Verfahrensgebühr für Berufung - 3200 oder 3201?

  • Hallo, brauche in folgendem Fall mal eure Hilfe, vielleicht sogar vorhandene Rechtsprechung:
    Der Beklagte legt Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil ein, Berufungsbegründung ist direkt beigefügt. Das Landgericht erlässt einen Beschluss, in welchem darauf hingewiesen wird, dass beabsichtigt ist, die Berufung zurückzuweisen, da die Berufungssumme nicht erreicht wurde. Dieser Beschluss wurde an Beklagtenvertreter und Klägervertreter zugestellt, an den Klägervertreter wurde mit diesem Beschluss auch eine Abschrift der Berufungsschrift nebst Berufungsbegründung übersandt. Der Beklagte nimmt daraufhin die Berufung zurück. Bevor der Kläger von der Rücknahme Kenntnis bekommt, beantragt er die Berufungszurückweisung mit dem Hinweis, dass auch er davon ausgeht, dass die Berufungssumme nicht erreicht ist. Beim LG ergeht ein Beschluss, dass der Beklagte die Kosten zu tragen hat. Jetzt beantragt der Klägervertreter Kostenfestsetzung, und zwar die Verfahrensgebühr VV 3201. Der Beklagte meint, ein Tätigwerden des Klägervertreters sei gar nicht mehr notwendig gewesen, da im Beschluss des LG ja bereits darauf hingewiesen wurde, dass die Berufung zurückgewiesen werden soll. Somit sei nur eine reduzierte VV 3302 entstanden. Wie seht ihr das?

  • In dieser Konstellation ist lediglich eine 1,1 nach Nr. 3201 VV erstattungsfähig (Gerold/Schmidt, RVG, 20. Aufl., Nr. 3200 VV Rn. 51). Es gibt aber auch Stimmen, die in dieser Konstellation gar keine Erstattung (auch nicht der reduzierten 1,1) zusprechen [Gerold/Schmidt, aaO., Rn. 55 mit Verweis auf BGH, Rpfleger 2006, 416, 418b (zu Einspruch gegen VU)], da für die Beauftragung eines RA kein Anlaß mehr bestand.

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  • Hatte neulich einen ähnlichen Fall und dabei folgende Rechtsprechung gefunden:

    Beschluss des BGH vom 17.12.2002 - X ZB 9/02
    Sagt in etwa, dass der Berufungsbeklagte einen Rechtsanwalt beauftragen darf, wenn das Rechtsmittel eingelegt ist , da er ein Interesse daran hat, sich anwaltlich beraten zu lassen.
    Das müsst unabhängig davon gelten, ob das Berufungsgericht die Verfügung erlassen hat.

    In voller Höhe entsteht eine 1,6 Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG nur mit der Stellung eines Sachantrags nach Vorliegen der Berufungsbegründung.

    Eine - reduzierte - Gebühr nach Nr. 3201 VV RVG entsteht jedoch bereits dann, sobald der Prozessbevollmächtigte in Ausführung des Auftrags der Wahrnehmung der Rechte des Berufungsbeklagten irgendeine Tätigkeit entfaltet. Auf den Umfang der Tätigkeit kommt es dabei ebenso wenig an wie darauf, ob diese nach außen in Erscheinung getreten ist, der Prozessbevollmächtigte sich also etwa zu den Gerichtsakten gemeldet hat oder nicht

    (OLG Celle?)

  • Beschluss des BGH vom 17.12.2002 - X ZB 9/02
    Sagt in etwa, dass der Berufungsbeklagte einen Rechtsanwalt beauftragen darf, wenn das Rechtsmittel eingelegt ist , da er ein Interesse daran hat, sich anwaltlich beraten zu lassen.
    Das müsst unabhängig davon gelten, ob das Berufungsgericht die Verfügung erlassen hat.


