Nachfestsetzung bzw. Erinnerung bei falschem Gegenstandswert

  • Ich habe einen unangenehmen Fall, bei dem ich Hilfe bräuchte:

    Kostenfestsetzungsantrag, Gebühren wurden (warum auch immer) aus einem Streitwert von ca. 1200€ berechnet. Der tatsächliche Streitwert beträgt 1.596,87€. Akte geht hiernach zum Landgericht wegen einer Berufung, diese wird zurückgenommen und der Streitwert wird auf 1.596,19€ geändert. Kosten werden nunmehr antragsgemäß festgesetzt (nach dem unrichtigen Antrag). Innerhalb der RM-Frist beantragt der Rechtsanwalt Nachfestsetzung in Höhe der Differenz zwischen festgesetztem Betrag und tatsächlichem Anspruch. Hilfsweise wird Erinnerung eingelegt. Gegenseite wurde angehört, hüllt sich aber in Schweigen. Ich habe Bedenken, dem Antrag zu entsprechen. Nachfestsetzung halte ich wegen des BGH für problematisch:


    Hat die erstattungsberechtigte Partei mit ihrem Kostenfestsetzungsantrag erkennbar ihren gesamten Anspruch auf Erstattung der Anwaltsgebühren geltend gemacht und hat das Gericht dem antragsgemäß stattgegeben, so steht die materielle Rechtskraft der früheren Entscheidung einer erneuten Kostenfestsetzung entgegen, wenn der Erstattungsberechtigte nunmehr den Anwaltsgebühren einen höheren Gegenstandswert zugrunde legt
    (BGH, Beschluss vom 10. März 2011 – IX ZB 104/09 –, juris)

    (Ich weiß, es ist in meinem Fall noch nicht rechtskräftig, aber ich würde ja über einen Anspruch entscheiden, der bereits entschieden wurde). Mit der Erinnerung habe ich auch Probleme, da ich die Beschwer nicht sehe (ich habe dem Antrag ja entsprochen, auch wenn er daneben war). Einen Fall von § 107 ZPO sehe ich auch nicht. Bin daher geneigt, den Antrag zurückzuweisen und der Erinnerung nicht abzuhelfen. Wie seht ihr das?

    Einmal editiert, zuletzt von Corypheus (23. Januar 2017 um 18:42) aus folgendem Grund: zweideutige Textstelle beseitigt

  • Ich halte die Entscheidung des BGH für problematisch. Bei Stellung des ursprünglichen KFA ist der RA irrtümlich vom falschen Streitwert ausgegangen. Er wollte eben nicht nur den geringeren Anspruch geltend machen, sondern den ihm tatsächlich zustehenden Gebührenanspruch. Insoweit hatte er nur aufgrund seines Irrtums zu wenig angemeldet. Dennoch müsste bzw. könnte man ihr wohl folgen, wenn der erste KFB bereits rechtskräftig gewesen wäre zum Zeitpunkt des Eingangs des Nachfestsetzungsantrags. Das war hier lt. Sachverhalt aber eben nicht der Fall. Zum Zeitpunkt des (erhöhten) Festsetzungsgesuchs bestand also das vom BGH gesehene Hindernis der materiellen RK des ersten KFB (noch) nicht. Ich hätte daher zumindest hier kein Problem mit der Nachfestsetzung des Differenzbetrages!

  • Die Entscheidung des BGH halte ich - insofern schließe ich mich thorsten an - auch für problematisch. Sie ist wohl zurecht auf Kritik gestoßen (vgl. z. B. Anm. N. Schneider in AGS 2011, 567). Beispielhaft kann man m. E. z. B. auf die Entscheidung des OLG Köln (AGS 2016, 473) verweisen, das eine Nachfestsetzung zugelassen hatte, nachdem der RA versehentlich eine falsche Gebührentabelle seiner Berechnung zugrundegelegt hatte. Wäre die Begründung des BGH stichhaltig, hätte hier das OLG Köln m. M. n. die Nachfestsetzung gleichfalls ablehnen müssen. Im übrigen hat das BayObLG in seinem Beschl. v. 06.02.2004 - Verg 25/03 - noch anders als der BGH entschieden und eine Nachfestsetzung bei einem irrtümlich zu niedrigen Streitwert für zulässig erachtet.

