Streitige Erbscheinsanträge - langjähriges Erbscheinsverfahren - Auslegungsvergleich

  • Ich muss heute mal die Meinung der Profis im Nachlass einholen:

    Habe in einem Nachlassverfahren aus 2011 zwei widersprechende Erbscheinsanträge (fußend auf insgesamt 3 Testamenten des Erblassers). Man kann sich denken, man hat über die Wirksamkeit der Verfügungen von Todes wegen gestritten. Man hat über viele Stunden viele Zeugen vernommen. Der Sachverständige hat ein sehr umfangreiches Gutachten zur Frage der Geschäftsfähigkeit geschrieben. Ergebnis kurz zusammengefasst: Alle Testamente sind nach der Rechtsauffassung des Sachverständigen wegen Fehlens der Geschäftsfähigkeit zum jeweiligen Zeitpunkt der Testamentserrichtung unwirksam. Dieser Rechtsauffassung schließe ich mich aufgrund der durchgeführten Beweiserhebung an. Das Gutachten wurde den Verfahrensbeteiligten mitgeteilt.

    Nun kommt Schwung in die Sache. Die "Erben" verhandeln miteinander. Sie wollen sich vergleichen. Inhalt des möglichen Vergleichs: 1 "vermeintlicher" Erbe nimmt seinen Erbscheinsantrag gegen Zahlung einer Abstandssumme zurück und erhebt keinen Widerspruch gegen den anderen Erbscheinsantrag mehr.

    Ich habe letzte Frist zur Abgabe weiterer Erklärungen gesetzt.

    Nunmehr schreibt ein Anwalt eines "vermeintlichen Erben":

    "Der uns aus anderen Verfahren bekannte Verfahrensablauf ist dergestalt, dass das Nachlassgericht einen entsprechenden Auslegungsvergleich auf Vorschlag einer Seite beiden Seiten vorlegt. Sobald dann die beiderseitige Zustimmung vorliegt, werden die entsprechend notwendigen Verfahrenshandlungen beider Seiten vorgenommen, beispielsweise Rücknahme eines Erbscheinsantrags auf Basis testamentarischer Erbfolge."

    Zum einen hatte ich so etwas noch nie.

    Zum anderen: was will man hier vergleichen. Alle Testamente sind m.E. unwirksam. Beide Erbscheinsanträge sind zurückzuweisen. Ein Erbscheinsantrag fußend auf der gesetzlichen Erbfolge liegt bis zum heutigen Tage nicht vor.

    Frage:
    Muss ich mich als Nachlassgericht auf diesen "Auslegungsvergleich" -bei unwirksamen Verfügungen von Todes wegen- einlassen oder kann ich nicht die Erbscheinsverfahren durch Zurückweisung beider Erbscheinsanträge abschließen?

    Für viele Antworten der Profis wäre ich dankbar.

  • Ich glaube der Anwalt verwechselt da was mit dem Zivilprozess, wom man "schon mal" darum bittet, dass das Gericht einen Vergleichsvorschlag macht.
    Oder der Anwalt hat § 278 VI ZPO im Kopf.

    Dem steht jedoch die "durchermittelte" erbrechtliche Lage einschließlich des FamFG gegenüber, sodass IMHO nur die Zurückweisung beider Anträge zu erfolgen hat.
    Allenfalls könnte man anregen , einen Erbscheinsantrag auf gesetzliche Erbfolge umzustellen, wenn das einer der bísherigen Anträge überhaupt hergibt.

  • "Auslegungsvergleich" geht nur, wenn es etwas auszulegen gibt (unklare Verfügungen, Streit ob Erbeinsetzung oder Vermächtnisse angeordnet sind, Umfang von Auflagen, etc.). Hier gibt es keine wirksamen Verfügungen, also ist auch nichts auszulegen. Antragsrücknahme hilft da nicht weiter, da wir halt nicht im Zivilprozess sind, sondern im Nachlassverfahren (mit Amtsermittlungspflicht), d.h. ein Erbschein aufgrund der vorhandenen (unwirksamen) Verfügungen kann, da dem Nachlaßgericht die Unwirksamkeit bekannt ist, nicht ausgestellt werden. Und ein Erbscheinsantrag aufgrund gesetzlicher Erbfolge liegt nicht vor.

    Ergebnis: Anträge zurückweisen.

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  • Ergebnis: Anträge zurückweisen.

