Fürsorgebedürfnis ?

  • Was haltet Ihr von folgendem Fall:

    Im Grundbuch ist eine Erbengemeinschaft als Eigentümer eingetragen. Alle Mitglieder sind unbekannten Aufenthaltes bzw. es ist nicht bekannt, ob sie überhaupt noch leben.

    Das landwirtschaftliche Grundstück wird von einer Agrargesellschaft seit Jahren ohne vertragliche Grundlage genutzt.

    Die Nutzerin will sich die Nutzung vertraglich absichern und regt die Anordnung einer Abwesenheitspflegschaft zu diesem Zweck (Abschluß eines Pachtvertrages) an.

    Würdet Ihr in diesem Fall für die Pflegschaft ein Fürsorgebedürfnis erkennen und sie anordnen ?

  • Würde ich machen, weil die Erbengemeinschaft auf diese Weise (wenn auch nur geringe) Einnahmen erzielen kann. Aber natürlich ist Pflegschaft für jedes einzelne Mitglied der Erbengemeinschaft anzuordnen, die aber in einer Akte geführt werden kann. Des weiteren wird es wohl auf eine Dauerpflegschaft hinauslaufen, weil der Abwesenheitspfleger die Pachteinnahmen zu verwalten hat, die aber wegen ihrer Geringfügigkeit nicht ins Gewicht fallen und alsbald für die Vergütung des Pflegers wieder "draufgehen".

    Das eigentliche Problem ist mit dieser Pflegschaft aber nicht gelöst. Es ließe sich aber lösen, wenn die Agrargesellschaft Interesse hätte, das Grundstück zu kaufen. Ein solcher Verkauf würde für Pfleger und Gericht kein Risiko darstellen, falls nach Lage der Dinge ausgeschlossen ist, dass das Grundstück jemals Bauland wird. Das Grundbuch wäre bereinigt, der Erlös würde hinterlegt, die Pflegschaft würde aufgehoben und fertig.

    Ich würde mich also vor der Anordnung der Pflegschaft beim derzeitigen Nutzer über dessen evtl. Kaufinteresse informieren. Unbhängig von einem solchen Interesse würde ich den Wirkungskreis der Pflegschaft aus den eingangs genannten Gründen (Einnahmen!) nicht auf den Abschluss des Pachtvertrags beschränken, sondern entsprechend weiter fassen (z.B. Vermögensverwaltung im Hinblick auf den Grundbesitz X sowie die aus ihm erzielten Einkünfte). Aufgrund eines solchen Wirkungskreises wäre auch eine evtl. Veräußerung abgedeckt. In erster Linie wird es natürlich darauf ankommen, was das Grundstück wert ist.

    Wer hat denn eigentlich bisher die Grundsteuer bezahlt?

  • Zunächst soweit so gut.

    Die Pflegschaft wurde vor Jahren angeordnet für alle drei Grundstückseigentümer in einer Akte. Damaliger Hintergrund war die Anregung der Gemeinde, weil das Grundstück in einen Flächennutzungsplan einbezogen werden sollte. Aufgabenkreis war (warum auch immer) die Vertretung der unbekannten Eigentümer im Verfahren der Aufstellung des FNP. Dieser Hintergrund ist zwischenzeitlich jedoch nicht mehr maßgeblich. Die Pflegschaft besteht aber noch.

    Der Pfleger hat nunmehr festgestellt, daß das Grundstück von besagter Gesellschaft genutzt wird und wollte den angesprochenen Pachtvertrag abschließen, wobei das je bisher noch nicht zu seinem Wirkungskreis gehört. Jetzt stellt sich auch noch heraus, daß einer der Miteigentümer verstorben ist und für diesen die Abwesenheitspflegschaft aus diesem Grunde aufzuheben ist. Da aber nur alle drei den Pachtvertrag abschließen können müsste jetzt vom zuständigen Nachlaßgericht (anderes Bundesland) wohl für die unbekannten Erben des verstorbenen Miteigentümers ein Nachlaßpfleger bestellt werden, damit es zum Pachtvertragsabschluß überhaupt kommen kann.

    Was also tun, abwarten ob Nachlaßpfleger bestellt wird und es dann auch bei der Pflegschaft belassen und diese um den von juris in #2 so schön bezeichnetem Wirkungskreis ergänzen ? Pflegschaft auch aufheben, wenn die Nachlaßpflegschaft nicht angeordnet wird ?

