Rechtsprechungshinweise Insolvenz

  • Solange und soweit die Einzugsstelle keinen vollstreckbaren Bescheid über die im Rahmen der sozialversicherungsrechtlichen Betriebsprüfung festgestellten und sodann von ihr zur Insolvenztabelle angemeldeten rückständigen Beitragsforderungen erlassen hat, fehlt dem Schuldner das für eine negative Feststellungsklage nach §§ 184 Abs. 2, 185 InsO erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.

    Dies gilt selbst dann, wenn der Rentenversicherungsträger im Rahmen einer Betriebsprüfung nach § 28 Abs. 1 Satz 5 SGB IV einen Zahlungs-Leistungsbescheid erlässt, denn der Beitragseinzug selbst ist allein Sache der Einzugsstelle als Gläubiger der Sozialversicherungsbeiträge und von dieser in einem gesonderten Verwaltungsverfahren gegenüber dem Schuldner mittels eigenen Bescheids umzusetzen (vgl. BSG, Urt. v. 28.5.2015 - B 12 R 1613 R, ZInsO 2015, 2583).


    SG Itzehoe, Urt. v. 10. 8. 2017 - S 20 KR 121/14

  • Die Wirkung der Restschuldbefreiung gestattet es dem Schuldner jederzeit gegenüber dem Gläubiger die Erklärung abzugeben, er sei bereit, die Forderung zu tilgen. Schließt in dieser Situation ein anwaltlich vertretener Kläger in Kenntnis der gesamten Sachlage einen Vergleich, in welchem er sich zum Ausgleich einer zuvor erfolgten Überzahlung verpflichtet, so kann dies nach dem gesetzlichen Maßstab (§§ 133, 157 BGB) für die Auslegung von Willenserklärungen nicht anders als ein Verzicht des Schuldners auf die Anwendung der Regelung des § 301 InsO gegenüber dem Gläubiger ausgelegt werden.

    Eine Überprüfung nach § 44 SGB X scheidet aus, wenn durch den gerichtlichen Vergleich der Sachverhalt abschließend geregelt werden sollte. In diesen Fällen ist den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens vor dem Hintergrund des Konsenses der Beteiligten der Vorrang vor dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit zuzubilligen.


    SG Trier, Urt. v. 17. 2. 2017 - S 4 R 9/16

  • Wenn sich der Ort der Hauptverwaltung einer Gesellschaft nicht an ihrem satzungsmäßigen Sitz befindet, kann das Vorhandensein von Gesellschaftsaktiva und das Bestehen von Verträgen über deren finanzielle Nutzung in einem anderen Mitgliedstaat als dem des satzungsmäßigen Sitzes der Gesellschaft nur dann als zur Widerlegung der Vermutung des Art. 3 Abs. 1 Satz 3 EuInsVO ausreichende Faktoren angesehen werden können, wenn eine Gesamtbetrachtung aller relevanten Faktoren die von Dritten überprüfbare Feststellung zulässt, dass sich der tatsächliche Mittelpunkt der Verwaltung und der Kontrolle der Gesellschaft sowie der Verwaltung ihrer Interessen in diesem anderen Mitgliedstaat befindet.

    Als Ergebnis einer Gesamtschau der wesentlichen Umstände (gesellschaftsrechtliche Eingliederung, Unternehmenssteuerung, Flugbetrieb) befindet sich der maßgebliche, nach außen als solcher sichtbare effektive Verwaltungssitz der Schuldnerin (NIKI) in Berlin, von hier aus erfolgt ferner die Kontrolle und die wesentliche Verwaltung der maßgeblichen Gesellschaftsinteressen, sodass von der internationalen Zuständigkeit der deutschen Insolvenzgerichtsbarkeit auszugehen ist.


    AG Charlottenburg, Beschl. v. 13. 12. 2017 - 36n IN 6433/17

  • Wird ein Geschäftsführer zugleich im Namen der Gesellschaft und in eigenem Namen rechtsgeschäftlich oder tatsächlich tätig, unterliegt er nach ganz überwiegender Meinung außerdem zusätzlichen Bindungen. Seine Loyalitätspflicht gegenüber der Gesellschaft verlangt besondere Rücksicht. Liegt ein "Interessenkonflikt" vor, so hat er besonders darauf zu achten, dass die Maßnahme aus Sicht der Gesellschaft fair und angemessen ist.