    Das ist ja gerade der Knackpunkt in der hiesigen Konstellation: Wenn dem Berufungsbeklagten bereits der Hinweisbeschluß des Berufungsgerichts zusammen mit der Berufung und ihrer Begründung zugeht, gibt es max. eine 1,1 erstattet, wobei der BGH in der von mir zitierten Entscheidung ausdrücklich entschieden hat (Leitsatz):

    "3. Der obsiegenden Partei steht ein Anspruch auf Erstattung der ihr entstandenen Rechtsanwaltskosten gemäß § 91 ZPO ausnahmsweise nicht zu, wenn für die Bestellung eines Rechtsanwalts kein Anlass mehr bestand, weil das Gericht bereits eine Verwerfung des vom Gegner eingelegten Rechtsbehelfs angekündigt hatte.

    Aus den Gründen:


    (...)


    aa) Die unterliegende Partei hat die dem Gegner erwachsenen Kosten - nur - insoweit zu erstatten, als sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung objektiv notwendig waren (§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Maßstab dafür ist, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die die Kosten auslösende Maßnahme im damaligen Zeitpunkt als sachdienlich ansehen durfte (BGH, Beschluss vom 11. November 2003 - VI ZB 41/03 - NJW-RR 2004, 430; Beschluss vom 20. Oktober 2005 - VII ZB 53/05 - Rn. 12). Dazu gehören zwar nach § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO in aller Regel auch die gesetzlichen Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts. Anders liegt es jedoch mit Blick auf das allgemeine Gebot sparsamer Prozessführung, soweit eine Erstattung verlangt wird (vgl. Musielak/Wolst, aaO, § 91 Rn. 8; Zöller/Herget, aaO, § 91 Rn. 12), dann, wenn für die Bestellung eines Anwalts ausnahmsweise kein Anlass bestand, weil das Gericht bereits die Verwerfung eines vom Gegner eingelegten Rechtsbehelfs angekündigt hatte und deswegen auch eine nicht rechtskundige Partei offensichtlich nicht besorgen musste, ohne eigene anwaltliche Vertretung Rechtsnachteile zu erleiden (vgl. für die Berufung: LAG Düsseldorf JurBüro 1994, 424 f.; Musielak/Wolst, aaO, § 91 Rn. 14)."

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  • In meinem Fall wurde ja der Hinweisbeschluss nebst Berufungsschrift unmittelbar an den Klägervertreter der 1. Instanz zugestellt, nicht an den Kläger persönlich. Hätte der Klägervertreter dann die Unterlagen an seine Mandantin übergeben sollen mit dem Hinweis, dass ein Tätigwerden seinerseits nicht notwendig ist? Es ist doch klar, dass er sich mit den Unterlagen beschäftigt, wenn er sie unmittelbar übersandt bekommt. In dem Fall sollte ihm doch schon eine 1,1-fache Gebühr zustehen, oder?

  • Warum muss sich der RA mit den Unterlagen beschäftigen, wenn drin steht, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat? Ich gehe davon aus, dass die Klägerseite vor Einlegung der Berufung nichts von der geplanten Berufung wusste.
    Andererseits: so schnell wie heutzutage Gebühren als erstattungsfähig angesehen werden, kann ich mir gut vorstellen, dass eine 1,1 Gebühr erstattungsfähig ist (für das Sichten der Unterlagen).
    So wie es aussieht, wirst Du auf jeden Fall eine Beschwerde bekommen. Daher kannst Du so oder so entscheiden.

  • In meinem Fall wurde ja der Hinweisbeschluss nebst Berufungsschrift unmittelbar an den Klägervertreter der 1. Instanz zugestellt, nicht an den Kläger persönlich. Hätte der Klägervertreter dann die Unterlagen an seine Mandantin übergeben sollen mit dem Hinweis, dass ein Tätigwerden seinerseits nicht notwendig ist? Es ist doch klar, dass er sich mit den Unterlagen beschäftigt, wenn er sie unmittelbar übersandt bekommt. In dem Fall sollte ihm doch schon eine 1,1-fache Gebühr zustehen, oder?


    Es spielt für die Frage der Notwendigkeit der entstandenen Kosten keine Rolle, ob der Kläger persönlich oder sein RA den Schmonzius übersandt erhalten hat. Es spielt auch keine Rolle, ob der RA im Auftrag seines Mandanten oder ohne dessen Auftrag "mit den Unterlagen sich beschäftigt" hat. Entscheidend ist, daß es in Deinem Fall u. U. keinen Anlaß für den Berufungsbeklagten gab, einen RA zu beauftragen. Tut er dies ausdrücklich oder meinetwegen konkludent, dann mag dessen RA ggf. für seine Tätigkeit (Zurückweisungsantrag) auch eine 1,6-Gebühr nach Nr. 3200 VV verdient haben. Ob sie aber erstattungsfähig ist, beantwortet sich immer aus der Frage der Notwendigkeit.

