Reform Nichtehelichenerbrecht

  • Pressemitteilung des BMJ vom 22.01.2010:

    Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger zur geplanten erbrechtlichen Gleichstellung aller nichtehelichen Kinder, die vor dem 1. Juli 1949 geboren sind:

    Die Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder im Familienrecht ist weitgehend vollendet. Nichteheliche Kinder in der Bundesrepublik bekamen bereits 1970 ein gesetzliches Erbrecht. Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg der Gleichstellung war die Kindschaftsrechtsreform, die ich vor über zehn Jahren auf den Weg gebracht habe. Die politischen Weichenstellungen sind in der Gesellschaft angekommen. Heute ist es kein Makel, nicht verheiratete Eltern zu haben.
    Aber: Bis heute gibt es nichteheliche Kinder, die nicht gesetzliche Erben ihrer Väter werden. Nach wie vor gilt eine alte Übergangsregelung, die bestimmte nichteheliche Kinder vom gesetzlichen Erbrecht ausschließt. Das wollen wir ändern. Nichteheliche Kinder sollen in Zukunft auch dann erben, wenn sie vor dem 1. Juli 1949 geboren sind.

    Zum Hintergrund:

    1. Aktuelle Rechtslage

    Im Erbrecht sind nichteheliche und eheliche Kinder grundsätzlich gleichgestellt. Nach wie vor hat jedoch eine Ausnahme Bestand, die das Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19. August 1969 vorsah. Diese Sonderregelung führt dazu, dass vor dem 1. Juli 1949 geborene nichteheliche Kinder bis heute mit ihren Vätern als nicht verwandt gelten und daher auch kein gesetzliches Erbrecht haben.

    2. Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

    Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 28. Mai 2009 in einem Individualbeschwerdeverfahren festgestellt, dass die bisher im deutschen Erbrecht vorgese-hene Ungleichbehandlung von ehelichen und nichtehelichen Kindern, die vor dem 1. Juli 1949 geboren wurden, im Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention steht.

    3. Geplante Regelung

    Ein Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums sieht vor, dass alle vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder künftig gesetzliche Erben ihrer Väter werden:

    - Für künftige Sterbefälle werden alle vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder ehelichen Kindern gleichgestellt. Sie beerben ihre Väter als gesetzliche Erben.

    - Dieses Erbrecht der vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder soll aber nicht zu Lasten von hinterbliebenen Ehefrauen und Lebenspartnern gehen. Um deren Vertrauen in die frühere Regelung zu schützen, wird ihnen eine gesetzliche Vorerbschaft eingeräumt. Das bedeutet: Stirbt der Vater, erben zunächst seine Ehefrau oder sein Lebenspartner. Erst wenn auch diese sterben, geht ihr Anteil als sog. Nacherbschaft an die betroffenen nichtehelichen Kinder.

    - Bei Sterbefällen, die sich bereits vor Inkrafttreten der geplanten Neuregelung ereignet haben, sind die erbrechtlichen Folgen schon eingetreten. Das Vermögen des Verstorbenen ist bereits auf die nach alter Rechtslage berufenen Erben übergegangen. Um ihr Vertrauen in die entstandene Eigentumslage zu schützen, unterliegt die rückwirkende Entziehung solcher Erbschaften sehr engen verfassungsrechtlichen Grenzen:

    - Möglich ist, die Neuregelung auf Todesfälle zu erweitern, die erst nach der Entscheidung des EGMR am 28. Mai 2009 eingetreten sind. Denn seit der Entscheidung können die nach altem Recht berufenen Erben nicht mehr auf ihr Erbe vertrauen.

    - Für nichteheliche Kinder, deren Väter bereits vor dem 29. Mai 2009 verstorben sind, muss es aus Gründen des Vertrauensschutzes grundsätzlich bei der früheren Rechtslage bleiben. Eine Ausnahme ist für Fälle geplant, bei denen der Staat selbst zum Erben geworden ist, zum Beispiel weil es weder Verwandte noch Ehegatten bzw. Lebenspartner gab oder weil die Erbschaft ausgeschlagen wurde. In solchen Konstellationen soll der Staat den Wert des von ihm ererbten Vermögens an die betroffenen nichtehelichen Kinder auszahlen.

    Momentan erhalten die Länder und Verbände Gelegenheit, zu dem Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums Stellung zu nehmen.

  • Wieder mal eine neue Erfindung:
    Gesetzlicher Eintritt einer Vorerbschaft.

    Das Erbrecht wird auch nicht gerade einfacher....:mad:

  • gesetzlicher Eintritt einer Vorerbschaft...

    wir haben den Entwurf zur Stellungnahme bekommen und ehrlich gesagt bin ich schockiert, zumindest was die Regelung für die "Alt-Fälle" betrifft.
    Geht's nur mir alleine so?

