Ergänzungspflegschaft bei Knochenmarktransplantation

  • Hallo an die Gemeinde :
    Mich erreicht ein Fall , der mich ( auch menschlich ) beschäftigt , aber nicht bei meinem Gericht "spielt":

    Das Jugendamt XY ist seit einigen Jahren Pfleger für 2 Geschwisterkinder u.a. für Gesundheitssorge . Das ältere Kind ist vor drei Jahren an Leukämie erkrankt. Aufgetretene Tumorzellen werden derzeit wiederholt mit Chemo behandelt . Nachdem jetzt festgestellt wurde, dass die Blutwerte trotz der Chemo weiterhin sehr schlecht sind hat eine Uniklinik empfohlen, eine Knochenmarktransplantation vornehmen zu lassen. Dann muss bekanntlich zunächst ein Knochenmarkspender gefunden werden. Während der Leukämie-Behandlung war auch schon vorsorglich eine Typisierung bei Verwandten vorgenommen worden. Schließlich kam dabei heraus, dass nur der jüngere Bruder ( = Pflegling ) evtl. als Spender infrage kommen könnte.

    Jugendamtsmitarbeiter fragt an,ob für die Knochenmarktransplantation eine Zustimmung vom Amtsgericht benötigt wird . Es stellt sich aber auch die Frage, ob dem jüngeren Kind eine Knochenmarkspende zugemutet werden kann und ob dafür eine Zustimmung vom Familiengericht benötigt wird.


    Ich selbst sehe eine Genehmigungspflicht des Gerichtes nicht.
    Wie ist es aber mit der Interessenkollision des JA , da dieses ja für beide Kinder als Pfleger für die Gesundheitsfürsorge bestellt ist ?

  • Ein Genehmigungserfordernis finde ich auch nicht. Allerdings sehe ich wie Du einen Interessenkonflikt beim Pfleger. Dann müßte wohl für ein Kind für diese eine Sache ein weiterer Pfleger bestellt werden. Wer macht das? Und wen bestellt man in dieser Konstellation?

    Beginne den Tag mit einem Lächeln. Dann hast Du es hinter Dir. (Nico Semsrott)

    "Das Beste an der DDR war der Traum, den wir von ihr hatten." Herrmann Kant in einem Fernsehinterview

  • Auf die Schnelle empfehle ich die Lektüre dieses Aufsatzes:
    http://www.gesr.de/media/gesr_09_11_aufsatz.pdf

    Darin wird der § 8a TPG (Transplantationsgesetz) kritisch unter die Lupe genommen.
    D. Verf. kommt zu dem Schluss:

    "Jedenfalls muss der Gesetzgeber sich aber darum bemühen,
    Eltern, die das Wohl ihres Kindes zu beachten haben,
    von der Belastung mit der Entscheidung über die Schädigung
    des Spenderkindes zu befreien. Diese Befreiung ist
    nötig, sind doch die Eltern insofern eingeklemmt, als jede
    ihrer Entscheidungen eines ihrer Kinder gefährdet."

    Was für die Eltern gilt, das wird für das Jugendamt als Pfleger kein kleinerer Konflikt sein.
    Wie alt ist denn das jüngere Kind? Kann es überhaupt schon selbst einwilligen?

  • Die Kinder sind 13 und 11 Jahre alt.

    Sehe jedenfalls auch eine objektive Interessenkollision .

    Schwierig ist m.E. ( für den neuen zu bestellenden Ergänzungspfleger ) , dass die Entnahme von Knochenmarksgewebe ja isoliert betrachtet , nicht dem Wohl des jüngeren Kindes dient.
    Könnte man sich da auf eine Art „sittliche Verpflichtung“ berufen ?


  • Schwierig ist m.E. ( für den neuen zu bestellenden Ergänzungspfleger ) , dass die Entnahme von Knochenmarksgewebe ja isoliert betrachtet , nicht dem Wohl des jüngeren Kindes dient.


    Ich denke, dass kann man hier nicht so isoliert betrachten!

    Es geht hier darum, dem älteren Bruder eine Chance auf ein (besseres) Überleben verschaffen zu können. Dies dient m.E. schon irgendwie auch dem Wohl des jüngeren Kindes, da die familiäre Situation verbessert wäre, wenn die Spende den erhofften Erfolg bringt. Davon hätte dann auch der Spender etwas, meine ich.

    Ulf

    Alle Äußerungen hier sind als rein private Meinungsäußerung zu verstehen,
    sofern es bei den Beiträgen nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet wird.

