Pflichtteil Lehrbeispiel

  • Lehrbeispiel zum Pflichtteilsrecht

    Ausgangsfall:

    Erblasser E hat zwei Töchter A und B. Tochter A hat einen Sohn A1. Der Erblasser setzt seine Tochter B zur Alleinerbin ein und entzieht seiner Tochter A wirksam den Pflichtteil.

    Fallvariante 1:

    Verwandtschaftsverhältnisse wie im Ausgangsfall. Der Erblasser setzt seine Tochter B zur Alleinerbin ein. A hat zu Lebzeiten des Erblassers mit der Maßgabe wirksam auf ihr Pflichtteilsrecht verzichtet, dass sich der Pflichtteilsverzicht nicht auf ihren Sohn A1 erstrecken soll.

    Fallvariante 2:

    Wie Fallvariante 1, nur dass A zu Lebzeiten des Erblassers einen wirksamen Erbverzicht erklärt hat, der sich nicht auf ihren Sohn A1 erstrecken soll.

    Frage: Ist A1 in den drei vorgenannten Fällen pflichtteilsberechtigt?

  • ... mich nicht; denn als pragmatisch veranlagter Nachlass-Rechtspfleger tangieren mich etwaige Pflichtteilsansprüche extrem periphär :strecker .

    Über das Bestehen / Nichtbestehen solcher Ansprüche und deren Höhe hat im Streitfall der Richter am Prozessgericht zu entscheiden, so dass ich mir als Mod. des Nachlass-Unterforums vorbehalte, den nächsten Pflichtteils-Thread ins Zivilrecht zu verschieben.

    the bishop :kardinal:

    NOBODY expects the spanish inquisition !

  • O.k., das nehme ich zur Kenntnis.

    Aber bei uns in Bayern ist es so, dass die Beteiligten im Termin regelmäßig über ihr bestehendes oder nicht bestehendes Pflichtteilsrecht belehrt werden. Außerdem ist im EDV-Programm vorgesehen, dass die in Betracht kommenden Personen spätestens mit der aktenmäßigen Schlussverfügung mittels amtlichem Vordruck über ihr Pflichtteilsrecht zu belehren sind. Muss man sich denn da nicht Gedanken darüber machen, ob und ggf. mit welchem Inhalt man diese Belehrung erteilt?

    Beim pflichtteilsberechtigten Vermächtnisnehmer hat man übrigens das gleiche Problem (§ 2307 BGB). Auch für diese Pflichtteilsbelehrung ist ein amtlicher Vordruck vorgesehen.

  • Beim Ausgangfall würde ich sagen, dass A1 ein Pflichtteilsrecht hat. Begründen würde ich es damit, dass die Ausnahme des § 2309 BGB nicht vorliegt.

    Bei der Abwandlung 1 komme ich zum gleichen Ergebnis. A kann den Pflichtteil nicht verlangen => § 2309 (-)

    Abwandlung 2: nach § 2346 I S.2 2.HS BGB wird der Pflichtteil durch den Erbverzicht mit ausgeschlossen
    daher § 2309 BGB (-)
    A1 ist pflichtteilsberechtigt.

  • Zitat von juris2112

    § 21 BGB:

    Da würde mich aber schon die Begründung interessieren.

    Dann wäre das Ganze aber vorzeitig beendet gewesen. ;) Aber inzwischen hatte ja jeder Gelegenheit sich zu äußern.

    A1 könnte nur einen Pflichtteilsanspruch haben, wenn er gesetzlicher Erbe geworden wäre. Das ist im Ausgangsfall nach § 1924 Absatz 2 BGB nicht so, weil A vorhanden ist. Die ist jedoch enterbt, weshalb § 2309 BGB in Betracht kommt. Voraussetzung wäre aber auch, dass A einen Pflichtteilsanspruch hätte (hat sie nicht, weil wirksam entzogen).