    Das Dilemma an der Entscheidung des BGH wird auch deutlich bei der Frage, ob hier andernfalls eine Erinnerung mangels Beschwer überhaupt möglich ist. In einer weiteren Entscheidung des BGH (AGS 2011, 205 = Rpfleger 2011, 239) hatte dieser (Rn. 3) ausgeführt:

    "Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels setzt eine Beschwer des Rechtsmittelführers sowie das Bestreben voraus, diese Beschwer mit Hilfe des Rechtsmittels zu beseitigen (...). Das Rechtsmittel ist unzulässig, wenn mit ihm lediglich im Wege der Anspruchserweiterung ein neuer, bislang nicht geltend gemachter Anspruch zur Entscheidung gestellt wird (...). Dementsprechend können bislang nicht Gegenstand eines Kostenfestsetzungsantrags bildende Kosten mit der sofortigen Beschwerde nur dann geltend gemacht werden, wenn das Rechtsmittel - wie hier nicht - unabhängig von der Anspruchserweiterung zulässig ist. Andernfalls sind sie zur nachträglichen Festsetzung anzumelden (...)."

    In der in #1 zitierten Entscheidung ist das aber genau die Begründung des BGH dafür, wieso eine Nachfestsetzung angeblich ausscheide: Der Antragsteller würde gerade denselben Anspruch geltend machen, über den aber bereits entschieden sei, weshalb sich die Rechtskraft des KfB auch darauf erstrecke.

    Ich meine, daß auch hier deutlich wird, daß diese in #1 genannte Entscheidung nicht zu überzeugen weiß. Entweder hat der Antragsteller die Möglichkeit, den noch nicht rechtskräftigen KfB im Wege der Erinnerung/sofortigen Beschwerde anzugreifen, weil er wegen desselben Anspruches (Gebührenhöhe) beschwert ist (mag er dann ggf. nach § 97 II ZPO die Kosten dieses Verfahrens tragen), oder er ist (da nunmehr in Wahrheit ein neuer Anspruch eingeführt wird) auf die Nachfestsetzung zu verweisen. Letzteres leuchtet, würde ich meinen, wohl eher ein.

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    5 Mal editiert, zuletzt von Bolleff (20. Januar 2017 um 18:06)

  • Auch wenn ich jetzt gesteinigt werden sollte: Nachfestsetzungen solcher Art sind hier gang und gäbe. Allerdings ist es hier immer so, dass der SW erst nach Erlass des KFbs geändert wird. Wenn nach Streitwerterhöhung der ursprüngliche Kfa nach dem alten, niedrigeren SW noch offen ist, rege ich an, mit Bezug auf den neuen, höheren SW den Kfa zu berichtigen.

  • :daumenrau Ich sehe da ebenfalls kein Problem und es wurde hier genauso gehandhabt. Schwierigkeiten gab es nie.

  • Wenn sich der Streitwert nach Erlass des KFB signifikant ändert, bist du bei § 107 ZPO, dafür wirst du nicht gesteinigt :D

    Ich habe es jetzt übrigens folgendermaßen gemacht:

    Antragsgemäß festgesetzt mit der Begründung, dass Erinnerung mit Hinweis auf die von Bolleff zitierte Rechtsprechung (Danke hierfür übrigens :)) nicht geht. Dann habe ich "meine" BGH Entscheidung genommen und gesagt, dass der BGH die Nachfestsetzung nur bei RK des ursprünglichen KFBs ausgeschlossen hat. Da der Nachfestsetzungsantrag vor RK einging, muss es im Umkehrschluss gehen (rechtlich wohl nicht ganz sauber, aber was solls :teufel:). Bin mal gespannt, ob da eine Erinnerung kommt ;)

  • Auch wenn ich jetzt gesteinigt werden sollte:


    :troest:

    Wenn nach Streitwerterhöhung der ursprüngliche Kfa nach dem alten, niedrigeren SW noch offen ist, rege ich an, mit Bezug auf den neuen, höheren SW den Kfa zu berichtigen.


    Diese gerichtliche Vorgehensweise kenne ich in der Praxis in diesem Fall bislang auch nur so. Nur hilft das letztlich natürlich jetzt Corypheus nicht weiter, weil "das Kind ja in den Brunnen gefallen" ist. ;)

    N. Schneider weist in seiner Kritik (AGS 2011, 568) an der Entscheidung, die er ausdrücklich als falsch bezeichnet, darauf hin, daß der BGH hier verkenne, daß es nicht im Ermessen oder Belieben eines RA stünde, einen höheren oder niedrigeren Gegenstandswert anzunehmen, erst recht nicht, wenn ein gerichtliches Verfahren zugrunde liege und der BGH - ebenso wie die dortigen Beteiligten - die wahren Probleme dort gar nicht erkannt hätte: Das KfV wäre wegen des Bestreitens der Wertfestsetzung auszusetzen gewesen (vgl. OLG Düsseldorf, AGS 2010, 568), die gerichtliche Wertfestsetzung war im dortigen Fall nach § 32 Abs. 1 RVG gar nicht bindend (-> dann Vorgehen nach § 33 Abs. 1 RVG) bzw. hätte der RA erst einmal Beschwerde einlegen müssen (§ 32 Abs. 2 RVG), bevor er überhaupt die Kostenfestsetzung betreibt ("den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht").

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