Ausschlagung des Nachvermächtnisnehmers

  • Ich habe hier eine mittlere Erbschaftsnuss, deren Knackung ich zur Diskussion stellen möchte, weil ich in der mir verfügbaren Literatur dazu nichts wirklich Durchschlagendes finden konnte. Die Problemstellung ist im wesentlichen folgende:

    Oma (O) hat zwei Töchter. Eine wurde als Erbin eingesetzt (E), die andere als Vorvermächtnisnehmerin (VVN) für eine Immobilie; Nachvermächtnisnehmer (NVN) ist diesbezüglich der Sohn von VVN.

    O ist bereits vorverstorben. Jetzt stirbt VVN, deren Erbe gemäß Erbvertrag ihr Mann (M) ist; der einzige Sohn (unser NVN), der auch keine Ehefrau oder Abkömmlinge hat, ist insolvent und hatte deshalb bereits zu Lebzeiten seiner Mutter VVN einen Pflichtteilsverzicht erklärt.

    Wenn nun Sohn NVN nach dem Tod seiner Mutter VVN das (Nach-) Vermächtnis ausschlägt, wem fällt dann die Immobilie zu? In Betracht kommen m.E.

    1. sein Vater M, und zwar

    1.1. als Erbe der Mutter VVN; dies setzt voraus, dass die Ausschlagung des Nachvermächtnisses durch NVN dazu führt, dass die Immobilie zur Erbmasse von VVN fällt.

    1.2. als gesetzlicher Erbe des NVN; dies ist der Fall, wenn die Ausschlagung des Nachvermächtnisses durch NVN dazu führt, dass dessen Erbe(n) Ersatz-Nachvermächtnisnehmer werden (m.E. eher unwahrscheinlich, weil § 2069 BGB eine entsprechende Vermutung nur für Abkömmlinge enthält).

    2. Die Schwester von VVN, unsere E, als Erbin von O; dies ist der Fall, wenn mit Ausschlagung des Nachvermächtnisses durch NVN das Vermächtnis ingesamt als nicht angefallen gilt und die Immobilie in die Erbmasse von O zurückfällt.

    :gruebel: :gruebel: :gruebel:

    P.S.: Das Problem, ob der insolvente Sohn NVN ausschlagen kann/darf, steht nicht zur Debatte.

  • Zunächst ist es nicht von Bedeutung, ob der seinerzeitige Vorvermächtnisanspruch durch Auflassung des Grundstücks an VVN erfüllt wurde. Denn es bleibt sich gleich, ob wir über den Vermächtnisgegenstand selbst oder über den noch nicht erfüllten Vermächtnisanspruch diskutieren.

    Zunächst einmal ist völlig klar, dass die Immobilie (bzw. der Anspruch hierauf) zu Lebzeiten der VVN Bestandteil ihres Aktivvermögens und demzufolge auch Bestandteil ihres Aktivnachlasses war. Ob der entsprechende spiegelbildliche Nachvermächtnisanspruch auch Bestandteil ihres Passivnachlasses war, hängt davon ab, ob der Nachvermächtnisanspruch durch die Ausschlagung des NVN materiell erloschen ist.

    Mit dem Ableben der VVN ging ihr Aktivnachlass zunächst -belastet mit dem Nachvermächtnisanspruch- auf den Alleinerben M über. Hätte NVN den Anspruch geltend gemacht, ergäbe sich kein Problem. In diesem Fall hätte NVN entweder von M oder von E die Auflassung der Immobilie verlangen können (von M, wenn der VVN-Anspruch bereits erfüllt war und von E, wenn er noch nicht erfüllt war).

    Der NVN hat das Nachvermächtnis jedoch ausgeschlagen. Da er keine Abkömmlinge hat, stellt sich nicht das Problem, ob solche Abkömmlinge (was anzunehmen wäre) als Ersatznachvermächtnisnehmer berufen wären. Des weiteren kann sich (erst recht) nicht die Frage stellen (vgl. den Lösungsansatz 1.2.), ob der Nachvermächtnisanspruch auf die Erben des NVN übergegangen ist. Denn NVN ist nicht vor dem Anfall des Nachvermächtnisses verstorben, sondern er hat nach dem Anfall des Nachvermächtnisses ausgeschlagen. Die Frage nach der Vererblichkeit des Nachvermächtnisanspruchs kann sich somit von vorneherein nicht stellen.

