Räumungsschutz § 765a ZPO

  • Guten Morgen zusammen,
    ich habe einen verzwickten Räumungsschutzantrag, zu dem ich dringend ein paar Ratschläge bräuchte. Der Räumungstermin ist übermorgen, der Antrag landete gestern auf meinem Tisch ! Die Schuldner haben in der Verhandlung im November auf Anraten des Richters anerkannt, so dass Anerkenntnisurteil erging. Der Richter meinte wohl : erkennen Sie einfach an, das ist dann billiger und von der Stadt werden Sie sowieso wiedereingewiesen. Wie sich dann allerdings herausgestellt hat, kommt eine Wiedereinweisung durch die Stadt nun doch nicht in Frage und die Schuldner haben (angeblich) schon alle Hebel in Bewegung gesetzt, um nicht mit ihren 5 Kindern in obdachlosengerechten Hotelzimmern zu landen (so von der Stadt vorgesehen) : Wohnungssuche erfolglos (nicht nachgewiesen), der Oberbürgermeister kann auch nichts machen etc. Die ganze Familie ist mittlerweile psychisch am Ende, insbesondere die Frau, und die eine Tochter beginnt nach den Osterferien mit den schriftlichen Abiturprüfungen... Die 14-Tages-Frist ist ja rum, aber gibt es vielleicht doch noch einen Weg ? Der Mann bemüht sich nun mal um ein ärztliches Attest, was vielleicht konkret etwas über den psychischen Zustand der Ehefrau aussagt und welche Konsequenzen eine Zwangsräumung für die Prüfungen der Tochter haben könnte. Aber reicht das überhaupt um die Frist auszuhebeln ?? Er spielt auch mit dem Gedanken, das Urteil mittels Restitutionsklage anzufechten. Kann bzw. muß ich in diesem Fall dann die Zwangsvollstreckung einstellen oder macht das das Prozeßgericht ? Oder kann ich einstellen mit der Maßgabe, binnen einer Frist von 4 Wochen eine Entscheidung des Prozeßgerichts über die Klage zu erwirken ?? Die Sache eilt, deshalb wäre ich für schnelle Ratschläge sehr dankbar !!
    Grüße...

  • Nach bisherigem Sachvortrag handelt es sich für mich eher um einen Fall der Zurückweisung gem. § 765 a III ZPO, da ich nicht erkennen kann, welche Gründe, auf denen der Antrag beruht, erst während der 2-Wochen-Frist entstanden sind.

    Ein Flugzeug zu erfinden ist nichts - es zu bauen ein Anfang - Fliegen, das ist alles.

    (Otto Lilienthal/Ferdinand Ferber)

  • Der Gläubiger hat sich noch nicht geäußert....Tendiere auch zur Zurückweisung, eben wegen der 14-Tags-Frist und weil es auch keine Umstände sind, die innerhalb der Frist entstanden sind. Die Stadt würde die Familie in 3 Hotelzimmern unterbringen, ist natürlich ein Abstieg wenn man in nem Haus gewohnt hat, aber in meinen Augen keine unzumutbare Härte... Danke schonmal !

  • § 765a ZPO führt nicht dazu, dass die Aufgaben der staatlichen Obdachlosenfürsorge auf den Gläubiger abgewälzt werden können. Es ist Sache des zuständigen Fachamts der Kommune eine Obdachlosigkeit zu verhindern.
    Die Vollstreckungsgerichte sind nicht zur Betreuung des Schuldners berufen, so dass auch deshalb eine drohende Obdachlosigkeit irrelevant ist.
    Das mit den Abiturprüfungen dürfte den Schuldnern bereits hinlänglich bekannt sein, so dass der Antrag unzulässig im Sinne des § 765a III ZPO ist.

    Einwendungen gegen den Titel sind unberücksichtigt zu lassen, da über § 765a ZPO der Titel nicht ausgehebelt werden kann. An die titulierten Feststellungen bist Du als Vollstreckungsgericht auch bei Fehlurteilen gebunden. Der Titel wird nicht infragegestellt.

    Einmal editiert, zuletzt von Der Vollstrecker (13. März 2013 um 10:12) aus folgendem Grund: Ergänzung

  • Der einzige Hebel wären eventuell die Gesundheitsgründe, wenn eine etwaige konkrete, kausale Härte denn überhaupt schlüssig vorgetragen und auch hinreichend nachgewiesen würde.
    Sehe ich nach Deinen Schilderungen bislang aber nicht. Drohender zwangsweiser Umzug geht jedem an die Nerven, dem einen mehr dem anderen weniger, auch uns Rechtspflegern. Das wäre so noch keine besondere Härte im Sinne des § 765a ZPO.

  • Sehe ebenfalls keine besondere Härte. Die vorgenannten Gründe rechtfertigen nicht im geringsten einen § 765a ZPO. Und Versagung nach Absatz 3 ist sowieso gegeben.

    Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit,

    aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher -Albert Einstein-

  • Guten Tag,
    ich habe vorliegend über einen Antrag auf Gewährung von Räumungsschutz nach § 765a ZPO zu entscheiden.
    Der Antrag wurde u.a. damit begründet, dass aufgrund der bevorstehenden Zwangsräumung eine Gefahr eines Suizids für den Schuldner bestehe.
    Die Zwangsvollstreckung wurde zeitlich begrenzt in vollem Umfang einstweilen eingestellt. Um der Frage nachzugehen, ob der Schuldner durch die drohende Zwangsräumung konkret suizidgefährdet sei, wurde die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens (nervenärztliches Gutachten) angeordnet.
    Der Sachverständige kommt in dem nervenärztlichen Gutachten zu folgenden Ergebnis:
    [...] Psychiatrisch finde ich einen depressiv gestimmten und schwer suchtkranken Herrn xx vor, der in seinem Denken erheblich eingeengt ist. Er ist subdepressiv gestimmt, affektiv deutlich reduziert schwingungsfähig, leicht reizbar, unterschwellig aggressiv. Suizidalität liegt nicht vor, jedoch wird eine autoaggressive Grundhaltung durchaus erkennbar [...]
    [...] Dadurch und die aus zukünftig anzunehmenden Zustände alkoholtoxischer Enthemmung ist die Gefahr einer Suizidhandlung im Rahmen einer abnormen Erlebnisreaktion durchaus denkbar. Akute Suizidalität besteht nicht, jedoch wird auch bereits jetzt ein selbstschädigendes Verhalten in Kauf genommen, durchaus glaubhaft, ist die Drohung, im Falle einer Vollstreckungsmaßnahme autoaggressiv (Suizidhandlung) zu reagieren. [...] Eine Selbstgefährdung bei Herrn xx liegt vor, sofern eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme durchgeführt wird.

    Jetzt weiß ich bei meiner Entscheidung nicht so recht weiter.
    Einerseits wird bestätigt, dass
    -Suizidalität nicht vorliege / akute Suizidalität nicht vorliege.
    Andererseits führt der Sachverständige aus, dass
    - im Falle einer Vollstreckungsmaßnahme der Schuldner autoaggressiv (Suizidhandlung) reagieren könne / Eine Selbstgefährdung liegt vor, sofern eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme durchgeführt werde.

    Ich weiß jetzt nicht weiter. Ich finde das widersprüchlich.

  • Mir wäre das im Hinblick auf eine Kausalität zwischen Vollstreckungsmaßnahme und Gesundheitsrisko etwas zu dünn. Wenn man säuft, besteht u. U. bei vielen die Gefahr, im Rausch enthemmt auto- oder fremdagressiv zu reagieren. Insbesondere zum Wahrscheinlichkeitsgrad des Riskeneintritts ist das etwas nebulös.
    Andere Meinungen?

    Wie haben sich denn die primär für den Lebens- und Gesundheitsschutz zuständigen Stellen positioniert?

  • Ich sehe das in der Interpretation des genannten Textes anders, aber das Zitat des Fragestellers ist vielleicht auch nicht wörtlich. Wenn doch, läßt zumindest der Kunjunktiv "autoagressiv (Suizidhandlung) reagieren könne" stutzig machen.
    Jedenfalls ist der Grad der Wahrscheinlichkeit des Riskeneintritts aber nicht genannt. Die Art des Risikos (z. B. intensives Fingenagel-Kauen oder Amoklauf?) ist auch nicht deutlich beschrieben.

  • Wurde dem Sachverständigen denn auch eine Stellungnahme dazu aufgegeben, durch welche Maßnahmen einer Suizidgefahr für den Fall der Durchführung der Räumung begegnet werden kann?

    Eine derartige Beweisfrage ist meines Erachtens unabdingbarer Bestandteil eines solchen Gutachtens (als "bedingte" Fragestellung für den Fall bejahter Suizidgefahr bei Räumung).

  • Mal andersherum gefragt: Welche Folgen hat es, wenn der Schuldner tatsächlich jedenfalls dann suizidgefährdet ist, wenn die Zwangsvollstreckung/räumung gegen ihn betrieben wird? Soll das heißen, dass es der Vermieter bis zum eventuellen Tode des Mieters hinnehmen muss, dass dieser weiter dort wohnt, obwohl er vielleicht keine Miete bezahlt und andere Mieter belästigt (oder was auch immer der Grund für die Kündigung war)?

  • Man kann dem Gl nicht ewig die Vollstreckung untersagen. Das Attest ist zwar nicht gerade toll, aber unbedingt müsste es bei der Betreuung weiter gehen. Um dieses Verfahren durchziehen zu können, ist eine kurze Einstellung vertretbar, aber nicht mehr als 1 Monat. Danach sollte die Betreuung ggf entsprechendes veranlassen, danach Räumung.