  • Aus dem Referententwurf für ein Zweites Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder

    Artikel 1
    Änderung des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder

    Art. 12 des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19.08.1969, dass zuletzt durch … geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

    […]

    2. § 10 Absatz 2 wird durch die folgenden Absätze 2 bis 4 ersetzt:

    „(2) Ist ein vor dem 01.07.1949 geborenes nichteheliches Kind, dem bis zum 29.05.2009 kein gesetzliches Erbrecht nach seinem Vater zustand, dessen gesetzlicher Erbe, so ist es im Verhältnis zur Ehefrau oder zum Lebenspartners des Vaters Nacherbe. Dies gilt auch, wenn an Stelle eines nichtehelichen Kindes seine Abkömmlinge als Erben berufen sind.“

    Den kompletten Entwurf habe ich nur als pdf. Wer ihn haben mag bitte pn.
    Ich habe hier mal den Teil eingefügt, der mir gar nicht so "ohne" erscheint. Er betrifft die Erbfälle bis zum 29.05.2009, da das Vertrauen des Erblassers auf den Fortbestand des "alten" Rechts zu schützen ist, somit der Stichtags-wegfall-regelung ihn zu hart treffen würde...

  • Es wird nichts helfen, wir brauchen den gesamten Entwurf.

    Eines kann man jetzt schon sagen:

    - Der vorstehende Absatz 2 betrifft nur Neufälle.
    - Die Nacherbenlösung kann nicht funktionieren, und zwar aus mehreren Gründen:

    1. Weshalb sollte das nichteheliche Kind mit seiner erbrechtlichen Beteiligung bis zum Ableben des Ehegatten des Erblassers zuwarten müssen? Dafür gibt es keinen Grund. Das Kind müsste also die Möglichkeit haben, die "Nacherbschaft" auszuschlagen und den Pflichtteil zu verlangen. Zudem würde wohl schon in dem "Zuwartenmüssen" eine weitere beanstandungswürdige Diskriminierung liegen.

    2. Der Inhalt der Nacherbfolge ist unklar, befreit oder nicht befreit, mit oder ohne Verfügungsbeschränkung oder was auch immer? Hier wird der Streit erst recht losgehen.

    3. Das Kind kann höchstens die Erbquote erhalten, die ihm bei fiktiver Erbfolge für den Fall seiner Ehelichkeit zustünde. Der Erbteil des Ehegatten ist aber in der Regel höher.

    Meine Lösung für Neufälle aus dem Stegreif: Entweder "ganz normales" Erbrecht oder Erbersatzanspruch so wie früher (§§ 1934 a BGB ff. a.F.).

  • Cromwell
    Eben nicht!
    Für Neufälle (Vater stirbt nach dem 25.05.2009) gilt Gleichstellung. Das nichteheliche Kind steht den ehelichen gleich.
    Aber Väter die bis zum 25.09.2009 gestorben sind, konnten auf den Fortbestand des Rechts vertrauen (= haben gerade eben keine Testament gemacht um das Neki auszuschließen, weil es nach altem Recht eh nichts geerbt hätte). Deswegen ordnet man jetzt Nacherbschaft an. Im übrigen ist der Ehegatte nicht befreit (ergibt sich aus der Begründung des Entwurfs) Warum das den überlebenden Ehegatten ausbaden lässt keine Ahnung, aus dem Entwurf ergibt sich, dass die Ehefrau im Zweifel aus der gleichen Generation wie der Erblasser ist, somit das Nacherben-Neki nicht so lange auf seine Erbschaft warten muss, wie wenn es Nacherbe im Bezug auf die ehelichen Kinder wäre.
    :confused:

  • Tut mir leid, aber ich lese das anders.

    Nach dem Entwurf erfolgt für nach dem 28.05.2009 eintretende Erbfälle keine Gleichstellung, sondern insoweit wurde die Nacherbenlösung gewählt. Für vor dem 29.05.2009 eingetretene Erbfälle bleibt es beim Erbrechtsausschluss, es sei denn, es wäre das Fiskuserbrecht festgestellt worden.

    Genau in dem vorbeschriebenen Sinne ergibt sich dies auch aus der von mir eingestellten Pressemitteilung.

    Die geplante "Nacherbschaft" ist nach meiner Ansicht rechtlich nicht haltbar. Es muss ja berücksichtigt werden, dass nicht nur das Kind nach dem Vater, sondern umgekehrt auch der Vater nach dem Kind erbt (bzw. die jeweiligen Verwandten). Für den Vater gibt es aber keine solche Einschränkung, wenn ein Ehegatte des Kindes vorhanden ist, umgekehrt aber schon. Das ist schlechterdings nicht begründbar.

