Analyse Gerichtsurteil

  • Hallo an alle,

    ich bin Studentin der Sozialen Arbeit und beschäfte mich im Rahmen dessen mit dem Teilgebiet der Rechtlichen Betreuung.
    Gerne wollte ich fragen, ob sich jemand in der Analyse von Gerichtsurteilen auskennt und mir eventuell dabei behilflich sein könnte?

  • Hallo Andreas,

    vielen Dank erstmal für Deinen Kommentar.
    Also ich würde sagen, meine Frage bezieht sich eher auf das Verständnis eines Urteils.
    Wir haben in unserem Seminar bereits mehrere Gerichtsbeschlüsse gelesen, allerdings habe ich kaum Vorkenntnisse auf diesem Gebiet und Aufgabe ist es eine solche Gerichtsentscheidung analysieren zu können.

    Dies beinhaltet u.a. die Herausstellung des Verfahrensziels und des Verfahrensergebnisses. Des weiteren muss überprüft werden, welche Norm(en) das Gericht in dem Fall angewendet hat und welche davon Antwort auf die entschiedene Frage geben.
    Das fällt mir ein wenig schwer. Unserem Dozenten kommt es darauf an, dass wir nicht nur den Inhalt des Urteils mit eigenen Worten wiedergeben, sondern in Bezug auf das Vorhergenannte analysieren.

    Dabei sind uns alle Hilfsmittel erlaubt, d.h. ich bin sogar berechtigt, mir in dieser Sache Hilfe zu holen :)

  • Hallo Serina,

    für die Analyse dann erst mal ein paar ganz grundsätzliche Tipps:

    1. Vorbereitung:
    Man kann ein Urteil, dessen Inhalt und dessen Auswirkungen nicht richtig einschätzen, wenn man das Rechtsproblem, um das es im Urteil geht, nicht richtig einordnen kann. Ich versuche mal, das in eher übliche Alltagsbegriffe zu übersetzen, damit dieses Problem klar wird:

    Nehmen wir an, in einem einem Urteil würde geregelt (absurdes Beispiel, nur zur Verdeutlichung), dass bei einer Subtraktion zweier Zahlen immer der kleinere Wert vom größeren Wert abzuziehen sei. Dann kann ich die Auswirkungen dieses Urteils nur dann verstehen, wenn ich weiß, was "Subtraktion" ist und dass normalerweise die zweite Zahl von der ersten Zahl abgezogen wird, unabhängig davon, ob die zweite Zahl die größere oder die kleinere Zahl ist (und außerdem muss ich notfalls mit Zahlen des negativen Zahlenraums umgehen können).

    Deshalb ist es zur Einordnung erforderlich, ein Verständnis dafür zu haben, wie die Rechtslage in solchen Fällen (die das Urteil betrifft) normalerweise ist. Das muss ich anhand von Lehrbüchern und Kommentaren erarbeiten, Urteile sind nur in den eher seltenen Fällen zur systematischen Erarbeitung der Rechtslage geeignet (Ausnahme: Bundesverfassungsgericht, das in seinen großen Urteilen lange Ausführungen zur Staatsrechtslehre aufnimmt, teils über 150 Seiten stark, um erst dann zum eigentlichrn Problem vorzudringen - man versteht sich dort heute eben auch als Staatsrechtslehrer der Nation).

    Sparen kann ich mir diesen Schritt der Einordnung nur dann, wenn es eigentlich nicht um das Verständnis des Urteils, sondern nur um dessen Wiedergabe mit eigenen Worten geht.

    2. Formale Analyse:

    Bei einem Urteil (im Grundsatz auch bei Beschlüssen) selbst ist zunächst danach zu unterscheiden, was der "berichtende" Teil ist, und was der "entscheidende" Teil ist. Im "berichtenden" Teil wird dargestellt, worum es geht. Der berichtende Teil kann selbst zwei Teile haben, nämlich einmal die Schilderung des Sachverhalts (ggf. auch die Rechtsauffassungen der Parteien dazu) und zum anderen - insbesondere bei Urteilen höherer Instanzen - die Darstellung, was die unteren Instanzen zur Rechtslage ausgeführt haben. Im entscheidenden Teil wird dann die eigentliche Rechtsentscheidung dargelegt.

    Kompliziert wird das ganze dadurch, dass zwar der berichtende Teil und der entscheidende Teil in der Theorie klar getrennt sind, in der Praxis aber manchmal Teile des Berichtsteils in den Entscheidungsteil hineinrutschen. Und außer dem entscheidenden Teil gibt es oft noch einen dritten Teil, in dem gerade Obergerichte darlegen, wie es ihrer Meinung nach weiter zu gehen hat.

