Urteil des EGMR v. 07.02.2013 zum Erbrecht nichtehelicher Kinder in Frankreich

  • Die erbrechtlichen Regelungen wären auch im Mittelalter schon diskriminierend gewesen. Nur galt da die EMRK noch nicht. Einen Bestandsschutz gibt es im Erbrecht eben nicht, weil Erbscheine nicht in materielle Rechtskraft erwachsen.

  • Der 1.1.1958 würde sich auch anbieten. Da ist Deutschland der "EU" beigetreten und schließlich kann der Verstoss gegen die Menschenwürde vom EGMR wohl nur für Erbfälle ab diesem Zeitpunkt beurteilt werden.

    Ausschlaggebend war aber die Ungleichbehandlung von Deutschen innerhalb Deutschlands, nur weil diese aus unterschiedlichen Landesteilen stammen. Die Wiedervereinigung war die Geburtsstunde der ungleichen Erbrechte.

    Die EGMR ist für Deutschland bereits am 03.09.1953 in Kraft getreten (Bek. v. 15.12.1953, BGBl. 1954 II, 14).

  • Danke für den Hinweis Cromwell...wobei ich glaube, dass es den Gesetzgeber eh nicht interessieren dürfte, was wir hier schreiben :D
    Wahrscheinlich wird man wieder ein Monstrum von Übergangsregelung schaffen...

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

    Nachlass-Kanzlei / Büro für gerichtliche Pflegschaften / Nachlasspflegschaften, Nachlassverwaltungen, Testamentsvollstreckungen, Nachlassbetreuungen /
    Nachlasspfleger Thomas Lauk - http://www.thomaslauk.de

  • Von Prinz heute im Grundbuch(!)-Rechtsprechungsthread eingestellt:

    Zum Erbrecht vor dem 1. Juli 1949 geborener nichtehelicher Kinder, hier: teleologische Erweiterung von Art. 5 Satz 2 des Zweiten Erbrechtsgleichstellungsgesetzes (ZwErbGleichG).

    BGH, Beschluss vom 12. Juli 2017, IV ZB 6/15
    http://juris.bundesgerichtshof.de/cg...78&Blank=1.pdf
    = Aufhebung des Beschlusses des KG v. 16.01.2015, 6 W 162/14

    Der BGH neigt dazu (Rückverweisung), das Erbrecht eines am 13.01.1928 (!) geborenen nichtehelichen Kindes in teleologischer Erweiterung von Art. 5 S. 2 des 2. ErbGleichG zu bejahen, obwohl sich der Gesetzgeber klar gegen eine weitergehende Rückwirkung ausgesprochen hat. Der alleinige Umstand, dass sich der Gesetzgeber in der Annahme getäuscht hat, der EGMR werde die neue Stichtagsregelung halten, erscheint mir für eine solche Entscheidung allerdings zu dünn. Die Normierung einer weitergehenden Rückwirkung ist Sache des Gesetzgebers.
    http://dejure.org/dienste/vernet…=6%20W%20162/14




    http://dejure.org/dienste/vernet…=6%20W%20162/14

  • Ich habe aber schon immer gesagt, dass die Ersetzung eines (ungerechten) Stichtages durch einen weiteren (ungerechten und völlig willkürlichen) Stichtag nicht ok sein kann....

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

    Nachlass-Kanzlei / Büro für gerichtliche Pflegschaften / Nachlasspflegschaften, Nachlassverwaltungen, Testamentsvollstreckungen, Nachlassbetreuungen /
    Nachlasspfleger Thomas Lauk - http://www.thomaslauk.de

  • Die Normierung einer weitergehenden Rückwirkung ist Sache des Gesetzgebers.


    Schon, aber die Frage ist ja ob eine Beschränkung der Rückwirkung überhaupt zulässig ist. Einfach ein Datum X zu setzen reicht da nicht aus, und der Gesetzgeber kann - spätestens seit Inkrafttreten des GG - eben nicht einfach machen was er will.

