104 ZPO und 59 RVG: Aufrechnung

  • Folgender Fall:
    Die Klägerin hat PKH, die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
    Der Klägervertreter hat Kostenfestsetzung nach 104 ZPO beantragt; nach ein paar Monaten wollte er die Auszahlung seiner Vergütung aus der Staatskasse.
    Die vollstreckbare Ausfertigung wurde zurückgefordert und auch zurückgegeben und die Vergütung aus der Staatskasse ausbezahlt.
    Der Übergang auf die Staatskasse wurde festgestellt und die Kosten von der Beklagten eingefordert; nun teilt diese mit, sie hätte bereits dem Rechtsanwalt gegenüber bei dem Kostenfestzungsbeschluss nach 104 die Aufrechnung erklärt.
    Was jetzt? Wer prüft denn, ob die Aufrechnung wirksam ist? Muss der Rechtsanwalt die verauslagten Gebühren zurückzahlen?

  • Also zurückerstattet werden muss, mangels entsprechender Rechtsgrundlage, wohl nichts, das andere ist aber etwas trickreich. Meiner Meinung nach könnte man überlegen die Sollstellung stehen zu lassen, wenn der Beklagte sich auf die Aufrechnung berufen will, soll er entweder versuchen die LOK zu überzeugen, dass kein Anspruch mehr besteht oder er muss das per Vollstreckungsabwehrklage geltend machen (bei der Vollstreckung der LOK). Wäre bei der Vollstreckung aus dem KFB ja auch so....

    5 Mal editiert, zuletzt von Corypheus (4. Januar 2017 um 22:19) aus folgendem Grund: Rechtschreibfehler

  • Die Staatskasse erwirbt den Anspruch in dem Zustand, in dem er sich z. Zt. des Übergangs befindet. Dabei gilt auch § 126 Abs. 2 ZPO.

    Die Aufrechnung des erstattungspflichtigen Gegners ist zwar zulässig, kann aber nur mit Kosten erfolgen, die nach der in demselben Rechtsstreit erlassenen Kostenentscheidung von der mittelosen Partei zu erstatten sind, § 126 Abs. 2 ZPO (vgl. Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl., § 59 Rn. 12; OLG Schleswig, FamRZ 2007, 752 = OLGR 2006, 480; a. A. OLG Zweibrücken, JurBüo 1984, 1044 mit abl. Anm. Mümmler).

    Der erstattungspflichtige Gegner kann also z. B. nicht mit einem titulierten Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse aus einer anderen Sache aufrechnen (Müller-Rabe, aaO.; BGH, FamRZ 2006, 190, Beschl. v. 09.11.2005 - XII ZR 204/02 -; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung: z. B. BGH, Rpfleger 1991, 26).

    Wird aber gegen einen auf den Namen der PKH-Partei lautenden KfB durch den Prozeßgegner gegenüber der PKH-Partei wirksam aufgerechnet, so kann die Staatskasse den auf sie übergangenen Anspruch nicht mehr geltend machen (Müller-Rabe aaO.; LG Berlin, JurBüro 1983, 878 m. Anm. Mümmler = KostRspr BRAGO § 130 Nr. 13 m. Anm. Lappe; LG Braunschweig, Beschl. v. 02.08.2000 - 8 T 395/00 -, NdsRpfl 2000, 313, Staatskasse kann dem beigeordneten RA, der dennoch Vergütung aus der Staatskasse fordert, den Arglisteinwand entgegenhalten).

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  • Was sagt der Klägervertreter denn zur Frage der Aufrechnung?

    Wer "A" sagt, muss nicht auch "B" sagen. Er kann auch feststellen, dass "A" falsch war oder es auch noch "C" gibt.

    Wir Zauberer wissen über sowas Bescheid!

  • Und genau wegen sowas (Aufrechnung durch den Prozessgegner) "predige" ich seit Jahren (auch hier vor Ort und bei sonstigen Treffen gegenüber allen und jedem), immer erst nach Verzicht auf die PKH-Vergütung den gesamten Anspruch nach § 104 ZPO festzusetzen und ansonsten, falls kein Verzicht durch den Anwalt erklärt wird, nur die Differenzvergütung zu berücksichtigen. Oder ich wirke bzw. weise auf § 126 ZPO hin. Leider machen das (noch immer) viel zu wenige Rechtspfleger.....