    Es gibt somit nur noch folgende rechtliche Möglichkeiten:

    a) Der Nachvermächtnisanspruch ist durch die Ausschlagung seitens des NVN erloschen. Die Immobilie (bzw. der Anspruch hierauf) verbleibt somit unbelastet im Aktivnachlass der VVN, der im Wege der Erbfolge auf den Alleinerben M übergegangen ist. Damit verbliebe die Immobilie bei M.

    b) Die Immobilie ist durch M als Alleinerbe der VVN an E als Alleinerbin der O zurückzuübereignen (bzw. der noch nicht erfüllte und von VVN auf M übergegangene VVN-Anspruch wäre gegen E nicht mehr durchsetzbar), weil die Auslegung des Testaments der O ergibt, dass die Immobilie bei E verbleiben soll, wenn der NV-Anspruch nicht zum Zuge kommt. Diese These halte ich für durchaus gewagt, und zwar auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es der ursprünglichen Erblasserin O wohl darauf ankam, die Immobilie von Generation zu Generation innerhalb der Blutsverwandtschaft weiterzugeben. Denn auch wenn der NVM das Nachvermächtnis angenommen und geltend gemacht hätte, würde die Immobilie beim späteren kinderlosen Ableben von NVM nach gesetzlicher Erbfolge auf seinen Vater oder im Wege der testamentarischen Erbfolge auf völlig familienfremde Personen übergehen können. Etwas anderes könnte man wohl nur annehmen, wenn bewiesen werden könnte, dass O mit ihrem Schwiegersohn M völlig zerstritten war und keinesfalls wollte, dass dieser die Immobilie erhält. Solche Fälle habe ich in der Praxis schon gehabt, allerdings nicht im Rahmen von Nachvermächtnisansprüchen, sondern bei problemidentischen Nacherbfolgen, wenn der kinderlose Nacherbe durch Ausschlagung wegfiel.

    Ob Lösung a) oder Lösung b) zum Zuge kommt, muss somit im Einzelfall entschieden werden. Mangels näherer Kenntnis des Sachverhalts halte ich Lösung a) erfahrungsgemäß für wahrscheinlicher.

    Der Vollständigkeit halber:

    Das NVN gegenüber VVN auf sein Pflichtteilsrecht verzichtet hat, ist völlig bedeutungslos, weil sich der Anspruch von NVN aus dem Nachlass von O (und nicht demjenigen von VVN) ableitet und insoweit lediglich ein Zuwendungsverzicht i.S. des §2352 BGB in Betracht gekommen wäre.

  • :2danke :dankescho :2danke ... auf Dich ist halt Verlass, juris!!

    Das mit der Auslegung ist vorliegend tatsächlich noch eine kleine Annex-Nuss: Im Testament der O ist für VVN die Auflage, dass sie zu Lebzeiten nicht zugunsten von M, aber auch nicht zugunsten von NVN über die Immobilie verfügen darf, was wohl tatsächlich am getrübten Verhältnis zwischen O und M lag.

    Meine Überlegung hierzu ist allerdings, dass der Ausschluss einer Verfügung zu Lebzeiten sich ja gerade nicht auf Verfügungen von Todes wegen erstreckt und daher das Testament von O sowohl die Vererbung VVN an M als auch die Ausschlagung des Nachvermächtnisses durch NVN "zugunsten" von M nicht ausschließt. Sonst hätte O ja auch NVN mit der Auflage belegen müssen, nicht zugunsten von M zu verfügen, was ihm bei Annahme des Nachvermächtnisses freigestanden hätte (wenn er wiederum nicht im Insolvenzverfahren wäre, was allerdings O sicher nicht bedacht hat).

  • Das Übergehen der Immobilie an M konnte im Rechtssinne gar nicht verhindert werden, weil dies bereits aus der schuldrechtlichen Natur des Nachvermächtnisanspruchs folgt, den M als Erbe der VVN ja erst noch dinglich zu erfüllen hätte. Dieser erfolgte und in der Natur der Dinge liegende Rechtsübergang auf M kann somit nicht als Argument dafür herangezogen werden, dass O mit diesem Rechtsübergang einverstanden war. Denn die Frage ist nicht, ob ein Rechtsübergang auf M erfolgt ist (das ist rechtlich gar nicht anders denkbar), sondern ob M die Immobilie aufgrund der erfolgten Ausschlagung seitens des NVM auch behalten darf.

    Das Testament der Erblasserin O ist insoweit klar, als die Immobilie erst mit dem Ableben der VVN auf den NVM übergehen darf. Des weiteren ist aufgrund des Verfügungsverbots klar, dass die Erblasserin O einen Rechtserwerb durch M zu Lebzeiten der VVM vermeiden wollte. Fraglich ist also, ob diese testamentarischen Anordnungen dahin ausgelegt werden können, dass die Erblasserin O darüber hinaus auch in jedem Fall ausschließen wollte, dass M die Immobilie erhält und behalten darf oder ob für diesen Fall ein "Rückfall" an E erfolgen muss. Ich halte eine solche Auslegung aufgrund der erfolgten Ergänzung des Ausgangssachverhalts zumindest nicht für unplausibel.

