Förmliche Länderbeteiligung zur Änderung des §10a GBO

  • Ich habe den Beschluss der Bund-Länder-Kommission für Datenverarbeitung und Rationalisierug in der Justiz vom 7./8. Mai 2008 vor mir liegen, mehrfach studiert und soll dazu Stellung nehmen. Gibt es Leidensgenossen hier? :(

    In § 10a GBO soll in Abs. 2 der Satz 2 neu gefasst werden:
    "Die Originale der Urkunden und der geschlossenen Grundbücher können ausgesondert werden."

    Hilfsweise wird über eine Länderöffnungsklausel diesbezüglich nachgedacht:
    "Die Landesregierung kann die Aufbewahrung und Aussonderung der Originale der Urkunden und der geschlossenen Grundbücher abweichend regeln; sie kann diese Ermächtigung auf die Landesjustizverwaltung übertragen."

    Zur Begründung ist u.a. aufgeführt, "dass die Archivverwaltungen einzelner Länder kein Interesse an der Übernahme der geschlossenen Grundbücher haben".

    Was soll man denn dazu sagen? :confused:

    Ich persönlich blättere lieber in den historischen Papierakten und versuche die Urkunden und Eintragungen aus dem Jahre des Herrn zu entziffern, als mit zusammengekniffenen Augen vor dem Bildschirm zu versuchen, schlecht eingescannte Uralteintragungen und -urkunden zu lesen. Wenn ich bedenke, wie "gut" einige der im Wege der Umstellung auf das elektronische Grundbuch eingescannte (nicht geschlossene) Akten zu lesen sind,...

  • Meiner Meinung nach wird das Archivproblem nur örtlich verlagert, als Grundbuchrechtspfleger in den neuen Bundesländern bin ich gerazu darauf angewiesen, die Originaleintragungen eines Grundbuches und die Urkunden dazu einsehen zu können. Da in DDR-Zeiten die Grundbücher mehrfach umgeschrieben wurden,ist die Fehlerquote sehr hoch. Heute bin ich sehr froh, das wir die Auslagerung der geschlossenen GB und GA an das Zentralarchiv aus Kostengründen einstellen mussten. Allerdings gibt es zur Zeit bei uns im Hause und in der gegenüberliegenden geschlossenen JVA zur Zeit genug Archivraum, so das mir eine wenig aufwendige Einsichtnahme in die Originaldokumente relativ schnell möglich ist.

    Was mich stört ist der diffuse Begriff Aussonderung. Was ist darunter zu verstehen?

    Ich schätze den Archivbedarf für die Aufbewahrung der geschlossenen Grundakten für sehr viel größer ein, als den für geschlossene (bei uns) Loseblattgrundbücher.


  • Was mich stört ist der diffuse Begriff Aussonderung. Was ist darunter zu verstehen?



    Dazu heißt es: "Die Aussonderung selbst dürfte sich grundsätzlich nach den Aufbewahrungsbestimmungen der Länder richten. Danach könnte dann entschieden werden, ob die geschlossenen Grundbücher nach erfolgter Mikroverfilmung oder Speicherung auf anderen Datenträgern an die staatlichen Archive abgeliefert oder vernichtet werden sollen."

    Viel schlauer ist man nun nicht. :confused:



  • Nun mit einer Mikroverfilmung könnte ich mich anfreunden, aber ist das im Zeitalter der digitalen Medien überhaupt noch zeitgemäß?

  • Na ja... "zeitgemäß" und "Justiz"... Ich habe zumindest hier häufig den Eindruck: Das passt nicht zusammen. ;)

  • Alleine der Gedanke, dass die geschlossenen Originalgrundbücher vernichtet werden könnten, lässt einen erschaudern. Wer kommt auf solche Ideen? Das Vorhaben ist zur Gänze abzulehnen.

    In späteren Prozessen werden sich die Gerichte freuen, wenn der Kläger mit irgendwelchen Kopien herumwedelt und auf die Frage des Gerichts, wo die beweiskräftigen Originale seien, nur achselzuckend antwortet, dass die Gerichte die Originale in großem Stil vernichtet hätten.