    Ich denke, das werde ich jetzt auch tun. Wollte den Beteiligten noch die Möglichkeit geben, die beiden Erbscheinsanträge zurückzunehmen. Der gesetzliche Erbe hätte dann einen Erbscheinsantrag nachschieben können. Ein Auslegungsvergleich kommt auch m.E. nicht in Betracht. Wenn den Anwälten die Zurückweisung nicht passt, sollen sie halt ins Rechtsmittel gehen. Das OLG wird's dann schon "richten".

  • Grundsätzlich steht es den Parteien ja frei, sich vertraglich (im „Vergleich“) über die Auslegung der im Testament getroffenen Regelungen zu einigen. Daran muss sich das Gericht natürlich nicht halten, denn wir sind dazu da, den Erblasserwillen zu ermitteln und danach die Erbfolge festzustellen (s. Palandt Weidlich Rn 5 zu § 2359 BGB). Insofern ist das Gericht an das Testament und den dort ausgedrückten und ausgelegten Willen gebunden.

    In Deinem Fall ist - wie die Vorposter - dafür auf dem Weg zum Erbschein natürlich kein Raum: Du hast kein Testament und demzufolge kannst Du sämtliche nicht auf gesetzliche Erbfolge gerichtete Anträge nur zurückweisen. Was die Parteien wohl eher zu wollen scheinen, ist eine Einigung über die Auseinandersetzung (anhand der ungültigen Testamente) zu erzielen. Das bedarf, ganz nebenbei der notariellen Beurkundung (§§ 2385 i. V. m. 2371 BGB). Das steht ihnen schuldrechtlich natürlich frei, hat aber mit dem zu erteilenden Erbschein nichts zu tun. Also ist für ein gerichtliches Vergleichsverfahren kein Raum.

    Evtl. meinen die Parteien aber auch mit dem "gerichtlichen Vergleichsverfahren" ein Verfahren auf gerichtliche Erbauseinandersetzung (§§ 363 ff FamFG)?

    Dieses Schreiben wurde maschinell erstellt und ist ohne Unterschrift gültig.
    Mit freundlichen Grüßen
    Ihre Justizbehörde

  • Evtl. meinen die Parteien aber auch mit dem "gerichtlichen Vergleichsverfahren" ein Verfahren auf gerichtliche Erbauseinandersetzung (§§ 363 ff FamFG)?


    Typischerweise ist in diesen Fällen das Problem, dass nur eine Teilmenge der Beteiligten auch als gesetzliche Erben in Betracht kommt... :teufel:

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  • Ich hab einen gesetzlichen Alleinerben!


    Gott tut nichts als fügen... wären die testamentarischen Erben nicht so streitsüchtig gewesen, wäre die Unwirksamkeit der Testamente möglicherweise nie aufgefallen und alle hätten etwas bekommen. Nun ist alles unwirksam und keiner der in den Testamenten in Abweichung von der gesetzlichen Erbfolge Bedachten bekommt irgend etwas. :2aetsch:

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  • Ist der gesetzliche Alleinerbe bereits am Streit beteiligt? Dann ließe sich das Verfahren durch den Vergleich lösen, wenn man noch ein bisschen bastelt.

    Das müsste der Alleinerbe (und sein Anwalt) ja schön blöd sein!

  • Ist der gesetzliche Alleinerbe bereits am Streit beteiligt? Dann ließe sich das Verfahren durch den Vergleich lösen, wenn man noch ein bisschen bastelt.

    Der gesetzliche Alleinerbe ist Verfahrensbeteiligter und daher im bisherigen Verfahren beteiligt.

    Aber: was ist da zu vergleichen? Die beiden Erbscheinsanträge (testamentarische Erbfolge) müssen weg und ein neuer (gesetzliche Erbfolge) her.

    Ich sehe da keine Bastelmöglichkeit zu einem Vergleich. Was die testamentarischen Erben und der gesetzliche Erbe untereinander "mauscheln" braucht mich -glaub ich- nicht zu interessieren. Nach den bisherigen Ausführungen im Forum muss ich wohl an einem 'Auslegungsvergleich' -es gibt nichts auszulegen- wohl nicht mitwirken.

  • Du hast die Möglichkeit einen Hinweis an alle Beteiligten zu geben. Da würde ich schreiben, dass das Gericht nunmehr von gesetzlicher Erbfolge ausgeht und den antragstellern bis ... Gelegenheit gibt, die Erbscheinsanträge zurückzunehmen, da sie ansonsten zurückgewiesen werden.

    Das Schreiben mit letzter Frist zur Abgabe weiterer Erklärungen wäre so bei mir nicht raus gegangen.

