Verhältnis Testamentsvollstrecker-Nachlasspfleger

  • Erblasser E, geschieden, keine Kinder, die Mutter und alle 6 Geschwister leben noch, der Vater ist vorverstorben.

    E hinterlässt zwei Testamente, eni handschriftliches aus dem Jahr 1993 (Bruder B ist Alleinerbe) und ein notarielles Testament aus dem Jahr 2005 (kurze Zeit vor dem Tod errichtet).

    Inhalt des notariellen Testaments: alle 6 Geschwister Miterben zu je 1/6, Bruder B ist Testamentsvollstrecker, Vermächtnis für die Lebensgefährtin L (unentgeltliches Wohnrecht, 50.000 EUR).

    B hat zunächst das Amt des TV angenommen und kurz darauf durch seinen Rechtsanwalt Zweifel an der Testierfähigkeit des E bei Errichtung des notariellen Testaments geäußert und die Anordnung einer Nachlasspflegschaft angeregt. Die Nachlasspflegschaft wurde angeordnet (Aufgabenkreis: Sicherung und Verwaltung des Nachlasses), die Frage der Testierfähigkeit ist noch nicht geklärt und wird wohl noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

    Nun hat B bei mir angerufen und darum "gebeten", dass das Nachlassgericht dafür sorgen soll, dass er als Testamentsvollstrecker die Schlüssel des zum Nachlass gehörenden Hauses erhält.

    Mein Problem: Geht die Testamentsvollstreckung der Nachlasspflegschaft vor? Dann hätte der Aufgabenkreis des NL-Pflegers eingeschränkt werden müssen.

    Aber die TV beruht auf einer evtl. unwirksamen Verfügung von Todes wegen -> muss ich dann von einer wirksamen Testamentsvollstreckung ausgehen?

  • Ich würde dem dreisten TV mitteilen, dass infolge seines eigenen Sachvortrags Zweifel an der Wirksamkeit der TV-Anordnung bestehen und somit keine Notwendigkeit gesehen wird, seitens des Nachlassgerichts auf den selbständig handelnden Nachlasspfleger, der seine Aufgaben (insb. wohl Nachlasssicherung ?!) im Rahmen des Aufgabenkreises der Nachlasspflegschaft bis zur abschließenden Klärung der Wirksamkeit des Testaments ausübt, einzuwirken.

    the bishop :kardinal:

    NOBODY expects the spanish inquisition !

  • @Schnugg:

    Ich gehe mal davon aus, daß der Bruder zunächst ein TV-Zeugnis erhalten hat und du dieses nach/mit Bestellung des NL-Pflegers zurückgefordert hast.

    Bis zur Entscheidung über die Wirksamkeit des Testaments handelt nur der NLPfleger.

    Gibt es denn schon einen ES-Antrag von B, daß er Alleinerbe sein will? Ohne den oder einen Antrag der anderen Geschwister auf Erteilung eines ES passiert ja ohnehin m.E. nichts.

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

    Nachlass-Kanzlei / Büro für gerichtliche Pflegschaften / Nachlasspflegschaften, Nachlassverwaltungen, Testamentsvollstreckungen, Nachlassbetreuungen /
    Nachlasspfleger Thomas Lauk - http://www.thomaslauk.de

  • Im vorliegenden Fall besteht das Problem, dass im derzeitigen Verfahrensstadium überhaupt nicht klar ist, ob die vom Erblasser angeordnete TV (ebenso wie das gesamte betreffende Testament) überhaupt wirksam ist. Da der TV die besagten Wirksamkeitszweifel selbst ins Spiel gebracht hat, kann er schon unter dem Gesichtspunkt des venire contra factum proprium -jedenfalls derzeit- keine Rechte aus seiner TV-Berufung ableiten. Dies gilt umso mehr, als sich B in einer offensichtlichen Interessenkollision befindet. Denn er muss seine Miterbenberufung und TV-Ernennung aufgrund des zweiten Testaments "vernichten", damit er in den Genuss der Alleinerbenstellung aufgrund des ersten Testaments kommt.

    Langer Rede kurzer Sinn: Der Hausschlüssel bleibt beim Nachlasspfleger.

    Interessant sind jedoch die materiellrechtlichen Verfügungsfragen, auf welche die Eingangsfrage wahrscheinlich auch abzielte. Es gibt ja nur zwei Möglichkeiten. Ist das zweite Testament unwirksam, ergibt sich kein Problem, denn dann gibt es keine TV und der Nachlasspfleger ist verfügungsbefugt. Ist das zweite Testament dagegen wirksam (auch wenn diese Wirksamkeit erst später bestandskräftig festgestellt wird), so gibt es sowohl einen wirksam bestellten Nachlasspfleger als auch einen wirksam ernannten TV. Dies wirft die Frage auf, wie sich deren Verfügungsbefugnisse zueinander verhalten.

    § 2211 BGB betrifft nur die Verfügungsbefugnis der Erben. Der Nachlasspfleger handelt zwar für die unbekannten Erben, leitet seine Rechtsstellung aber weder vom Erblasser (mittels einer postmortalen Vollmacht) noch von den Erben (mittels einer nach dem Erbfall erteilten Vollmacht), sondern aus seiner gerichtlichen Bestellung ab. Da dem Nachlasspfleger seine Verfügungsbefugnis somit kraft gerichtlicher Anordnung zusteht, kann diese Verfügungsbefugnis auch nicht i.S. des § 2211 BGB durch diejenige eines TV verdrängt werden.

    Damit sind sowohl der Nachlasspfleger als auch der TV materiellrechtlich als Berechtigte in der Lage, unabhängig voneinander über Nachlassgegenstände zu verfügen (genauso wie der Nachlasspfleger und der wahre Erbe). Kollidieren solche Verfügungen, entscheidet sich deren Wirksamkeit -wie auch sonst- nach dem Grundsatz der Priorität. Die zeitlich frühere Verfügung ist wirksam.

  • @juris : Wie immer ist dem nichts hinzuzufügen...:huldigen:

    @Rest : Zum besseren Verständnis :

    venire contra factum proprium
    Lat. sinngemäß: Widersprüchliches Verhalten. Von venire contra factum proprium spricht man, wenn jemand sich durch seine Rechtsausübung in Widerspruch zu eigenem früheren Verhalten setzt. Es handelt sich dabei um eine Einwendung aus der Fallgruppe der treuewidrigen Rechtsausübung gemäß § 242 BGB. Siehe Brox, AT BGB, Rn. 642.

    Es verbleibt bei meiner o.g. Äußerung zur vorgeschlagenen Verfahrensweise.

    the bishop :kardinal:

    NOBODY expects the spanish inquisition !

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