  • Zunächst scheint mir der Wirkungskreis der angeordneten Pflegschaft nicht zutreffend formuliert. Denn die Abwesenheitspflegschaft ist Personenpflegschaft für alle seinerzeitigen drei Eigentümer, während der Hinweis auf "die unbekannten Eigentümer" auf eine Pflegschaft nach § 1913 BGB für unbekannte Beteiligte hindeutet. Eine solche Pflegschaft nach § 1913 BGB war aber nicht möglich, da nicht die Eigentümerstellung, sondern lediglich der Verbleib der Eigentümer unbekannt war. Ich gehe daher davon aus, dass Abwesenheitspflegschaft angeordnet und der Wirkungskreis lediglich missverständlich formuliert wurde.

    Da mittlerweile feststeht, dass einer der Miteigentümer (vor oder nach Anordnung der Pflegschaft?) verstorben ist, gibt es nunmehr zwei Möglichkeiten. Zunächst den Versuch des zuständigen NachlG, dessen Erben zu ermitteln (auf Anregung des VormG, Nachlass ist ja vorhanden) oder -wohl pragmatischer- die Aufhebung der Abwesenheitspflegschaft für den verstorbenen Miteigentümer unter gleichzeitiger Anordnung einer Pflegschaft für dessen unbekannte Erben i.S. des § 1913 BGB, wobei natürlich wieder der gleiche Pfleger bestellt werden kann. Dann hätte das dortige VormG nach wie vor alles in einer Hand. Falls die Erbenermittlung erfolgreich ist, wäre die Pflegschaft nach § 1913 BGB nach der Erteilung des betreffenden Erbscheins wieder aufzuheben und die betreffenden Erben könnten für die Zukunft dann für sich selbst handeln.

    Insgesamt aufheben würde ich die Pflegschaft auf keinen Fall, weil das Fürsorgebedürfnis unzweifelhaft weiter besteht. Es ist vielmehr lediglich der Wirkungskreis der Pflegschaft zu ändern und unter gleichzeitiger Aufhebung für den verstorbenen Miteigentümer eine Pflegschaft nach § 1913 BGB mit identischem (neuen) Wirkungskreis anzuordnen.

    Ansonsten kommt man in diesem Verfahren dauerhaft auf keinen grünen Zweig.

  • Darf ich mich mit einem etwas anders gelagerten Fall anhängen?

    Der im Grundbuch eingetragene Eigentümer ist auf Grund seines Alters als sicher verstorben anzusehen. Wann und wo, weiß keiner. Da er unglücklicherweise auch noch "Müller" heißt und wir uns hier im Rheinland befinden, wird eine Erbenermittlung wohl ins Leere laufen. Die Stadt will auf diesem Grundstück einen Kanal verlegen und beantragt Pflegerbestellung.
    Jetzt habe ich nicht nur das Problem, welche Pflegschaft (Nachlass- Abwesenheits- für unbekannte Beteiligte) ist die "richtige", sondern ich habe auch Bauschschmerzen mit dem Fürsorgebdürfnis. Haben die unbekannten Eigentümer eine (Mit-)Interesse daran, dass unter ihrem Grundstück ein Kanal verläuft? Reicht es, wenn das im öffentlichen Interesse liegt?

  • Nachtrag zum Ausgangsfall:

    Aufhebung der Pflegschaft für den verstorbenen Miteigentümer nach § 1921 Abs.2 S.2 BGB.

    Zum abgewandelten Fall:

    Wie im Ausgangsfall (für den verstorbenen Miteigentümer) kommt auch hier entweder eine Nachlasspflegschaft oder eine Pflegschaft nach § 1913 BGB für die unbekannten Eigentümer in Betracht. Gegen die Anordnung der Pflegschaft wird man im Ergebnis nichts einwenden können, weil die Stadt die Verlegung des Kanals auch bei bekannter Eigentümerstellung notfalls im Wege der Enteignung erreichen könnte.