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  • In meinem Fall wurde ja der Hinweisbeschluss nebst Berufungsschrift unmittelbar an den Klägervertreter der 1. Instanz zugestellt, nicht an den Kläger persönlich. Hätte der Klägervertreter dann die Unterlagen an seine Mandantin übergeben sollen mit dem Hinweis, dass ein Tätigwerden seinerseits nicht notwendig ist? Es ist doch klar, dass er sich mit den Unterlagen beschäftigt, wenn er sie unmittelbar übersandt bekommt. In dem Fall sollte ihm doch schon eine 1,1-fache Gebühr zustehen, oder?


    Es spielt für die Frage der Notwendigkeit der entstandenen Kosten keine Rolle, ob der Kläger persönlich oder sein RA den Schmonzius übersandt erhalten hat. Es spielt auch keine Rolle, ob der RA im Auftrag seines Mandanten oder ohne dessen Auftrag "mit den Unterlagen sich beschäftigt" hat. Entscheidend ist, daß es in Deinem Fall u. U. keinen Anlaß für den Berufungsbeklagten gab, einen RA zu beauftragen. Tut er dies ausdrücklich oder meinetwegen konkludent, dann mag dessen RA ggf. für seine Tätigkeit (Zurückweisungsantrag) auch eine 1,6-Gebühr nach Nr. 3200 VV verdient haben. Ob sie aber erstattungsfähig ist, beantwortet sich immer aus der Frage der Notwendigkeit.


    :zustimm: Auch wenn der Begriff der Notwendigkeit leider immer weiter gefasst wird. :mad:

  • Ich bräuchte im Bezug auf meinen eingangs geschilderten Sachverhalt nochmal eure Hilfe. Ich bin auf die Entscheidung des BGH vom 10.11.2009, VIII ZB 60/09 gestoßen, welche meiner Meinung nach auf meinen Ausgangsfall passt. Danach besteht ja laut Tenor für den Berufungsbeklagten in der dortigen Konstellation keine Veranlassung, kostenauslösende Maßnahmen zu ergreifen. Das liest sich für mich so, als ob weder eine 1,6 noch eine 1,1 Verfahrensgebühr erstattungsfähig sind. Laut Verfahrensgang der Entscheidung wurde dort ja eine 1,6 angemeldet, und lediglich eine 1,1 festgesetzt. Leider setzt sich die Entscheidung im Folgenden nicht damit auseinander, ob selbst diese 1,1-Gebühr erstattungsfähig ist oder nicht. Es wird nur darauf verwiesen, dass keine Veranlassung bestand, kostenauslösende Maßnahmen zu ergreifen. Muss ich das jetzt so verstehen, dass die 1,1 ok ist? Oder gibt es eigentlich gar keine Gebühr, und in der Entscheidung wurde nur nicht näher darauf eingegangen, weil dort die 1,1 festgesetzt und damit nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens war?

  • ... BGH vom 10.11.2009, VIII ZB 60/09 ... keine Veranlassung, kostenauslösende Maßnahmen zu ergreifen. Das liest sich für mich so, als ob weder eine 1,6 noch eine 1,1 Verfahrensgebühr erstattungsfähig sind. ...


    "keine Veranlassung, kostenauslösende Maßnahmen zu ergreifen" liest sich auch für mich so, dass gar keine Gebühr zu erstatten ist.

    Der BGH äußert sich halt nur insoweit, als er zu entscheiden hat. Und wenn in dem Fall die 1,1 festgesetzt wurde, die Gegenseite keine Einwendungen erhoben hat und der Antragsteller eine 1,6 - Gebühr erstattet haben möchte, dann sagt der BGH halt: Nee, 1,6 gibt es nicht. Zu der 1,1 äußert er sich dann nicht. Die steht ja nicht in Streit.

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