    Man müsste außerdem dem Kind und dem Ehegatten des Erblassers das Recht zugestehen, die Nach- bzw. Vorerbschaft auszuschlagen und den Pflichtteil zu verlangen. § 2306 BGB erfasst diesen Fall nach meiner Ansicht nicht, weil er nur für gewillkürte Beschränkungen und Beschwerungen gilt, hier aber eine gesetzliche Beschränkung vorliegt.

    Die Formulierung in § 10 Abs.2 S.2 NEhelG ("Dies gilt auch"), ist natürlich Unsinn. "Dies gilt auch" würde ja bedeuten, dass das Kind (!) Erbe wird, auch wenn es infolge vorherigen Wegfalls gar nicht berufen ist. Es muss natürlich "Entsprechendes gilt" heißen.

  • Zur Nacherbschaft habe ich auch eine Verständnisfrage. Man nehme eine "deutsche Normfamilie" (Mutter, Vater, Tochter, Sohn), bei der der Vater (statistisch) zuerst verstirbt. Der Sohn sei ein nichteheliches Problemkind, das vor dem 1.7.1949 geboren wurde. Bei gesetzlicher Erbfolge und Zugewinngemeinschaft erben die Beteiligten 1/2 - 1/4 - 1/4.
    Nach der früheren Rechtslage erbten Mutter und Tochter 1/2 - 1/2.
    Was passiert denn nun? Erbt die Mutter jetzt 3/4, davon 1/4 als Vorerbin? Oder wirkt sich die Nacherbenregelung gar nicht aus, weil der Sohn den Erbteil ja quasi von der Tochter erhält?

    Ich würde in der Stellungnahme im Übrigen vorsichtig fragen, welcher Angehörige welches Verantwortlichen noch sterben muss, bis wir die vollständige Gleichstellung erhalten können.

  • Das ist ein Punkt, der sich mir ohnehin nicht erschließt. Das nichteheliche Kind würde doch nicht dem Ehegatten des Erblassers, sondern den ehelichen Abkömmlingen des Erblassers etwas "wegnehmen". Weshalb soll dann der Ehegatte des Erblassers mit einer gesetzlichen Nacherbschaft beschwert sein, während die ehelichen Abkömmlinge ihren erhöhten Erbteil ungeschmälert und unbeschwert behalten dürften?

    Der geschilderte Fall ist nach dem Entwurf so zu lösen, dass Ehegatte und eheliches Kind zu je 1/2 erben (§§ 1931, 1371 BGB) und der Ehegatte für seinen gesamten Erbteil nur nicht befreiter Vorerbe ist.

    Das ergibt überhaupt keinen Sinn.

  • Cromwell
    Mmm ja du hast recht. Habs noch mal und nochmal gelesen.
    Also Grundsatz für Erbfälle ab dem 29.05.2009: nichtehelich ist gleich ehelich in erbrechtlicher Hinsicht, aber das nichteheliche Kind ist im Verhältnis zur Ehefrau Nacherbe.
    Heißt dass dann, dass das Neki zwar grundsätzlich erbt, aber seinen Anteil nur bei Tod der Ehefrau erhalten kann? Ich meine was bedeutet das "im Verhältnis" denn sonst? Das klingt so, als könne die Ehefrau dann eben sagen: "Hach, wo kommst du denn her? Mag sein, dass du erbrechtlich genauso zu behandeln bist wie ein eheliches Kind, aber du kriegst erst was, wenn ich nicht mehr bin" oder eben wie es in dem Entwurf auch steht, eine abweichende Vereinbarung mit dem Neki treffen kann.
    Bin ich auf dem Holzweg?

  • Dem Entwurf schwebt offenbar zwar ein gesetzliches Erbrecht, aber ein inhaltlich besonders ausgestaltetes Erbrecht der betreffenden nichtehelichen Kinder vor.

    Aber noch einmal: Man müsste man die Begründung des Entwurfs kennen. Vielleicht kann sie ja doch noch jemand einstellen.

  • Das zeigt zum wiederholten Male sehr deutlich, dass sich der Gesetzgeber zunehmend ein Ziel überlegt und dann ein Gesetz schustert, was dieses Ziel umsetzen soll, wobei jedoch handwerklich schlecht gearbeitet wird und die ganze Problematik nicht im Gesamtzusammenhang betrachtet wird. Man betrachtet die Folgen der neuen Regelungen also leider nur für den kleinen Teilbereich, der das zu lösende Problem darstellte. Alle anderen Bereiche werden scheinbar vollkommen ausgeblendet. Das kann so nicht funktionieren. :daumenrun :daumenrun :daumenrun

    Ulf

    Alle Äußerungen hier sind als rein private Meinungsäußerung zu verstehen,
    sofern es bei den Beiträgen nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet wird.

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