Selbständiger Schuldner: Freigabe vs. Verwertung

  • Mir machen diese kleinselbständigen Schuldner immer wieder Kopfzerbrechen. Die kommen ins Verfahren, haben ein paar Werkzeuge und ein altes Auto, Wert ein paar hundert Euro. Sie wurschteln vor sich hin, verdienen oft nur soviel, dass sie noch ergänzend ALG II erhalten, und es ist klar, dass die bis zum Ende des Verfahrens keinen einzigen Cent in die Masse zahlen werden (und das oft genug auch gar nicht könnten, gerade wenn sie älter sind und auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben). Gerade die jüngeren Handwerker unter ihnen haben dabei einen erstaunlich hohen Anteil an Materialkosten (das sind dann Dinge, die sie für Bekannte gekauft haben - Arbeiten werden dort aber nicht erledigt, und wenn, dann nur für Freunde und Nachbarn...).

    Mir geht es um die BGA, Werkzeuge und das Auto. Sofern eine selbständige Tätigkeit besteht, sind diese, sofern der Schuldner sie für seine Selbständigkeit benötigt, nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO unpfändbar. Dies erst recht, wenn der Verwalter die Neumasse nach § 35 Abs. 2 InsO frei gibt und damit m.E. auf sein Recht verzichtet, den Laden zu schließen.

    Nun hat der Verwalter aber doch die Möglichkeit, den Laden dicht zu machen und das Gewerbe abzumelden. Sodann wäre der Status der Unpfändbarkeit entfallen (ich hatte hierzu mal das Stichwort "Entwidmung" gehört), so dass man aus der Verwertung der wenigen Werkzeuge und des Autos wenigstens ein paar hundert Euro erlösen könnte.

    Gerade hinsichtlich des Autos kann der Selbständige auf der anderen Seite wieder argumentieren, dass er sich auch schnell anstellen lassen kann und das Auto dann für den Arbeitsweg bräuchte (was in den allermeisten Fällen sicherlich auch stimmt), und speziell die Handwerker bringen oft genug ihr eigenes Werkzeug auch in die Anstellung mit (und bewachen es dort wie ihren Augapfel), so dass man auch hier über eine Unpfändbarkeit diskutieren könnte.

    Außerdem sind dann doch die Gewerbetreibenden gegenüber den Freiberuflern benachteiligt, weil der IV hier kein Gewerbe abmelden kann.

    Wie geht ihr bzw. wie gehen "eure" Verwalter damit um?

  • Die Frage ist vielleicht von der andern Seite mal anzuschauen-gibt es wirklich einen Markt für gebrauchte Kleinwerkzeuge etc.? Lohnt sich dfa Aufwand und Nutzen? Und:Wenn der Schuldner einen Tag nach der Schließung wieder eine gleiche Fa.anmeldet, ist das Zeugs wieder unpfändbar...verhindern kann man das wohl nicht. Ich denke, man sollte, wenn man nicht frei gibt, darauf dringen, dass "freiwillige" Beträge zur Masse gezahlt werden. Bei den meisten funktioniert das und ist m.E. im Ergebnis ergiebiger.

  • Zu dieser Problematik gibt es doch den Fall des Kölner Arztes (von AG und LG Köln schon vor längerem entschieden - ich bin leider nicht so der Fundstellenexperte): Insolvenzverwalter und Gläubigerversammlung beschlossen Stilllegung der Arztpraxis des nicht ganz pflegeleichten Schuldners, damit der IV die Praxiseinrichtung (von erheblichem Wert - Röntgengerät, etc.) versilbern kann. Gegen letzteres wehrte sich der Schuldner und bekam in beiden Instanzen Recht: Die Arbeitskraft des Schuldners unterliegt nicht dem Insolvenzbeschlag. Wenn sich der Schuldner im Rahmen dieser Freiheit nun entscheidet, eine selbständige Tätigkeit auszuüben bzw. fortzusetzen, dann sind die Gegenstände, die er hierfür benötigt, nach § 811 Nr. 5 ZPO unpfändbar - unabhängig von ihrem Wert.

