Rechtsprechungshinweise Insolvenz

  • Muss der Schuldner dem Insolvenzverwalter mögliche Auskünfte über die ggf. zu erwartende Schadensersatzansprüche wegen begangener Straftaten erteilen, sind diese Informationen dem Insolvenzverwalter gegenüber von vornherein nicht schutzwürdig. Der Insolvenzverwalter kann daher nach § 475 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StPO für diesen Fall auch vollständige Einsicht in die Strafakten verlangen

    AG Kiel, Beschl. v. 6. 10. 2017 - 43 Gs 4159/17

  • Sinn und Zweck der Zwangsvollstreckungsregeln der ZPO bestehen darin, dem Gläubiger einen staatlich geregelten Weg zu eröffnen, um eine titulierte Forderung auch tatsächlich durchsetzen zu können. Diesem Gläubigerinteresse steht das verfassungsrechtlich durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Schuldners (Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG) und das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) geschützte Interesse des Schuldners an einer Sicherung seiner Existenzgrundlage gegenüber. Der Gesetzgeber hat diesen Schutzauftrag in den §§ 850 ff. ZPO ausgeführt und darin dem Schuldner einen angemessenen Schutz vor der Pfändung des Arbeitseinkommens gewährt. Bei der Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften über den Pfändungsschutz von Arbeitseinkommen ist im Einzelfall eine Abwägung der wechselseitigen Interessen von Gläubiger und Schuldner geboten.

    Zu den Erschwerniszulagen i.S.v. § 850a Nr. 3 ZPO gehören nicht nur Zuschläge, die für besondere Erschwernisse der Arbeitsleistung als solcher gezahlt werden, sondern grundsätzlich auch Zeitzuschläge, die für ungünstige Arbeitszeiten entrichtet werden. Auch dies sind "Erschwernisse" im Sinne dieser Bestimmung.

    Der nach dem Wortlaut des § 850a Nr. 3 ZPO weit gefasste Pfändungsschutz bei Erschwerniszulagen bedarf einer sachlichen Begrenzung, damit nicht uferlos Entgeltbestandteile der Pfändung entzogen und so berechtigte Gläubigerinteressen beeinträchtigt werden. Für die danach erforderliche Bestimmung der Reichweite des durch § 850a Nr. 3 ZPO vermittelten Schutzes von Erschwerniszulagen vor dem Gläubigerzugriff sind anderweitige gesetzgeberische Wertungen heranzuziehen, aus denen geschlossen werden kann, dass der Gesetzgeber die Lage der Arbeitszeit nicht nur als ungünstig, sondern als besonders belastend ansieht.

    Dies ist bei Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit der Fall, wie Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV, § 6 Abs. 5, § 9 Abs. 1 ArbZG, § 8 Abs. 1 MuSchG zeigen. Demgegenüber fehlt es bei Zuschlägen für (Wechsel-)Schicht-, Samstags- und Vorfeiertagsarbeit an einer gleichgewichtigen gesetzgeberischen Wertung. Der "Rahmen des Üblichen", in dem Erschwerniszulagen gemäß § 850a Nr. 3 ZPO der Höhe nach pfändungsfrei sind, ist in Anlehnung an § 3b EStG zu bestimmen.


    BAG, Urt. v. 23. 8. 2017 - 10 AZR 859/16

  • Auf einen isolierten Sachverständigen, der nicht zugleich zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt ist, findet § 9 Abs. 2 JVEG keine - auch nicht analoge - Anwendung.

    Für die Bemessung der Vergütung dieses Sachverständigen - ein freier Marktwert besteht insoweit nicht - ist deshalb auf § 9 Abs. 1 Satz 3 JVEG abzustellen. Das bedeutet, dass die Leistung, die auf einem Sachgebiet erbracht wird, das in keine Honorargruppe genannt wird, nach billigem Ermessen einer Honorargruppe zuzuordnen und dabei der allgemein für eine Leistung dieser Art außergerichtlich und außerbehördlich vereinbarte Stundensatz zu berücksichtigen ist.

