Stiftungsrecht von 1857

  • Wie bekannt, ist das BGB 1900 in Kraft getreten.
    Bei mir (NRW, altes Preußen) sprach eine Dame vor, die belegte, dass eine 1857 verstorbene Person testamentarisch eine Stiftung aus ihrem Nachlass zu Gunsten der Gymnasiasten der Familie verfügte. Der Regierungspräsident (die Bezirksregierung) hat keinerlei Unterlagen. Die Rechtsfähigkeitsverleihung, die das BGB verlangt, ist also nicht erfolgt. Aber wie gesagt, die Stiftung erfolgte lange vor dem Inkrafttreten des BGB. Im Grundbuch ist diese Stiftung ("Studienstiftung K.K.") als Eigentümer eingetragen seit 1910, der Anlegung des Grundbuches bezüglich der hinterlassen Grundstücke. Kleiner Vermerk "ungeprüft" in Sütterlin im Aktendeckel(!). Als Vorstand wurde per Testament das jeweils älteste männliche Familienmitglied bestimmt. Die Familie ist mäandert, keiner weiß, ob und welcher Nachfolger der unverheirateten und kinderlos verstorbenen Stifterin das älteste männliche Familienmitglied ist.
    Frage: Wie wurden 1857 Stiftungen gegründet? Ist diese Stiftung auch ohne Verleihung der Rechtsfähigkeit rechtsfähig?
    Falls nein: wer ist Eigentümer der Grundstücke? M. E. die (unbekannten) Erben der Frau K. K.
    Zweite Frage: Der Schwiegervater der o. g. Dame hat bis zu seinem Tod 1995 als Vorstand agiert, in der Überzeugung, ältestes Familienmitglied zu sein. Der Ehemann der Erschienenen hat das Amt übernommen, mittlerweile aber kalte Füße, weil er seine Legitimation bezweifelt. Was tun? Notvorstand § 86 BGB? Oder, falls keine Rechtsfähigkeit der Stiftung gegeben, das Grundbuch also unrichtig ist, Pfleger für die unbekannten Erben der Stifterin?

  • Im vorliegenden Fall dürfte es sich um eine sog. Familienstiftung handeln (vgl. Erman/Werner Vorbem. zu § 80 RdNr.17). Ob sie rechtswirksam entstanden und rechtsfähig ist, bestimmt sich nach dem seinerzeitigen Landesrecht (Art. 163 EGBGB). Für das ehemalige Preußen kommen hierfür die Art.1-5 PrAGBGB vom 20.9.1899 (GS 177, für NRW abgedruckt in der alten Gesetzessammlung SGNW unter Nr.40) und Art.4,5 der PrAV vom 16.11.1899 bzw. die insoweit übergeleiteten älteren landesrechtlichen Vorschriften für das ehemalige Preußen in Betracht (diese Angaben habe ich aus dem alten "Planck" und einem alten "Staudinger").

    Bevor man sich mit der Frage nach der Wirkung oder Nichtwirkung der Eigentümereintragung aus dem Jahre 1910 befasst, ist somit zunächst einmal zu prüfen, ob die damalige Stiftung rechtswirksam gegründet wurde und ob sie nach ehemaligen Landrecht rechtsfähig war.

    1. Alternative 1

    Ist die Stiftung rechtswirksam entstanden und war sie nach seinerzeitigem rechtlichen Verständnis rechtsfähig, so ist Eigentümer nach wie vor die Stiftung. Art. 163 EGBGB eröffnet in diesem Fall die Möglichkeit, nach § 86 BGB (§ 29 BGB) einen Notvorstand zu bestellen. Damit ist aber natürlich nicht das Problem gelöst, wie in Zukunft mit dem Stiftungsvermögen zu verfahren ist (Weiterführung oder Auflösung). Im Fall einer theoretisch denkbaren Weiterführung ergibt sich das Problem, dass die derzeitigen "Gymnasiasten" der Familie zumindest in ihrer Gesamtheit unbekannt sind und deshalb vom Vorstand nicht entschieden werden könnte, wer mit dem Stiftungsvermögen überhaupt unterstützt werden soll. Für eine Auflösung wegen Wegfalls des Stiftungszwecks spricht meines Erachtens, dass sich (auch die schulischen!) Verhältnisse aufgrund der erfolgten staatlichen Umwandlungen (Preußen/Deutsches Reich/BRD) mehrmals grundlegend geändert haben und dass der für die heutigen Verhältnisse maßgebliche "umgedeutete" Wille der Stifterin nicht mehr feststellbar ist. Im übrigen dürfte die Auflösung der Stiftung auch aus praktischer und pragmatischer Sicht die einzig sinnvolle Lösung sein.