    Die Entscheidungen warfen natürlich die Frage der Grenzziehung auf, konkret z.B.: Darf der in Rechtsform der Einzelfirma tätige Speditionsunternehmer nun seine 80 Sattelschlepper wegen Unpfändbarkeit insolvenzfrei behalten? Kann auch nicht richtig sein. Beim typischen Kleinselbständigen aus der Ausgangsfrage wird man aber mit der "Betriebsstilllegung" im Zweifel auf Kölner Granit beissen, weshalb ich mich da nicht aus dem Fenster lehne.

    Überhaupt bin ich bis zur Belehrung eines Besseren der Ansicht, dass mit dem neuen § 35 Abs. 2 InsO eigentlich in fast allen Fällen nur noch freigegeben werden kann/muss. Dann hat der Schuldner den Schwarzen Peter des § 295 Abs. 2 InsO - mal unabhängig von dessen praktischer Umsetzung im eröffneten Verfahren. Und dem Vorwurf, dass bei Nichtfreigabe mehr für die Gläubiger rausgekommen wäre, kann man hervorragend entgegenhalten, dass der Schuldner bei Nichtfreigabe einen Freibrief hat, Gläubiger und Verwalter dadurch zu ärgern, dass er bei gelegentlichem Verlassen der Hängematte ihm Rahmen der "Betriebsfortfühung" horrende Masseverbindlichkeiten begründet.

    Ich freue mich schon auf den ersten Fall, in dem die Gläubigerversammlung einen Widerruf der Freigabe erwirkt, der Schuldner das gar nicht lustig findet und dann in obigem Sinn auch den Gläubigern den Spass an ihrer Entscheidung versaut. Ich hoffe nur, dass ich nicht der betroffene Verwalter sein werde.

  • Zu dieser Problematik gibt es doch den Fall des Kölner Arztes (von AG und LG Köln schon vor längerem entschieden - ich bin leider nicht so der Fundstellenexperte)



    Ich "helfe" mal aus.
    AG Köln, 15.04.2003, 71 IN 25/02

    Kommentar zu der Entscheidung:
    Christian Tetzlaff, EWiR 2003, 1151-1152

    Verfasser kommentiert die Entscheidung AG Köln, 2003-04-14, 71 IN 25/02, EWiR 2003, 1151, die sich mit der Frage befasst, ob die Vorschrift des ZPO § 811 Abs 1 Nr 5 im Insolvenzverfahren teleologisch dahin gehend zu reduzieren ist, dass auch in der Einzelzwangsvollstreckung unpfändbare Gegenstände dem Insolvenzbeschlag unterliegen. Nach kurzer Darstellung des Sachverhalts und der Entscheidungsgründe führt er aus, es sei zu begrüßen, dass sich das Gericht mit einer in der Literatur vertretenen Auffassung für die teleologische Reduktion ausgesprochen habe. Nur so lasse sich der Tatsache Rechnung tragen, dass im Gesamtvollstreckungsverfahren den Interessen der Gläubiger Vorrang vor dem Interesse des Schuldners an einer Weiterführung des Betriebs zukomme. Im Ergebnis sei der Beschluss gleichwohl abzulehnen, denn die Begründung, mit der das Gericht das Praxisinventar trotz teleologischer Reduktion des ZPO § 811 Abs 1 Nr 5 als nicht dem Insolvenzbeschlag unterfallend angesehen habe, sei kaum nachvollziehbar.

  • Ich denke, man sollte, wenn man nicht frei gibt, darauf dringen, dass "freiwillige" Beträge zur Masse gezahlt werden. Bei den meisten funktioniert das und ist m.E. im Ergebnis ergiebiger.