  • Dazu heißt es in dem verlinkten Aufsatz:

    "Die Entscheidung des Gesetzgebers ist utilitaristisch motiviert.
    Bei der dargestellten eingeschränkten Erlaubnis
    geht es darum, dem (unterstellten) natürlich-anthropologischen
    Bedürfnis nach Beistand in der Kernfamilie
    keine Hürden in den Weg zu legen und viele geeignete
    Spender zu rekrutieren. Dass der Gesetzgeber mit der
    Freigabe der Knochenmarkspende durch Kinder innerhalb
    der Kernfamilie dasselbe Regelungsmodell verfolgt
    wie bei der Lebendorganspende, folgt daraus, dass Art. 6
    GG es dem Staat verwehrt, die Lebensgestaltung innerhalb
    der Kernfamilie einer (auch rechtlichen) Beurteilung
    von außen zu unterwerfen, solange nicht übergeordnete
    Rechtsgüter verletzt werden."

  • "... Schwierig ist m.E. ( für den neuen zu bestellenden Ergänzungspfleger ) , dass die Entnahme von Knochenmarksgewebe ja isoliert betrachtet , nicht dem Wohl des jüngeren Kindes dient. ..."


    Kommt drauf an. Wenn das jünger Kind wegen einer nicht durchgeführten Knochenmarksspende später massive Schuldgefühle entwickelt, könnt eine Verweigerung der Spende auch dem Kindeswohl entgegenstehen.

  • Ich befürchte jedenfalls , dass über die ( notwendige ) Pflegerbestellung hinaus, für das Gericht eine Beratungspflicht nach § 1837 BGB bestehen könnte.
    Eine ungute Situation ........ auch wenn ein Genehmigungstatbestand nicht greift.

  • Tja, was könnte der betroffene Kollege dem zu bestellenden Ergänzungspfleger tatsächlich raten.
    Ich hab mir mal das durch den Kopf gehen lassen.......und bin derzeit zu diesem Ergebnis gelangt:

    Wenn ich unglücklicherweise dieser Ergänzungspfleger des Spenderkindes wäre, würde ich die Zustimmung zunächst nicht erteilen. Ich finde die Ausführungen von Meridian zum Transplantationsgesetz überzeugend. Bei Kindern sollten Eingriffe in ihre körperliche und seelische Integrität unterbleiben, es sei denn, sie sind für ihr eigenes Überleben notwendig .

    Ich würde als Ergänzungspfleger zunächst "verlangen" , dass noch ( einmal ) ein Suchlauf über die Spenderdatenbank stattfindet, um möglichst einen anderen ( erwachsenen ) Spender zu finden.
    Als Ergänzungspfleger würde ich alles versuchen müssen , um einen Loyalitätskonflikt unter den Geschwistern zu vermeiden.

    Wegen der angesprochenen Schuldgefühle des jüngeren Bruders würde ich möglicherweise auch eine kinderpsychologische Betreuung in Erwägung ziehen.

    Was meint Ihr ?

    In einem solchen Beratungsgespräch nur mit der Schulter zu zucken , wird nicht ausreichen.
    Da es bei dem Thema sehr menschelt, kann natürlich jeder Rat im Rückblick auch ein falscher sein.
    Hinterher ist man bekanntlich immer schlauer.

  • Du sprichst einen Punkt an, der mir gestern auch kurz durch den Kopf schoß (sich dann aber leider wieder verflüchtigte). Bisher scheint ja nur eine Typisierung in der Familie erfolgt zu sein. Von der Suche in Spenderdatenbanken war bisher nicht die Rede gewesen. Auf jeden Fall wird ein "neutraler" Pfleger erst einmal versuchen (müssen), das Kind rauszuhalten.

    Beginne den Tag mit einem Lächeln. Dann hast Du es hinter Dir. (Nico Semsrott)

    "Das Beste an der DDR war der Traum, den wir von ihr hatten." Herrmann Kant in einem Fernsehinterview

  • Mittlerweile ist wohl die Stammzellengewinnung über das Blut die häufigere Anwendung.