  • Alleine der Gedanke, dass die geschlossenen Originalgrundbücher vernichtet werden könnten, lässt einen erschaudern. Wer kommt auf solche Ideen? Das Vorhaben ist zur Gänze abzulehnen.

    In späteren Prozessen werden sich die Gerichte freuen, wenn der Kläger mit irgendwelchen Kopien herumwedelt und auf die Frage des Gerichts, wo die beweiskräftigen Originale seien, nur achselzuckend antwortet, dass die Gerichte die Originale in großem Stil vernichtet hätten.




    Die wedeln nicht mit Kopien, sondern mit Datenträgern, für die es nach 10 Jahren keine Lesegeräte mehr gibt.

  • Ich persönlich blättere lieber in den historischen Papierakten und versuche die Urkunden und Eintragungen aus dem Jahre des Herrn zu entziffern, als mit zusammengekniffenen Augen vor dem Bildschirm zu versuchen, schlecht eingescannte Uralteintragungen und -urkunden zu lesen. Wenn ich bedenke, wie "gut" einige der im Wege der Umstellung auf das elektronische Grundbuch eingescannte (nicht geschlossene) Akten zu lesen sind,...



    :zustimm:

  • Das Vorhaben passt aber ins Bild des rein wirschaftlichen Denkens: Die dauernde Aufbewahrung ist insgesamt gesehen sooo teuer, dass man die paar Regressfälle ruhig in Kauf nehmen kann - sofern sich Fehler dann überhaupt noch beweisen ließen. Und wenn sich später die Berechtigten einer Dienstbarkeit nicht mehr ermitteln lassen - hätten sich die Beteiligten ja drum kümmern können.
    Nur wer mal gesucht hat, kann verstehen, warum manchmal erst der Bleistiftvermerk im alten Handblatt oder sonstige Kleinigkeiten die Zusammenhänge nachvollziebar machen können.
    Wer die Aussonderung von geschlossenen Grundakten erlaubt, muss gleichzeitig die Verjährung dinglicher Ansprüche einführen.

  • Nur weil einige(!) nicht mehr wollen, sollen alle? Wenn man den Unfug denn überhaupt zulassen sollte, müßte das Prinzip von Regel und Ausnahme umgekehrt werden. Die Aufbewahrung muß die Regel bleiben und eine Abweichung einer Begründung bedürfen.

    Beginne den Tag mit einem Lächeln. Dann hast Du es hinter Dir. (Nico Semsrott)

    "Das Beste an der DDR war der Traum, den wir von ihr hatten." Herrmann Kant in einem Fernsehinterview

  • Es geht in § 10a GBO um die Speicherung von Grundakten auf Bild- oder Datenträger. Ferner geht es darin um geschlossene Grundbücher, was ich in dem Zusammenhang so verstehe, dass es nur um diejenigen geschlossenen Grundbücher geht, die mittlerweile in EDV eingescannt sind. Ich möchte gar nicht wissen, in wie vielen Gerichten bereits das (gewollt oder ungewollt) missverstanden und anschließend jedes geschlossene Grundbuch vernichtet wird.

    Das betrifft damit die großflächig durch Einscannen umgestellten Bundesländer, die heute mit SOLUM-STAR arbeiten, eventuell auch FOLIA, das weiß ich nicht, weil ich da nur vermute, dass alle Grundbücher eingescannt wurden, und wahrscheinlich nicht ARGUS-EGB, weil die nicht durch Einscannen umstellen (?).

    Ich würde das Ganze aus vier einfachen Gründen ablehnen.

    1. Beim Einscannen sind zwar sehr selten, aber eben gelegentlich auch Pannen passiert. Einerseits gab es offenbar Gerichte, die gemeint haben, ein geschlossenes Grundbuchblatt müsse nicht mehr eingescannt werden. Mit der Aussonderung würden dann die einzigen Originale vernichtet.

    2. Dann gab es auch im Loseblattgrundbuch Grundbücher, die nicht ordnungsgemäß eingescannt werden konnten, weil sie vom Reichsmuster kopiert worden sind, das Kopierformat aber auch bei Verkleinerung das Loseblatt- und damit später das Einscannformat gesprengt hat und damit außerhalb der heute erkennbaren Ränder Eintragungen oder Rötungen erfolgten (wir haben so ein Blatt hier; es war beim Einscannen schon geschlossen, Bearbeiten also nicht mehr notwendig; aber zum Recherchieren wäre das Original natürlich schon nett).