  • Mal andersherum gefragt:


    Mit anderen Worten: ergibt sich für den Fall der Vollstreckungsdurchführung eine andere Beurteilung des Gefährdungspotentials als für den Fall des weiteren Vollstreckungsaufschubs?
    Und welches Therapiebemühen entfaltet der Schuldner, sofern Therapie möglich sein sollte?

  • Ich sehe das in der Interpretation des genannten Textes anders, aber das Zitat des Fragestellers ist vielleicht auch nicht wörtlich. Wenn doch, läßt zumindest der Kunjunktiv "autoagressiv (Suizidhandlung) reagieren könne" stutzig machen.
    Jedenfalls ist der Grad der Wahrscheinlichkeit des Riskeneintritts aber nicht genannt. Die Art des Risikos (z. B. intensives Fingenagel-Kauen oder Amoklauf?) ist auch nicht deutlich beschrieben.


    Da hast du recht. Wenn man den von mir zitierten Satz im Indikativ allein betrachtet, kann man ihn hinterfragen:

    In welchem Ausmaß stellt sich denn die Selbstgefährdung dar im Falle der Räumungsvollstreckung.


    Wenn man den Indikativ-Satz mit dem vorherigen Konjunktivsatz zusammen betrachtet, mag ggf. das Ausmaß der Selbstgefährdung in schlechtest denkbarer Weise geklärt sein aber für diesen worst case fehlt tatsächlich eine Aussage zur Prognosewahrscheinlichkeit.

    Insgesamt erscheint mir das mit den hier zitierten Aussagen nicht entscheidungsreif, müsste man wohl nachbessern.

    Dabei sollte man auch m.E. das von Breamter Gesagte einfordern.

  • Guten Morgen,

    vielen Dank für die zahlreiche Beteiligung an dem Fall.

    Noch ein kleiner Nachtrag zum Sachverhalt:

    Der Sachverständigen wurde gebeten auch darauf einzugehen, ob und welche Möglichkeiten hinsichtlich einer Behandlung Suizidgefährdung, -soweit möglich- den Grad der Gefährdung, sowie ob Maßnahmen zur Abwendung der Suizidgefährdung bei Durchführung der Zwangsräumung bestehen.


    Hierzu führte der Sachverständige aus:

    „Schlicht und ergreifend gibt es keine solche Möglichkeit, eine potenzielle Suizidalität (die aller Wahrscheinlichkeit dann auftritt, wenn Herr xx in einer entsprechenden Belastungs- und Einengungssituation bzw. dann in alkoholtoxischer Enthemmung abnorm reagiert) abzuwenden“.

    Die Zwangsvollstreckung erfolgt aus einer Schutzanordnung nach § 1361 b Abs. 2 BGB.

    @Buridans Esel: Die Fragestellung meinerseits “[…]reagieren könne“ usw. war unglücklich gewählt und ergibt sich so nicht aus dem Gutachten.

    Hinsichtlich der weiteren Vorgehensweise bin ich ein wenig ratlos. Ich würde als nächsten Schritt eine Betreuung - für den Aufgabenbereich der Vollstreckungsmaßnahme - anregen. Meinungen?

    Aus bisheriger Erfahrung weiß ich, dass die Einrichtung einer Betreuung etwas länger dauern kann. Das kann m.E. der Gläubigerpartei nicht zugemutet werden.

    Wären andere Maßnahmen denkbar?

    Vielen Dank!

  • Die Zwangsvollstreckung erfolgt aus einer Schutzanordnung nach § 1361 b Abs. 2 BGB.


    Interessant, den Fall kannte ich bislang noch nicht.
    Müßte man das nicht ähnlich wie bei einem Räumungsvergleich berücksichtigen? Der Schutzzweck, der sich aus der Titelart ergibt, setzt ja auch gewisse Ermessensgrenzen, wenn es darum geht, sich über mutmaßliche sittenwidrige Härten Gedanken zu machen.

    Falls der Schuldner die Ehebutze dringend verlassen muss, weil er Frau und Kinder gefährdet, muss er schon gesteigert schlüssig vortragen, dass eine Härte zu seinen Lasten vorliege. Sonst liegt u. U. ein Zirkelschluss vor, denn ich kann nicht eine Gefährdung für den Fall der Vollstreckung vortragen und gleichzeitig selbst den Verbleib im Räumungsobjekt als eine Härte aufrecht erhalten.
    Ich meine hier, dass gerade die attestierten Risiken vielleicht eher dafür sprechen könnten, dass eine Räumung zügig erfolgen sollte. Das kann man aber nur mit konkreter Aktenkenntnis (Akten aus Erkenntnisverfahren beigezogen?) überschauen.

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