    OLG Frankfurt/M., Urt. v. 2. 6. 2017 - 25 U 107/13

  • Die Abschlagstatbestände des § 3 Abs. 2 InsVV beruhen auf einem geringen Umfang der Tätigkeit des Insolvenzverwalters bzw. auf einer Arbeitsersparnis seinerseits. Das bedeutet jedoch zugleich auch, dass nicht in jedem Fall der vorläufigen Verwaltung die Vergütung des Insolvenzverwalters zu kürzen ist. Die Sachverständigentätigkeit allein begründet keine Arbeitsersparnis und keinen Abschlag.

    LG Berlin, Beschl. v. 21. 11. 2017 - 20 T 120/17

  • Zur Insolvenz von NIKI:
    Der Beschluß des AG Charlottenburg wurde vom Landgericht Berlin zum Aktenzeichen 84 T 2/18 mit Beschluß vom 8. Januar 2018 aufgehoben. Die zugelassene Rechtsbeschwerde zum BGH wurde lt. Presse (http://www.handelsblatt.com/unternehmen/ha…n/20828204.html) eingelegt.

    Beginne den Tag mit einem Lächeln. Dann hast Du es hinter Dir. (Nico Semsrott)

    "Das Beste an der DDR war der Traum, den wir von ihr hatten." Herrmann Kant in einem Fernsehinterview

  • BGH, Versäumnisurteil vom 16. November 2017 - IX ZR 21/17

    a) Wenn und soweit das in einem Altersvorsorgevertrag im Sinne der §§ 1, 5 Alt-ZertG angesparte Kapital aus gefördertem Altersvorsorgevermögen, geförderten laufenden Altersvorsorgebeiträgen oder gezahlten Zulagen stammt, ist es auch dann unpfändbar, wenn der Schuldner berechtigt ist, den Altersvorsorgevertrag jederzeit zu kündigen.

    b) Die Unpfändbarkeit des angesparten Kapitals eines Altersvorsorgevertrags tritt nur ein, soweit der Altersvorsorgevertrag im Zeitpunkt der Pfändung förderfähig war, ein Antrag auf eine Zulage (§ 89 EStG) für die entsprechenden Beitragsjahre (§ 88 EStG) bereits gestellt war und die Voraussetzungen für eine Zulage (§§ 83 ff EStG) vorlagen oder eine Zulage bereits gewährt worden war.


    [SIGPIC] [/SIGPIC] Vertrauue miiir (Kaa: Das Dschungelbuch, 4. Akt, 3. Szene)

  • BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2017 - IX ZB 101/15

    Die Mindestvergütung des Insolvenzverwalters kann - insbesondere unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 InsVV - im Wege eines Abschlags gekürzt werden, wenn der qualitative und quantitative Zuschnitt des Verfahrens erheblich hinter den Kriterien eines durchschnittlichen massearmen Verfahrens zurückbleibt und der Regelsatz der Mindestvergütung deshalb zu einer unangemessen hohen Vergütung führen würde.

    a) In einem Verbraucherinsolvenzverfahren schließt die Regelung in § 13 InsVV nF über die Ermäßigung der Mindestvergütung des Insolvenzverwalters Abschläge von der Mindestvergütung nach § 3 Abs. 2 InsVV nicht aus.

    b) Die Prüfung, ob die Vermögensverhältnisse des Schuldners überschaubar sind und die Zahl der Gläubiger oder die Höhe der Verbindlichkeiten gering ist, hat sich, wenn der Regelsatz der Mindestvergütung unterschritten werden soll, auch in einem Verbraucherinsolvenzverfahren am Durchschnitt der massearmen Verfahren auszurichten.

    c) Die Vergütung des Insolvenzverwalters in einem Verbraucherinsolvenzverfahren darf nicht unter der Mindestvergütung liegen, die einem Treuhänder nach § 13 InsVV aF zu gewähren war.

    [SIGPIC] [/SIGPIC] Vertrauue miiir (Kaa: Das Dschungelbuch, 4. Akt, 3. Szene)

  • BGH, Urteil vom 14. Dezember 2017 - IX ZR 118/17

    Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Insolvenzverwalter führt nicht dazu, dass die Verjährung von Altmasseverbindlichkeiten gehemmt wird.