    In der Fallvariante 1 hat A auf einen etwaigen Pflichtteilsanspruch aber nicht auf ihre Erbrecht verzichtet und scheidet nicht aus der Erbfolge aus. Deshalb wäre A1 auch hier nach § 1924 Absatz 2 BGB nicht gesetzlicher Erbe und hätte deshalb keinen Pflichtteilsanspruch.

    In der Fallvariante 2 hat A einen Erbverzicht unter einer (zulässigen) Bedingung, nämlich dem Erbrecht einer andere Person, erklärt und zu Gunsten dieser anderen Person verzichtet. Nach § 2350 Absatz 1 BGB ist im Zweifel anzunehmen, dass der Verzicht nur für den Fall gelten soll, dass die andere Person Erbe wird. Das wird sie auf Grund des Testaments nicht, weshalb der Erbverzicht nicht gilt und A nicht aus der Erbfolge ausscheidet und A1 wieder nach § 1924 Absatz 2 BGB nicht gesetzlicher Erbe würde.

  • Leider schmeißt das System einen bei Änderungen immer wieder raus, weshalb eine erst jetzt möglich war. Aber abgesehen davon. Ich spiele hier nicht Schule. Ich bin durchaus bereit, mich an Diskussionen theoretischer Art zu beteiligen, werde aber keine Klausurlösungen abliefern. Also bitte nicht nebulös äußern "nur teilweise richtig", sondern konkrete Meinungen schreiben und die angeblich falsche Meinung widerlegen.

  • Zitat von juris2112


    Aber bei uns in Bayern ist es so, dass die Beteiligten im Termin regelmäßig über ihr bestehendes oder nicht bestehendes Pflichtteilsrecht belehrt werden. Außerdem ist im EDV-Programm vorgesehen, dass die in Betracht kommenden Personen spätestens mit der aktenmäßigen Schlussverfügung mittels amtlichem Vordruck über ihr Pflichtteilsrecht zu belehren sind. Muss man sich denn da nicht Gedanken darüber machen, ob und ggf. mit welchem Inhalt man diese Belehrung erteilt?



    Wird die Rechtsberatung / Serviceleistung in Bayern aufgrund von Landesrecht (mal wieder...:D ) geleistet ?

    In Hamburg benachrichtigen wir lediglich die Pflichtteilsberechtigten vom Inhalt des Testaments. Eine rechtliche Beratung in Bezug auf das (Nicht-)Bestehen von Pflichtteilsansprüchen findet bei uns nicht statt.

    Aber Sie haben natürlich recht : Will oder muss man eine entsprechende Serviceleistung erbringen, so sollten die Hinweise auch zutreffend sein...;) .

    the bishop :kardinal:

    NOBODY expects the spanish inquisition !

  • Zitat von the bishop

    In Hamburg benachrichtigen wir lediglich die Pflichtteilsberechtigten vom Inhalt des Testaments. Eine rechtliche Beratung in Bezug auf das (Nicht-)Bestehen von Pflichtteilsansprüchen findet bei uns nicht statt.

    Das ist meines Wissens im gesamten Nord- und mitteldeutschen Raum so. Für den Süden kann man das ja leider nie richtig abschätzen.

  • § 21 BGB # 9

    Na, na, na, nicht gleich beleidigt sein. Schließlich war es ja nicht ich, der gemeint hat, mit seiner Lösung sei der Fall praktisch erledigt.

