• Ich habe einen Insolvenzschuldner, welche sich aus verschiedenen Gründen weigert, seine Steuervoranmeldungen auf elektronischen Weg einzureichen. Dadurch kommt es bei der Finanzverwaltung seit Jahren regelmäßig zu Schätzungen, welche der Schuldner zwar als rechtswidrig bezeichnet, gegen welche er aber auch nicht vorgeht. Nunmehr hat das Finanzamt einen Insolvenzantrag gestellt. Der Schuldner hat wohl weitere Gläubiger, benennt mir diese aber nicht. Für die Frage des Insolvenzgrunds kommt es daher darauf an, ob die Forderungen des Finanzamtes in den Status der Zahlungsunfähigkeit einzustellen sind. Bestrittene Forderungen sind, wenn es darauf ankommt, wohl auf ihre Berechtigung zu prüfen. Aber sind Schätzungen des Finanzamtes, auch wenn diese eventuell nicht den Gegebenheiten entsprechen, nicht ohnehin als berechtigt anzusehen.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • Das Problem dürfte bei der Frage der Glaubhaftmachung der Forderung des antragstellenden Gläubigers i.S.d. § 14 InsO liegen. Vielleicht hilft Dir da AG Hamburg (Beschl. v. 19.07.2007 - 67a IN 244/06, ZInsO 2007, 950) weiter!? Oder Uhlenbruck (InsO, 10. Augl. 2010, § 14 Rn. 76 und 143). Auch sehr instruktiv zum Thema: Dr. Reiner Fu, "Rechtsschutz gegen Insolvenzanträge des Finanzamtes", in: DStR 2010, 1411ff.

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Das ist meines Erachtens nicht wirklich das Problem. Bei öffentlichen Gläubigern, so jedenfalls Münchener Kommentar, reicht es für eine Glaubhaftmachung aus, dass (zumindest vorläufig) vollstreckbare Beitragsbescheide ergangen sind. Das Problem ist, dass die Forderungen nach Aussagen des Schuldners unberechtigt sind. Ebenfalls Münchener Kommentar: Gegebenenfalls, m.E. dann, wenn das Vorliegen des Eröffnungsgrundes in Frage steht, sind stretige Forderungen auf ihre Berechtigung hin zu prüfen.

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  • Vielleicht schaust Du mal bei Dr. Höffner, "Bestrittene Forderungen und Insolvenzgründe", in DStR 2008, 1787 rein. Dort ist ab Seite 1791 eine einigermaßen aktuelle Übersicht über die Literaturstimmen zur Frage, wie streitige Forderungen im Rahmen der Zahlungsunfähigkeitsprüfung zu behandlen sind; Rechtsprechung ist allerdings nicht ersichtlich. Quintessenz: Das Insolvenzgericht hat nicht über das Bestehen bestrittener Forderungen zu befinden, sondern - wenn nicht wenigstens ein vorläufig vollstreckbarer Titel vorliegt - den Eröffnungsantrag zurückzuweisen.

    Uhlenbruck (§ 17 Rn. 12) formuliert auch etwas schwammig und verweist lediglich auf den MünchKomm-InsO.
    Bußhardt (in: Braun, InsO, § 17 Rn. 16) beschränkt sich auf einen tollen Satz: "Hinsichtlich streitiger Verbindlichkeiten ist eine Einzelfallbewertung vorzunehmen."

    Oder noch: Schneider/Roth, ZInsO 2006, 236.

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  • Steuerbescheide sind immer vorläufig vollstreckbar, aber reicht das zu. Ich komme so langsam zu der Meinung - wohl ja. Aber ich werde unseren Steuerberater mal um DStR 2008, 1787 bitten und vielleicht mal einen anderen Gläubiger um einen Zuruf bitten, welche Forderungen seinerseits noch bestehen. Erst einmal :dankescho und eine gute Nacht.

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  • Du schreibst, das FA schätze "seit Jahren" und der Schuldner gehe gegen die Bescheide nicht vor. Danach müßten die Steuerbescheide bestandskräftig sein.
    Damit erübrigt sich m.E. großes Grübeln von Seiten des Gutachters. Wenn der Schuldner nicht darlegt, daß die Bescheide steuerverfahrensrechtlich noch korrigierbar sind, ist sein "Bestreiten" so relevant wie bei einer durch Urteil eines Zivilgerichts rechtskräftig titulierten Gläubigerforderung.

  • Schätzungen können meines Erachtens auch dann durch die Einreichung von Steuererklärungen "revidiert" werden, wenn die Schätzungen schon lange zurückliegen. Ich habe mich jetzt für die Meinung Uhlenbrucks entschieden, die besagt, dass die Forderungen dann beachtlich sind, wenn mindestens ein vorläufig vollstreckbarer Titel vorliegt. Das ist hier der Fall. Meine Kontrollüberlegung ist auch, dass der Schuldner gar nicht bestreitet, dass weitere Gläubiger mit fälligen Forderungen existieren. Er benennt auch die Forderungshöhe von diesen, legt aber Namen und Teilbeträge nicht vor.

