Eigentumsvorbehalt Einzelhandel / Insolvenzanfechtung

  • Der Schuldner betreibt ein Unternehmen des Einzelhandels, in welchem es gegen Bar- oder EC-Zahlung Waren an die sogenannten Endverbraucher verkauft.
    Die Forderungen seines Lieferanten zahlt er von seinem Bankkonto, auf welches regelmäßig seine aus dem Warenverkauf erzielten Barerlöse einzahlt bzw. seine EC-Zahlungen der Kunden einzieht.

    Vorkasse wird mit dem Lieferanten nicht vereinbart. Jedoch bleibt die Reihenfolge der Ereignisse unklar. Es wird in der Regel so sein, dass er die Waren an den Lieferanten erst bezahlt, wenn er diese verkauft hat. Aber dies ist eine reine Vermutung aus dem Umstand, dass er sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand und man deshalb mit Zahlungen an seine Gläubiger wohl kaum besonders fix war. Auch wurden Ratenzahlungen vereinbart.

    Lieferant wendet fehlende obj. Gläubigerbenachteiligung aufgrund Eigentumvorbehalts und erweiterten Eigentumvorbehalts ein.

    Hier wäre doch einzuwenden, dass bei Verkauf der Waren der Eigentumsvorbehalt und auch der erweiterte Eigentumsvorbehalt fortfallen. An den Bankguthaben, welches er zur Befriedigung des Lieferanten benutzt wird, bestehen zugunsten des betroffenen Lieferanten keine Sicherungsrechte. Damit werden die Pfändungsmöglichkeiten der Gläubiger verkürzt. Denn auf das Bankguthaben können diese (Eigentumsvorbehalt außen vor) immer Zugriff nehmen. Sofern der Schuldner die finanziellen Mittel nicht an seinen Lieferanten verfügt.

    Oder habe ich jetzt einen kolossalen Denkfehler :gruebel: :gruebel: :gruebel:.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • Tja, da kommt's schon darauf an was da genau vereinbart ist:

    Beim einfachen Eigentumsvorbehalt hätte der LIeferant Pech (Weiterverkauf jedenfalls mit Duldung des Lieferanten -> Eigentumsverlust).

    Beim verlängerten Eigentumsvorbehalt ("Wird die uns gehörende Ware [wirksam einem Dritten übereignet] und erhält der Käufer hierfür eine Forderung, die auch den Gegenwert für andere Leistungen des Käufers darstellt, so ist die Forderung des Käufers in Höhe des rechnungsmäßigen Wertes der uns gehörenden Waren zuzüglich 20 % dieses Betrages mit dem Rang vor dem Rest an uns abgetreten") sieht es jedanfalls bei den mit Karte bezahlten Vorgängen besser aus. Beim Bargeld dagegen hat der Lieferant wohl Pech.

    BGH, 6. April 2000, IX ZR 122/99 = ZIP 2000, 932
    BGH, 17. März 2011, IX ZR 63/10 = BGHZ 189, 1 = ZIP 2011, 773

    "Allen ist alles egal, außer der Handyvertrag" - Kraftklub

  • Ich sehe keinen Denkfehler, aber Recherchebedarf: Denn an der Gläubigerbenachteiligung könnte es tatsächlich fehlen, wenn der unter Eigentumsvorbehalt gelieferte Gegenstand im Zeitpunkt der Zahlung an den Lieferanten noch nicht weiterverkauft war. Denn dann steht der Zahlung eine Gegenleistung in Form des Eigentumserwerbs durch den Schuldner gegenüber, also quasi ein Freiwerden einer Sicherheit (BGH, Urt. v. 26.04.2012 − IX ZR 67/09). Das kann bei einem angemessenen Kaufpreis ausreichen, um die Gläubigerbenachteiligung auszuschließen. Im Übrigen: Darlegungs- und Beweislast des Anfechtungsgegners!

    Ansonsten - also bei Zahlung nach Verkauf - ist es egal, ob die Zahlung bar oder per EC erfolgt ist. In beiden Fällen ist die vom erweiterten EV erfasste Kaufpreisforderung gegen den Kunden erloschen, so dass auch das daran etwa noch bestehende Sicherungsrecht untergegangen ist. Und ein dann allenfalls noch in Frage kommender Anspruch auf Ersatzabsonderung (§ 48 InsO analog) an dem Kontoguthaben scheitert daran, dass der Forderungseinzug durch den Schuldner berechtigt erfolgt ist.