    Wo finde ich nun was?

    Für das erstinstanzliche Urteil in Zivilsachen enthält die ZPO eine klare Regelung: Der berichtende Teil findet sich unter der Überschrift "Tatbestand", der entscheidende Teil unter der Überschrift "Entscheidungsgründe". Für die höheren Instanzen wird manchmal auch diese Unterscheidung verwendet, häufiger aber eine Gliederung nach I und II. Dann sollte unter I der berichtende Teil stehen, unter II der entscheidende Teil.
    Gerade der Bundesgerichtshof gliedert aber oft etwas abweichend und nimmt unter der ersten Hälfte von II nochmal einen berichtenden Teil auf, nämlich die Wiedergabe dessen, was die Berufungsinstanz zur Rechtslage ausgeführt hat. Erst in der zweiten Hälfte von II kommt dann die eigene Entscheidungsfindung des Bundesgerichtshofs.

    Beschlüsse werdn normalerweise auch nach I und II gegliedert. Allerdings unterbleibt dort oft der berichtende Teil völlig oder fast völlig. In Berufungsurteilen wird der berichtende Teil häufig durch eine Verweisung auf das Urteil erster Instanz ersetzt. Unterbleibt ein Berichtsteil oder wird dieser durch eine Verweisung ersetzt, sind Urteil/Beschluss nicht mehr aus sich selbst heraus (komplett) verständlich, das macht eine Analyse schwerer bis unmöglich, ist vom Gesetzgeber zur Rationalisierung aber durchaus gewollt.


    Soviel zunächst zu den formalen Grundlagen. Nun noch ein wenig zu den inhaltlichen Grundlagen:

    3. Inhaltliche Analyse des Berichtsteils:

    Der Berichtsteil zum Sachverhalt im Urteil des Zivilprozesses ist im Grundsatz in drei Teile gegliedert:
    Was tragen die Parteien übereinstimmend vor (sog. unstreitiger Sachverhalt), was trägt der Kläger ergänzend - und im Widerspruch zur Schilderung des Beklagten - vor und was trägt der Beklagte ergänzend - und im Widerspruch zur Schilderung des Klägers - vor. Die beiden letztgenannten Punkte nennt man streitigen Sachverhalt. Sie können sich ein paarmal wiederholen, wenn dadurch die Schilderung übersichtlicher wird ("der Kläger erwidert daraufhin ..."). Unstreitiger Sachverhalt ist im Imperfekt geschrieben.

    Das Gericht geht bei der Entscheidung vom unstreitigen Sachverhalt aus und dem streitigen Sachverhalt, der durch Beweisaufnahme bewiesen ist (welcher das ist, steht etwas versteckt im Entscheidungsteil) oder der nach Beweislastregeln als erwiesen gilt. Eine Beweislastregel ist eine Regel darüber, welche der Seiten welche Umstände beweisen muss und was gilt, wenn sie diesen Beweis nicht führen kann.

    4. Inhaltliche Analyse des Entscheidungsteils:

    Das Urteil ist (bzw. sollte) im sog. Urteilsstil geschrieben (sein), d.h. Ergebnis voraus, Begründung nachfolgend. Übersetzt in Alltagssprache würde das etwa so aussehen (wiederum ein fiktives Beispiel):

    Das Auto ist rot. Es wurde in roter Farbe umlackiert, nachdem es zuvor das Werk noch in der Farbe gelb verlassen hatte.

    Dabei gilt die Regel Hauptergebnis, dann Unterergebnis 1 (folgt Begründung zu Unterergebnis 1), Unterergebnis 2 (folgt Begründung zu Unterergebnis 2) ... Das ganze lässt sich beliebig tief staffeln (Hauptergebnis, Unterergebnis 1 m Unterunterergebnis 1 ... ) wird dann aber schnell etwas unübersichtlich und deswegen nicht immer ganz strikt durchgehalten.

    Das Hauptergebnis folgt an sich aus einer gesetzlichen Vorschrift und stellt den Bezug zwischen dem Fall und der gesetzlichen Vorschrift her.


    So, und jetzt beginnt der Teil, in dem Du dies auf das knkret zu analysierende Urteil anwenden musst. ;)


    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • Hallo Andreas,

    vielen Dank für Deine ausführliche Schilderung.
    Bin noch unterwegs,werde mir das mal in Ruhe durchlesen und versuchen anzuwenden.

