Ausschlagung der Nacherben

  • Hallo, bin nochmals auf Hilfe angewiesen. Folgender Sachverhalt: Erblasser überträgt einen Tag vor seinem Tod einziges Grundstück auf seine 2. Ehefrau und verfasst gleichzeitig ein Testament (2. Ehefrau=befreite Vorerbin; Kinder aus 1. Ehe=Nacherben); Nacherben wollen auf den Nacherbfall bezogen ausschlagen (2. Ehefrau wäre dann Vollerbin), um den Pflichtteil geltend zu machen. Werden dabei Probleme gesehen und sind aufgrund der Übertragung sogar Pflichtteilsergänzungsansprüche denkbar?
    Wäre über Anregungen sehr dankbar.;)

  • Man muss wohl differenzieren:

    Zunächst ist klar, dass die Grundstücksschenkung noch nicht vollzogen wurde, sodass lediglich der schuldrechtliche Anspruch auf den Erwerb des Grundeigentums schenkungsweise zugewendet wurde. Dass dem so ist, wir klar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass in das Nachlassverzeichnis sowohl der Grundbesitz (als Aktiva) als auch -in gleicher Höhe- die einen Tag vor dem Erbfall wirksam gewordene schuldrechtliche Verpflichtung zur unentgeltlichen Übereignung des Grundbesitzes (als Passiva) einzustellen ist. Der hieraus folgende Umstand, dass sich beide Vermögensposten für den ordentlichen Pflichtteilsanspruch somit auf "0" saldieren, macht klar, dass man streng zwischen dem ordentlichen Pflichtteilsanspruch und dem Pflichtteilsergänzungsanspruch unterscheiden muss.

    Die Geltendmachung des ordentlichen Pflichtteilsanspruch, für dessen Berechnung der Grundbesitz aus den genannten Gründen mit "0" zu bewerten ist, setzt nach der zutreffenden Ansicht meines Vorredners voraus, dass die Nacherben die Nacherbschaft ausschlagen (§ 2306 Abs.2, Abs.1 S.2 BGB). Da der hiervon zu unterscheidende Pflichtteilsergänzungsanspruch als rechtlich selbständiger außerordentlicher Pflichtteilsanspruch nicht voraussetzt, dass der Berechtigte auch Inhaber eines ordentlichen Pflichtteilsanspruchs ist, kann der Pflichtteilsergänzungsanspruch aber auch ohne Ausschlagung der Nacherbschaft geltend gemacht werden (pflichtteilsergänzungsberechtigt wäre ja auch ein zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehörender Alleinerbe, dessen geerbter Nachlass durch Vorschenkungen des Erblassers geschmälert wurde).

    Es stellt sich also die Frage, ob sich die Pflichtteilsberechtigten mit ihrem Pflichtteilsergänzungsanspruch im Hinblick auf den verschenkten Anspruch zufrieden geben wollen (dann brauchen sie die Nacherbschaft nicht auszuschlagen) oder ob sie darüber hinaus auch ihren ordentlichen Pflichtteilsanspruch am verbleibenden Restnachlass geltend machen wollen (dann müssen sie die Nacherbschaft ausschlagen). Diese Entscheidung wird zunächst davon abhängen, ob bei rechnerischer Außerachtlassung des besagten Grundbesitzes überhaupt noch eine nennenswerte Vermögensposition im Nachlass verbleibt, die im Fall des Eintritts des Nacherbfalls auf die Nacherben übergehen könnte. Falls es sich insoweit nur um untergeordnetes Geldvermögen handelt, dürfte eine Ausschlagung der Nacherbschaft naheliegen, um auch den ordentlichen Pflichtteilsanspruch geltend zu machen. Besteht der Restnachlass demgegenüber aus bedeutendem Vermögen (etwa aus weiterem Grundbesitz und/oder umfangreichem Geldnachlass), so hängt die Entscheidung über die Ausschlagung der Nacherbschaft davon ab, ob die Nacherben insoweit bis zum Ableben der Vorerbin zuwarten wollen (dann erben sie später je 1/3) oder ob sie sich nach erfolgter Ausschlagung der Nacherbschaft insoweit mit ihrem Pflichtteilsanspruch von je 1/12 zufrieden geben wollen. Was insoweit besser oder schlechter ist, kann nur im Einzelfall beurteilt werden. Hat die Vorerbin noch eine statistische Lebenserwartung von etlichen Jahrzehnten, wird die Entscheidung (pro Ausschlagung) wohl anders ausfallen, als wenn die Vorerbin schon relativ betagt ist. Außerdem spielt natürlich auch eine Rolle, dass es sich im vorliegenden Fall um eine befreite Vorerbschaft handelt, was immer die Gefahr in sich birgt, dass der Vorerbe den Nachlass im Lauf der Jahre legitimerweise aufbraucht (§§ 2136, 2137 Abs.1 BGB).