    the bishop # 10 und § 21 BGB # 11

    Die Pflichtteilsbelehrung würde ich unter die Begriff und die Dienstleistung der „vorsorgenden Rechtspflege“ subsumieren. Ich will mit den vorliegenden Fällen ja nur zeigen, dass es sich zur eigenen Arbeitserleichterung durchaus lohnt, etwas über den Tellerrand der eigenen Zuständigkeiten hinaus zu blicken. Wenn man z.B. bedenkt, dass das GBA mit der nachlassgerichtlichen Niederschrift zum Zwecke der Grundbuchberichtigung leben muss, so sollte man darauf achten, dass die Niederschrift auch die grundbuchrechtlich bedeutsamen Probleme (etwa im Hinblick auf Nacherben- und TV-Vermerke) erörtert. Und im Anwendungsbereich des § 2306 BGB muss das Nachlassgericht doch auch (mit den entsprechenden pflichtteilsrechtlichen Konsequenzen) von Amts wegen prüfen, ob ein Fall des Abs.1 S.1 oder des Abs.1 S.2 vorliegt. Mit „bayerischem Landesrecht“ hat das alles nichts zu tun.

    Sei’s drum. Ich warte noch die Statements des morgigen Tages ab und stelle dann die Lösung ein.

  • Ich bin weder beleidigt noch habe ich zum Ausdruck gebracht, durch meine Meinung sei die Sache erledigt. Wenn aber behauptet wird, das Ergebnis sei nicht zutreffend, gehört es zum guten Ton, das zu begründen, oder man äußert sich erst einmal nicht.

    Mich beschleicht sonst sehr schnell der Eindruck, dass jemand mit solchen Fallbeispielen nicht diskutieren sondern sich selbst in den Vordergrund stellen bzw. andere vorführen will und dann ist das für mich in Zukunft erledigt. Wie schon geschrieben: ich spiele hier nicht Schule und ich werde nicht lange nach Lösungen suchen oder Klausurtechnik vorführen und angesichts der bisherigen Zahl an Meinungen liegt das auch anderen Teilnehmern nicht.

    Zitat

    Die Pflichtteilsbelehrung würde ich unter die Begriff und die Dienstleistung der „vorsorgenden Rechtspflege“ subsumieren. Ich will mit den vorliegenden Fällen ja nur zeigen, dass es sich zur eigenen Arbeitserleichterung durchaus lohnt, etwas über den Tellerrand der eigenen Zuständigkeiten hinaus zu blicken.

    Angesichts der Tatsache, dass hier viele Rechtspfleger mit teilweise erheblichen praktischen Erfahrungen zum Nutzerkreis gehören, bezweifele ich doch, dass die einen solchen Hinweis oder "Belehrungen" benötigen oder dass solche Fälle dafür geeignet sind.

    Zitat

    Wenn man z.B. bedenkt, dass das GBA mit der nachlassgerichtlichen Niederschrift zum Zwecke der Grundbuchberichtigung leben muss, so sollte man darauf achten, dass die Niederschrift auch die grundbuchrechtlich bedeutsamen Probleme (etwa im Hinblick auf Nacherben- und TV-Vermerke) erörtert. Und im Anwendungsbereich des § 2306 BGB muss das Nachlassgericht doch auch (mit den entsprechenden pflichtteilsrechtlichen Konsequenzen) von Amts wegen prüfen, ob ein Fall des Abs.1 S.1 oder des Abs.1 S.2 vorliegt. Mit „bayerischem Landesrecht“ hat das alles nichts zu tun.

    Welche Niederschriften sind denn gemeint? Das Grundbuchamt arbeitet ausschließlich mit Testamenten und Eröffnungsprotokollen, Erbscheinen und TV-Zeugnissen und ist auch nicht an die nachlassgerichtliche Auffassung gebunden sondern legt ggf. selbst aus. Und ich sehe auch nicht, weshalb das Nachlassgericht im Hinblick auf § 2306 BGB oder in sonstiger Hinsicht Pflichtteilsfragen zu klären hätte und schon überhaupt nicht von Amts wegen. Pflichtteile sind eine zivilrechtliche Problematik.