    http://www.zkrd.de/de/information…iner_spende.php

    Da das ältere Kind schon seit drei Jahren erkrankt ist, könnte man annehmen, dass in dieser Zeit schon nach einem Spender in der Datenbank gesucht und wohl nicht gefunden wurde.
    Im Nachhinein -wenn der Bruder vllt. schon gestorben ist- eine psychologische Betreuung wegen der Schuldgefühle zu tätigen, ist für den Jüngeren wohl kaum mehr hilfreich, da er dann keinerlei Möglichkeit mehr hat, selbst zu entscheiden. Der Tod ist unumkehrbar.
    Der Psychologe sollte jetzt hinzugezogen werden, um dem Kind kindgerecht zu erklären, worum es geht.
    Es kommt natürlich auch auf den geistigen Entwicklungsstand des 11-jährigen an. Den kennen wir nicht. Denn es gibt durchaus Kinder diesen Alters, die wesentlich weiter sind, als man es bei ihnen erwartet.
    Alleine die Lebensumstände -hier die Krankheit des Bruders, die auch das Umfeld im Verhalten prägt- lassen Kinder oftmals schneller "alt" und somit wesentlich verständiger werden, als andere Kinder diesen Alters.
    Wie würde es sein, wenn der Kleine später einmal erfährt, dass eine Chance für den Großen bestanden hätte, aber ein völlig fremder Mensch entschieden hat, dass sein Bruder sterben soll und alles im Grunde "nur" an einer Blut- oder Knochenmarkspende scheiterte, die er hätte leisten können und wollen, wenn er davon gewusst hätte.
    Schlimmstensfalls möchte ich nicht dieser fremde Mensch sein, der die Entscheidung am Kind vorbei getroffen hat.
    Hier ist die Relation der Spende zu sehen. Es geht nicht um eine Niere, Leberteil oder sonstiges, die eine große OP zur Folge hätte.
    Aber es geht hier im wahrsten Sinne des Wortes um Leben und Tod.
    Und wie ich Kinder kenne, sind sie sehr hilfsbereit, wenn ihnen klar ist, dass nur SIE diejenigen sind, die helfen können.
    Der Kleine sollte jetzt kindgerecht involviert werden und somit einen Teil Mitentscheidung haben, nicht im Nachhinein von der Sache erfahren, wenn vllt. nichts mehr möglich ist.
    Diese im Nachhinein dem Kind bekannt werdende damalige Fremdbestimmung in solch einer wichtigen Sache kann mehr zerstören, als später je ein Psychologe auffangen kann.

  • Das sind m.E. ebenfalls beachtliche Argumente :daumenrau, zumal ein ( neuer ) Suchlauf sicher auch einige Zeit in Anspruch nehmen würde, die man möglicherweise nicht mehr hat.:confused:

    Ich hielte es jedenfalls für fatal, dem Kind mehr oder weniger alleine die Entscheidung über Tod und Leben aufzubürden.
    Dann lieber ( mehr oder weniger ) auch fremdbestimmte Entscheidung.

  • Ich meihne mich zu erinnern, dass bei einer Knochenmarkspende Knochenmark aus dem Hüftknochen entnommen wird. Was zwar schmerzlich ist, aber anstonstens nur die "normalen" OP- Risiken birgt.
    Der Pfeger muss also entscheiden, wieveil Schmerz und Risiko kann dem Jüngeren zugemutet werden, um den Älteren zu retten.

  • Wie würde man als Erwachsener handeln? Seinen Bruder sterben lassen, obwohl man ihm helfen bzw. im wahrsten Sinne des Wortes "retten" könnte?

    Was ein Erwachsener entscheiden würde, kann bei einem nicht entscheidungsfähigen Minderjährigen nicht falsch sein.

    Derlei Dinge werden nach meiner Ansicht viel zu sehr verrechtlicht. Der gesunde Menschenverstand und das, was sich nach moralischen Maßstäben "gehört", gibt quasi bereits die Entscheidung vor. Dass die ggf. bestehenden gesundheitlichen Risiken abgewogen werden müssen und das rechtliche Procedere einzuhalten ist, steht außer Frage.

  • Vielen Dank für die bisherigen Überlegungen , die sicher zunächst der Ergänzungspfleger anstellen müsste.

    Bin zugegeben froh, dass es sich nicht um einen Fall meines Gerichts handelt wie eingangs bereits erwähnt.

  • Die Frage nach dem eventuell schon erfolgten Suchlauf läßt sich sicher schnell beantworten. Auch kann ich mir nicht vorstellen, daß bei der spezialisierten Datenbank eine Abfrage lange dauern kann. Dann kommt der Pfleger um die Entscheidung ohnehin nicht herum. Die können wir ihm auch nciht abnehmen. Beratungsseitig würde ich mich nicht zu weit vorwagen (und heimlich froh sein, daß ich es nicht bin, der vor dem Dilemma steht). Daß der Pfleger auch den gesunden Menschenverstand benutzen darf, hat ja wohl niemand in Abrede gestellt. Eigentlich erwarte ich das von einem Ergänzungspfleger auch.

