Gesamtschuldnerhaftung?

  • Hallo,

    es erscheint mir zwar völlig banal aber:

    Laut Versäumnisurteil: "Die Beklagten werden verurteilt an die Klägerin 100.000 Euro zu zahlen." (Kein Wort von Gesamtschuldnerhaftung)

    Gläubiger beantragt Pfübs gegen beide Beklagte getrennt und fordert jeweils den vollen Betrag.

    Also hab ich den Gl. angeschrieben, dass keine GS-Haftung gegeben ist, bitte Pfüb-Antrag korrigieren.

    Jetzt antwortet der mir:

    "Bei einem Versäumnisurteil, das keine Gründe enthält, kann auch die Klageschrift zugrunde gelegt werden. Daraus ergibt sich im vorliegenden Falle, dass die Schuldnerin aus einem gemeinsamen mit ihrem Ehemann abgeschlossenen Mietvertrag in Anspruch genommen wird. Sie haftete deshalb nach § 427 BGB als Gesamtschuldnerin. …. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Das Amtsgericht wird angewiesen, von den darin geäußerten Bedenken Abstand zu nehmen.“Landgericht Berlin, Beschluss vom 10.10.2001 – Az: 81 T 740/01


    Was meint ihr dazu? Ich bin bislang davon ausgegangen, dass sich die Gesamtschuldnerhaftung ausdrücklich aus dem Titel ergeben muss.

  • Bin da bei dir.

    Muss sich aus dem Titel ergeben.

    Lange Urteilsausfertigung zur etwaig eindeutig-möglichen Auslegung gibt es nicht bei VU.

    Soll doch das PG sein VU berichtigend ergänzen, pff.

    Ansonsten: § 420 BGB.

    LG Berlin "kurz und knapp" überzeugt mich nicht.

  • Ich hab mich schon dusslig gesucht... im Stöber hab ich nicht wirklich was brauchbares gefunden, Rechtsprechung auch nicht... Aber ich bin schon mal beruhigt, dass ich das nicht alleine so sehe :)

    Es wäre halt schön was entsprechendes entgegnen zu können... denn der Gläubiger wird nicht davon abweichen :(

  • Bitte mal zurück zu den Basics:

    a) Bedeutet der Titel, dass der Beklagte zu 1 einen Betrag von 100.000,- Euro an die Klägerin zahlen muss? Sicher, denn die Formulierung "werden verurteilt zu zahlen" unfasst auch ihn.
    b) Bedeutet der Titel, dass der Beklagte zu 2 einen Betrag von 100.000.- Euro an die Klägerin zahlen muss? Sicher ja, s.o.
    c) Bedeutet der Titel, dass die Klägerin 200.000.- Euro verlangen kann? Sicher nein.

    Also Gesamtschuld (m.E. zwingend). Zwar schlecht tenoriert, aber die Auslegung ergibt m.E. nur diese Möglichkeit, da ein Anhaltspunkt dafür, dass einer der beiden Beklagten weniger als 100.000,- Euro zahlen muss, schlicht nicht vorhanden ist.

    Oder woraus wollt ihr eine Teilschuld für welchen Teilbetrag ableiten?

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH


    Nachtrag: Die einzige Alternative zur Auslegung als Gesamtschuld wäre m.E., dass das Urteil mangels Bestimmbarkeit überhaupt keinen vollstreckbaren Inhalt hat. Ist jemand dieser Ansicht?

    Einmal editiert, zuletzt von AndreasH (21. März 2015 um 15:56) aus folgendem Grund: Nachtrag

  • Achtung Holzweg! Wie zsesar: gemäß § 420 BGB liegt im Zweifel Teilschuld vor, so dass laut dem eindeutigen Tenor jeder Beklagte jeweils nur 50.000,00 € zu zahlen hat. Daher auch die entsprechende Anweisung für den Gerichtsvollzieher in § 80 Abs. 5 GVGA:

    "Sind nach dem Schuldtitel mehrere zur Zahlung verpflichtet, so schuldet im Zweifel jeder nur den gleichen Anteil (§ 420 BGB). Haften mehrere als Gesamtschuldner (§ 421 BGB), so kann bei jedem von ihnen bis zur vollen Deckung der Forderung vollstreckt werden. Die Haftung als Gesamtschuldner muss sich aus dem vollstreckbaren Titel ergeben."