    So haben wir das bislang gemacht: Freigabe und der Schuldner kauft seine Sachen heraus. Da kommt seltenst eine Argumentation in Richtung Unpfändbarkeit. Auf der anderen Seite sind eben immer wieder Schuldner dabei, die die Vereinbarung nicht einhalten, und da haben die Gläubiger keine Möglichkeit, etwas gegen zu tun, denn eine Zahlungsverpflichtung wird in § 290 InsO nicht normiert. Da ist eben manchmal das Problem, dass man hinterher feststellt: "Bei dicht machen und verkaufen wären die Gläubiger doch besser gefahren". Aber wahrscheinlich muss man das wohl in Kauf nehmen und den Gläubigern selbstbewusst verklickern, dass sie andernfalls dem Risiko einer dramatischen Schlechterstellung ausgesetzt gewesen wären.

    Überhaupt bin ich bis zur Belehrung eines Besseren der Ansicht, dass mit dem neuen § 35 Abs. 2 InsO eigentlich in fast allen Fällen nur noch freigegeben werden kann/muss.


    Wir haben bislang genau eine neue Fortführung eines Einzelunternehmens seitdem gemacht, und das Experiment steht leider gerade auf der Kippe. Ansonsten haben auch wir die Freigabe als Standard etabliert.

  • Ansonsten haben auch wir die Freigabe als Standard etabliert.



    Man sieht ja normalerweise auch ziemlich schnell, ob sich der Laden rechnet. Ich habe hier zwei Zahnarztpraxen (Altverfahren vor dem neuen 35), der eine hat in fünf Jahren 200 TEUR Masse produziert, der andere macht Dienst nach Vorschrift und kratzt immer so um eine schwarze Null herum. Ein Stück abwarten wird man müssen, bei Nr. 2 ärgere ich mich aber schon wieder, dass ich ihn nicht schon früher freigegeben habe.

  • Wir haben bislang genau eine neue Fortführung eines Einzelunternehmens seitdem gemacht, und das Experiment steht leider gerade auf der Kippe. Ansonsten haben auch wir die Freigabe als Standard etabliert.

    dto.......

  • .....
    Die Entscheidungen warfen natürlich die Frage der Grenzziehung auf, konkret z.B.: Darf der in Rechtsform der Einzelfirma tätige Speditionsunternehmer nun seine 80 Sattelschlepper wegen Unpfändbarkeit insolvenzfrei behalten? Kann auch nicht richtig sein. Beim typischen Kleinselbständigen aus der Ausgangsfrage wird man aber mit der "Betriebsstilllegung" im Zweifel auf Kölner Granit beissen, weshalb ich mich da nicht aus dem Fenster lehne.....



    Über dieses Thema haben wir heftig beim Leipziger Insolvenzrechtstag im Februar diskutiert. Als Zwischenergebnis und ohne das dies von einem teilnehmendem BGH-Richter als spruchreif zementiert worden ist, haben wir festgehalten, dass § 811 ZPO wohl nur so ausgelegt werden kann, dass es sich um die Gegenstände der höchstpersönlichen Berufsausübung handeln kann, also nicht die 80 LKW, sondern nur der klapprigste darunter fällt.

    [SIGPIC] [/SIGPIC] Vertrauue miiir (Kaa: Das Dschungelbuch, 4. Akt, 3. Szene)

  • Ich finde, dass die IV es sich manchmal zu einfach machen in dem sie die Betriebe einfach freigeben.
    Warum sollte die (Einzel)Firma, die vorher nur Schulden angehäuft hat, plötzlich keine mehr machen???

    Lg nina

  • Ich finde, dass die IV es sich manchmal zu einfach machen in dem sie die Betriebe einfach freigeben.
    Warum sollte die (Einzel)Firma, die vorher nur Schulden angehäuft hat, plötzlich keine mehr machen???

    Lg nina



    Dieses statement leuchtet mir nicht ganz ein. Ob ein allgemeiner Erfahrungssatz existiert, dass ein vorinsolvenzlich defizitärer Betrieb auch nach Insolvenzeröffnung nicht in die schwarzen Zahlen kommt, sei mal dahingestellt. Wenn man aber unterstellt, dass ein Betrieb nach Insolvenzeröffnung nur Schulden anhäuft, warum sollte ich es mir dann als IV "schwer" machen und den Betrieb nicht freigeben? Um für die Masseverbindlichkeiten zu haften?