  • § 21 BGB:

    Ich denke, wenn man unbedingt etwas falsch verstehen will, dann versteht man es auch falsch. Ich habe es wirklich nicht nötig, Kollegen „vorzuführen“ oder zu „belehren“ oder mich in irgendeiner Weise „in den Vordergrund zu stellen“. Ich denke, meine bisherigen Statements sprechen in dieser Hinsicht für sich. Dass das von mir angesprochene Thema binnen eines einzigen Tages mehr als 150 Hits aufzuweisen hat, dürfte belegen, dass die zur Diskussion gestellte Problematik durchaus von allgemeinem Interesse ist. Ich wollte den Kollegen lediglich Fallgestaltungen unterbreiten, die mir selbst in der nachlassgerichtlichen Praxis begegnet sind und mit meinen Fragestellungen dazu anregen, auch einmal über Dinge nachzudenken, die sich nicht in der alltäglichen Arbeit des Nachlassgerichts niederschlagen.

    Außerdem glaube ich, dass die entstandenen Differenzen auf einer grundsätzlich verschiedenen Auffassung von der nachlassgerichtlichen Tätigkeit beruhen. Ist es völlig abwegig, zu glauben, dass die Testamentsauslegung nach dortiger Auffassung die Angelegenheit des Nachlassrichters ist und dass Erbscheinsanträge am besten beim Notar gestellt werden sollten? In diesem Fall beschränkt sich die Tätigkeit des Nachlassrechtspflegers in der Tat auf die Erteilung von Erbscheinen aufgrund gesetzlicher Erbfolge und auf die bloße Abwicklung des von dritter Seite vorgegebenen Verfahrens. Ich darf in dieser Hinsicht insbesondere zu bedenken geben, dass in Bayern (ebenso wie in Baden-Württemberg und Sachsen) der landesrechtliche Grundsatz der amtlichen Erbenermittlung gilt und dass der nachlassgerichtliche Verfahrensablauf in der Zuständigkeit des Rechtspflegers demzufolge inhaltlich völlig andere Züge trägt als in den anderen Bundesländern. Die Frage, welche nachlassgerichtlichen „Niederschriften“ denn in meinem Statement #12 gemeint sein sollen, ist somit nur mit der Außerachtlassung des in den genannten Bundesländern geltenden (und durchaus nicht unbekannten) landesrechtlichen Grundsatzes der amtlichen Erbenermittlung erklärbar.

    Dass Pflichtteilsansprüche im Hinblick auf ihre Durchsetzung eine zivilrechtliche Problematik sind, trifft durchaus zu. Aber was soll nach dortiger Auffassung geschehen, wenn ein zum Kreise der Pflichtteilsberechtigten gehörender Beteiligter beim Nachlassgericht erscheint, um die Erbschaft erklärtermaßen zum Zwecke der Geltendmachung seines Pflichtteilsanspruchs i.S. des § 2306 I 2 BGB auszuschlagen? Einfach die Ausschlagung beurkunden, ohne zu prüfen, ob überhaupt eine Fallgestaltung des § 2306 I 2 (oder eine solche des § 2306 I 1) BGB vorliegt, weil durch das Nachlassgericht keinerlei pflichtteilsrechtliche Prüfung und auch keine Rechtsberatung erfolgt? Eine solche Rechtsauffassung kann nach meinem Dafürhalten nicht allen Ernstes vertreten werden.

    Zu den Rechtspflegern „im Süden“ noch eine kleine Geschichte: Ich habe den aus dem gesamten Bundesgebiet stammenden Teilnehmern einer Fortbildungsveranstaltung einmal ein in Leder gebundenes und mit farbiger Laser-Fotodokumentation versehenes 200-seitiges Nachlassverzeichnis eines Nachlasspflegers über einen im zweistelligen Millionenbereich liegenden Nachlass präsentiert und bemerkt, dass sich die Gerichte der hiesigen „geldigen“ Gegend im Süden Deutschlands natürlich nicht mit profanen (geschweige denn mit amtlichen) Nachlassverzeichnis-Formularen zufrieden geben.

    Natürlich hat jeder den Spaß verstanden. Ich denke, wir sollten es im Forum genauso halten.