    Die Parteien können auch dann ein die Verjährung hemmendes Stillhalteabkommen vereinbaren, wenn der Insolvenzverwalter sich aufgrund der Anzeige der Masseun-zulänglichkeit auf ein gesetzliches Leistungsverweigerungsrecht berufen kann. In diesem Fall genügt es für ein Stillhalteabkommen nicht, wenn der Gläubiger Hinweise auf das nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit bestehende Leistungsverweigerungsrecht unwidersprochen hinnimmt.

    [SIGPIC] [/SIGPIC] Vertrauue miiir (Kaa: Das Dschungelbuch, 4. Akt, 3. Szene)

  • Das für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für die Klage eines Insolvenzverwalters als Partei kraft Amtes fehlt, wenn ein Nutzen der Rechtsverfolgung für die wirtschaftlich Beteiligten nicht besteht.

    OVG Hamburg, Beschl. v. 6. 12. 2017 - 3 Bf 222/17

  • Die Tilgung einer fremden Schuld kann unentgeltlich sein, auch wenn der Empfänger an den Zahlenden Leistungen erbracht hat, sofern sich der Zahlungsempfänger hierzu nur gegenüber seinem Schuldner verpflichtet hatte und es wegen dessen Insolvenzreife an einem Wert der getilgten Forderung fehlte (im Anschluss an: BGH, Urt. v. 17.10.2013 - IX ZR 10/13, ZInsO 2013, 2265).

    Nahestehende Person i.S.v. § 138 InsO infolge Einräumung (und Wahrnehmung) gesellschaftsrechtlicher Befugnisse und (Bank-)Vollmachten.


    LG Krefeld, Urt. v. 8. 11. 2017 - 7 O 169/16

  • Art. 4 Abs. 1 EuInsVO verlangt nicht eine amtswegige Ermittlung des zur Beurteilung relevanten Tatsachenstoffs, sondern begnügt sich mit dessen amtswegiger Prüfung.

    Art. 5 EuInsVO zieht den sachlichen Geltungsbereich der EuInsVO vor und erfasst auch vorläufige Sicherungsmaßnahmen, wie z.B. die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters.

    Allein die Tatsache, dass die Entscheidungen einer Gesellschaft nach EU-Recht nicht an ihrem satzungemäßen Sitz, sondern von einer Muttergesellschaft in einem anderen Mitgliedsstaat kontrolliert werden, reicht nicht aus, um die Vermutung des COMI zu widerlegen. Liegen jedoch für Dritte erkennbare exogene Umstände außerhalb des Staats des Satzungssitzes vor, die internen endogenen Anknüpfungspunkte mithin nicht mehr allein stehen, ist die Vermutungswirkung sehr wohl widerlegbar.


    AG Charlottenburg, Nichtabhilfebeschl. v. 4. 1. 2018 - 36n IN 6433/17

  • Wer behauptet, er habe eine Forderung des Insolvenzschuldners durch Abtretung vom Insolvenzverwalter erworben, und dafür als einziges Beweismittel einen schriftlichen Abtretungsvertrag benennt, der muss auch beweisen, dass der Vertrag wirklich vom Insolvenzverwalter unterschrieben, dass also die Unterschrift unter der von ihm vorgelegten Vertragsurkunde wirklich echt ist.

    AG Schöneberg, Urt. v. 12. 10. 2017 - 2 C 15/17

  • Von der Restschuldbefreiung nicht erfasst sind nach § 302 Nr. 1 InsO Verbindlichkeiten des Schuldners aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen. Hierfür ist nicht Voraussetzung, dass der Rechtsgrund der vorsätzlichen unerlaubten Handlung dabei rechtskräftig festgestellt oder der insoweit eingelegte Widerspruch des Schuldners beseitigt worden ist.

    Ist der Rechtsgrund nicht rechtskräftig festgestellt, führt dies (lediglich) dazu, dass der Schuldner bei Geltendmachung der Forderung durch den Gläubiger mit seinem Vorbringen, der Rechtsgrund der unerlaubten Handlung liege nicht vor - nicht per se ausgeschlossen ist. Erforderlich ist dann aber dazu ein entsprechender substanziierter Vortrag des Schuldners.