    Befürwortet man eine Auflösung, so fällt das Stiftungsvermögen nach Art.163 EGBGB i.V.m. § 88 BGB im Wege der Liquidation (§§ 47-53 BGB) an die in der Stiftungsverfassung (also an die von der Erblasserin) bestimmten Personen. Aufgrund des ursprünglichen Dauerzwecks der Stiftung dürften hierfür aber natürlich nicht die derzeitigen (unbekannten) Gymnasiasten der Familie, sondern die ursprünglichen Erben der Erblasserin und deren Erbeserben in Betracht kommen. Im Rahmen der Liquidation wäre der Grundbesitz zu veräußern und der Erlös an die Erben und Erbeserben der Erblasserin auszukehren (§ 49 Abs.1 S.1 BGB). Damit es nicht zu einer Haftung des liquidierenden Vorstands kommt, sollte parellel ein Nachlasspfleger für die unbekannten Erben der Erblasserin bestellt werden, der den Abwicklungsgeschäften des Vorstands vorsorglich zustimmt. Auf diese Weise ist auch die Beteiligung der Erben am Liquidationsverfahren gewährleistet.

    2. Alternative 2

    Ist die Stiftung nach ehemaligen Landesrecht nicht wirksam (rechtsfähig) entstanden, so hat sie das Grundstückseigentum materiell nicht erlangt und sie kann es unter der Geltung des BGB (1910) durch die seinerzeitige Grundbucheintragung im Zuge der Anlegung des Grundbuchs ebenfalls nicht wirksam erworben haben (vgl. RG JFG 7, 34, 37). Ob die unbekannten Erben (und Erbeserben) der Erblasserin in diesem Falle bereits mit dem Erbfall Eigentümer wurden und ob die Eintragung der "Studienstiftung K.K." wegen der Namensbezeichnung der Erblasserin auch für deren Erben wirkt, dürfte im Ergebnis keinen Unterschied machen. Im weiteren Verfahren sind sodann die unbekannten Erben und Erbeserben der Erblasserin festzustellen (Nachlasspflegschaft). Anschließend ist das Grundbuch auf die betreffenden Erbeserben im Wege der Grundbuchberichtigung umzuschreiben. Dass auch für die vor der Geltung des BGB verstorbenen Erben und Erbeserben ein Erbschein nach heute gültigem BGB erteilt werden kann, kann keinem Zweifel unterliegen.

    3. Offene Fragen

    Die vorstehenden Ausführungen sind mangels genauer Kenntnis des Sachverhalts notwendigerweise "ins Unreine" gesprochen. Weitere Ermittlungsmöglichkeiten bestehen in der Beiziehung der Nachlassakte der Erblasserin aus dem betreffenden Staatsarchiv (dort sind die Verwandtschaftsverhältnisse und die Erben evtl. bereits festgestellt) und in der Kontrolle der ebenfalls im Staatsarchiv befindlichen ehemaligen preußischen Grundbücher (samt den sog. Anlagen), aus welchen evtl. ebenfalls seinerzeitige Eigentümereintragungen und dazugehörige Eintragungsunterlagen festgestellt werden können.

    Wichtig ist vor allem der Wortlaut des Testaments der Erblasserin, nach welchem sich im Falle der Rechtsfähigkeit der Stiftung der Personenkreis der Anfallberechtigten im Falle der Auflösung der Stiftung bestimmt. Am "praktischsten" wäre sicherlich die Lösung, wonach die Stiftung nicht rechtswirksam entstanden ist. Denn in diesem Falle müssen nur die Erben und Erbeserben der Erblasserin ermittelt werden, während im Falle des Bestehens einer rechtsfähigen Stiftung noch zusätzlich die Liquidation erfolgen müsste.

  • Nachtrag:

    In Staudinger/Winkler, 12. Aufl., Art. 163 RdNr.3 (*Fußnote) finde ich soeben noch folgenden Hinweis:

    "Eine Familienstiftung erlangte nach gemeinem Recht und nach der Frankfurter Reformation Rechtsfähigkeit alleine durch den Stiftungsakt, ohne dass eine staatliche Genehmigung erforderlich war (Soergel/Hartmann, Art.163 EGBGB Rz.3)."

    Meines Erachtens müsste es in den Bibliotheken der Oberlandesgerichte Literatur zu den landesrechtlichen (Familien)Stiftungen nach ehemaligen preußischem Landesrecht geben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es das erste Mal vorkommt, dass eine altrechtliche Stiftung auch nach dem Inkrafttreten des BGB fortbestand.


    Über Google finde ich soeben die Homepage http://www.gercken-stiftung.de/, unter welcher ausführlich über eine seit dem 17. Jahrhundert (und bis heute) bestehende Familienstiftung in Salzwedel/Altmark (wohl ehemaliges Preußen?) berichtet wird. Dort kann man auch per Mail mit der Stiftung Kontakt aufnehmen. Ich würde anregen, einfach dort anzufragen, wie es sich mit der Gründung und Rechtsfähigkeit von altrechtlichen preußischen Familienstiftungen verhält. Wie ich die passionierten Familienkundler kenne, sind sie sicher gern behilflich.

  • Da hat juris2112 wohl das Ei des Kolumbus gefunden. Herzlichen Dank. Ich gebe die Tipps weiter.

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