    3. Es gibt Grundbücher, die beim Einscannen übersehen wurden. Die mussten dann durch Umschreibung (§ 68 GBV) oder Neufassung (§ 69 GBV) in das maschinelle Grundbuch überführt werden. Wer will die heute heraussuchen und so die Grundbuchoriginale retten, von denen es keine Kopie mehr gibt?

    4. Eine Mischform aus 1. und 3. stellen Grundbücher dar, die unvollständig eingescannt wurden. Hatten wir hier auch schon, ferner auch schon mehrfach im Forum. Wer will ausschließen, dass es noch mehr solcher Grundbücher gibt? Ohne die Originale kann man da nichts mehr sicher rekonstruieren, denn in den Handblättern sieht man ja nicht, ob die Eintragungen unterschrieben worden sind.

    Hintergrund des Ganzen sind sicherlich die Archivräume. Ich bin selbst Archivpfleger hier, und ich weiß, dass Grundbuch früher oder später mein Alptraum werden wird, wenn uns nicht die elektronische Aktenführung retten wird. Dabei würde mir allerdings ein Einfrieren auf den Status quo genügen, vernichten muss ich da noch nichts (das liegt aber nur am Neubau im Jahre 1994; die früheren Archive sind damals schon übergequollen). Das Grundaktenarchiv ist jetzt schon eine Dauerbaustelle, in der immer wieder irgendwas umgeräumt werden muss. Ferner haben wir zwei weitere Räume, in denen einerseits die ganz alten Grundbücher (Hypothekenbücher, Bayerische Grundbücher und Reichsmuster) sowie andererseits die geschlossenen Loseblattgrundbücher gelagert sind. Da tut sich zwar nichts, aber der Raum ist halt belegt.

    Für die Nicht-Archivler: Aussondern heißt: Nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist dem Staatsarchiv anbieten oder vernichten. Derzeit für Grundbuch irrelevant, weil da alles dauernd aufzubewahren ist.

    Allerdings verstehe ich nicht, warum nicht den Notaren mal die Daumenschrauben angelegt werden, dass Urkunden zweiseitig kopiert, ohne Baubeschreibungen und Zahlungspläne und sonstigen Firlefanz, der uns noch nie interessiert hat und auch nie interessieren wird, hier eingereicht werden, im Idealfall vielleicht nur auszugsweise mit den grundbuchrelevanten Erklärungen (schaffen die bei Eheverträgen ja auch)... Früher wurde das alles von Hand abgetippt, da kam niemand auf die Idee, mehr abzuschreiben als nötig. Heute? Der Kopierer macht's möglich, dass man sich das Denken spart (genauso arbeiten manche Ausfertiger auch).

    Wir (und ihr wahrscheinlich auch) bekommen hier Überlassungen mit 30 Seiten, von denen uns zusammengefasst drei bis maximal zehn interessieren, Kaufverträge über 20 Seiten mit nochmal 20 Seiten Baubeschreibung oder gar mit einer kompletten Teilungserklärung mit allen Plänen zusammengeheftet und verbunden (war wohl gerade eine übrig) - das sprengt natürlich die Archive in Kürze, das ist klar.
    Seit es keine Zuflurstücke mehr gibt und Zerlegungen und Verschmelzungen zwingend in verschiedenen FN's gemacht werden müssen, explodiert auch das FN-Archiv.

    Und was soll ich zu den anderen Abteilungen sagen... Ein Drittel der Schriftsätze kommt völlig sinnlos vorab per Fax, der Computer lässt die Schriftsätze fröhlich wachsen (fast meint man, die wachsen noch, wenn sie schon hier sind), Verfahren werden mit allen Mitteln in exorbitante Längen gezogen, in ein heutiges Nachlassverfahren passen raummäßig drei bis vier aus der Zeit von vor fünfzig Jahren, im Familiengericht läuft mittlerweile fast kein Verfahren mehr ohne Gutachten, wenn Kinder beteiligt sind... Der (bisherige) Clou war bei einer Diskussion über Archivraum die Frage der Familiengerichtsleiterin, ob ich die zwei Umzugskartons da drüben sähe? Das sei ein Verfahren, das jetzt dann zum Gutachter losgeschickt werde...

