Unterhalts- und Deliktsforderungen - Vollstreckung vor Insolvenzeröffnung

  • Ich bin bisher davon ausgegangen, dass Unterhalts- und Deliktsgläubiger, die das Arbeitseinkommen des Schuldners gepfändet haben nach Eröffnung des Verfahrens nur noch wegen der künftig fälligen Beträge vollstrecken dürfen. Die Pfändung wegen der Rückstände würde nach § 114 Abs. 3 InsO unwirksam weil sie Insolvenzgläubiger sind. Schließlich erlaubt § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO nur den Neugläubigern von Unterhalts- und Deliktsansprüchen die Zwangsvollstreckung in den erweiterten Pfandbereich. Insolvenzgläubigern (also wegen der bis Eröffnung fälligen Unterhaltsforderungen) sei die Vollstreckung verboten (§ 89 Abs. 1 InsO).

    Man kann den Satz 2 des § 89 Abs. 2 InsO meiner Meinung nach nicht ohne denn Satz 1 sehen in dem es nur um das Vollstreckungsverbot von Neugläubigern geht. Insolvenzgläubigern ist die Vollstreckung schon nach Abs. 1 verboten.

    Dies erschien mir logisch und wurde auch von den Rechtspflegern bestätigt.

    Nun hat der BGH in dem Beschluss vom 15.11.2007 - IX ZB 226/05 -

    http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechts…pos=182&anz=577

    Abs. 12 festgestellt:

    Gemäß § 114 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 3, § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO bleiben vor Insolvenzeröffnung erwirkte Vollstreckungsmaßnahmen von Unterhalts- und Deliktsgläubigern in den erweitert pfändbaren Teil der Bezüge wirksam. Diese Regelung beschränkt sich - wie das Beschwerdegericht zutreffend dargelegt hat - auf eine vor Insolvenzeröffnung bewirkte Vollstreckung.

    Entweder hat sich der BGH hier etwas unglücklich oder unvollständig ausgedrückt oder er ist tatsächlich davon ausgegangen, dass die Unterhaltspfändung auch wegen der Rückstände bestehen bleibt.

    Wie sehen es denn die Profi`s???:gruebel:

  • Die Problematik wurde vom BGH mA gar nicht angesprochen.
    Abs. 12 ist wohl etwas unglücklich ausgedrückt, ich hätte aber keine Bedenken bei der zuerst geäusserten und von mir auch geteilten Meinung zu bleiben.

  • Uff Danke Harry!!!!!

    Ich hatte mich auch erst nach einiger Zeit zu dieser Variante durchgerungen, nachdem ich zuerst auch angenommen hatte, dass die Forderungen aus den Unterhaltspfändungen in vollem Umfang bestehen blieben und die Vorschrift nur den Zugriffsumfang regelten.

    Wenn man diese Begründung aber im Umkehrschluss betrachtet, dann könnte man das so verstehen, dass die Pfändung bestehen bliebe, wenn sie vor der Eröffnung erlassen worden wäre obwohl es nur Rückstände sind.

    Es gibt auch noch eine fast gleichlautende Entscheidung bezüglich einer Deliktsforderung und das hat mich dann auch stutzig gemacht

    http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechts…pos=153&anz=577

  • Ich kann zwar keine Textstelle zitieren und im Uhlenbruck steht das Ganze auch etwas "verwischt". Mir wurde jedoch auf mehreren Seminaren bereits gesagt, dass § 89 InsO auch für vor IE entstandene Unterhalts- und Deliktsforderungen gilt und die Vollstreckung nur noch während nachinsolvenzlicher Neuforderungen zulässig ist.

  • Danke Ernst,

    das ergibt auch einen Sinn, weil es nicht sein kann, dass es davon abhängig ist, dass der Titel zufällig so rechtzeitig ausgestellt wird, dass hieraus vor Eröffnung vollstreckt werden kann.

    Ich glaube, dass ich das so auch bei Prof. Keller gelesen habe. Aber ich habe die Unterlagen leider erst am Montag wieder zur Verfügung.