  • Und genau wegen sowas (Aufrechnung durch den Prozessgegner) "predige" ich seit Jahren (auch hier vor Ort und bei sonstigen Treffen gegenüber allen und jedem), immer erst nach Verzicht auf die PKH-Vergütung den gesamten Anspruch nach § 104 ZPO festzusetzen und ansonsten, falls kein Verzicht durch den Anwalt erklärt wird, nur die Differenzvergütung zu berücksichtigen. Oder ich wirke bzw. weise auf § 126 ZPO hin. Leider machen das (noch immer) viel zu wenige Rechtspfleger.....

    Warum auch? Die Obergerichte sagen alle "Ist okay so, kann man so machen". Eine Rechtsgrundlage für einen Verzicht haben wir nicht, daher können wir die Festsetzung auch m.E. nicht davon abhängig machen. Der Anwalt bzw. die Partei hat nunmal das Wahlrecht - und solange die Auffassung vorhanden bleibt, dass eine Festsetzung nach § 104 ZPO trotz voller PKH/VKH möglich ist, wird es dieses Risiko geben.

    Ich bin immer noch der Auffassung, dass der Partei bei voller PKH keine nach § 104 ZPO erstattungsfähigen Kosten entstanden sind, denn diese sind der Partei ja selbst gestundet, solange die PKH besteht. Meine Obergerichte (LG wie auch OLG) und der BGH sehen das allerdings anders.


    Bolleffs Fundstellen und Darstellung finde ich übrigens sehr interessant, dafür nochmal einen herzlichen Dank :)

    Wer "A" sagt, muss nicht auch "B" sagen. Er kann auch feststellen, dass "A" falsch war oder es auch noch "C" gibt.

    Wir Zauberer wissen über sowas Bescheid!

  • Bisher hat bei mir jeder Anwalt entweder Verzicht erklärt oder den Antrag umgestellt auf § 126 ZPO. Liegt beides nicht vor, so darf man dann halt nur die Differenzvergütung festsetzen. Ist ja dann auch kein Problem. Alles festzusetzen halte ich zwar für vertretbar, aber nicht korrekt und hinderlich, was § 59 I RVG angeht.

    Übrigens gibt's das Problem vergleichbar auch in Strafsachen und da mach ich es identisch. U. a. das BVerfG (NJW 2009, 2735, Rn. 23) hat ausdrücklich erklärt, dass es völlig in Ordnung ist, wenn man (falls kein Verzicht erfolgt) allein die Differenzvergütung festsetzt und dies ein Mittel darstellt, die Staatskasse vor einem Untergang der ihr zustehenden Ansprüche zu bewahren.

    Edit: Ich sehe mich nicht als Hüter der Staatskasse. Es entspricht aber nicht meinem Gerechtigkeitsempfinden, den obigen Umstand einfach zu ignorieren.

    Einmal editiert, zuletzt von Impi85 (6. Januar 2017 um 14:16) aus folgendem Grund: Fundstelle ergänzt

  • Wenn man eine ausdrückliche, rechtliche Grundlage benötigt, empfehle ich übrigens § 55 VI RVG. Macht der beigeordnete Anwalt binnen Monatsfrist keine Vergütung geltend, so erlischt sein Anspruch gegenüber der Staatskasse. Dies gilt auch für die PKH-Vergütung, nicht nur für die sog. weitere Vergütung. Auch dann wäre das Problem gelöst und die Staatskasse würde nicht auf "unnötigen" Kosten sitzen bleiben.

  • Bisher hat bei mir jeder Anwalt entweder Verzicht erklärt oder den Antrag umgestellt auf § 126 ZPO. Liegt beides nicht vor, so darf man dann halt nur die Differenzvergütung festsetzen. Ist ja dann auch kein Problem. Alles festzusetzen halte ich zwar für vertretbar, aber nicht korrekt und hinderlich, was § 59 I RVG angeht.

    Übrigens gibt's das Problem vergleichbar auch in Strafsachen und da mach ich es identisch. U. a. das BVerfG (NJW 2009, 2735, Rn. 23) hat ausdrücklich erklärt, dass es völlig in Ordnung ist, wenn man (falls kein Verzicht erfolgt) allein die Differenzvergütung festsetzt und dies ein Mittel darstellt, die Staatskasse vor einem Untergang der ihr zustehenden Ansprüche zu bewahren.


    Hintergrund für diese Handhabung in Strafsachen (bei Freispruch) ist allerdings nicht, Ansprüche der Staatskasse vor dem Untergang zu bewahren, sondern eine doppelte Zahlung der RA-Vergütung durch die Staatskasse zu vermeiden.