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  • Auch wenn Vorauszahlungen grundsätzlich unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen, also änderbar sind, gilt das nur innerhalb der Festsetzungsfrist. Das Finanzamt wird aber auch irgendwann die Jahres-Umsatzsteuer schätzen. Und der Jahresbescheid wird nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen - und somit bestandskräftig - sein. Dann ist nichts mehr änderbar.

    ... denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben. Römer 13,6

  • Ich meine, Du solltest hier besser die Kommentierung zu § 14 hinzuziehen und bin daher der gleichen Meinung wie Du und die hM-RF (herrschende Meinung im Rechtspflegerforum): Es reicht aus, wenn mindestens ein Teilbetrag, z.B. durch Titulierung, glaubhaft ist.

  • Schätzungen können meines Erachtens auch dann durch die Einreichung von Steuererklärungen "revidiert" werden, wenn die Schätzungen schon lange zurückliegen.


    Nope. Wie Exec.
    Hatte hier vor einiger Zeit auch einen Fall, in dem der Schuldner jahrelang keine Steuererklärungen abgegeben hatte und dann, im Insolvenzverfahren, nachträglich Erklärungen einreichen und die durch bestandskräftige Schätzungsbescheide festgesetzten Steuerforderungen bestreiten wollte. Dazu hätte aber Wiedereinsetzung in die vor Jahren abgelaufenen Einspruchsfristen gewährt werden müssen. Keine Chance.

  • Zur Ergänzung zwei Gedanken...

    "1. Ein Antrag des Finanzamtes auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig, wenn der Antrag nur zur Existenzvernichtung des Steuerpflichtigen oder lediglich als Druckmittel für die Abgabe von Steuererklärungen dient. Ein Ermessensfehler liegt auch vor, wenn feststeht, dass aufgrund einer durchzuführenden Korrektur des Steuerbescheides oder eines Erstattungsanspruches die zur Vollstreckung anstehende Steuerforderung keinen Bestand mehr haben wird oder es sich um eine ausgesprochene Bagatellforderung handelt.

    2. Ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist nicht allein deshalb ermessensfehlerhaft, weil die zu vollstreckende Steuerschuld auf einem noch nicht bestandskräftigen Bescheid beruht."

    BFH, Beschl. vom 01.02.2005 - VII B 180/04


    Und noch eine Entscheidung: Mangelndes Rechtsschutzinteresse bei Antragstellung eines Finanzamts allein wegen Steuerschätzungen:

    AG Kaiserslautern, Beschluss vom 08.07.2005 - InsO IN 157/05, ZInsO 2006, 111

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  • Silberkotelett

    Wäre allenfalls für den Schuldner interessant. Gegs (hier vermutlich als Gutachter?) wird wohl kaum einen finanzgerichtliche Klage gegen den Insolvenzantrag einreichen (können).

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  • Gegs (hier vermutlich als Gutachter?) wird wohl kaum einen finanzgerichtliche Klage gegen den Insolvenzantrag einreichen (können).

    Das natürlich nicht. Aber den Entscheidungen ist aus meiner Sicht schon zu entnehmen, wie mit Steuerschätzungen im Rahmen eines Antragsverfahrens umzugehen ist und wie sie zu würdigen sind.

    Und im Übrigen könnte Gegs als Gutachter auch einen (dezenten) Hinweis an das Gericht aufnehmen, dass die dem Antrag zugrundeliegende Forderung möglicherweise noch erheblich nach unten korrigiert werden muss und daher ein Rechtsschutzinteresse zweifelhaft ist... Aber dafür fehlen belastbare Sachverhaltsangaben.

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Ich hole den gar nicht so alten Thread nochmals hoch.

    Bei mir stellt sich das Problem erneut, diesmal im Rahmen des § 19 InsO (Überschuldung). Zwischen der Gesellschaft mit beschränkter Haftung und dem Finanzamt ist streitig, ob recht hohe Steuerforderungen berechtigt sind. Warum dies so ist, möchte ich für mich behalten. Steuerbescheide sind ergangen, ob diese bestandskräftig sind, ist auch streitig. [Ich werde hier noch doof :(.] Aufgrund der Tatsache, dass die Gesellschaft bei konkret drohender Inanspruchnahme Rückstellungen zu bilden hat, dürfte die Forderung "über einen Umweg" anders als im Rahmen des § 17 InsO maßgeblich sein. Zahlungsunfähigkeit ist übrigens gegeben.

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  • Zahlungsunfähigkeit ist übrigens gegeben.


    Inwiefern kommt es da auf die Überschuldung noch an?

    der Gutachtensauftrag lautet Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; nehme an, dass der Insolvenzrichter beide Fragen beantwortet haben will

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  • So wie Du die Sache schilderst, kann man als Sachverständiger wohl keine vernünftige Aussage treffen. Bei einer solch unklaren Sachlage würde ich dem Gericht Deine Bedenken (vor allem die streitige Bestandskraft) genau aufzeigen, die Steuerforderungen "unter Vorsichtsgesichtpunkten" im Überschuldungsstatus berücksichtigen und wohl eher von einer Überschuldung ausgehen, als eine solche abzulehnen.

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  • Ich verstehe vor allem nicht, wie Finanzämter bei einer derart unklaren Lage unbedingt einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen müssen. Scheint irgendwie zum Sport der Finanzbeamten zu werden.

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