  • Da hat das LAG Nürnberg mit Urteil vom 16.04.2008 - 3 Sa 551/07 - doch tatsächlich entschieden, dass die (gesamte) Pfändung in den erweiterten Teil des Einkommens wirksam bleibt (auch wegen der vor der Eröffnung entstandenen Rückstände). Der Arbeitgeber wurde verurteilt an den Unterhaltsgläubiger auch die Rückstände zu zahlen.:mad:

    Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt - 10 AZR 369/08 -.

    Also brauchen wir uns nicht an so eine :teufel: Entscheidung zu orientieren, zumal der BGH am 20.12.2007 - IX ZB 280/04 - anders entschienden hat:D

  • Ich möchte nochmals zur Diskussion anregen.
    Unterscheiden muss mann bei der Pfändung, ob sie vor oder nach der Insolvenzeröffnung durch Unterhalts- und Deliktsgläubiger in den 850 c-Bereich und den Vorrechtsbereich nach § 850 d ZPO erfolgt ist.

    1. Wenn nach Insolvenzeröffnung gepfändet wird wegen rückständiger und laufender Forderunsgbeträge, gilt § 89 InsO. Die Pfändung ist anfechtbar und aufzuheben, soweit nicht Forderungen ab Inso-Eröffnung fällig (insoweit Neugläubiger) und nicht der Vorrechtsbereich betroffen sind. Denn diese Gläubiger können nur wegen nach Inso-Eröffnung fällig gewordener Beträge in den Vorrechtsbereich pfänden, § 89 II InsO.
    Forderungen bis zur Insolvenzeröffnung sind gewöhnliche Gläubigerforderungen und anzumelden. Insoweit sind die Unterhaltsgläubiger gewöhniche Insolvenzgläuber (38 InsO).


    2. Wenn vor der Insolvenzeröffnung gepfändet wurde sind m.E. die §§ 88 = 1 Monat, (312 I S. 3 = 3 Monate), 89 II S. 2 und 114 InsO zu beachten.

    a) Rückschlagsperre trifft zu (1 oder 3 Monate), Pfändung unwirksam, dazu gehört jedoch z.B. nicht das erweitert pfändbare Arbeitseinkommen, §§ 850 d, 850 f II ZPO. Das kann dazu führen, dass eine Vollstreckung teilweise von 88 InsO erfasst wird, im übrigen jedoch wirksam bleibt. Der eweitert pfändbare Betrag gehört nicht zur Insolvenzmasse!! Somit Pfändung teilweise unwirksam! Erfasst werden von § 88 InsO nur Sicherungen an Massegegenständen.

    b) Rückschlagsperre trifft nicht zu, Pfändung also wirksam, § 114 InsO somit anwendbar. Wegen 114 III letzter Satz "§ 89 Abs. 2 Satz gilt entsprechend" bleibt die Pfändung in den erweiterten Teil des Arbeitseinkommens wirksam, und zwar auch wegen Unterhaltsbeträge, die vor der Insolvenzeröffnung fällig wurden und Beträgen die nach IE fällig wurden. Grund: Dieser erweiterte Teil gehört nicht zur Insolvenzmasse!

    So auch die oben zitierten Entscheidungen.

  • @ Kurt

    Das siehst Du meiner Meinung nach nicht richtig. Man kann den Satz 2 des § 89 Abs. 2 InsO nicht ohne den Satz 1 lesen und Abs. 2 insgesamt betrifft Neugläubiger. Der Unterhaltsgläubiger ist aber wegen seiner Rückstände, die vor der Eröffnung entstanden sind Insolvenzgläubiger und als solchem ist ihm die Vollstreckung nach § 89 Abs. 1 InsO verboten. Das geht auch eindeutig aus dem Beschluss des BGH vom 20.12.2007 hervor.

    Gleiches gilt für Deliktsgläubiger. Also ist ein Deliktsgläubiger auch Insolvenzgläubiger und darf nicht vollstrecken. Weil er nicht von der Restschuldbefreiung betroffen ist find ich die Vorschrift sehr unverständlich, aber sie ist halt eben da.

