110 Jahre alt...

  • Hallo,

    ich hätt da gern emal e kleines Problem...

    In einem Erbscheinsverfahren, in welchem sich die Erbfolge "nach oben" weit verzweigt, rügt die zuständige Richterin am LG, daß eine Sterbeurkunde nicht vorgelegt wurde.

    Es geht um eine Person, die im Jahre 1895 geboren wurde und einige Tage nach der Geburt bereits verstorben ist, was der Antragsteller auch an Eides Statt versichert hat. Eine Sterbeurkunde ist nicht zu beschaffen bzw. nur mit einem nicht zu vertretenden Aufwand.

    Es geht an sich nur um die Frage, ob das Vorversterben der "alten Dame" vor dem Jahre 2005 ( dem Eintritt des Erbfalles ) nicht allein durch dadurch als gesichert anzusehen sein kann, daß sie 110 Jahre alt hätte sein müssen, wenn sie denn die Erblasserin überlebt hätte.


    Gibt es nicht so eine Art "100-Jahre-Regelung?" :)


    Gruß HansD

  • ...meines Wissens nach nein.

    Nur Tatsachen die offenkundig sind, bedürfen keines Beweises. Ist es nun offenkundig, daß die Person den Erbfall nicht erlebt haben kann? Das ist in dem Fall sicher noch eine Gewissensentscheidung der Rpflin, die aber m.E. nur ein Ergebnis haben kann: Die Person ist vorverstorben.

    Tipp: Ggf. Aufgebot nach § 2358 II BGB beantragen.

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

    Nachlass-Kanzlei / Büro für gerichtliche Pflegschaften / Nachlasspflegschaften, Nachlassverwaltungen, Testamentsvollstreckungen, Nachlassbetreuungen /
    Nachlasspfleger Thomas Lauk - http://www.thomaslauk.de

  • Hallo, in meiner Stadt gibt es viele 100jährige, den Ältesten, den ich jemals (auf einem Straßenfest bei uns) getroffen habe, war 102, im darauffolgenden Jahr war er jedoch nicht mehr da (!). 110 ist unwahrscheinlich, ich würde mich trotzdem streng nach Vorschrift verhalten. Grüße Eden

  • :pff: :behaemmer

    Zitat von Eden

    110 ist unwahrscheinlich, ich würde mich trotzdem streng nach Vorschrift verhalten. Grüße Eden




    Warum denn?

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

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  • Eine feste 100-Jahre-Regelung gibt es nicht, auch wenn viele Nachlassgerichte entsprechend verfahren (auch ich). Eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts genügt nach Literaturmeinung eigentlich nicht.

  • LG München I SeuffBl. 72, 84: Ein beim Erbfall errechnetes Lebensalter des Weggefallenen von 98 Jahren genügt nicht für Offenkundigkeit i.S. des § 2356 Abs.3 BGB. Da haben wir aber noch zwölf Jahre Luft! Das LG lässt aber anderweitigen Beweis nach § 2356 Abs.1 S.2 BGB zu. Im Ausgangsfall liegt die eV des Antragstellers vor. Das hat zwar weniger Beweiskraft als die eV eines Dritten, doch man sollte nicht päpstlicher sein als der Papst.

    KG NJW 1935, 1885: Keine Offenkundigkeit des Todes der ersten Ehefrau, wenn Erblasser zum zweiten Mal geheiratet hat, weil theoretisch Doppelehe denkbar. Darauf muss man erst mal kommen!

    Planck/Greiff, 4. Aufl., § 2356 Anm. IV: "Insbesondere aber darf der Tod von Personen, die vor oder neben dem Antragsteller berufen sein würdn, nach menschlichen Verhältnissen aber nicht mehr am Leben sein können, als offenkundig erachtet werden." Ebenso MünchKomm/Mayer § 2356 RdNr. 5; Staudinger/Firsching, 12. Aufl., § 2356 RdNr.2 (aber nicht mehr bei Staudinger/Schilken in der 13. Aufl.).

    Neuerdings OLG Rostock FamRZ 2004, 1518: Hat der Antragsteller erfolglos alles ihm Zumutbare zur Beibringung ausländischer Urkunden oder eV unternommen, darf die Erbscheinserteilung nicht mangels Urkundenbeweis verweigert werden, wenn ausreichende Anhaltspunkte für die Richtigkeit der gemachten Angaben bestehen.

    Gretchenfrage also: Ist der Gesuchte mit 110 Jahren "alt genug"?

    Als Alternative zum langwierigen (aber bereits anhängigen) Beschwerdeverfahren würde ich nach § 2358 Abs.2 BGB verfahren. Ob der zuständige Rechtspfleger aber mit sich reden lässt, wenn er schon den Erbscheinsantrag beanstandet hat?

  • Zitat von juris2112

    Als Alternative zum langwierigen (aber bereits anhängigen) Beschwerdeverfahren würde ich nach § 2358 Abs.2 BGB verfahren. Ob der zuständige Rechtspfleger aber mit sich reden lässt, wenn er schon den Erbscheinsantrag beanstandet hat?


    Hallo,

    Zur Klarstellung: nein, es ist kein Beschwerdeverfahren anhängig; zuständig ist das Nachlaßgericht XY, unterschrieben hat Frau Z, Richterin am LG, was mich auch gewundert hat; ich kenne mich mit den gerichtlichen Zuständigkeiten nicht so toll aus...