    Die Entscheidung des LG Berlin vom 10.10.2001 (Az: 81 T 740/01) ist schlicht falsch. Eine inhaltliche Prüfung der Titulierung anhand der Klageschrift ist dem Vollstreckungsgericht schon deshalb nicht möglich, weil die Klageschrift kein Bestandteil des vorzulegenden Vollstreckungstitels ist. Ganz zu schweigen von der nicht bestehenden Prüfungskompetenz.

    Hier ist der Gläubiger am Zug, eine Korrektur des Tenors herbeizuführen und seinen Anwalt zu rügen, der den falschen Klageantrag gestellt hat.

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Achtung Holzweg! Wie zsesar: gemäß § 420 BGB liegt im Zweifel Teilschuld vor, so dass laut dem eindeutigen Tenor jeder Beklagte jeweils nur 50.000,00 € zu zahlen hat. Daher auch die entsprechende Anweisung für den Gerichtsvollzieher in § 80 Abs. 5 GVGA:

    "Sind nach dem Schuldtitel mehrere zur Zahlung verpflichtet, so schuldet im Zweifel jeder nur den gleichen Anteil (§ 420 BGB). Haften mehrere als Gesamtschuldner (§ 421 BGB), so kann bei jedem von ihnen bis zur vollen Deckung der Forderung vollstreckt werden. Die Haftung als Gesamtschuldner muss sich aus dem vollstreckbaren Titel ergeben."

    Die Entscheidung des LG Berlin vom 10.10.2001 (Az: 81 T 740/01) ist schlicht falsch. Eine inhaltliche Prüfung der Titulierung anhand der Klageschrift ist dem Vollstreckungsgericht schon deshalb nicht möglich, weil die Klageschrift kein Bestandteil des vorzulegenden Vollstreckungstitels ist. Ganz zu schweigen von der nicht bestehenden Prüfungskompetenz.

    Hier ist der Gläubiger am Zug, eine Korrektur des Tenors herbeizuführen und seinen Anwalt zu rügen, der den falschen Klageantrag gestellt hat.

    Nein. Andreas H. hat recht. Ein Zweifel liegt nicht vor. Beim VU ist die Klageschrift heranzuziehen.

  • Woraus leitest Du das ab? Aus einer 14 Jahre alten - soweit ersichtlich weder veröffentlichten noch zitierten - Entscheidung des LG Berlin?

    Zweifel bestehen hier durchaus: "Die Beklagten werden verurteilt an die Klägerin 100.000 Euro zu zahlen." Wer von den Beklagten hat welchen Anteil zu tragen? Varianten:

    1. Jeder hat die gesamte Summe zu zahlen. (Gesamtschuld)
    2. Jeder hat nur einen bestimmten prozentualen Anteil an der Gesamtsumme zu zahlen (Teilschuld) und wie hoch ist der jeweilige Anteil?

    Eine Antwort hierauf gibt sich nicht aus dem Tenor, so dass zur Beseitigung der Zweifel die doppelte Vermutung des § 420 BGB heranzuziehen ist. Vermutung für Teilschuld und Vermutung für Gleichheit der Anteile. Beide schulden eine teilbare Leistung, so dass jeder nur als Teilschuldner 50 % zu tragen hat. Eine (gesetzliche) Vermutung für eine Gesamtschuld besteht hingegen nicht.

    Diese Vermutung der Teilschuld mag widerleglich sein, so dass gegebenenfalls eine Berichtigung des Tenors möglich ist. Aber doch nicht im formalisierten Vollstreckungsverfahren. Wie soll denn gegenüber dem Gerichtsvollzieher oder hier dem Vollstreckungsgericht der Inhalt der Klageschrift verbindlich nachgewiesen werden?

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Woraus leitest Du das ab? Aus einer 14 Jahre alten - soweit ersichtlich weder veröffentlichten noch zitierten - Entscheidung des LG Berlin?

    Zweifel bestehen hier durchaus: "Die Beklagten werden verurteilt an die Klägerin 100.000 Euro zu zahlen." Wer von den Beklagten hat welchen Anteil zu tragen? Varianten:

    1. Jeder hat die gesamte Summe zu zahlen. (Gesamtschuld)
    2. Jeder hat nur einen bestimmten prozentualen Anteil an der Gesamtsumme zu zahlen (Teilschuld) und wie hoch ist der jeweilige Anteil?