    Aus dem Umstand, dass es der Gläubiger einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung selbst in der Hand hat, mittels entsprechenden Feststellungsantrags für diesbezügliche Klarheit zu sorgen, lässt sich nicht ableiten, dass die Tatsache der vorsätzlichen unerlaubten Handlung im Tenor selbst ausdrücklich festgestellt sein muss, um zu vermeiden, dass die geltend gemachte Forderung der Restschuldbefreiung unterfällt.


    OLG München, (End-)Urt. v. 30. 11. 2017 - 23 U 1226/17

  • BGH, Urteil vom 19. Oktober 2017 - IX ZR 289/14

    Der Vollstreckungsgläubiger ist nicht zur Rückgewähr von Zahlungen verpflichtet, die der spätere Insolvenzschuldner anfechtbar an den Zwangsverwalter geleistet hat.
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    (eigener Leitsatz)

    Die Mietzahlungen der Schuldnerin an den Zwangsverwalter sind so zu behandeln, als wären sie an den Eigentümer des zwangsverwalteten Grundstücks geleistet worden.

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  • BGH, Beschluss vom 11. Januar 2018 - IX ZB 99/16

    Ein Kostenfestsetzungsverfahren scheidet aus, wenn es an einem vollstreckbaren Titel fehlt, der aussagt, wer die Verfahrenskosten zu tragen hat (Kostengrundentscheidung).

    Der Streit, ob der Vergütungsanspruch des für den Schuldner im Insolvenzverfahren bestellten Prozesspflegers eine Masseverbindlichkeit oder eine gegen das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners gerichtete Forderung darstellt, ist vor den Prozessgerichten auszutragen.

    [SIGPIC] [/SIGPIC] Vertrauue miiir (Kaa: Das Dschungelbuch, 4. Akt, 3. Szene)

  • Gem. § 575 Abs. 5 ZPO i.V.m. § 570 Abs. 1 d ZPO ist der Beschluss des LG Berlin v. 8.1.2018 (84 T 2/18 = ZInsO 2018, 168 [in diesem Heft]) sofort wirksam, weswegen der Beschluss des AG Charlottenburg v. 13.12.2017 (36n IN 6433/17 = ZInsO 2018, 62 und 111) wirksam aufgehoben ist und keine Rechtswirkungen (mehr) entfaltet. Es liegt somit keine wirksame Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Deutschland gem. Art. 19 EuInsVO vor. Auch Art. 3 Abs. 3 EuInsVO gelangt daher im konkreten Fall nicht zur Anwendung.

    Gem. Art. 3 EuInsVO sind für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Schuldner den COMI hat. COMI ist dabei der Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist. Bei Gesellschaften oder juristischen Personen wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort ihres Sitzes ist.


    Landesgericht Korneuburg (Österreich), Urt. v. 12. 1. 2018 - 36 S 5/18d - 3

  • Im Hinblick auf die einschneidenden Wirkungen, die das Insolvenzstatut für die Zuständigkeit und für das anzuwendende materielle Insolvenzrecht hat, sind an die Widerlegung der Vermutung des COMI am Ort ihres Sitzes hohe Anforderungen zu stellen. Sowohl das Gebot der Rechtssicherheit als auch die Voraussehbarkeit für den Gläubiger verlangen einen strengen Maßstab.

    Kann für die Schuldnerin auf Grundlage ihres Vortrags und ihrer Stellungnahme zum Vortrag der Beschwerdeführerin nicht mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden, dass sich ihr COMI tatsächlich in Deutschland befindet, so wird gem. Art. 3 EuInsVO vermutet, dass ihr COMI an ihrem Sitz in Wien, also in Österreich, ist.


    LG Berlin, Beschl. v. 8. 1. 2018 - 84 T 2/18

  • Auch das "Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz" vom 29.3.2017 - in Kraft getreten zum 5.4.2017 - hat keinen Einfluss auf die bisherige Rechtsprechung des BAG zur Inkongruenz einer Befriedigung, soweit sie innerhalb des kritischen Zeitraums durch Zwangsvollstreckung erwirkt worden ist, der die Kammer folgt.

    LAG Hessen, Urt. v. 15. 8. 2017 - 15 Sa 1135/16

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