BGH: Zwangsräumung und Suizidgefahr für Angehörigen

  • BGH: Beschluss vom 04.05.2005 I ZB 10/05

    1. Besteht im Fall einer Zwangsräumung bei einem nahen Angehörigen des Schuldners eine Suizidgefahr, ist diese bei der Anwendung des § 765a ZPOin gleicher Weise wie eine beim Schuldner selbst bestehende Gefahr zu berücksichtigen.

    2. Selbst dann, wenn mit einer Zwangsvollstreckung eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners oder eines nahen Angehörigen verbunden ist, kann eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung nicht ohne weiteres einstweilen eingestellt werden. Erforderlich ist stets die Abwägung der - in solchen Fällen ganz besonders gewichtigen - Interessen der Betroffenen mit den Vollstreckungsinteressen des Gläubigers. Es ist deshalb auch dann, wenn bei einer Räumungsvollstreckung eine konkrete Suizidgefahr für einen Betroffenen besteht, sorgfältig zu prüfen, ob dieser Gefahr nicht auch auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann. Auch der Gefährdete selbst ist gehalten, das ihm Zumutbare zu tun, um die Risiken, die für ihn im Fall der Vollstreckung bestehen, zu verringern.

      http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechts…682&pos=0&anz=1

    1. Dieser Beschluss bringt wohl Arbeit für die Rechtsantragsstellen:
      vielleicht kann jemand den ganzen wortlaut einstellen, um darüber diskutieren zu können. Er wird die Zwangsräumung wohl erschweren und zu einer Einschaltung der Prozeßgerichte nach einer "Zwangsräumung" führen? Bedeutet die Entscheidung, dass der Vermieter zunächst mal sein Vermieterpfandrecht an allen Sachen geltendmacht und die Sachen selber einlagert? Ich dachte früher immer, das wäre Aufgabe eines Gerichtsvollziehers.

      BGH I Z 45/05
      ZPO § 885
      Der Gläubiger kann die Zwangsvollstreckung nach § 885 ZPO auf eine Heraus-gabe der Wohnung beschränken, wenn er an sämtlichen in den Räumen be-findlichen Gegenständen ein Vermieterpfandrecht geltend macht. Auch wenn in einem solchen Fall Streit zwischen den Parteien des Vollstreckungsverfahrens nach § 885 ZPO darüber besteht, ob alle beweglichen Sachen des Schuldners von dem Vermieterpfandrecht erfasst werden, hat der Gerichtsvollzieher nicht eine Räumung der Wohnung nach § 885 Abs. 2 bis 4 ZPO vorzunehmen.
      BGH, Beschl. v. 17. November 2005 - I ZB 45/05 - LG Berlin

    2. - 8 - ZPO für die Dauer einer Woche aufschieben, wenn der Schuldner glaubhaft macht, dass die Vollstreckungsmaßnahme gemäß § 765a Abs. 1 Satz 1 ZPO mit den guten Sitten nicht vereinbar ist und die rechtzeitige Anrufung des Voll-streckungsgerichts nicht möglich war. Dies kann etwa in Betracht kommen, wenn ansonsten in der herauszugebenden Wohnung bewegliche Sachen des Schuldners verbleiben würden, die offensichtlich unpfändbar sind, und er glaubhaft macht, nicht in der Lage gewesen zu sein, für ihre Entfernung und Unterbringung zu sorgen.

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      4. Für die ausschließlich auf Herausgabe gerichtete Zwangsvollstre-ckung, zu deren isolierter Durchführung die Gerichtsvollzieherin verpflichtet ist, kann sie einen Vorschuss für Kosten des Abtransports der Möbel nicht verlan-gen.

    3. Auf der einen Seite sollen bei den Schutzanträgen strenge Maßstäbe gelten und jetzt das. Wer soll denn das ernsthaft beurteilen, ob eine tatsächliche konkrete Gefahr vorliegt. Wenn das die Runde macht, wird das mit einiger Fantasie eine wirkungsvolle neue Masche... :confused:

    4. Zitat von Wood


      Ach verflucht nochmal,...



      :D  Sorry, aber ich muss gerade grinsen - was meinst Du, wie oft mir das jeden Tag so geht... :D

    5. Schuschke in NJW 06, 874, "Lebensschutz contra Eigentumsgarantie - Zu den Grenzen des § 765a ZPO in der Räumungsvollstreckung"

      Er schlägt vor, die Behörden (Vormundschaftsgericht, Gesundheitsbehörde) stärker einzubinden und z.B. in Fällen einer behaupteten Suizidgefahr vom Amts wegen ein Gutachten der Gesundheitsbehörde einzuholen.

    6. Bis dahin ist der Räumungstermin aber weg. Und schon gibt es indirekt Räumungsschutz, denn Termine gibt es nicht wie Sand am Meer.

    7. Zitat von Erzett

      Und so ein Gutachten dürfte auch nicht gerade billig sein. :eek:



      In Hamburg besteht mindestens für Versteigerungen die Möglichkeit, den psychatrischen Dienst der Uniklinik in Anspruch zu nehmen. Die Justizbehörde zahlt an die Uni dafür einen Pauschalbetrag. Es wird zwar eine Rechung geschrieben, aber nur um diese ggf. beitreiben zu können; eine Zahlung der Rechnung erfolgt damit nicht in jedem Fall.