    Für die Zuordnung zu einer Honorargruppe ist allein auf die Entscheidung über die Heranziehung, wie sie sich aus dem Inhalt des Beweisbeschlusses ergibt, abzustellen.


    OLG Bamberg, Beschl. v. 29. 9. 2017 - 8 W 75/17

  • Die Tätigkeit des Sachverständigen im Insolvenzeröffnungsverfahren ist als "Unternehmensbewertung" anzusehen, denn bei der Frage, ob der Schuldner zahlungsunfähig ist und ob eine die Kosten des Verfahrens deckende Masse vorhanden ist, muss der Sachverständige eine Tätigkeit ausüben, die gerade darauf ausgerichtet ist, die finanzielle und wirtschaftliche Seite zu überprüfen.

    Einschlägig für die Vergütung des Sachverständigen ist nach § 9 Abs. 1 Nr. 6 JVEG die Untergruppe "Unternehmensbewertung", sodass von der Honorarstufe 11 mit einem Stundensatz von 115 € auszugehen ist.


    LG Göttingen, Beschl. v. 11. 8. 2016 - 10 T 50/16

  • Altersvorsorgevermögen aus Riester-Renten ist unpfändbar, soweit die vom Schuldner erbrachten Altersvorsorgebeiträge tatsächlich gefördert worden sind.

    Versäumnisurteil vom 16. November 2017 – IX ZR 21/17

    Der unter anderem für Insolvenzrecht zuständige IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass das in einem Riester-Vertrag angesparte Guthaben nicht pfändbar ist, soweit die vom Schuldner erbrachten Altersvorsorgebeiträge tatsächlich gefördert werden und den Höchstbetrag nicht übersteigen.

    Dem Insolvenzverwalter steht ein Kündigungsrecht nur zu, wenn der Rentenversicherungsvertrag dem Insolvenzbeschlag unterliegt.

    Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, gehören nicht zur Insolvenzmasse. Ob das in einem Riester-Vertrag angesparte Guthaben pfändbar ist und damit der Zwangsvollstreckung unterliegt, richtet sich nach § 851 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 97 Satz 1 EStG.

    Da diese Ansprüche kraft gesetzlicher Anordnung nicht übertragbar sind, sind sie auch nicht pfändbar.

    Mitteilung der Pressestelle des BGH vom 16.11.2017

  • BGH, Urteil vom 19. Oktober 2017 - IX ZR 3/17

    Ein Vollstreckungsschuldner verfügt nur dann über das Pfändungsschutzkonto, wenn er die kontoführende Bank anweist, einen Zahlungsvorgang auszulösen, und diese den beauftragten Zahlungsvorgang ausführt. Der vergebliche Versuch einer Barabhebung stellt keine Verfügung über den Freibetrag dar.

    Verfügungen, die der Schuldner über sein pfandfreies Guthaben trifft, sind zunächst auf das übertragene Restguthaben aus dem Vormonat anzurechnen und erst nach dessen Erschöpfung auf den neuen Sockelfreibetrag des aktuellen Monats (First-in-first-out-Prinzip).

    [SIGPIC] [/SIGPIC] Vertrauue miiir (Kaa: Das Dschungelbuch, 4. Akt, 3. Szene)

  • BGH, Urteil vom 12. Oktober 2017 - IX ZR 50/15

    Zeigt der Schuldner ein nach außen hervortretendes Verhalten, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen, liegt auch dann Zahlungseinstellung vor, wenn der Schuldner tatsächlich nur zahlungsunwillig ist.

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  • BGH, Urteil vom 24. Oktober 2017 - II ZR 16/16

    Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines GmbH-Gesellschafters führt regelmäßig zur Unterbrechung eines Beschlussmängelrechtsstreits des Gesellschafters.