    "Allen ist alles egal, außer der Handyvertrag" - Kraftklub

  • Ein im Jahr 1928 geborenes nichteheliches Kind hatte allerdings im Zeitpunkt seiner Geburt keine Erbaussicht, weil das Grundgesetz - sofern man auf dessen Inkrafttreten abstellt - damals noch nicht galt. Das Abstellen auf das Geburtsjahr erschiene mir weit weniger willkürlich als das Abstellen auf den Zeitpunkt des Erbfalls.

  • Ein im Jahr 1928 geborenes nichteheliches Kind hatte allerdings im Zeitpunkt seiner Geburt keine Erbaussicht, weil das Grundgesetz - sofern man auf dessen Inkrafttreten abstellt - damals noch nicht galt. Das Abstellen auf das Geburtsjahr erschiene mir weit weniger willkürlich als das Abstellen auf den Zeitpunkt des Erbfalls.


    Ja und? Das Grundgesetz gilt für alle, nicht nur für die, die erst nach seinem Inkrafttreten geboren wurden.

    Und das ist auch nichts revolutionär neues: Eine vor 1900 im Geltungsbreich des rheinischen Rechts geborene Frau hatte keine Aussicht daruf, nach einer Heirat ohne Zustimmung ihres Mannes arbeiten zu dürfen, weil der code civil das so vorsah. Trotzdem wäre es nach 1953 nicht mehr zulässig gewesen, ihr das zu verbieten, und seit 1900 war es ja auch nicht mehr so.

    Und warum heute Kindern mit Hinweis darauf, dass die Rechtslage bei ihrer Geburt eine andere war, ein Erbrecht, was anderen Kindern, bei denen die (einfachrechtliche) Rechtslage bei Geburt ebenso war, versagt werden soll, verstehe ich nach wie vor nicht.

    "Allen ist alles egal, außer der Handyvertrag" - Kraftklub

  • Ja, das ist so (ich sagte ja: weniger willkürlich).

    Allerdings war die Altregelung nicht verfassungswidrig, so dass sich die Rechtslage ggf. nicht mit dem Inkraftreten des GG, sondern erst mit dem Wirksamwerden der EMRK (03.09.1953) geändert hätte.

    Was mich an der Entscheidung des BGH - neben den bereits genannten Punkten - in der Sache besonders stört, dass man jetzt auf die Linie einschwenkt, wonach das Erbrecht davon abhängig sei, ob und ggf. welchen Kontakt das Kind zu seinem Vater hatte. Als wenn es hierauf jemals angekommen wäre! Wenn der Vater sein eheliches 18-jähriges Kind rausschmeißt und der Vater sodann 50 Jahre lang (bis zu seinem Tod) keinen Kontakt mehr mit ihm hat, erbt das Kind ja auch.

    Erbrecht nicht als grundsätzliche Entscheidung abhängig vom Status, sondern einzelfallabhängig von den Familienbanden?

  • Die Entscheidung ist materiellrechtlich richtig, aber der BGH hat seine Kompetenzen überschritten. Der Gesetzgeber hat doch gerade gesehen, dass es das Risiko weiterer Verfahren beim EGMR gibt. Er hat sich trotzdem für den Stichtag entschieden. Der BGH hätte nach Art. 100 GG vorlegen müssen. Denn die Stichtagsregelung ist (entgegen der früheren Ansicht des BVerfG) auch verfassungswidrig und nicht nur menschenrechtswidrig.

  • https://www.haufe.de/recht/familien…220_421226.html

    Frage an die Nachlassgerichte:

    Was machen wir jetzt mit den abgeschlossenen Altfällen?

    Das wurden sicher nicht wenige aus heutiger Sicht nun "unrichtige" Erbscheine produziert.

    Kein Mensch kann alle alten Verfahren durchsehen und es wurden sicher oft auch solche Nekis noch nichtmal im Erbscheinsantrag erwähnt - Sie waren ja nicht verwandt!!!!

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

    Nachlass-Kanzlei / Büro für gerichtliche Pflegschaften / Nachlasspflegschaften, Nachlassverwaltungen, Testamentsvollstreckungen, Nachlassbetreuungen /
    Nachlasspfleger Thomas Lauk - http://www.thomaslauk.de

  • Das meine ich auch. Von Amts wegen ist das -aus meiner Sicht- nicht zu stemmen und vielleicht von Vielen auch gar nicht beabsichtigt. Ich meine von vielen Betroffenen. Von den Begünstigten möchte ich da gar nicht sprechen.