    Da die Rechtslage im vorliegenden Fall nicht ohne weiteres zu durchschauen ist, würde ich mich in keinem Fall mit irgendwelchen den Beteiligten unterbreiteten Vorschlägen zu weit aus dem Fenster lehnen, sondern den Beteiligten eine Beratung durch einen kompetenten Erbrechtsanwalt anempfehlen. Dies gilt umso mehr, als keine Eile geboten ist, weil die Ausschlagung der Nacherbschaft zum Zwecke der Geltendmachung des ordentlichen Pflichtteilsanspruchs nicht binnen sechs Wochen erfolgen muss, sondern ganz "bequem" innerhalb der dreijährigen Pflichtteilsverjährungsfrist erfolgen kann (§§ 2139, 2142 Abs.1, 1944 Abs.2 BGB), was eine sorgfältige Prüfung der wirtschaftlichen Hintergründe der Angelegenheit ermöglicht.

    Zu Bewertungsstreitigkeiten bei noch nicht vollzogener Schenkung vgl. Palandt/Edenhofer § 2325 RdNr.21 m.w.N.

    Wenn die Kinder die Nacherbschaft ausschlagen, um ihren Pflichtteilsanspruch geltend zu machen, ist übrigens in der Regel davon auszugehen, dass deren Abkömmlinge nicht als Ersatznacherben berufen sind (Palandt/Edenhofer § 2069 RdNr.4 und § 2142 RdNr.3 -jeweils m.w.N.-).


  • Da die Rechtslage im vorliegenden Fall nicht ohne weiteres zu durchschauen ist, würde ich mich in keinem Fall mit irgendwelchen den Beteiligten unterbreiteten Vorschlägen zu weit aus dem Fenster lehnen, sondern den Beteiligten eine Beratung durch einen kompetenten Erbrechtsanwalt anempfehlen.



    Das ist in solchen Fällen wirklich ratsam.

    Wenn ich richtig verstanden habe, könnte es für die Kinder evtl. vorteilhaft sein, Nacherben zu werden und nach Eintritt des Nacherbfalles den Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen die Erben der Frau geltend zu machen.

    Drohen nicht Verjährungsprobleme ?

  • Auch wenn die Nacherben die Nacherbschaft zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ausschlagen, können sie ihren Pflichtteilsergänzungsanspruch gleichwohl sofort geltend machen. Denn dieser Anspruch ist bereits mit dem ursprünglichen Erbfall entstanden.

    Also entweder:

    - Ausschlagung der Nacherbschaft und sofortige Geltendmachung sowohl des ordentlichen als auch des Pflichtteilsergänzungsanspruchs,

    oder

    - Keine Ausschlagung der Nacherbschaft, gleichwohl sofortige Geltendmachung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs und später Anfall der Nacherbschaft für den Restnachlass.

  • Mir ist es schon öfters untergekommen, dass Anwälte ihren zu Erben berufenen Mandanten geraten haben, die Erbschaft auszuschlagen, damit sie ihren Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend machen können.