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  • BGH, Urteil vom 17. Oktober 2017 - XI ZR 419/15

    1. Hebt der Inhaber eines Pfändungsschutzkontos, das ein Guthaben aufweist, von diesem Konto am letzten Tag des Monats, einem Samstag, an einem Bankautomaten des kontoführenden Kreditinstituts einen Geldbetrag ab, der das Guthaben nicht übersteigt, so hat er an diesem Tag im Sinne von § 850k Abs. 1 Satz 1 und 3 ZPO über sein Guthaben auf dem Pfändungsschutzkonto verfügt, auch wenn das Kreditinstitut die Buchung auf dem Girokonto erst am darauf folgenden Montag vornimmt.

    2. Verfügt der Kontoinhaber nur über einen Teil seines Guthabens auf dem Pfän-dungsschutzkonto, das sich zusammensetzt aus im laufenden Monat gutgeschriebenen Beträgen und aus Guthaben aus dem Vormonat, das gemäß § 850k Abs. 1 Satz 3 ZPO nicht von der Pfändung erfasst wird, so ist diese Verfügung zunächst auf das pfändungsfreie Guthaben aus dem Vormonat anzurechnen.

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  • LG Göttingen, Beschluss vom 26.10.2017, 10 T 55/17, n.r. ohne Leitsatz

    Gem. § 290 II InsO n.F. ist über einen Versagungsantrag erst im Anschluss an den Schlusstermin zu entscheiden. Es ist hinzunehmen, dass u.U. mehrere Anträge gesammelt werden und der Schuldner über eine mögliche Versagung der RSB erst zu einem späteren Zeitpunkt Gewissheit hat.

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  • Die Anforderungen an ein (ggf. auch Verzug begründendes) Forderungsschreiben können nicht mit einer Klageschrift gleichgesetzt werden. Insbesondere ist der Forderungsinhaber nicht verpflichtet, die schlüssig vorgetragene Forderung vorprozessual zu belegen. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn der spätere Beklagte ohne weiteres in der Lage ist, durch die Angaben des Klägers etwaige Belege einzusehen, die sich in seinem Einflussbereich befinden.

    OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30. 10. 2017 - 3 W 5/17

  • Eine anfechtungsrelevante Rechtshandlung i.S.d. §§ 129, 133 InsO setzt ein willensgeleitetes, verantwortungsgesteuertes Verhalten des Schuldners voraus. Letzterer muss von daher selbst darüber entscheiden können, ob er eine Leistung erbringt oder verweigert. Diese Möglichkeit, über den angeforderten Betrag nach seinem Belieben zu verfügen, wird dem Schuldner nicht allein schon dadurch genommen, dass die Einzelzwangsvollstreckung ihm gegenüber bereits begonnen hat (vgl. BGH, Urt. v. 6.7.2017 - IX ZR 178/16, ZInsO 2017, 1881) und die (abschließende) Einzahlung des festgesetzten ordnungsbehördlichen Bußgeldes bei der Gerichtskasse (auch) zur Abwendung der Vollziehung der angeordneten Erzwingungshaft erfolgt ist.

    OLG Köln, Urt. v. 25. 10. 2017 - 2 U 17/17

  • § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO schreibt keine Prüfungsreihenfolge zwischen rechnerischer Überschuldung und Fortführungsprognose vor.

    Bei der Prüfung der rechnerischen Überschuldung gemäß § 19 InsO finden im Interesse des Gläubiger- und Verkehrsschutzes die Grundsätze vorsichtiger Bewertung entsprechende Anwendung, z.B. bei der Bewertung streitiger Forderungen.

    Die Fortführungsprognose ist im Kern eine Zahlungsfähigkeitsprognose, die einer nachvollziehbaren Vermögens-, Ertrags- und Finanzplanung bedarf.

    Sie setzt grundsätzlich voraus, dass der Geschäftsführer davon ausgehen darf, dass das Unternehmen trotz der wirtschaftlichen Krise nach dem Willen der Gesellschafter fortgeführt werden soll und dass die Gesellschaft ihre Verbindlichkeiten in der nächsten Zeit, im Allgemeinen mindestens bis zum Ende des nächsten und folgenden Geschäftsjahres, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit wird erfüllen können.