    (Wenn nämlich erst ein KfB über die Gesamtvergütung erwirkt wird, die Staatskasse mit Ansprüchen gegen den Freigesprochenen aufrechnet und der Verteidiger anschließend die Vergütung als Pflichtverteidiger beantragt.)

  • Aber wer prüft denn, ob die Aufrechnung wirksam ist?

    Und genau da fange ich nämlich auch an zu grübeln :gruebel:

    Zu der von Impi85 geschilderten Vorgehensweise mag dies noch bei Wertgebühren passen, als nur die Differenzvergütung festgesetzt wird; aber bei Betragsrahmengebühren wird dies in Gänze scheitern, als der Anspruch im vollen Umfang dem Rechtsanwalt zusteht.

    Insoweit gebe ich zu bedenken, dass bei einer solchen Vorgehensweise ein Verstoß gegen Nr. 2.3.2 der geltenden Vergütungsfestsetzungs-AV vorliegt, als der Rechtsanwalt m.E. immer das Recht haben muss, bei bestehender PKH-Beiordnung seine Vergütung aus der Landeskasse geltend zu machen. Ob er tatsächlich auch eine Vergütung ausgezahlt bekommt oder infolge einer bestehenden Aufrechnungslage die Landeskasse die Auszahlung verweigert, ist m.E. erst der nächste Schritt. Insoweit wirklich sehr interessante Fundstellen, die Bolleff zusammengetragen hat :daumenrau

  • Da ich des Zitierens leider noch immer nicht hinreichend mächtig bin:

    Zu #9: Fundstelle u. a. Gerold/Schmidt, 22. Auflage, § 55, Rn. 38 mwN sowie BeckOK, Stand 01.12.2016, § 55 , Rn. 26 mwN. Außerdem auch Mayer/ Kroiß, 6. Auflage, § 55, Rn. 24

    Zu #10: Das ist klar, allerdings geht es im Endeffekt um die exakt identische Sache, nämlich das Vermeiden einer Doppelbelastung der Staatskasse, die sich durch eine Aufrechnungslage ergibt welche dafür sorgt, dass das Geld nicht mehr eingefordert werden kann. In beiden Fällen ist also die Staatskasse der Dumme, weil der Rechtspfleger den Verzicht vom Anwalt nicht gefordert hat bzw. die Festsetzung nicht entsprechend verringerte, etc. (siehe oben).

  • Zu #9: Fundstelle u. a. Gerold/Schmidt, 22. Auflage, § 55, Rn. 38 mwN


    Dank Dir! :daumenrau

    Die Rspr. und lit. geht dann ja sogar soweit, daß in diesem Fall ein bereits gem. § 55 erlassener Festsetzungsbeschluß über die Grundvergütung wieder aufzuheben sei (vgl. Schneider/Wolf, RVG, 8. Aufl., § 55 Rn. 95; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.08.2011 - II-5 WF 85/11). :eek:

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  • (vgl. Schneider/Wolf, RVG, 8. Aufl., § 55 Rn. 95; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.08.2011 - II-5 WF 85/11). :eek:

    Ich habe meine Zweifel, ob Schneider/Wolf die Entscheidung des OLG Düsseldorf richtig zitiert hat; jedenfalls werden keine Treffer in den üblichen Suchmaschinen nach dem gesuchten Az. angegeben.

  • Da ich des Zitierens leider noch immer nicht hinreichend mächtig bin:

    Zu #9: Fundstelle u. a. Gerold/Schmidt, 22. Auflage, § 55, Rn. 38 mwN sowie BeckOK, Stand 01.12.2016, § 55 , Rn. 26 mwN. Außerdem auch Mayer/ Kroiß, 6. Auflage, § 55, Rn. 24

    Zu #10: Das ist klar, allerdings geht es im Endeffekt um die exakt identische Sache, nämlich das Vermeiden einer Doppelbelastung der Staatskasse, die sich durch eine Aufrechnungslage ergibt welche dafür sorgt, dass das Geld nicht mehr eingefordert werden kann. In beiden Fällen ist also die Staatskasse der Dumme, weil der Rechtspfleger den Verzicht vom Anwalt nicht gefordert hat bzw. die Festsetzung nicht entsprechend verringerte, etc. (siehe oben).


    Exakt identisch würde ich nicht sagen.