    Eine Antwort hierauf gibt sich nicht aus dem Tenor, so dass zur Beseitigung der Zweifel die doppelte Vermutung des § 420 BGB heranzuziehen ist. Vermutung für Teilschuld und Vermutung für Gleichheit der Anteile. Beide schulden eine teilbare Leistung, so dass jeder nur als Teilschuldner 50 % zu tragen hat. Eine (gesetzliche) Vermutung für eine Gesamtschuld besteht hingegen nicht.

    Diese Vermutung der Teilschuld mag widerleglich sein, so dass gegebenenfalls eine Berichtigung des Tenors möglich ist. Aber doch nicht im formalisierten Vollstreckungsverfahren. Wie soll denn gegenüber dem Gerichtsvollzieher oder hier dem Vollstreckungsgericht der Inhalt der Klageschrift verbindlich nachgewiesen werden?


    sehe ich auch so

  • Für einen Vorrang von § 420 BGB auch:

    BGH, Urt. v. 15.12.1994 - IX ZR 255/93: "(...) Urkunde ist ein geeigneter Vollstreckungstitel (...) . Dafür ist unter anderem Voraussetzung, daß die Urkunde über einen Anspruch errichtet wird, der die Zahlung einer 'bestimmten' Geldsumme (...) zum Gegenstand hat. Der zu vollstreckende Zahlungsanspruch ist schon dann hinreichend bestimmt, wenn er betragsmäßig festgelegt ist oder sich aus der Urkunde ohne weiteres errechnen läßt (...). Sollen mehrere Gläubiger berechtigt sein und hilft die Regel des § 420 BGB nicht weiter, muß die Urkunde Angaben dazu enthalten, wie sich die Berechtigungen zueinander verhalten (...)."

    Musielak/Lackmann, ZPO, 11. Aufl. 2014, § 704 Rn. 10 und § 750 Rn. 13
    Vorwerk/Wolf, BeckOK-ZPO/Ulrici, § 750 Rn. 13.1
    Saenger/Kindl, ZPO, 6. Aufl. 2015, § 750 Rn. 4 aE
    Kindl/Meller-Hannich/Wolf/Giers, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 2. Aufl. 2013, § 750 Rn. 6
    Zöller/Stöber, ZPO, § 704 Rn. 11

    Nicht zuletzt die Landesjustizverwaltungen, die dies in dem schon zitierten § 80 Abs. 5 GVGA festgelegt haben.

    § 427 BGB greift hingegen nur bei einer vertraglichen Verpflichtung, zu der wohl auch ein (gerichtlicher) Vergleich zählt (KG, Beschl. v. 29.07.1988 - 1 W 2199/88).

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)


  • Hm, also einig sind wir uns doch, dass der Tenor nicht schön ist.

    Eindeutig ist er imo aber auch nicht.

    Denkbar wären doch:
    a) es fehlt am Anfang der Ausspruch der Gesamtschuldnerschaft > 100 T
    b) es fehlt in der Mitte ein "jeweils" > insges. gar 200 T
    c) es fehlt am Ende ein "und zwar der Beklagte zu 1. i.H.v. ... und der Beklagte zu 2. i.H.v. ... > es bleibt bei 100 T, Anteile fraglich. (> sprich: komplette Auslassung / "vergessen" am Ende der Tenorierung jedenfalls denkbar)

    > Ergo max. 100 K und jeder im Zweifel (s.o.) nach Kopfteilen, also je 50 K.

    Mehr kann man aus dem Tenor eigentlich nicht machen, weniger auch nicht.


    Weiß denn ich, wie es der Kammer beliebte, ggf. sprachlich formulieren zu wollen.

    Sie wird es doch am besten wissen, also mag sie doch bitte anhand der ihr vorliegenden Klageschrift ggf. einen dann klaren 319er erlassen.


  • Na zum Glück... ich dachte schon, ich mache mich völlig zum Affen mit der Frage, aber scheint so, als wäre es eine Sache bei der ich nicht einknicken sollte und es auch mal "hoch" gehen lassen kann ;)

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!