    Beginne den Tag mit einem Lächeln. Dann hast Du es hinter Dir. (Nico Semsrott)

    "Das Beste an der DDR war der Traum, den wir von ihr hatten." Herrmann Kant in einem Fernsehinterview

  • Ich würde hier auf jeden Fall einen zweiten Pfleger für sehr sinnvoll halten, einfach damit weder Eltern noch JA sich um beide Kinder gleichzeitig kümmern müssen. Wer auch immer es tut, er kann nicht objektiv für beide zugleich entscheiden. Und es ist auch sicher sich spaßig, es für beide zugleich entscheiden zu müssen.

    Schwierig wird es, wenn FED's Idee mit der Datenbank erfolglos bleibt. Dann landet man wieder beim jüngeren Kind als (dann noch mehr) letzte Möglichkeit, und das Rätselraten geht weiter. In letzter Konsequenz läuft das dann darauf hinaus, dass das Kind für sich entscheiden muss, was ihm wichtiger ist (Unversehrtheit oder Bruder), wobei es das mit Hilfe eines Pflegers wenigstens nicht noch nach außen vertreten muss.

    Ein Aspekt wäre vermutlich auch, wie riskant der Eingriff für den Spender ist, worüber ich mich jetzt nicht informiert habe. Und ein anderer, ob das Kind nicht schon mehr weiß oder ahnt, als wir glauben.

    Wäre ich Ergänzungspfleger, würde ich mich zuerst über den Eingriff beim Spender kundig machen und dann, wenn er mir vertretbar erscheint (wie Cromwell sagen würde: Wenn ich ihn bei mir zuließe, wenn ich normal wäre), mit dem Kind besprechen, wie es dazu steht. Ggf. mit einem Psychologen oder was auch immer für Kinder. Klar ist für mich dann, dass das Kind um eine eigene Meinungsfindung nicht herumkommen wird, so hart es vielleicht werden mag. Vielleicht, wer weiß das schon vorher.

    Juppheidi, juppheida, Erbsen sind zum Zählen da ...

  • Allein die Frage, ob das jüngere Kind spenden soll, wäre für mich hier nicht so sehr das Problem. Das Risiko für das Spenderkind dürfte überschaubar sein. Passieren kann auch bei der kleinsten Sache was. Die Schmerzen dürften vernachlässigbar sein, weil ich davon aus gehe, dass ordentlich betäubt wird - zumindest würde ich als Pfleger drauf bestehen. Auch die Angst beim Eingriff selber kann man weitestgehend ausklammern, falls der nicht unter Vollnarkose durchgeführt wird. Dafür gibt es nette Spritzen, da weiß man hinterher nichts mehr.
    Man sollte auch bedenken, dass Kinder von Erwachsenen ganz oft sehr unterschätzt werden. Gerade wenn es um so große gesundheitliche Probleme in der Familie geht, verstehen Kinder sehr viel mehr, als man manchmal glaubt. Mit 11 Jahren ist das Kind ja schon ziemlich groß und ich würde mit ihm sehr offen über die ganze Problematik sprechen. Vermutlich wird das Kind schon lange wissen, dass seinem Bruder nur ein Spender helfen kann und auch dass er das sein könnte.
    Viel problematischer finde ich es, wenn man das Kind nicht als Spender in Anspruch nimmt und der große Bruder stirbt. Das jünger Kind wird allen Beteiligten ein Leben lang Vorwürfe machen und es wird immer von Gewissensbissen geplagt sein ganz abgesehen von der Trauer um den verlorenen Bruder. Eigentlich können beide Geschwister nur gewinnen.

    (Wenn ich da an die Beschneidungen denke - da werden Kindern viel schlimmere Sachen zugemutet, ohne dass sie vorher gefragt werden.)

  • Ich glaube, dass die Spende heute nicht anders abläuft als bei einer Blutspende, sie filtern anschließend die Stammzellen nur aus dem Blut. Aber hierzu kann sich der bestellte Pfleger ja nochmal genauestens schlau machen. Ich denke mal, dass es dem vermutlichen Willen des Kindes entspricht, seinem Bruder/ seiner Schwester zu helfen. Gefahren für die eigene Gesundheit gehen dabei gegen Null, da ist es gefährlicher, in der Großstadt über die Straße zu gehen.

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!