    Natürlich völlig falsch - die Erben können durch eine solche Ausschlagung nicht einmal ihren ordentlichen Pflichtteilsanspruch am real vorhandenen Nachlass erlangen. Sie waren ja nicht enterbt!

    Klassischer Fall:

    Sohn A ist testamentarischer Alleinerbe. Erblasser verschenkt an Sohn B ein Hausgrundstück. Anschließend tritt der Erbfall ein.

    A muss nicht ausschlagen, um seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend machen zu können. Der Anspruch richtet sich hier nach § 2329 BGB direkt gegen den Beschenkten.

  • Jetzt muss nur noch unser Fragesteller mitteilen, was er von der Sache hält.

    Was natürlich nicht heißt, dass sich andere User hier nicht äußern sollen/dürfen. :)

  • Vielen Dank für die ausführlichen Darstellungen. Den Tipp bzgl. der Beratung werde ich beherzigen und den Herrschaften empfehlen, einen fachkompetenten Anwalt aufzusuchen.:daumenrau

  • Und wenn die Beteiligten dann nochmals aufkreuzen, um die Nacherbschaft auszuschlagen, würde ich in der Ausschlagungsniederschrift ausdrücklich folgendes protokollieren:

    Es wurde darauf hingewiesen, dass die Geltendmachung von etwaigen Pflichtteilsergänzungsansprüchen nicht von der Ausschlagung der Nacherbschaft abhängig ist (Palandt/Edenhofer § 2325 RdNrn.2, 4 m.w.N.). Die Beteiligten wünschen gleichwohl die Beurkundung der Erbausschlagung.

    Aber vielleicht hast Du ja auch Glück und die Erbausschlagungen erfolgen beim Notar.



  • Siehe hierzu Palandt 65. Aufl. Rd. Nr. 2 zu § 2142 BGB unter Verweis auf RG 59, 341, Rd. Nr. 11 zu § 2306 BGB unter Verweis auf LG Berlin JurBüro 63,423 (vor Ausschlagung der Nacherbschaft hat Nacherbe keinen Anspruch auf den Pflichtteil).

  • Kleine Ergänzung (blau:(

    Zitat:

    Vor Ausschlagung der Nacherbschaft hat Nacherbe keinen Anspruch auf den ordentlichen Pflichtteil.


  • Zunächst ist klar, dass die Grundstücksschenkung noch nicht vollzogen wurde, sodass lediglich der schuldrechtliche Anspruch auf den Erwerb des Grundeigentums schenkungsweise zugewendet wurde. Dass dem so ist, wir klar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass in das Nachlassverzeichnis sowohl der Grundbesitz (als Aktiva) als auch -in gleicher Höhe- die einen Tag vor dem Erbfall wirksam gewordene schuldrechtliche Verpflichtung zur unentgeltlichen Übereignung des Grundbesitzes (als Passiva) einzustellen ist.



    Soweit d'accord.

    Rein interessehalber:
    Wie ist das eigentlich sachen- bzw. grundbuchrechtlich ?

    Stellt der Notar jetzt "ganz normal" den Eintragungsantrag und schreibt das GBA in Kenntnis des Erbfalls um oder müssen die (in diesem Fall Nach-)Erben zustimmen ?

    Als "Grundbuchlaie" würde ich meinen, dass die (Nach-)Erben nicht zustimmen müssen, da die Erklärungen des Erblassers gegen sie wirken.

  • Die Ergänzung in blau bei #18 unterschreibe ich nicht. Es gibt keinen Sinn, den Anspruch auf den ordentlichen Pflichtteil von der vorherigen Ausschlagung der Nacherbschaft abhängig zu machen, während der Pflichtteilsergänzungsanspruch hiervon nicht abhängig sein soll.
    Grundlage für den Anspruch aus § 2325 BGB ist der Anspruch auf Pflichtteil dem Grunde nach. Ist dieser gegeben, wird über den Anspruch der Höhe nach zu entscheiden sein.

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