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Ansonsten - also bei Zahlung nach Verkauf - ist es egal, ob die Zahlung bar oder per EC erfolgt ist. In beiden Fällen ist die vom erweiterten EV erfasste Kaufpreisforderung gegen den Kunden erloschen, so dass auch das daran etwa noch bestehende Sicherungsrecht untergegangen ist. Und ein dann allenfalls noch in Frage kommender Anspruch auf Ersatzabsonderung (§ 48 InsO analog) an dem Kontoguthaben scheitert daran, dass der Forderungseinzug durch den Schuldner berechtigt erfolgt ist.


    Äh... Vorausabtretung der erworbenen Forderungen gegen die Bank (bei Kartenzahlung)?

    "Allen ist alles egal, außer der Handyvertrag" - Kraftklub

  • Nein. Vorausabtretung der Forderungen gegen die Kunden. An diesen kann ein Absonderungsrecht entstehen, dass durch den Einzug auf ein Bankkonto untergeht. Und wenn dieser Einzug unberechtigt erfolgt wäre, stünde dem Lieferanten im Insolvenzfall ein Ersatzabsonderungsrecht zu, solange der eingezogene Betrag noch unterscheidbar auf dem Konto vorhanden ist.

    Aber wie gesagt: vergebene Liebesmüh, da der Einzug berechtigt erfolgt ist.

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Ich sehe keinen Denkfehler, aber Recherchebedarf

    :dankescho- der Recherchebedarf wird sich wohl nicht mehr befriedigen lassen (ohne Warenwirtschaftssystem sind doch derartige Dinge kurz vor Eintritt der Verjährung nicht mehr nachvollziehbar).

    Aber getreu dem Motto unseres gemeinsamen Lehrmeisters "erst einmal hoch werfen und schauen was passiert" wird sich die Blockadehaltung des Lieferanten mit unseren gemeinsam gefundenen Argumenten wohl zumindest zugunsten eines angemessenen Vergleichs durchbrechen lassen.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • Wenn ich mich recht erinnere, dann gibt es da noch eine andere BGH-Entscheidung, die wieder Wasser in Deinen Wein gießt. Der BGH wendet dort nämlich - wie gesagt, wenn ich mich recht erinnere - auf den Erlös der vorausabgetretenen Forderung § 1247 Satz 2 BGB analog an und kommt dann über § 51 Nr. 1 InsO zu einem Recht des Gläubigers auf abgesonderte Befriedigung. Und wo der Gläubiger dieses Recht hat, da fehlt es wohl dann an einer Gläubigerbenachteiligung.

    Aktenzeichen liefere ich nach. Interessanterweise hat der BGH in einer späteren Entscheidung genau gegenteilig entschieden, hat dabei aber wohl diese frühere Entscheidung glatt übersehen, denn sie wird nicht mal erwähnt.


    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • Super Forum hier, man wirft etwas in den Raum und andere leisten die eigentliche Recherchearbeit. :daumenrau ;)

    Die Entscheidung, die ich meinte, ist tatsächlich BGH, Urteil vom 17.03.2011 - IX ZR 63/10, im Umdruck nach Bundesgerichtshof.de ist es dort Rn. 15. Und die gegenläufige Entscheidung, in der die erste nicht einmal erwähnt wird, ist BGH, Urteil vom 12.02.2015 - IX ZR 180/12.


    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH


    Nachtrag:
    Und jetzt sehe ich, die hatte tom auch schon genannt. Allerdings scheinen wir in der Kammer die hier etwas anders auszulegen, als tom das verstanden hat.

    Einmal editiert, zuletzt von AndreasH (29. November 2016 um 10:59) aus folgendem Grund: Nachtrag

  • Wobei die Entscheidung aus 2011 wohl kaum übersehen wurde: sie wird in der 2014er Entscheidung in Rn. 9 sogar mehrfach zitiert. Wenn auch nicht zur Frage der hier angesprochenen Fortwirkung des Absonderungsrechts. Nur die Rn. 15 wurde wohl überblättert...

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Super Forum hier, man wirft etwas in den Raum und andere leisten die eigentliche Recherchearbeit. :daumenrau ;)

    Nicht nur das. Man bekommt nirgends so viel geballtes Fachwissen unterschiedlicher Berufe mit verschiedenen Blickweisen und Erfahrungen. Wenn es das Rechtspflegerforum nicht geben würde, müsste man es glatt erfinden :daumenrau :daumenrau :daumenrau.

    Im Übrigen werde ich wohl schauen, welche schmackhaften Rosinen ich mir aus der Sache rauspicken kann. Das tröge Schwarzbrot lasse ich liegen. Nochmals :dankescho.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!