  • Zitat von juris2112

    Ist es völlig abwegig, zu glauben, dass die Testamentsauslegung nach dortiger Auffassung die Angelegenheit des Nachlassrichters ist und dass Erbscheinsanträge am besten beim Notar gestellt werden sollten? In diesem Fall beschränkt sich die Tätigkeit des Nachlassrechtspflegers in der Tat auf die Erteilung von Erbscheinen aufgrund gesetzlicher Erbfolge und auf die bloße Abwicklung des von dritter Seite vorgegebenen Verfahrens. Ich darf in dieser Hinsicht insbesondere zu bedenken geben, dass in Bayern (ebenso wie in Baden-Württemberg und Sachsen) der landesrechtliche Grundsatz der amtlichen Erbenermittlung gilt und dass der nachlassgerichtliche Verfahrensablauf in der Zuständigkeit des Rechtspflegers demzufolge inhaltlich völlig andere Züge trägt als in den anderen Bundesländern.



    Zu Ihrer Frage : Ja - es ist völlig abwegig; einerseits, da wir bei Beurkundung des Erbscheinsantrags das Testament auszulegen haben und andererseits insbesondere, da ein Bundesland nach dem anderen von der (sich aus dem RpflG ergebenden) Öffnungsklausel zur Übertragung der Erbscheinserteilung bei testamentarischer Erbfolge auf den Rechtspfleger Gebrauch machen wird(, wenn das nachlassgerichtliche Verfahren nicht ohnehin auf die Notare übertragen werden wird).

    Nichts desto trotz endet m.E. die nachlassgerichtliche Aufgabe mit der Erteilung des ES / TVZ und das Pflichtteilsrecht ist m.E. nur materielles (schuldrechtliches) Folgerecht, mit dem das Nachlassgericht aufgrund seines gesetzlich definierten Aufgabenkreises eher wenig zu tun hat. Daher halte ich es aus Sicht der "südlichen" Kollegen für haftungsrechtlich bedenklich, ihnen eine Belehrungspflicht in Bezug auf das Bestehen und den Umfang des Pflichtteilsrechts zu oktroyieren und würde mich hiergegen an deren Stelle wehren, soweit möglich.

    Der Fall des § 2306 BGB birgt - zugegeben - einen der wenigen Ausnahmefälle der Aufklärungspflicht des Nachlassgerichts.

    the bishop :kardinal:

    NOBODY expects the spanish inquisition !

  • Zitat von juris2112


    Einfach die Ausschlagung beurkunden, ohne zu prüfen, ob überhaupt eine Fallgestaltung des § 2306 I 2 (oder eine solche des § 2306 I 1) BGB vorliegt, weil durch das Nachlassgericht keinerlei pflichtteilsrechtliche Prüfung und auch keine Rechtsberatung erfolgt? Eine solche Rechtsauffassung kann nach meinem Dafürhalten nicht allen Ernstes vertreten werden.



    Wenn ein Ausschlagender in meiner NL-Zeit Erklärungen in Richtung § 2306 I BGB abgegeben hätte, hätte ich sie mit aufgenommen ggf. auf die Problematik hingewiesen und die Grundzüge des Pflichtteilsrechts genannt, ansonsten aber auf die rechtsberatenden Berufe verwiesen. So habe ich es immer bei Pflichtteilsfragen gehandhabt. Es ist dann die Eigenverantwortung des Ausschlagenden, was er mit meinen Hinweisen anfängt. Dies widerspricht nicht der Aufgabe des Nachlassrechtspflegers, ganz im Gegenteil.

    Ich denke, diese Auffassung kann man sehr gut allen Ernstes vertreten.