    Zur Abgrenzung zwischen § 1913 BGB und § 1960 BGB:

    Die Anordnung einer Pflegschaft nach § 1913 BGB für einen unbekannten Grundstückseigentümer ist zulässig (Soergel/Zimmermann § 1913 RdNr.2). Schwierig ist allerdings die Abgrenzung zur Nachlasspflegschaft, weil man auch die Auffassung vertreten könnte, dass für die Vertretung unbekannter Erben § 1960 BGB lex specialis im Verhältnis zu § 1913 BGB ist. Überwiegend wird danach unterschieden, ob der Nachlass der Fürsorge bedarf (dann Nachlasspflegschaft mit dem Ziel die Erben zu ermitteln) oder ob er keiner Fürsorge bedarf (dann Pflegschaft nach § 1913 BGB mit dem Ziel, den Unbekannten zu ermitteln, vgl. Soergel/Zimmermann § 1913 RdNr.2 a.E. m.w.N.). Würde danach im Einzelfall zu Unrecht Pflegschaft nach § 1913 BGB angeordnet, wäre die Anordnung aber gleichwohl wirksam und der Pfleger auch entsprechend vertretungs- und verfügungsbefugt. Hier dürfte nichts anderes gelten als bei der Anordnung einer Ergänzungspflegschaft, die mangels Vertretungsausschluss der Eltern überhaupt nicht erforderlich war.

  • Ich möchte gern mit meinem Pflegschaftsverfahren wie von juris 2112 so schön ausgedrückt dauerhaft auf einen "grünen Zweig" kommen, halte die Idee eines eventuellen Grundstücksverkaufs der sich m.E.n. lediglich auf Interesse des "Pächters" stützt, aber für unzulässig, so auch Literatur und Rechtssprechung. Das würde dann aber bedeuten, dass die ganze Angelegenheit mit Abschluß eines Pachtvertrages durch den Abwesenheitspfleger auf eine "Dauerpflegschaft" hinauslaufen würde, was m.E.n. auch nicht im Sinne des Erfinders sein kann, zumal die Pachteinnahmen für die Vergütung des Abwesenheitspflegers verbraucht werden dürften und es mehr als unwahrscheinlich ist, dass der Abwesenheitspfleger die Abwesenden ermittelt, sondern vielmehr die Todeserklärung betreiben wird. Ist nicht hier auch nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entscheiden und die Abwesenheitspflegschaft aufzuheben? Oder kann die Pflegschaft nicht allein schon deshalb aufgehoben werden, weil die landwirtschaftliche Nutzung eines unbebauten Grundstücks durch die Agrargesellschaft kein Fürsorgebedürfnis begründet, da ja auch in diesem Fall Drittinteresse vordergründig scheint.

  • Mit der Aufhebung der Pflegschaft ist das Problem aber nur für das VormG gelöst. Irgendwann muss aber auch das Grundbuch bereinigt werden. In diesem Kontext wäre die Veräußerung des Grundstücks und die Hinterlegung des Erlöses wohl die vernünftigste Lösung. Weshalb sollte der Pfleger mit Genehmigung des VormG (bei entsprechendem Wirkungskreis der Pflegschaft) eigentlich nicht zur Veräußerung des Grundbesitzes berechtigt sein? Das vorhandene Drittinteresse schließt doch ein betehendes und nach objektiven Kriterien zu beurteilendes Eigeninteresse der Eigentümer nicht aus.

  • Hallo fisch,

    soweit ich das richtig rausgelesen habe, liegt das Grundstück im Beitrittsgebiet, womit ich leider den Ausführungen von Juris widersprechen muß.

    Das Gericht ist unzuständig!

    Es gilt Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB. Der Landkreis bestellt die Pflegschaft.

    Diese wird nicht für jeder Person einzeln eingerichtet, sondern es wird 1 Pfleger für alle Eigentümer dieses Grundstücks bestellt und zwar als Dauerpflegschaft (einer meiner Lieblings-§:) ; damit konnte ich schon jede Menge Pflegschaften verhindern)

  • Danke für die Idee. Das Problem ist bloß, dass die Pflegschaft bereits seit 1997 besteht. Wenn bloß nicht diese landwirtschaftliche Nutzung wäre, die erst vor kurzem festgestellt wurde und mir jetzt Kopfzerbrechen hinsichtlich des Fürsorgebedürfnisses bereitet, hätte ich das Verfahren problemlos aufheben können, da das damals durch das Gericht festgestellte Fürsorgebedürfnis im Sande verlaufen ist. Oder sollte ich aufheben und den "Pächter" an den Landkreis zur Bestellung eines gesetzlichen Vertreters verweisen. Dann wäre ich mein Verfahren los und der "Pächter" hat dennoch Chancen das Grundstück zu pachten?