    Es kann nicht dem Zufall überlassen bleiben ob ein bevorrechtigter Gläubiger vor oder nach der Zeit der Eröffnung oder Rückschlagsperre pfänden kann.

    @ Rainer

    Danke!

  • was will denn die Norm des § 89 InsO erreichen ?
    Das was für jeden der Insolvenzgläubiger und keine Insolvenzgläubiger pfändbar wäre soll der Insolvenzmasse zugute kommen.

    Das was nicht für alle pfändbar ist, generell oder hier über die Definition des § 36, I InsO des Insolvenzbeschlages steht außerhalb der Norm, ist also über § 80 InsO nicht dem Verwalter zugänglich.

    Lax gesprochen kann es dann wegen dieser Vermögenswerte egal sein, wann ein Gläubiger auf diese zugegriffen hat, weil es die übrigen Gläubiger nicht benachteiligt.

    [SIGPIC] [/SIGPIC] Vertrauue miiir (Kaa: Das Dschungelbuch, 4. Akt, 3. Szene)

  • Das habe ich ursprünglich auch so gesehen. Aber wegen der Rückstände ist der Unterhaltsgläubiger auf jeden Fall Insolvenzgläubiger und als socher darf er weder während des Verfahrens (§ 89 Abs. 1 InsO) noch während der Laufzeit der Abtretung (§ 294 Abs. 1 InsO) vollstrecken. Und anschließend gibt es für die Insolvenzforderungen die RSB und damit sind die nicht getilgten Forderung nicht mehr beitreibbar.

  • @Hego
    wer vor IE noch nicht gepfändet hat, ist, gem. I außen vor.
    ist gepfändet worden, so benachteiligt es die übrigen Gläubiger nicht.

    [SIGPIC] [/SIGPIC] Vertrauue miiir (Kaa: Das Dschungelbuch, 4. Akt, 3. Szene)

  • § 89 Abs. 1 InsO muss auch für bestehende Pfändungen angewandt werden. Schließlich ist auch der vor der Eröffnung zugestelle Beschluss eine ZV eines Insolvenzgläubigers.

    Abs. 2 Satz 2 gilt nur für Neugläubiger, also wegen der nach Eröffnung entstandenen Unterhaltsansprüche. Wegen der Rückstände ist der UG Insolvenzgläubiger. Somit gilt der Verweis in § 114 Abs. 3 InsO auf § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO auch nur hinsichtlich der Neuforderungen des Unterhaltsgläubigers. Für Rückstände gilt auch für den Unterhaltsgläubiger § 114 Abs 3 Satz 1 und 2 InsO.

  • @Hego, vielen Dank für die weitere Diskussion.


    Anbei der betreffende Absatz 12 der BGH-Entscheidung:


    "12


    bb) Gemäß § 114 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 3, § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO bleiben vor Insolvenzeröffnung erwirkte Vollstreckungsmaßnahmen von Unterhalts- und Deliktsgläubigern in den erweitert pfändbaren Teil der Bezüge wirksam. Diese Regelung beschränkt sich - wie das Beschwerdegericht zutreffend dargelegt hat - auf eine vor Insolvenzeröffnung bewirkte Vollstreckung. Davon abweichend verbietet hingegen § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO aus Gründen der Gleichbehandlung aller Gläubiger eine Einzelvollstreckung durch Unterhalts- und Deliktsgläubiger, die Insolvenzgläubiger sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens."


    Ich befürchte, das letzte Wort ist hierzu noch nicht von der Rechtsprechung gesprochen. Ich war bisher immer der gleichen Meinunung wie Du, aber diese Entscheidung(en) stimmen doch etwas nachdenklich, deshalb wollte ich alles "voll austappen".