    In drei Wochen (Montag,den 25.07.16) erhalte ich den Gerichtsbeschluss den es in einer Kurzanalyse zu beschreiben gilt. Vielleicht kann ich den Link dazu dann mal hier posten und noch ein paar ergänzende Tipps einholen.
    Leider muss ich die Analyse innerhalb von 5 Stunden abgeben und mach mir Gedanken,ob das in der Zeit als Laie zu schaffen ist.

    Aber die Ausführungen helfen mir sicher weiter :)

  • Am Montag ist es soweit:
    Um 15 Uhr bekomme ich das Gerichtsurteil ausgehändigt und habe 5 Stunden (bis 20Uhr) Zeit etwas dazu zu schreiben:
    Gerne wollte ich fragen, ob jemand in dem besagten Zeitraum bereit wäre mal einen Blick auf das Urteil zu werfen und ein kurzes Statement dazu abzugeben?


  • Dabei sind uns alle Hilfsmittel erlaubt, d.h. ich bin sogar berechtigt, mir in dieser Sache Hilfe zu holen :)

    Es scheint sehr frei gestaltet zu sein...

    "Ändere die Welt, sie braucht es." Brecht

    K. Schiller: "Genossen, lasst die Tassen im Schrank"


    "Zu sagen, man müsste was sagen, ist gut. Abwägen ist gut, es wagen ist besser." Lothar Zenetti

  • Es geht darum bei einem Gerichtsbeschluss kurz herauszustellen,

    1. Was war das Verfahrensziel?
    2. Was war das Verfahrensergebnis?

    3. Welche Norm(en) hat das Gericht angewendet?
    4. Welche davon geben Antwort auf die entschiedene Frage?
    5. Welche geben Antwort auf Vorfragen?

    Die ersten beiden Punkte dürften keine Schwierigkeit bereiten, aber bei den letzten Punkten habe ich schon etwas bedenken.
    Es soll ja keine Nacherzählung des Urteils werden, sondern eine Überprüfung.
    Leider habe ich so gut wie kein Hintergrundwissen zum Thema "Rechtliche Betreuung" bzw. nur sehr rudimentär.

    Wäre echt prima, wenn mir am Montag jemand ein wenig zur Seite stehen könnte, von den fachlich versierten aus dem Forum :)

  • Panik steigt in mir auf...in 6 1/2 Stunden ist es soweit.
    Stelle dann um 15 Uhr mal den Link zu dem Urteil hier online, falls sich einer dazu kurz äußern mag.

    Ich habe gehört, dass man unter Becks-Online Kommentare zu Gerichtsurteilen einsehen kann, stimmt das?

  • Hab mal nachgeschaut (http://www.becks.de) und nichts gefunden. :D

    Unter Beck-Online dagegen können bei bedeutenden Urteilen schon mal Anmerkungen erscheinen. Kommentiert werden in der Regel aber nur Paragrafen.

    ... denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben. Römer 13,6

  • Ohje, ich muss mal sehen, kann da nur von dem Uni-Gebäude aus auf Becks-Online zugreifen.
    Jetzt habe ich aber richtig Bammel. Bin mal gespannt was das für ein Urteil ist.

  • Es ist eine Take-away - Aufgabe unbenotet.Die kann man nach Hause mitnehmen.Alle Hilfsmittel sind erlaubt.

    Jetzt habe ich aber richtig Bammel.


    Also sorry, aber das verstehe ich absolut nicht. Unbenotet - aber du hast Angst davor. Musst du dein Ergebnis vor allen Anderen vortragen ?
    Du studierst soziale Arbeit, da wird doch das Textverständnis wichtiger sein als die rechtliche Bewertung.

  • Das Thema lautet: Unterbringung eines Betreuten: Beachtlichkeit des frei bestimmten Willen des Betroffenen; Prognose zur erforderlichen Unterbringungsdauer

    BGH 12. Zivilsenat

    13.04.2016

  • Ich sitze gerade vor einem leeren Blatt Papier und muss bald abgeben :(
    Das einzige was ich herausgefunden habe ist das es um die Unterbringung des Betreuten geht und er dagegen Rechtsbeschwerde eingelegt hat, die zurückgewiesen wurde.
    Ich kann mit den Normen nichts anfangen.

    Kann mir jemand ein kurzes Statement zu dem Beschluss geben?

  • Die Paragraphen sind doch unter dem von dir geposteten Link frei abrufbar ?!?
    Hangel dich an der Gliederung des Urteils entlang. Unter II 2. a) wird die Ausgangsentscheidung dargestellt. Unter II 2. b) wird sie aufgedröselt und im Einzelnen bewertet.

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