  • Dann sieht die Sache natürlich anders aus, obwohl das ja nichts an den bisherigen grundsätzlichen Erwägungen im Hinblick auf die weitere Behandlung der Angelegenheit ändert. Aber ist es nicht so, dass die Zuständigkeit nach Art. 233 § 2 Abs.3 EGBGB nicht die Zuständigkeit der Gerichte ersetzt, sondern neben die Zuständigkeit der Gerichte tritt? Das es sich so verhalten dürfte, ergibt sich wohl schon aus der Feststellung, dass eine bereits bestehende BGB-Pflegschaft das Verwaltungsverfahren nicht hindert (Palandt/Bassenge, 64. Aufl., Art. 233 § 2 EGBGB RdNr.6). Denn ein solcher "Hinderungsgrund" ist überhaupt nur unter der Voraussetzung denkbar, dass die in Betracht kommenden BGB-Pflegschaften trotz Art. 233 § 2 Abs.3 EGBGB weiterhin zulässig sind.

    Im vorliegenden Fall wurde vom Gericht bereits eine bis heute fortdauernde Pflegschaft angeordnet. Diese Sachlage eröffnet nunmehr mehrere Möglichkeiten:

    a) Es wird noch zusätzlich ein Verwaltungsverfahren nach Art.233 § 2 Abs.3 EGBGB eingeleitet. Das halte ich im Ergebnis für wenig empfehlenswert, weil der Vertreter und Pfleger dann gleichermaßen verfügungsberechtigt sind, soweit der Wirkungskreis der gerichtlichen Pflegschaft reicht.

    b) Es wird nur das gerichtliche Pflegschaftsverfahren fortgeführt. In diesem Fall gilt das bisher Gesagte. Das wäre eine saubere Lösung.

    c) Es wird ein Verfahren nach Art.233 § 2 Abs.3 EGBGB eingeleitet und die gerichtliche Pflegschaft wird Zug um Zug mit der Bestellung des Vertreters aufgehoben. Auch das wäre eine saubere Lösung. Sie sollte aber zweckmäßigerweise nur nach vorheriger Absprache zwischen Gericht und Verwaltungsbehörde realisiert werden.

  • Gibt es zu dieser Auffassung irgendwelche Fundstellen? In Palandt/Bassenge, 64. Aufl., Art. 233 § 2 EGBGB RdNr.6, wird die gegenteilige Ansicht vertreten, wonach eine bereits anhängige gerichtliche Pflegschaft dem Verwaltungsverfahren nicht entgegensteht (vgl. oben #13).

  • Ich bin ebenfalls der Meinung, daß es für alle Beteiligten die beste Lösung wäre, wenn der Pfleger (mit VGen.) die Immobilie veräußert und den Erlös nach Abzug der Kosten für die noch ungeteilte Eigentümergemeinschaft gerichtlich hinterlegt.

    Ggf. kann ja für die Erteilung der VGen. noch ein Ergänzungspfleger bestellt werden.

    Die Eigentümer (oder besser deren Erben) dürften ohnehin nach über 30 Jahren keine Einwände gg. einen Verkauf zum Verkehrswert erheben können, da man diesen entgegenhalten kann, daß sie sich ja nicht um das Objekt gekümmert haben und (wie an anderer Stelle schon erwähnt;) ) Eigentum verpflichtet!

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

    Nachlass-Kanzlei / Büro für gerichtliche Pflegschaften / Nachlasspflegschaften, Nachlassverwaltungen, Testamentsvollstreckungen, Nachlassbetreuungen /
    Nachlasspfleger Thomas Lauk - http://www.thomaslauk.de

  • Zitat TL:

    Ggf. kann ja für die Erteilung der VGen. noch ein Ergänzungspfleger bestellt werden.

    Gemeint ist sicherlich ein Verfahrenspfleger.

  • Ööööhm, ja siescher, siescher:oops: :oops:

    Danke juris2112;)

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

    Nachlass-Kanzlei / Büro für gerichtliche Pflegschaften / Nachlasspflegschaften, Nachlassverwaltungen, Testamentsvollstreckungen, Nachlassbetreuungen /
    Nachlasspfleger Thomas Lauk - http://www.thomaslauk.de

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!