  • Kai:

    Da sind wir uns natürlich völlig einig. Meine Ausführungen sollten ja auch nicht in dem Sinne gemeint sein, dass der Nachlassrechtspfleger in pflichtteilsrechtlicher Hinsicht an die Stelle der rechtsberatenden Berufe treten soll. Ich wollte vielmehr darauf hinaus, dass der Rechtspfleger den Beteiligten bei entsprechendem Anlass die entsprechenden pflichtteilsrechtlichen Hinweise geben und in Zweifelsfällen selbstverständlich auf die Notwendigkeit einer rechtlichen Beratung verweisen sollte (in den meisten Fällen handelt es sich aber ja ohnehin nur um die einfache Berechung der Pflichtteilsquote). Dass eine vollständige Belehrungspflicht des Rechtspflegers nicht in Betracht kommen kann, ergibt sich schon daraus, dass Anrechnungs- und Ausgleichungspflichten (§§ 2315, 2316 BGB) vom Nachlassgericht ohnehin nicht berücksichtigt werden können.

    Zwischen den in Betracht kommenden Extremstandpunkten im Hinblick auf Belehrungspflicht (einerseits) und der völligen Außerachtlassung pflichtteilsrechtlicher Beurteilung (andererseits) ist somit eine Menge Raum, innerhalb dessen sich jeder Kollege entsprechend seiner eigenen rechtlichen Vorstellungen relativ bequem bewegen kann. Die hier im Forum geäußerte Auffassung, wonach pflichtteilsrechtliche Fragestellungen für den Nachlassrechtspfleger grundsätzlich ohne Bedeutung sind, vermag ich daher nach wie vor nicht zu teilen. Denn sie führt im Ergebnis dazu, den zweifellos bestehenden „Belehrungsspielraum“ stets in der Weise auszuschöpfen, dass entweder überhaupt nicht oder möglichst wenig „belehrt“ und den Beteiligten daher auch am wenigsten Hilfestellung zuteil wird.
    Ich glaube auch, dass es einen Unterschied macht, ob man bei hiesigen Quadratmeterpreisen zwischen 600 und 800 € nahezu täglich mit Millionennachlässen befasst oder ob man in einer Gegend tätig ist, wo die Grundstückspreise erheblich niedriger sind. Denn in Regionen mit regelmäßig hohen Nachlässen haben die Beteiligten sicherlich eine andere Erwartungshaltung im Hinblick auf die Tätigkeit des Nachlassgerichts als anderswo. In diesen Fällen reduziert sich die Belehrungsproblematik aber meist schon deshalb, weil die Beteiligten ohnehin ihre steuerlichen und anwaltlichen Berater im Hintergrund haben. Aber auch hier gilt natürlich (wie bei § 139 ZPO) der allgemeine Grundsatz, dass der rechtlich unbedarfte Beteiligte anders aufzuklären ist als der geschäftsgewandte Beteiligte.

    Hier noch ein anderes Beispiel, das nur indirekt mit dem Pflichtteilsrecht zu tun hat: Wenn Eheleute hälftige Eigentümer einer werthaltigen Immobilie sind und sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzen und die 85-jährige Witwe mit den Kindern beim Nachlassgericht vorspricht, dann erlaube ich mir schon ab und an den Hinweis, dass man sich überlegen möge, ob sich durch die Ausschlagung der Erbschaft nicht ein erheblicher erbschaftsteuerlicher Vorteil für beide Ehegattenerbfälle erreichen lässt. Dass man solche Hinweise nicht geben muss, ist klar. Man kann sie aber geben. Und meine Erfahrung in diesen Fällen ist, dass die Beteiligten diese Hinweise dankbar aufnehmen und der nachlassgerichtliche Termin bis zu einer erfolgten steuerlichen Beratung vertagt wird. Solche Dinge meine ich, wenn ich von „vorsorgender Rechtspflege“ spreche. Ist eine solche „Belehrung“ der Beteiligten denn wirklich so kritikwürdig, wie es hier im Forum im Hinblick auf das Pflichtteilsrecht bereits anklang? Würden wir es in eigener Sache im Hinblick auf die Ausschlagung nicht genauso halten und wären wir -als rechtliche Laien- nicht auch froh, vor einer vorschnellen Annahme der Erbschaft insoweit einen kleinen Denkanstoß zu erhalten? Ich glaube schon.