  • Du hast die Möglichkeit einen Hinweis an alle Beteiligten zu geben. Da würde ich schreiben, dass das Gericht nunmehr von gesetzlicher Erbfolge ausgeht und den antragstellern bis ... Gelegenheit gibt, die Erbscheinsanträge zurückzunehmen, da sie ansonsten zurückgewiesen werden.

    Das Schreiben mit letzter Frist zur Abgabe weiterer Erklärungen wäre so bei mir nicht raus gegangen.

    Soweit ich weis, darf ich die Verfahrensbeteiligten nicht zur Antragsrücknahme auffordern.

    Deshalb hab ich bereits im Verfahren meine "Bedenken" gegen die Wirksamkeit der Verfügungen von Todes wegen zu Papier gebracht. Auch das Gutachten ist m.E. eindeutig. Aber entscheiden muss ich und nicht der Gutachter. Deshalb hab ich im Rahmen der Übersendung des Gutachtens und unter Verweis auf die Feststellungen des Gutachters eine letzte Frist zu Erklärungen zu den Erbscheinsanträgen gesetzt. Wie gesagt: alle Verfahrensbeteiligte sind durch Rechtsanwälte vertreten. Deutlicher konnte ich es m.E. nicht machen. Aber ich glaube, die Anwälte haben es nicht verstanden bzw. verstehen wollen.

    Nunmehr werde ich halt die Anträge alle formell und vor allem kostenpflichtig zurückweisen. Leider zu den kostengünstigen Regelungen der KostO (sog. Altfall).

  • Soweit ich weis, darf ich die Verfahrensbeteiligten nicht zur Antragsrücknahme auffordern.

    (...)

    Nunmehr werde ich halt die Anträge alle formell und vor allem kostenpflichtig zurückweisen. Leider zu den kostengünstigen Regelungen der KostO (sog. Altfall).


    Auffordern darfst Du nicht, jeder hat das Recht auf eine Entscheidung. Aber Gelegenheit zur Antragsrücknahme kannst (und m.E. solltest) Du schon geben.

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  • Ist der gesetzliche Alleinerbe bereits am Streit beteiligt? Dann ließe sich das Verfahren durch den Vergleich lösen, wenn man noch ein bisschen bastelt.

    Das müsste der Alleinerbe (und sein Anwalt) ja schön blöd sein!

    So etwas kann nur jemand schreiben, der keine Ahnung davon hat
    1. wie interessengerechte Vergleiche zustande kommen und
    2. was an einem Erbrechtsfall noch so alles dran hängt.

    Der Erbschein ist in der Regel nicht die Lösung der Probleme.

  • Nun mal langsam mit den wilden Pferden.

    Die beteiligten Anwälte scheinen zu verkennen, dass es im Fall klarer Erbfolge zwischen den Beteiligten insoweit nichts mehr zu vergleichen oder zu vereinbaren gibt.

    Das ist die eine Seite.

    Die andere Seite ist, dass die Beteiligten einen nach §§ 2371, 2385 BGB beurkundungspflichtigen schuldrechtlichen Vertrag darüber schließen können, wie sie ihre Rechtsverhältnisse anlässlich des Erbfalls im Verhältnis zueinander gestalten. Ein solcher Vertrag kann auch die Anerkennung oder Nichtanerkennung von zweifelhaften Testamenten zum Gegenstand haben, etwa - wie hier - in der Weise, dass der Testamentserbe die Unwirksamkeit des Testaments anerkennt und dafür eine Abfindungszahlung erhält. Dies alles hat aber auf die eingetretene Erbfolge und den Ausgang des Erbscheinsverfahrens keinen Einfluss, wenn das Nachlassgericht - wie hier - vom Eintritt einer bestimmten Erbfolge überzeugt ist, weil das Nachlassgericht bei seiner Entscheidung nicht an den zwischen den Beteiligten geschlossenen schuldrechtlichen Vertrag gebunden ist.

    Natürlich gibt es auch Fälle, bei welchen das Nachlassgericht den Inhalt des zwischen den Beteiligten geschlossenen schuldrechtlichen Vertrages zur Grundlage seiner Entscheidung im Erbscheinsverfahren machen kann. Dies gilt etwa, wenn um die Auslegung eines wirksamen Testaments gestritten wird und es sich bei der von den Beteiligten befürworteten Auslegung um eine von mehreren denkbaren Auslegungsmöglichkeiten handelt. Über einen solchen Fall reden wir hier aber nicht.