    Wenn ich als IV ein "richtiges" Unternehmen mit Arbeitnehmern und allem Pipapo bekomme, dann habe ich die Möglichkeit der Einflussnahme auf den weiteren Betriebsverlauf im Rahmen meines Weisungsrechts als Arbeitgeber und der "Richtlinienkompetenz" was sonstige betriebliche Entscheidungen anbelangt. In der römischen Republik der vorkaiserlichen Zeit wurde bei Staatskrisen ein Diktator gewählt, der ein Jahr lang sagen konnte, wo es lang geht. Dieses Modell - Effizienz statt Diskussionen - liegt in gewisser Weise auch jedem (mir bekannten) Insolvenzrecht zugrunde und es funktioniert nach wie vor - natürlich abhängig von der Qualität des "Diktators".

    Beim selbständigen Einzelunternehmer würde es aber nur dann funktionieren, wenn ihn der IV versklaven dürfte. Da die Arbeitskraft jedoch nicht dem Insolvenzbeschlag unterliegt und die Mindestvergütung es nicht deckt, dass der IV sich an den Schuldner kettet und diesem 24 Stunden am Tag auf die Finger (sc)haut, hat es der Schuldner vollumfänglich selbst in der Hand, ob seine nicht freigegebene selbständige Tätigkeit der Masse Gewinn oder Verlust beschert. Sanktionsmöglichkeiten gegen defizitäres Arbeiten kann ich der InsO bei nicht freigegebener selbständiger Tätigkeit nicht entnehmen; § 295 Abs. 2 InsO gilt nur im Fall der Freigabe (die Frage der Durchführung einer Sanktionierung in diesem Fall blenden wir mal aus).

    Was also macht der pflichtbewußte und nicht völlig verblödete IV, wenn er nicht gerade einen hochmotivierten Altruisten als Schuldner hat, der sein Magengeschwür erst wieder loszuwerden hofft, wenn auch der letzte Gläubiger voll befriedigt ist? Richtig - der IV macht es sich "einfach".

  • Ich hänge mich hier mal ran:

    Zu dieser Problematik gibt es doch den Fall des Kölner Arztes (von AG und LG Köln schon vor längerem entschieden - ich bin leider nicht so der Fundstellenexperte): Insolvenzverwalter und Gläubigerversammlung beschlossen Stilllegung der Arztpraxis des nicht ganz pflegeleichten Schuldners, damit der IV die Praxiseinrichtung (von erheblichem Wert - Röntgengerät, etc.) versilbern kann. Gegen letzteres wehrte sich der Schuldner und bekam in beiden Instanzen Recht: Die Arbeitskraft des Schuldners unterliegt nicht dem Insolvenzbeschlag. Wenn sich der Schuldner im Rahmen dieser Freiheit nun entscheidet, eine selbständige Tätigkeit auszuüben bzw. fortzusetzen, dann sind die Gegenstände, die er hierfür benötigt, nach § 811 Nr. 5 ZPO unpfändbar - unabhängig von ihrem Wert.

    Die Entscheidungen warfen natürlich die Frage der Grenzziehung auf, konkret z.B.: Darf der in Rechtsform der Einzelfirma tätige Speditionsunternehmer nun seine 80 Sattelschlepper wegen Unpfändbarkeit insolvenzfrei behalten? Kann auch nicht richtig sein. Beim typischen Kleinselbständigen aus der Ausgangsfrage wird man aber mit der "Betriebsstilllegung" im Zweifel auf Kölner Granit beissen, weshalb ich mich da nicht aus dem Fenster lehne.