    Vielleicht werden bei dem dortigen Gericht die schwierigen Fälle dem Richter vorgelegt? ( Wenn das wirklich so wäre, dann verstehe ich auch, daß Frau RiLG schon 7 Monate allein dafür gebraucht hat, jetzt die fehlende Sterbeurkunde als erste ( ! ) Reaktion auf meinen Erbscheinsantrag zu monieren. Wäre ein vernünftiger Rechtspfleger tätig geworden und kein Volljurist, wäre das Verfahren wahrscheinlich schon längst erledigt. )

    Ich habe ihr heute im oben geschilderten Sinn geschrieben und zur weiteren Glaubhaftmachung noch eine beglaubigte Fotokopie eines alten Taufbuches beigefügt, in welchem ( wohl die Mutter der Verstorbenen ) mit alter Sütterlinschrift den handschriftlichen Vermerk "verstorben" angebracht hat.

    Ich hoffe, daß ich das Gericht überzeugen konnte.

    Gruß HansD

  • Zitat von HansD

    Wäre ein vernünftiger Rechtspfleger tätig geworden und kein Volljurist, wäre das Verfahren wahrscheinlich schon längst erledigt. )




    ... das kann wohl sein....;)

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

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  • Der Dozent DirAG Peter Frohn hat in solchen Fällen immer auf die freie Beweiswürdigung im Erbscheinsverfahren hingewiesen.

  • In so einem Fall würde ich persöhnlich keine Sterbeurkunde fordern - ist sie da is gut, liegt sie nicht vor auch kein großes Problem.

    Denn die allg. Lebenserfahrung lässt darauf schließen, dass der Beteiligte mit ziemlicher Sicherheit nicht 110 Jahre alt geworden ist. Wenn dann auch noch eine Vermisstenmeldung wg. WW II dazukommt umso eindeutiger.
    Und dann darf man nicht vergessen, dass der Beteiligte ja vor 1900 geboren und verstorben sein soll und deshalb die Beibringung der entspr. Urkunde wenn überhaupt nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu beschaffen ist.

    Für diesen Fall sieht das Gesetz eben jene Ausnahme vom Urkundsbeweis vor, nämlich Beweis durch eV. Alles andere wäre purer Bürokratismus.

  • HansD:

    Was hat denn die Nachlassrichterin mit der Erteilung eines Erbscheins nach gesetzlicher Erbfolge zu tun? Ich würde die funktionelle richterliche Unzuständigkeit rügen und wenn der Rechtspfleger in dem hier dargestellten Sinne "vernünftig" ist, wäre die Kuh doch baldigst vom Eis.

  • Es gibt im Grundbuchrecht die "110-Jahres-Regelung" des § 5 GBBerG, wonach unübertragbare und unvererbliche Rechte von Amts wegen gelöscht werden können, wenn der Berechtigte ein Lebensalter von 110 Jahren erreicht hätte. Vielleicht kann man diesen Rechtsgedanken im Anwendungsbereich des § 2356 BGB im Hinblick auf das Erfordernis der Vorlage von Sterbeurkunden entsprechend anwenden? Dann würde es allerdings darauf ankommen, ob die 110 Jahre im vorliegenden Fall tatsächlich schon verstrichen sind (Geburtsjahr 1895, Erbfall 2005). Da sich Geburts- und Sterbetag aus dem Ausgangssachverhalt nicht ergeben, kann die Frist abgelaufen sein oder auch nicht.

  • Zitat von juris2112

    HansD:

    Was hat denn die Nachlassrichterin mit der Erteilung eines Erbscheins nach gesetzlicher Erbfolge zu tun? Ich würde die funktionelle richterliche Unzuständigkeit rügen und wenn der Rechtspfleger in dem hier dargestellten Sinne "vernünftig" ist, wäre die Kuh doch baldigst vom Eis.


    Hallo,

    es existiert ein Testament, welches letztlich nur die Enterbung eines bestimmten Stammes beinhaltet, im übrigen jedoch die gesetzliche Erbfolge eintreten läßt.


    Gruß HansD

  • Hallo. Ich hole diesen Thread mal wieder hoch :

    Wo setzt Ihr persönlich eure "Offenkundigkeits-Grenze" in Bezug auf "offenkundig vorverstorben", so dass auf die StU verzichtet werden kann (z.B. bei theoretisch erbberechtigten Großeltern oder Eltern neben Ehegatten) ?

    In HH gab es 2004 eine 108-jährige ...

    the bishop :kardinal:

    NOBODY expects the spanish inquisition !

  • Für mich gäbe es da keine starre Grenze, das würde ich immer ganz individuell betrachten. So wie der Fall hier gelagert ist, siehe auch den vorletzten Absatz von #7, wäre bei mir die Akte schon längst vom Tisch.

  • Ich hatte letztens eine 84 jährige Oma, die einen Erbschein nach ihrer Mutter haben wollte...

    Bei Vorlage der Sterbeurkunde sind mir fast die Augen rausgefallen. Geboren im September 1897 und gestorben im Juli 2007...

    110 Jahre...

  • Der derzeit älteste Mensch der Welt ist 114 Jahre alt (natürlich eine Frau).

    Absolute "Deadline" für eine Lebensvermutung dürften daher 120 Jahre sein.

  • Auf die Urkunde verzichte ich i.d.R. wenn die Erben zum Zeitpunkt des Erbfalls ca. 120 Jahre alt wären. Die Grenze kann einzelfallbedingt aber auch mal höher oder drunter liegen. Meist lasse ich mir dazu noch eine eV bzgl. des Vorversterbens vorlegen. Ansonsten löse ich die Fälle von Erben von denen keine Sterbeurkunde vorgelegt werden kann meist über § 2358 Abs. 2 BGB.

    Trenne dich nie von deinen Illusionen und Träumen. Wenn sie verschwunden sind wirst du weiter existieren, aber aufgehört haben zu leben.

    (Mark Twain)

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