    Wir erleben im Archivbereich ganz klar die Kehrseite des bürotechnischen Fortschritts.

    Juppheidi, juppheida, Erbsen sind zum Zählen da ...

  • Nachtrag zu Andreas: Brandenburg hat generell keine geschlossenen Grundbücher eingescannt.

    Beginne den Tag mit einem Lächeln. Dann hast Du es hinter Dir. (Nico Semsrott)

    "Das Beste an der DDR war der Traum, den wir von ihr hatten." Herrmann Kant in einem Fernsehinterview

  • Dann dürfte das Unternehmen in einigen Ländern schon zur Farce werden, weil etliche Originalgrundbücher kaum ausgesondert werden können, nachdem es an der Übernahme auf den Bildspeicher fehlt.

    Und ob die zu behaltenden Grundbücher letztlich überhaupt effektiv irgendwo komprimiert werden können... Zweifel sind da sicher erlaubt, in Bayern müsste man zunächst mal die Nockenstellung in den Grundbuchbänden austricksen (oder gleich alles im Wortsinne loseblatt lagern).

    Juppheidi, juppheida, Erbsen sind zum Zählen da ...

  • Das ist letztlich doch alles nur eine Frage des Geldes und des politischen Willens. Nach dem Geld, das in das Stasi-Unterlagen-Archiv gesteckt wird, kräht doch auch kein Hahn.

  • Da muss ich allerdings sagen: Das trifft auf jedes Projekt zu. Speziell bei der "Frage des Geldes" hat sich ja in den letzten Jahren herausgestellt, dass man die nicht beliebig oft stellen kann. Man sollte der Politik fairerweise schon zugestehen, sich wenigstens mal Gedanken darüber zu machen, wo sich gerade angesichts der sich fortentwickelnden Technik was sparen lässt. Nur sollte sie dann auch soviel sein, von erkanntermaßen unguten Entschlüssen auch wieder Abstand zu nehmen.

    Juppheidi, juppheida, Erbsen sind zum Zählen da ...

  • Nach dem Geld, das in das Stasi-Unterlagen-Archiv gesteckt wird, kräht doch auch kein Hahn.



    Da geht es nicht um Geld sondern um die Versorgung von überflüssig gewordenen Weggefährten und anderen politischen Altlasten mit einem Posten als Behördenleiter(in) mit Pensionsanspruch. Zum Dank gibt es dann pünklich zum Wahlkampf ein paar "Neuigkeiten" über den jeweiligen politischen Gegner. Andere Akten bleiben natürlich wegen des Persönlichkeitsschutzes unter Verschluss.

  • Alleine der Gedanke, dass die geschlossenen Originalgrundbücher vernichtet werden könnten, lässt einen erschaudern. Wer kommt auf solche Ideen? Das Vorhaben ist zur Gänze abzulehnen.

    In späteren Prozessen werden sich die Gerichte freuen, wenn der Kläger mit irgendwelchen Kopien herumwedelt und auf die Frage des Gerichts, wo die beweiskräftigen Originale seien, nur achselzuckend antwortet, dass die Gerichte die Originale in großem Stil vernichtet hätten.



    Dies ist auch meine Befürchtung, zumal in Hessen die geschlossenen Grundbücher nicht eingescannt wurden,

  • Nachtrag zu Andreas: Brandenburg hat generell keine geschlossenen Grundbücher eingescannt.

    Ebenso Rheinland-Pfalz.

    ...zumal in Hessen die geschlossenen Grundbücher nicht eingescannt wurden,


    In Bayern hätten sie eingescannt werden sollen, das hat aber nicht jedes Gericht gemacht. Daher war ich in #11 Punkt 1 noch von Einzelfällen ausgegangen. So relativiert sich der Nutzen einer Aussonderung nach § 10a GBO erheblich, denn ohne Einscannen keine Aussonderung... s. #15.
    Dann wollen wir mal auf #17 letzter Satz hoffen.

    Juppheidi, juppheida, Erbsen sind zum Zählen da ...

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