    Zu oben #7 Beispiel Nr. 2 b) wird die Pfändung in den 850 c ZPO Teil und den erweiterten Teil nach § 850 d ZPO nicht von der Rückschlagsperre betroffen, insofern ist von einem wirksamen Pfandungspfandrecht in den 850 c-Teil und den erweiterten Pfändungszugriff nach § 850 d ZPO auszugehen. Hierzu möchte ich § 50 Abs. 1 InsO zitieren: "ein durch Pfändung erlangten Pfandrecht usw.". Der betreffende Gläubiger besitzt dann ein Absonderungsrecht am 850 c ZPO-Anteil. Ist hier denn nicht § 114 III S. 1 InsO bezüglich des 850 c-Anteils anzuwenden und der erweiterte 85O d-ZPO-Anteil weiterin gepfändet?

    Um noch etwas weiter quer zu Denken, das Pfändungspfandrecht für den 850 c ZPO-Anteil könnte der IV durch "inkongruente" Anfechtung nach § 131 InsO zu Fall bringen, jedoch nicht den 850 d-ZPO-Anteil, weil der 850 d ZPO-Anteil nicht zur Insomasse gehört, m.E. somit der Anfechtung durch den IV entzogen ist.

    Ich bitte um weitere Diskussion!

    2 Mal editiert, zuletzt von kurt (20. Juli 2008 um 09:48)

  • Dann sie Dir bitte mal den Beschuss vom 20.12.2007 (s.o.) an.

    In der von Dir zitierten Entscheidung (die im übrigen richtig ist) wurde zwar die Vollstreckung in den erweiterten Pfandbereich bestätigt, aber es wurde nichts darüber gesagt, ob das auch für Unterhaltsrückstände gilt.

    Mache Dir doch mal Gedanken über das, was Du da zitiert hast:

    bb) Gemäß § 114 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 3, § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO bleiben vor Insolvenzeröffnung erwirkte Vollstreckungsmaßnahmen von Unterhalts- und Deliktsgläubigern in den erweitert pfändbaren Teil der Bezüge wirksam.

    Der Absatz 2 des § 89 InsO betrifft doch nur Neugläubiger, also auch der Satz 2. Insolvenzgläubiger, um die es bei den Rückständen geht, dürfen schon nach Abs. 1 nicht vollstrecken.

  • @Hego, die Diskussion möchte ich ein wenig ergänzen:

    Kuleisa in Hamburger Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2007, § 88 Rn 4;
    Eickmann in Heidelberger Kommentar zur Inso, 4. Aufl. 2006, § 88 Rn. 7; ebenso 3. Aufl. § 88 Rn. 7 mit einem konkreten Beispiel in Rn. 14.

    Die 4. Aufl. des Heidelberger Kommentars liegt mir nicht vor.

  • @Hego,

    aus Heildelberger Kommentar, 3. Auflage, Rnr 14:

    Beispiel: Ein Unterhaltsgläubiger hat am 3.3. das Arbeitseinkommen gepfändet. Eröffnung am 17.8.

    Variante a: Eröffnungsantrag 2.5.

    Variante b: Eröffnungsantrag: 20.3.

    a) Unberührt bleibt die Pfändung insoweit, als sie den Mehrbetrag zwischen dem nach § 850 c ZPO pfändaren und dem nach § 850 d ZPO pfändbaren Betrag erfasst, vgl. § 114 III, 3 2. HS, § 89 II 2. *Verweis auf Rnr 7! Hinischtlich des (massezugehörinen) Beitrages gem. § 850 c ZPO gilt nur § 114 III; § 88 ist nicht erfüllt. Die Pfändung wirtk insoweit auch noch für die September-Bezüge.

    *RnR 7: Erfasst sind nur Sicherungen an Massegegenständen; die Wirksamkeit einer Vollstreckung in freies Vermögen (z.B. in d. erweitert pfändbre Arbeitseinkommen, §§ 850 d 850 f II ZPO) bleibt unberührt. Dies kann dazu führen, dass die Vollstreckung teilweise von § 88 erfasst wird, i.Ü. jedoch wirksam bleibt.


    b) Hinsichtlich des Mehrbetrages nach § 850 d ZPO gilt das oben zu a) Gesagte. Hinsichtlich des von § 850 c ZPO umfassten Betrages gilt § 88; insoweit wirkt die Pfändung nur bis zu Eröffnung.


    Ich habe mir einfach mal die Mühe gemacht, das Beispiel aufzuführen.

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