    Esra 7, Vers 25
    Du aber, Esra, setze nach der Weisheit deines Gottes, die in deiner Hand ist, Richter und Rechtspfleger ein, die allem Volk jenseits des Euphrat Recht sprechen, nämlich allen, die das Gesetz deines Gottes kennen; und wer es nicht kennt, den sollt ihr es lehren.

  • Wie gesagt: Theoretisch kann jeder Fall vor dem 29.05.2009 betroffen sein, wenn die Beteiligten davon ausgingen, dass ein vor dem 01.07.1949 geborenes Neki nicht verwandt ist und es deswegen (zurecht) im Erbscheinsatrag nicht erwähnt wurde. Insofern hat das NLG selbst bei bestem Willen keine Chance, die unrichtigen Fälle aktiv selbst zu ermitteln.

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

    Nachlass-Kanzlei / Büro für gerichtliche Pflegschaften / Nachlasspflegschaften, Nachlassverwaltungen, Testamentsvollstreckungen, Nachlassbetreuungen /
    Nachlasspfleger Thomas Lauk - http://www.thomaslauk.de

  • Beim letzten Nachlasspflegschaftstag in Heilbronn habe ich dazu folgendes ausgeführt:

    Aufgrund der Entscheidung des EGMR i. S. Mitzinger v. Germany vom 09.02.2017 wird der deutsche Gesetzgeber die anhaltenden Forderungen nach einer weitergehenden Rückwirkung der erbrechtlichen Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Abkömmlingen wohl nicht mehr länger ignorieren können. Die zentrale Frage ist dabei weniger, ob man vor dem 29.05.2009 eingetretene und von den vorliegenden Rechtsfragen betroffene Erbfälle wieder aufrollen möchte oder jedenfalls wieder "aufrollbar" machen will, sondern in erster Line, wie weit sich die avisierte Rückwirkung der erbrechtlichen Gleichstellung in die Vergangenheit erstrecken soll. Denn schließlich kommen hierfür mehrere Zeitpunkte in Betracht: Zum einen der 01.07.1998 (Möglichkeit der Gleichstellung mittels Vereinbarung nach Art. 12 § 10a NEhelG a. F.), zum anderen der 01.04.1998 (Inkrafttreten des ErbGleichG vom 16.12.1997, BGBl. I, 2968), des weiteren - schon mehr als ein Vierteljahrhundert früher - der 01.07.1970 (Inkrafttreten des NEhelG vom 19.08.1969, BGBl. I, 1243) und für eine noch weitergehende rückwirkende Ausuferung stehen dann auch noch der Zeitpunkt des Inkrafttreten der EMRK (03.09.1953), oder des Grundgesetzes sowie der Zeitpunkt des Inkrafttretens des BGB zur Verfügung. Wer für eine weitreichende Rückwirkung plädiert, muss jedenfalls auch benennen, aus welchen Gründen diese Rückwirkung wie weit zurückreichen und wie es ggf. vonstatten gehen soll, bereits abgeschlossene Altfälle über Jahrzehnte hinweg neu aufzurollen.

    Da die in Betracht kommenden Erbfälle nirgends registriert sind, wird es zudem vom Zufall abhängen, wer in welchen Familien wann und wie lange tief genugt gräbt, bis diese Alt-Erbfälle wieder ans Licht gelangen. Dass ggf. abertausende Erbscheine und Grundbücher (unbeschadet der Möglichkeit eines zwischenzeitlich eingetretenen gutgläubigen Erwerbs) unrichtig sein könnten, ist auch nicht unbedingt ein erstrebenswertes Szenario, von den Schwierigkeiten einer Rückabwicklung von bereits vor Jahrzehnten stattgefundenen erbrechtlichen Vermögensverschiebungen ganz zu schweigen. Bei einer weit in die Vergangenheit zurückreichenden Rückwirkung ist zudem damit zu rechnen, dass von den betreffenden Fragen nicht mehr die unmittelbar am Erbfall Beteiligten, sondern bereits Erben und Erbeserben der schon vor Jahrzehnten verstorbenen ursprünglichen Beteiligten betroffen sind.