  • Ist der gesetzliche Alleinerbe bereits am Streit beteiligt? Dann ließe sich das Verfahren durch den Vergleich lösen, wenn man noch ein bisschen bastelt.

    Das müsste der Alleinerbe (und sein Anwalt) ja schön blöd sein!

    So etwas kann nur jemand schreiben, der keine Ahnung davon hat
    1. wie interessengerechte Vergleiche zustande kommen und
    2. was an einem Erbrechtsfall noch so alles dran hängt.

    Der Erbschein ist in der Regel nicht die Lösung der Probleme.

    Ich gehe schon davon aus, dass sich die Anwälte in irgendeiner Form vergleichen werden bzw. vergleichen müssen.

    Die Frage war nur, ob ich als Nachlassgericht da meine Finger drinhaben muss.
    Ich glaube nein.

    Denn -wie schon gesagt-: nach meinen nun abgeschlossenen Ermittlungen gehe ich -und ich muss letztendlich in meinem Erbscheinsverfahren entscheiden-, dass alle mir vorliegenden Testamente unwirksam sind.

    Deshalb: Ein Vergleich dahingehend, dass die Verfahrensbeteiligten untereinander regeln, dass ein "Testamentserbe" dafür Geld vom anderen "Testamentserben" dafür bekommt, dass er seinen Erbscheinsantrag nicht mehr aufrecht erhält und keine -weiteren- Einwendungen gegen den Erbscheinsantrag des anderen "Testamentserben" erhebt, hab ich -zumindest glaub ich das- nicht zu berücksichtigen.

    Aber: das hindert den Vergleich der "Testamentserben" nicht.

    Nur werde ich -auch wenn ein "Testamentserbe" (nach heutigem Anschein) seinen Erbscheinsantrag zurücknimmt, auch den anderen Erbscheinsantrag ins Nirvana schicken müssen, es sei denn der Anwalt des anderen "Testamentserben" hat meine nachlassgerichtlichen Hinweise zwischenzeitlich auch verstanden, dass nach meiner Ansicht alle Testamente unwirksam sind und ich deshalb dem vorliegenden Erbscheinsantrag nicht stattgeben kann und werde.


    Zumindest für mich ist die Zurückweisung des verbleibenden Antrags "die Lösung der Probleme", zumindest meiner Probleme.

    Vielleicht darf sich das OLG noch mit dem Fall beschäftigen oder ich bekomm einen Erbscheinsantrag auf gesetzliche Alleinerbfolge. Damit hab ich dann auch kein Problem (mehr).

    Ich wünsch auf jeden Fall keinem meiner "Kollegen" über 20 Stunden Zeugenvernehmung in Anwesenheit des Sachverständigen und ein Sachverständigengutachten mit mehr als 70 Seiten, das ich ggf. in meinen Zurückweisungsbeschluss einarbeiten darf.

  • [quote='Cromwell','RE: Streitige Erbscheinsanträge - langjähriges Erbscheinsverfahren - Auslegungsvergleich mal langsam mit den wilden Pferden.

    Die andere Seite ist, dass die Beteiligten einen nach §§ 2371, 2385 BGB beurkundungspflichtigen schuldrechtlichen Vertrag darüber schließen können, wie sie ihre Rechtsverhältnisse anlässlich des Erbfalls im Verhältnis zueinander gestalten. Ein solcher Vertrag kann auch die Anerkennung oder Nichtanerkennung von zweifelhaften Testamenten zum Gegenstand haben, etwa - wie hier - in der Weise, dass der Testamentserbe die Unwirksamkeit des Testaments anerkennt und dafür eine Abfindungszahlung erhält. Dies alles hat aber auf die eingetretene Erbfolge und den Ausgang des Erbscheinsverfahrens keinen Einfluss, wenn das Nachlassgericht - wie hier - vom Eintritt einer bestimmten Erbfolge überzeugt ist, weil das Nachlassgericht bei seiner Entscheidung nicht an den zwischen den Beteiligten geschlossenen schuldrechtlichen Vertrag gebunden ist.

    QUOTE]

    Seh ich zwischenzeitlich auch so. Über die Form bin ich mir aber nicht sicher -betrifft mich aber als Nachlassgericht auch nicht-. Der gesetzliche Alleinerbe wird wohl an den unwirksamen Testamentserben eine Zahlung erbringen, damit dieser Ruhe gibt. Ich bin mir nicht sicher, ob diese vertragliche Vereinbarung beurkundungspflichtig ist.

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