    Überhaupt bin ich bis zur Belehrung eines Besseren der Ansicht, dass mit dem neuen § 35 Abs. 2 InsO eigentlich in fast allen Fällen nur noch freigegeben werden kann/muss. Dann hat der Schuldner den Schwarzen Peter des § 295 Abs. 2 InsO - mal unabhängig von dessen praktischer Umsetzung im eröffneten Verfahren. Und dem Vorwurf, dass bei Nichtfreigabe mehr für die Gläubiger rausgekommen wäre, kann man hervorragend entgegenhalten, dass der Schuldner bei Nichtfreigabe einen Freibrief hat, Gläubiger und Verwalter dadurch zu ärgern, dass er bei gelegentlichem Verlassen der Hängematte ihm Rahmen der "Betriebsfortfühung" horrende Masseverbindlichkeiten begründet.

    Ich freue mich schon auf den ersten Fall, in dem die Gläubigerversammlung einen Widerruf der Freigabe erwirkt, der Schuldner das gar nicht lustig findet und dann in obigem Sinn auch den Gläubigern den Spass an ihrer Entscheidung versaut. Ich hoffe nur, dass ich nicht der betroffene Verwalter sein werde.

    Hier folgender Sachverhalt:

    IV hat nach 35 II InsO vor der 1. Gläubigerversammlung freigegeben. Nach seiner gutachterlichen Prognose macht der Schuldner z.Zt. monatlich 1.000 EUR Miese.

    Als abhängig beschäftiger Arbeitnehmer würde sich monatliche Pfändungsbeträge von ca. 300/Monat ergeben. (wobei Arbeitsplatzsuche bisher kein Thema war)

    Neugläubiger, die zugleich Insolvenzgläubiger sind (FA), teilen mit, dass neue Verbindlichkeiten entstanden sind.

    Nun beschließt die Gläubigerversammlung einstimmig, den schuldnerische Selbstständigkeit einzustellen und die Freigabe des IV zu widerrufen.

    Dieser beantragt, den Beschluss der Gläubiger aufzuheben, weil die Gläubiger im Rahmen der Regelungen des § 35,295 II InsO nach 5,5 Jahren besser besser/genauso gestellt werden, als wenn der Schuldner 5,5 Jahre den pfändungsbetrag abführt.

    Nun soll das Gericht entscheiden. :gruebel:

    Meinungen, Anregungen, Denkanstösse? Wie läuft das Verfahrenstechnisch? RM?

    Als Zusatz zu meinen Gedanken: Bereits die Eingangsprognose zeigt, dass der Schuldner als selbstständiger weiter defizitär arbeitet.

  • Habt Ihr tatsächlich so einen Fall, in dem die GlVersammlung die Freigabe widerruft? Hab mich schon immer gefragt, wie das dann weiterläuft.

    Bei unseren Kleinstunternehmern ist inzwischen auch die Freigabe fast der Regelfall, wobei wir uns schon die Mühe machen, das ausführlich zu begründen und eine Vergleichsrechnung anzustellen, aus der hervorgeht, welche Weg für die Masse am besten wäre.

    Letztendlich hat sich auch bei allen unseren Kandidaten gezeigt, dass die Freigabe richtig war, sehr schön dokumentiert zB an Bescheiden des Finanzamts, die versehentlich nach hier kommen und aus denen man sehr (un)schön sehen, kann dass der Schuldner acuh weiterhin ordentlich Verbindlichkeiten anhäuft, die im Falle einer Fortführung in der Masse gelandet wären.

  • Als weitere Denkanstöße:

    Variante 1: Beschluss des IG, die den Beschluss der Gesellschafterversammlung nach § 78 InsO aufhebt, weil Insolvenzgläubigerinteressen überwiegen. Rechtsfolge: Freigabe bleibt bestehen. Schuldner hat nach § 295 II InsO den fiktiven pfändbaren Teil vor Erteilung der RSB der Masse zur Verfügung zu stellen.

    Entscheidung wird verlagert auf RSB-Erteilungsphase mit Neugläubigerverbindlichkeiten und ggf. Zweitinsolvenzverfahren.


    Variante 2: Antrag des IV wird abgelehnt. GV beschließt Aufhebung der Freigabe (wobei sich hier auch die Frage stellt, ob eine Freigabe überhaupt rückgängig gemacht werden kann) und Einstellung der selbstständigen Tätigkeit wegen Defiziten.