    8. Wie bereits in meinem Beitrag vom 22.03. angesprochen bietet es sich wohl insbesondere an, nötigenfalls das Vormundschaftsgericht wegen der Einrichtung einer Betreuung anzuregen. Auf die Art und Weise wird normalerweise relativ schnell ein neutrales fachärztliches Gutachten erstellt. Außerdem läßt sich so leichter ermitteln, ob im Umfeld des Schuldners Möglichkeiten vorhanden sind, um die Räumung "erträglicher" zu machen. Klar ist eine kurzfristige Einstellung für einen auf Zeit spielenden Schuldner bereits ein Gewinn, aber ich denke selbst wenn ein oder zwei weitere Monatsmieten im Räumungsschutzverfahren auflaufen sollten ist das eben zu verschmerzen, wenn es um eine evenetuelle Lebensgefährdung geht.

    9. Gefunden unter:
      http://5376.rapidforum.com/topic=100883257803



      Räumungsvollstreckung und Härteklausel 765 a ZPO
      Allein die Tatsache, dass der Räumungsschuldner einer früheren Auflage im Rahmend der einstw. Einstellung der ZWV nicht nachgekommen ist, indiziert noch nicht, das die neuere Entwicklung eine einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung (ggf. gg. Auflagen) nicht rechtfertigt.
      BverfG 25.9.03 1 BvR 1920/03 in InVo 6/2004 S 236 NL ZWV Nr 22 (Aug 04)

      BVerfG - LG Mannheim - AG Mannheim
      27.06.2005
      1 BvR 224/05

      Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Umgang mit einer Suizidandrohung im Falle einer Zwangsräumung.
      1. Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet die Vollstreckungsgerichte, bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 765a ZPO auch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und die dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung gewährleisteten Grundrechte zu berücksichtigen. Die unter Beachtung dieser Grundsätze vorgenommene Würdigung aller Umstände kann in besonders gelagerten Einzelfällen dazu führen, dass die Vollstreckung für einen längeren Zeitraum und - in absoluten Ausnahmefällen - auf unbestimmte Zeit einzustellen ist. Vor allem haben die Vollstreckungsgerichte in ihrer Verfahrensgestaltung die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, damit Verfassungsverletzungen durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen tunlichst ausgeschlossen werden. Dies kann es erfordern, dass Beweisangeboten des Schuldners hinsichtlich seines Vorbringens, ihm drohten schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen, besonders sorgfältig nachgegangen wird. Es ist Aufgabe der staatlichen Organe, Grundrechtsverletzungen nach Möglichkeit auszuschließen. Das Verfahren der Vollstreckungsgerichte ist so durchzuführen, dass den verfassungsrechtlichen Schutzpflichten Genüge getan wird.

      2. Daran gemessen sind die angegriffenen Entscheidungen mit dem Grundrecht der Beschwerdeführerin auf Leben und körperlicher Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG unvereinbar. (Leitsatz der Redaktion)

      GG Art. 2 Abs. 2 Satz 1

      Aktenzeichen: 1BvR224/05 Paragraphen: GGArt.2 Datum: 2005-06-27

      Und unter
      http://5376.rapidforum.com/topic=100983174336
      Immobiliarvollstreckung:
      Die Entscheidung nach § 765a ZPO, dass wegen der Gefahr der Selbsttötung des Schuldners ein Zwangsversteigerungsverfahren über sein Wohngrundstück einstweilig oder sogar unbefristet einzustellen ist, erfordert eine umfassende Abwägung der wechselseitigen Interessen und eine besonders sorgfältige Nachprüfung des entsprechenden Vortrags.
      (Leitsatz des Einsenders)
      OLG Oldenburg Beschl. vom 03.01.2002 - 2 W 156/01
      MDR 2002, 664 Rechtsprechung

      (2) Es empfiehlt sich zum Schutz des Schuldners, die Räumung in Anwesenheit eines Psychiaters oder Psychotherapeuten durchzuführen, damit im Ernstfall die erforderlichen Maßnahmen getroffen werden können, ggf. mit pol. Hilfe.
      OLG Düsseldorf 22.12.97 – 3 W 159/97 in DWW 2/1998 S 55

    10. Eine Bitte um Hilfe an die Experten:
      Antrag gem. § 765 a ZPO wg. behaupteter Suizidgefahr der 78 jährigen Schuldnerin. Nachweis: Eidesstattl. Vers. Sohn d. Sch. und der Sch. selbst, Attest einer Praktischen Ärztin/Naturheilverfahren. Räumungstermin: 26.04.; Agg. hat noch rechtl. Gehör bis 24.04.
      P.S. Sch. beantragt noch PKH, aber Belege liegen noch nicht vor!
      Kann ich einstw. einstellen für evtl. 3 Monate und Attest des weiter behandelnden Neurologen (so behauptet) anfordern oder abweisen und das LG Gutachten erholen lassen?

    11. Bei Suizidandrohung kann ich mir eine Einstellung durchaus vorstellen (das Attest muß inhaltlich schon hergeben, daß der Umzug momentan für den Suizid ausschlaggebend ist), weise aber die Beteiligten darauf hin, daß ich die Akte an das Vormundschaftsgericht weiter geben werde, zur Überprüfung, ob eine Betreuung einzurichten ist.

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