Berliner Testament mit Nacherbfolge?

  • Mir liegt ein ebenso kurzes wie auslegungsbedürftiges privatschriftliches Ehegattentestament vor. Darin haben sich die -inzwischen beide verstorbenen- Eheleute gegenseitig als Erben eingesetzt. Danach folgt nur noch der Satz: "Nach dem Tode des Letztversterbenden von uns sollen unsere Kinder zu gleichen Teilen Erben werden, nach ihnen ihre Kinder".

    Es gibt vier Kinder und diverse Enkel. Einer der Söhne möchte nunmehr einen Erbschein beantragen.

    Ich neige dazu, die vier Kinder nur als Vorerben und deren Kinder (auch Enkelkinder?) als Nacherben anzusehen. Denkbar wäre aber auch, dass nur die Ersatzerbfolge geregelt werden sollte, aber dann hätte es wohl nicht "nach ihnen" heißen dürfen.

    Wie seht Ihr das?

    "Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht." (Abraham Lincoln)

  • Die Formulierung "nach ihnen" kann sowohl für eine Nacherbfolge als auch für eine bloße Ersatzerbfolge sprechen. Wenn man davon ausgeht, dass das Testament von rechtlichen Laien errichtet wurde, könnte man eher dazu tendieren, dass die besagte Formulierung nur die Verteilung nach Stämmen und das Eintrittsrecht der Enkel im Fall des Wegfalls eines Kindes zum Ausdruck bringen sollte. Man wird die Enkel aber zum gestellten Erbscheinsantrag anzuhören haben.

    Wenn es auf eine Nacherbfolge hinausläuft, ist natürlich für jeden Stamm (= für jeden Erbteil) eine eigene Nacherbfolge angeordnet, weil der Erbteil des jeweiligen Kindes natürlich nur auf dessen Abkömmlinge übergehen soll.

  • Bei privatschriftlichen Testamenten würde ich "Nach dem Tode des Letztversterbenden von uns sollen unsere Kinder zu gleichen Teilen Erben werden, nach ihnen ihre Kinder" auch eher als Ersatzerbenbestimmung sehen. Gerade wenn das Testament so kurz ist, kann man kaum darauf schließen, dass die Erblasser eine derart einschneidende Rechtsfolge wie die Vor- und nacherbschaft (und dass dann wohl gar noch wechselbezüglich und nicht befreit!) anordnen wollten.

    Anders wäre es, wenn angeordnet wird, dass "nur" die Enkel "nach" den Kindern erben sollen, oder dass "die Ehegatten unserer Kinder nichts erben und alles auf die Enkel übergeht" oder ähnliche Fromulierungen.

    "Allen ist alles egal, außer der Handyvertrag" - Kraftklub

  • Wenn sehr werthaltiger Nachlass, insbes. Grundeigentum, vorhanden ist, deutet das eher auf Vor- und Nacherbfolge hin, bei kleinem Nachlass eher auf Ersatzerbfolge.

  • So allgemein wird man das nicht sagen können, auch wenn es natürlich ein gewisses Indiz darstellen kann. Die Antwort auf die Frage, ob der Erblasser die "primär" eingesetzten Erben beschränken wollte, ist grundsätzlich nicht davon abhängig, welchen Nachlass der Erblasser hinterlässt.

  • So sind meine Erfahrungen aus der Testamentsberatung. Wenn man nichts eindeutig mehr klären kann, dann würde ich mich an diese (meine) Regel halten.

  • Ich stimme durchaus mit Dir überein, dass die Höhe und Zusammensetzung des Nachlasses für die eine oder die andere Lösung ein Indiz darstellen kann. Im konkreten Einzelfall muss aber zunächst versucht werden, den diesbezüglichen Willen der testierenden Ehegatten zu ermitteln, anstatt sich auf bloße Indizien zurückzuziehen. Im vorliegenden Fall führt an der Anhörung der Enkel ohnehin kein Weg vorbei und man muss zunächst einmal abwarten, was sie vortragen.

    Im Nachlassforum besteht gelegentlich die Neigung, sich auf eine bestimmte Testamentsauslegung festzulegen, noch bevor irgend etwas ermittelt und die Beteiligten angehört wurden.

  • Ich stimme Dir auch zu - allerdings bin ich bei meinen Antworten davon ausgegangen, dass man zuerst die Beteiligten (also auch die Enkel) anhört und wenn sich nichts Brauchbares zur Auslegung ergibt, die Frage hier einstellt.

  • Vielen Dank für die Antworten.

    Ich habe die Problematik eingehend mit den Kindern erörtert und dann auf der Grundlage dieses Gesprächs einen Erbscheinsantrag mit dem Inhalt protokolliert, dass die Kinder (Voll-) Erben zu gleichen Teilen geworden sind. Nun muss die Richterin entscheiden (einige der Enkel sind noch minderjährig und werden von ihren Eltern vertreten, wobei jeweils der eine Elternteil nach dem Antrag Miterbe wird...).

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