    Auf die weitere Entwicklung und die insoweit angedachten Problemlösungen darf man gespannt sein. Diese "Spannung" erstreckt sich auch auf die Frage, ob diejenigen, die einer in zeitlicher Hinsicht viel weiter zurückreichenden erbrechtlichen Gleichstellung das Wort redeten, sich nun auch an der Lösung der vielfältigen Probleme beteiligen werden, die durch eben diese Gleichstellung erst geschaffen werden. Die negativen Erfahrungen in anderen Rechtsbereichen lassen hier durchaus eine gewisse Skepsis angebracht erscheinen.

  • Richtig. Insofern müßte man sich ggf. sogar von Seiten der Bundesrepublik (für die Rechtssicherheit der Bürger und auch im Hinblick auf die Belastung der Gerichte) überlegen, ob man nicht doch besser ein gesetzlich normiertes Nichtbestehen eines Erbrechts für vor dem 01.07.1949 geborene Nekis (wenn kein DDR-Bezug und Erbfall vor dem 29.05.2009) feststellt und parallel dazu eine gesetzliche Staatshaftung in Höhe des damaligen Nachlasswertes, der dem Neki entgangen ist.

    Immerhin war es ja der Staat, der menschenrechtswidrige Gesetze (!!!) erlassen hat...warum also sollten nun die Beteiligten (oder deren Erben) dafür aufkommen müssen?

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

    Nachlass-Kanzlei / Büro für gerichtliche Pflegschaften / Nachlasspflegschaften, Nachlassverwaltungen, Testamentsvollstreckungen, Nachlassbetreuungen /
    Nachlasspfleger Thomas Lauk - http://www.thomaslauk.de

    Einmal editiert, zuletzt von TL (9. August 2017 um 10:35)

  • ... eine gesetzliche Staatshaftung in Höhe des damaligen Nachlasswertes, der dem Neki entgangen ist.

    Dabei aber nicht vergessen, auch die Leute zu entschädigen, die selber gar kein Neki sind, aber eines in der Verwandtschaft haben. :teufel:

    Es gibt nämlich sicherlich jede Menge Fälle, wo man :eek: menschenrechtswidrig :eek: die Halbgeschwister eines später kinderlos verstorbenen Neki übergangen hat.

  • So witzig ist das nicht!

    Die damalige Entscheidung des EGMR von 2009 hat ja der (weiterhin enterbten) Klägerin kein Erbrecht zugesprochen, sondern einen Weg zur Forderung von Schadensersatz ggü. der Bundesrepublik Deutschland eröffnet. Deutschland ist dem (durch die bestehende Gesetzgebung) in seinen Menschenrechten verletzten Kläger zum Schadensersatz gegenüber verpflichtet.

    Man muss sich das ja wirklich mal vorstellen...wir reden hier nicht von irdendeinem kommunistischen oder diktatorisch geführten dritte Welt Land! Unser ach so sauberes Deutschland hat über Jahrzehnte Menschen diskriminiert. Das mit dem Erbrecht des nichtehelichen Kindes ist ja fast wie in einem Art Scharia-Recht....wo Männer mehr oder alles erben und Frauen nicht. Nur dass wir bei Kindern unterschieden haben, ob die Eltern einen Trauschein hatten, oder nicht. Selbst wenn die Vaterschaft bestens anerkannt wurde...das Kind war lange Zeit nicht verwandt mit dem Vater....hatte keinerlei Rechte. Der Vater zeugte und anerkannte, aber dann war er (erbrechtlich) aus allem raus....aber Kind ist eben Kind...auch in Deutschland.

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

    Nachlass-Kanzlei / Büro für gerichtliche Pflegschaften / Nachlasspflegschaften, Nachlassverwaltungen, Testamentsvollstreckungen, Nachlassbetreuungen /
    Nachlasspfleger Thomas Lauk - http://www.thomaslauk.de

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!