    In Strafsachen erklärt ggf. die Staatskasse die Aufrechnung gegen den Anspruch des freigesprochenen Angeklagten, in Zivilsachen hingegen der erstattungspflichtige Unterlegene bei Antrag nach § 104 ZPO gegen ihn.

  • (vgl. Schneider/Wolf, RVG, 8. Aufl., § 55 Rn. 95; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.08.2011 - II-5 WF 85/11). :eek:

    Ich habe meine Zweifel, ob Schneider/Wolf die Entscheidung des OLG Düsseldorf richtig zitiert hat; jedenfalls werden keine Treffer in den üblichen Suchmaschinen nach dem gesuchten Az. angegeben.


    Die wohl n. v. Entscheidung ist auch überholt. Ein bereits ergangener Festsetzungsbeschluß über die Grundvergütung ist nicht aufzuheben:

    "Soweit der Senat noch in dem Verfahren II - 5 WF 85/11 mit Beschluss vom 12.08.2011 eine abweichende Auffassung vertreten hat, hält er diese nicht länger aufrecht."

    OLG Düsseldorf, Beschl. v. 06.02.2012 - II-5 WF 126/11 -

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  • Das würde auch keinen Sinn ergeben, wenn bereits festgesetzte Gebühren auf einmal erlöschen würden, nur weil der Rechtsanwalt die weitere Vergütung nicht anmeldet. Verfahrensrechtlich wäre es umso schwieriger eine bestehende Festsetzung des UdG aufzuheben, als bereits Zahlungen an den Anwalt aus der Entscheidung zurecht erfolgten. Von Amts wegen würde ich mich als UdG jedenfalls davor hüten dahingehend etwas zu veranlassen. Insoweit hege ich auch Zweifel daran, ob der Vertreter der Landeskasse etwas veranlasst, als dieser jedes Mal in Erinnerung gegen die Entscheidung des UdG gehen müsste, wenn der Anwalt nach § 55 Abs. 6 RVG aufgefordert wurde und anschließend nichts mitteilt.

    Zum Ausgangspunkt: Das Gesetz sagt mir dennoch nicht, dass der Anwalt entweder die Vergütung aus § 55 RVG oder aus § 126 ZPO oder in Vertretung seines Mandanten nach § 104 ZPO geltend machen muss, er kann demnach m.E. auch alles gleichzeitig veranstalten. Was sollte also einen Anwalt dazu bewegen einen Verzicht seines Anspruches aus der Landeskasse zu erklären?

  • So mal Rechtsprechung hierzu des BGH:

    Der Ausschluss von Einreden aus der Person der Partei (sog. Verstrickung) tritt bereits mit der Entstehung des Kostenerstattungsanspruchs ein und ist so lange gerechtfertigt, wie der beigeordnete Rechtsanwalt die Kostenforderung noch im eigenen Namen geltend machen kann (BGH, Beschluss vom 11. November 2015 – XII ZB 242/15 –, Rn. 12 juris)

    Die sich aus § 126 Abs. 2 Satz 1 ZPO ergebende Verstrickung des Kostenerstattungsanspruchs entfällt nach dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift erst dann, wenn - z.B. durch den Erlass eines Kostenfestsetzungsbeschlusses für die Partei - eindeutig feststeht, dass der Anspruch nicht mehr von dem beigeordneten Rechtsanwalt geltend gemacht werden kann. Erst dann bedarf es einer Sicherung der Vergütungsansprüche des beigeordneten Rechtsanwalts nicht mehr, so dass auch Einwendungen allein aus der Person der Partei den Kostenerstattungsanspruch zum Erlöschen bringen können
    (BGH, Beschluss vom 14. Februar 2007 – XII ZB 112/06 –, Rn. 13, juris)

    Im Ausgangsfall ist wohl danach davon auszugehen, dass die Auszahlung aus der Landeskasse nach § 55 RVG hätte gar nicht vorgenommen werden dürfen, hätte das Gericht von der Aufrechnungslage nach ergangener Kostenfestsetzung gemäß § 104 ZPO aufgrund treuwidrigem Verhaltens des Rechtsanwalts, seinen Anspruch nicht im eigenen Namen gemäß § 126 ZPO geltend gemacht zu haben, gewusst hätte (vgl. Gerold/Schmidt RVG 22. Auflage § 55 Rn. 55). Ich denke in dem Fall ist die Vorlage an die Vertretung der Landeskasse geboten mit der Maßgabe Erinnerung gegen die Festsetzung des UdG einzulegen.

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