    Verwalter unterrichtet Schuldner und Behörden (FA wegen Steuer-ID, Ordnungsamt wegen Gewerbeabmeldung und ggf. Untersagungsverfahren).

    Sind die aufgelaufenen bisherigen und die zwischen Verbindlichkeiten des Schuldners nunmehr Masseverbindlichkeiten?

    Wenn ja, Masseunzulänglichkeit?

    Eigenantrag nebst Stundungsantrag und RSB-Antrag liegen vor.

    Schuldner bezieht ALG-Leistungen. Irgendwann RSB-Erteilung ohne Neugläubigerverbindlichkeiten.

    Beides wäre denkbar.

    M.E. reduziert sich die Kernfrage, wohin die Reise gehen soll, an der Frage, ob die Gläubigerversammlung berechtigt ist, den Schuldner die Entlassung in die Selbstständigkeit zu verwehren.

    Einmal editiert, zuletzt von trauemer71 (27. April 2012 um 08:39)

  • Habt Ihr tatsächlich so einen Fall, in dem die GlVersammlung die Freigabe widerruft? Hab mich schon immer gefragt, wie das dann weiterläuft.

    Bei unseren Kleinstunternehmern ist inzwischen auch die Freigabe fast der Regelfall, wobei wir uns schon die Mühe machen, das ausführlich zu begründen und eine Vergleichsrechnung anzustellen, aus der hervorgeht, welche Weg für die Masse am besten wäre.

    Letztendlich hat sich auch bei allen unseren Kandidaten gezeigt, dass die Freigabe richtig war, sehr schön dokumentiert zB an Bescheiden des Finanzamts, die versehentlich nach hier kommen und aus denen man sehr (un)schön sehen, kann dass der Schuldner acuh weiterhin ordentlich Verbindlichkeiten anhäuft, die im Falle einer Fortführung in der Masse gelandet wären.

    Der Kollege hat letzte Woche die Flucht in die Vertagung der GV angetreten, weil hier niemandem bewusst war, auf was man bei solchen Konstellationen achten sollte.

    Habe meinen SV noch ein wenig ergänzt.

    Und versuche nun das Szenario durchzuspielen und zu schauen, was machbar ist.

    Einmal editiert, zuletzt von trauemer71 (27. April 2012 um 08:39)

  • Weitere Sachverhaltsergänzung:

    Der Schuldner zeichnet sich dadurch bisher aus, dass verlässliche Daten/Zahlen aus der selbstständigen Tätigkeit nicht vorliegen, sodass für die Gläubiger auch nicht nachprüfbar ist, ob eine Betriebsfortführung duch den IV sinnvoll ist oder nicht.

    Man(n) könnte sagen, er wurstelt nach der Freigabe einfach weiter rum.

  • Variante 2: Antrag des IV wird abgelehnt. GV beschließt Aufhebung der Freigabe wobei sich hier auch die Frage stellt, ob eine Freigabe überhaupt rückgängig gemacht werden kann) und Einstellung der selbstständigen Tätigkeit wegen Defiziten.


    Diese Entscheidung kann allein der Schuldner treffen, denn die freie Wahl der Berufstätigkeit ist verfassungsmäßig geschützt - vor der Wahl des Schuldners, eine defizitäre Tätigkeit weiterzuführen, gibt es im Rahmen des Insolvenzverfahrens nur den Schutz durch Freigabe. Die zur Fortführung der Tätigkeit benötigten Gegenstände sind unpfändbar.

    Der Widerruf der Freigabe führt also beim defizitär arbeitenden Schuldner regelmäßig nur dazu, dass die vorhandene Insolvenzmasse für das künftige Defizit aufgebraucht wird und ggf. Masseunzulänglichkeit anzuzeigen ist.

    Zitat

    M.E. reduziert sich die Kernfrage, wohin die Reise gehen soll, an der Frage, ob die Gläubigerversammlung berechtigt ist, den Schuldner die Entlassung in die Selbstständigkeit zu verwehren.


    Was meinst Du hiermit genau?

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!