    Der springende Punkt im Hinblick auf eine solche mögliche Auslegung scheint mir zunächst zu sein, ob und ggf. welche Sanktion die Erblasserin O für den Fall angeordnet hat, dass VVN zu Lebzeiten gegen das Verfügungsverbot verstößt. Denn wenn keine Sanktion angeordnet wurde, ist das Verfügungsverbot von vorneherein ein stumpfes Schwert.

  • Zitat von juris2112

    Das Übergehen der Immobilie an M konnte im Rechtssinne gar nicht verhindert werden, weil dies bereits aus der schuldrechtlichen Natur des Nachvermächtnisanspruchs folgt, den M als Erbe der VVN ja erst noch dinglich zu erfüllen hätte. Dieser erfolgte und in der Natur der Dinge liegende Rechtsübergang auf M kann somit nicht als Argument dafür herangezogen werden, dass O mit diesem Rechtsübergang einverstanden war. Denn die Frage ist nicht, ob ein Rechtsübergang auf M erfolgt ist (das ist rechtlich gar nicht anders denkbar), sondern ob M die Immobilie aufgrund der erfolgten Ausschlagung seitens des NVM auch behalten darf.



    So wie der Sachverhalt hier ist, war das Übergehen der Immobilie an M nach Deiner (m.E. zutreffenden) Darstellung der Rechtslage nicht zu verhindern. VVN hätte aber zu Lebzeiten zugunsten eines Dritten verfügen (was durch die Auflage nicht ausgeschlossen war) oder testamentarisch einen anderen Erben als M einsetzen können. Angesichts dieser Alternativen kann m.E. schon zur Auslegung herangezogen werden, dass O's Testament (nach dem Wortlaut) eine Verfügung von Todes wegen zugunsten von M nicht ausschließt.

    Zitat von juris2112

    Der springende Punkt im Hinblick auf eine solche mögliche Auslegung scheint mir zunächst zu sein, ob und ggf. welche Sanktion die Erblasserin O für den Fall angeordnet hat, dass VVN zu Lebzeiten gegen das Verfügungsverbot verstößt. Denn wenn keine Sanktion angeordnet wurde, ist das Verfügungsverbot von vorneherein ein stumpfes Schwert.



    Eine Sanktion enthält das Testament nicht, nur die Bestimmung, dass E (Erbin von O) die Erfüllung der zu Lebzeiten von VVN angeordneten Auflagen verlangen und überwachen darf. Im Testament heißt es weiter sogar, dass VVN "von allen gesetzlichen Beschränkungen, soweit möglich, befreit" ist, also m.E. das Grundstück auch hätte verjuxen dürfen.

    Das Fehlen einer Sanktion macht die Durchsetzung der Auflagen zwar problematisch - wobei mit der Überwachung durch E dieser vielleicht ein Klagerecht gegen einen Verstoß zugestanden hätte - scheint mir allerdings kein Hinderungsgrund für die Auslegungmöglichkeit zu sein, dass die Immobilie an E "zurückfallen" soll, wenn das Nachvermächtnis scheitert.

  • Die besagte "Auslegung" ist wohl ein ganz heißes Eisen. Eine Prognose, wie die Sache im Streitfall ausgeht, erscheint mangels Kenntnis der denkbaren Beweismittel im Hinblick auf den Willen der Erblasserin O fast nicht möglich. Hinzu kommt, dass der "billigere" FGG-Weg im vorliegenden Fall ausscheidet, weil es nicht um erbscheinsrelevante Probleme der Erbfolge geht. Vielmehr müsste E den M auf (Rück)Übereignung verklagen. Das muss sie sich aber wohl gut überlegen.

    Bei einem notariellen Testament der O könnte man zur Auslegung immerhin den Notar oder dessen Sachbearbeiter befragen, die sich aufgrund des ungewöhnlichen Testamentsinhalts oder der Tätigkeit als "Hausnotariat" vielleicht sogar noch gut an den Fall erinnern können.

    Ob der NVM mit seiner Ausschlagung im vorliegenden Fall gut beraten war, ist natürlich eine ganz andere Frage. Er hätte die Ausschlagung in jedem Fall schuldrechtlich davon abhängig machen können, dass sein Vater M die Immobilie wieder an E zurücküberträgt (falls dies überhaupt dem Willen von NVM entsprochen hätte!). Falls M die Immobilie behalten kann, ist für die Zukunft zu beachten, dass der in Insolvenz befindliche NVM die Immobilie beizeiten wieder von seinem Vater erben wird. Weiterer Handlungsbedarf erscheint also vorprogrammiert.

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