insolvenzverwalter eine angemessene Vergütung bekommen sollten. Der Job ist sicher nicht leicht. Es gibt genug Schuldner, die richtig stressig sind und meinen, dass der Verwalter rund und die Uhr nur für sie zur Verfügung stehen muss. Ganz zu schweigen von dem Chaos, welches der Verwalter häufig vorfinden muss.

    Und du hast recht: Es ist nicht verwerflich, wenn man mit sinnvollen Prozessen einen Kollegen beauftragt.

    Aber eins will mir einfach nicht einleuchten (auch wenn das Gesetz es so vorsehen mag):
    Dass Verfahren eröffnet werden, wenn die einzige Masse sich erkennbar nur aus Anfechtungstatbeständen ergeben kann und diese Masse offensichtlich nicht dazu führt, dass auch nur ein Gläubiger nur einen Cent bekommt und kurze Zeit nach Eröffnung schon wieder die Masselosigkeit erklärt werden muss! Das ist reine Verbrennung von Steuergeldern. Der Begriff "geordneter Marktaustritt" soll doch nur verdecken, dass hier rein um des Verfahrens willen ein kostspieliger Aufwand getrieben wird. Wem nutzt es, außer dem Insolvenzverwalter?

    Und zum Stichwort Kreditgeschäft: Für die allermeisten Banken ist die Gewährung von Krediten an den Mittelstand schon lange kein Geschäft mehr. Aktienhandel, Börsengänge und Kredite an die "big-player" sind 1000fach lohnender. Dank Basel II wird dauerhaft nur noch der einen Kredit bekommen, der ihn nicht braucht.

    ... denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben. Römer 13,6

  • Aber eins will mir einfach nicht einleuchten (auch wenn das Gesetz es so vorsehen mag):
    Dass Verfahren eröffnet werden, wenn die einzige Masse sich erkennbar nur aus Anfechtungstatbeständen ergeben kann und diese Masse offensichtlich nicht dazu führt, dass auch nur ein Gläubiger nur einen Cent bekommt und kurze Zeit nach Eröffnung schon wieder die Masselosigkeit erklärt werden muss! Das ist reine Verbrennung von Steuergeldern. Der Begriff "geordneter Marktaustritt" soll doch nur verdecken, dass hier rein um des Verfahrens willen ein kostspieliger Aufwand getrieben wird. Wem nutzt es, außer dem Insolvenzverwalter?



    Diese Zweifel am Sinn der aktuellen Rechtslage kann ich durchaus nachvollziehen. Nur nochmal zur Klarstellung: Solche Verfahren sind auch beim IV nicht sonderlich beliebt, weil die bloße Deckung der Verfahrenskosten im Zweifel heißt, dass der IV dabei eher draufzahlt als verdient.

    Verfahrenseröffnung schon bei bloßer Kostendeckung oder erst bei Massekostendeckung oder womöglich erst bei Quotenaussicht für Insolvenzgläubiger ist eine rechtspolitische Grundentscheidung, bezüglich derer es wohl kein eindeutiges "richtig" oder "falsch" gibt. Zu KO-Zeiten konnten Verfahren nur eröffnet werden, wenn auch die Masseschulden gedeckt waren. Das erschien dem Gesetzgeber änderungsbedürftig, weil damit viele (materielle) Insolvenzen im rechtsfreien Raum verschwanden und man der Abwicklung in einem geordneten Verfahren einen Eigenwert beimaß (Stichwort z.B.: Legitmation durch Verfahren). Ausserdem liegt dem vielleicht auch die Überlegung zugrunde, dass manchmal doch ein bisschen mehr drinsteckt als auf den ersten Blick erkennbar, wenn man erst mal ein Insolvenzverfahren eröffnet. Daneben sollte natürlich ein Anreiz geschaffen werden, dass Insolvenzanträge früher gestellt werden, d.h., wenn noch mehr da ist als nur die Verfahrenskosten. Zum einen ist dann die Wahrscheinlichkeit größer, dass noch was zu retten ist. Zum anderen ist die Herabsetzung der Eröffnungsschwelle ein Signal an die kriminellen Pleitiers, dass die masselose Insolvenz erschwert wird (zu KO-Zeiten gab es das geflügelte Wort: "Der Könner macht masselos Konkurs").

    Die Frage, ob ein gesetzlich vorgeschriebenes Verfahren vielleicht manchmal sinnlose Verschwendung von Steuer- und sonstigen Geldern ist, stellt sich wahrscheinlich auch abseits des Insolvenzverfahrens gelegentlich. Aber der Rechtsstaat tendiert nun mal dahin, möglichst jeden Lebenssachverhalt einem geordneten Verfahren zuzuführen, in der Hoffnung - wenn man mal hehre Motive dafür unterstellt - dass der nicht wirtschaftliche Nutzen (Ordnung, Rechtssicherheit, Gerechtigkeit, etc.) einen wirtschaftlichen Nachteil aufwiegt.

    Zitat von Exec

    Und zum Stichwort Kreditgeschäft: Für die allermeisten Banken ist die Gewährung von Krediten an den Mittelstand schon lange kein Geschäft mehr. Aktienhandel, Börsengänge und Kredite an die "big-player" sind 1000fach lohnender. Dank Basel II wird dauerhaft nur noch der einen Kredit bekommen, der ihn nicht braucht.



    Natürlich ist das big business lohnender, dafür aber auch riskanter. Ich denke, dass sich das Verhalten im Kreditgeschäft - wie alles andere - in Anlehnung an Wirtschaftszyklen immer wieder ändert. Im Zuge der New Economy-Blase haben manche Großbanken ihre Kleinkunden erst weggemobbt und jetzt wollen sie sie wiederhaben. Den konservativ agierenden Sparkassen, die sich hauptsächlich um den Mittelstand kümmern, geht's meines Wissens relativ gut. Das grundsätzliche Prinzip der Kreditvergabe wird natürlich immer bleiben: Wenn die Sonne scheint, bekommst Du einen Schirm, und wenn es anfängt zu regnen, wird er Dir wieder weggenommen.

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