    Die vorstehenden Ausführungen sollen verdeutlichen, dass ich im Hinblick auf die Aufklärung der Beteiligten ebenfalls durchweg von einem pragmatischen Denkansatz unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und keineswegs von einer generellen (geschweige denn einer vollständigen) Belehrungspflicht des Nachlassgerichts im Hinblick auf pflichtteilsrechtliche Sachverhalte ausgehe. Die aufgetretenen Meinungsverschiedenheiten sind daher wohl nur deshalb entstanden, weil jeder die Dinge halt etwas anders handhabt und weil der landesrechtliche Grundsatz der amtlichen Erbenermittlung durchaus Einfluss auf diese Handhabung hat. Ich hoffe, die entstandenen Irritationen sind damit ausgeräumt.

  • Hier die Auflösung:

    Im Ausgangsfall hat A1 kein Pflichtteilsrecht, weil seine Mutter A nach § 1924 II BGB im Stamme vor ihm steht und er deshalb bereits von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen wäre. Wer aber auch ohne Testament nicht zum Erben berufen gewesen wäre, kann nicht i.S. des § 2303 BGB „durch Verfügung von Todes wegen“ von der Erbfolge ausgeschlossen sein.

    Das gleiche Ergebnis ergibt sich bei Fallvariante 1. Der Unterschied zum Ausgangsfall besteht hier nur darin, dass das Pflichtteilsrecht von A nicht aufgrund Entziehung des Pflichtteils, sondern aufgrund Pflichtteilsverzichts ausgeschlossen ist. Für A1 verbleibt es daher dabei, dass ihn seine Mutter nach § 1924 II BGB von der gesetzlichen Erbfolge und damit auch vom Pflichtteilsrecht ausschließt. Dass sich der Pflichtteilsverzicht von A kraft ausdrücklicher Vereinbarung nicht auf A1 erstreckt (§ 2349 BGB gilt auch für den Pflichtteilsverzicht), führt zu keinem anderen Ergebnis, weil bereits die gesetzlichen Voraussetzungen des § 2303 BGB für ein Pflichtteilsrecht des A1 nicht vorliegen.

    Die Vorschrift des § 2309 BGB ist sowohl im Ausgangsfall als auch bei Fallvariante 1 nicht anwendbar, weil die Norm lediglich die Doppelbegünstigung eines Stammes verhindern soll, aber nicht garantiert, dass ein Stamm im pflichtteilsrechtichen Sinne überhaupt etwas erhält. § 2309 BGB begründet somit kein Pflichtteilsrecht, sondern setzt ein bestehendes Pflichtteilsrecht voraus. Voraussetzung für eine Anwendung der Norm ist daher stets, dass dem entfernteren Abkömmling (hier A1) aus eigenem Recht ein Pflichtteilsrecht zusteht, der dann ggf. durch die Norm des § 2309 BGB wieder eingeschränkt wird. Diese Voraussetzung ist für A1 wegen § 1924 II BGB nicht erfüllt.

    Bei Fallvariante 2 steht dem A1 dagegen ein Pflichtteilsrecht zu, weil A durch den Erbverzicht kraft gesetzlicher Fiktion als vorverstorben gilt (§ 2346 I 2 BGB) und sie A1 daher nicht mehr i.S. des § 1924 II BGB von der gesetzlichen Erbfolge ausschließt. Da sich der Erbverzicht der A ausdrücklich nicht auf A1 erstreckt (§ 2349 BGB), wäre A1 ohne Testament somit kraft Gesetzes zum Miterben des Erblassers berufen gewesen. Damit sind die Voraussetzungen des § 2303 BGB erfüllt, weil A1 nunmehr „durch Verfügung von Todes wegen“ von der Erbfolge ausgeschlossen ist.

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