    OLG Hamburg, Urt. v. 13. 10. 2017 - 11 U 53/17

  • Sind im Rahmen der Ladung zur Erörterung und Abstimmung über einen Insolvenzplan die Gläubiger auf die Regelung des § 253 Abs. 3 InsO in verständlicher Form hingewiesen worden, bedarf es einer weiteren Belehrung und Befragung von Gläubigern im Termin, ob Widerspruch gegen den Plan erhoben werde, nicht. Ein Widerspruch gegen den Plan hat schriftlich zu erfolgen oder ist im Termin zu Protokoll zu geben.

    LG Köln, Beschl. v. 18. 9. 2017 - 1 T 349/17

  • Übernimmt ein Steuerberater - mandatserweiternd - die Prüfung der Insolvenzreife der Gesellschaft, dann obliegt ihm in diesem Zusammenhang nicht auch die Beantwortung der (Rechts-)Frage nach einer zivilrechtlichen (Un-)Wirksamkeit einer vorhandenen Rangrücktrittsvereinbarung aufgrund etwaiger Kündigung derselben aus wichtigem Grund für die Zukunft. Er hat insoweit vielmehr lediglich das Vorliegen einer Rangrücktrittsverpflichtung als solches zu überprüfen und kann dabei von deren Wirksamkeit so lange ausgehen, wie nicht offensichtliche Unwirksamkeitsgründe erkennbar sind und er deshalb die Beurteilung der Insolvenzreife nicht (mehr) ohne Berücksichtigung der zurückgetretenen Schulden vornehmen kann.

    Bei der Frage einer möglichen (Un-)Wirksamkeit einer Rangrücktrittsvereinbarung handelt es sich nämlich um ein erkennbar hochkomplexes schuldrechtliches/insolvenzrechtliches Problem, dass in der Rechtsprechung und Rechtsliteratur unterschiedlich diskutiert wird und zu dessen Auflösung der Steuerberater beruflich nicht ausgebildet ist. Abgesehen davon würde dabei auch eine klassische Rechtsberatung vorliegen, die einem Steuerberater nach § 5 RDG untersagt ist und die auch nicht mehr als (bloße) Nebenleistung zu dessen Berufsbild eingestuft werden könnte.


    LG Münster, Urt. v. 23. 8. 2017 - 110 O 40/16

  • Der Gesellschafter ist für die Erfüllung seiner Verpflichtung, die gesellschaftsvertraglich übernommene Stammeinlage an die Gesellschaft zu zahlen, darlegungs- und beweisbelastet.

    Wurde die Stammeinlage an die Gesellschaft gezahlt, ist solange von der Erfüllung der Einlageschuld auszugehen, wie der Insolvenzverwalter keinen konkreten Anhaltspunkt dazu vorträgt, dass die Gesellschaft (tatsächlich/rechtlich) daran gehindert war, über den eingezahlten Betrag zu verfügen.

    Es wird widerleglich vermutet, dass die Einzahlung der Stammeinlage nicht zur freien Verfügung der Geschäftsführung stand, wenn sie in einem engen Zusammenhang zwischen Gesellschafter und Gesellschaft hin- und hergezahlt wird.


    OLG Jena, Urt. v. 19. 4. 2017 - 2 U 18/15

  • Eine Neuberechnung der Vergütungsforderung ist mit einer im Beschwerdeverfahren noch zulässigen Antragsänderung gem. §§ 263 ff. ZPO nicht zu vereinbaren, wenn der dem auf Zahlung in Euro gerichteten Vergütungsantrag zugrunde liegende Lebenssachverhalt vollständig ausgetauscht wurde, indem der Antragsteller erstmals erklärt, Tätigkeiten hinsichtlich der seinerzeit irrtümlich als massefremd gewerteten Immobilien entfaltet zu haben.

    LG Hamburg, Beschl. v. 19. 10. 2017 - 330 T 30/17

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