Minderj. Flüchtling: Altersfeststellung vs ursprünglicher Eigenangabe

  • Guten Abend!

    Eine Frage aus einem Berufsfeld, welches mit Rechtspflegern im Familiensachen zu tun hat:

    Ein junger syrischer Mensch erklärt als allein eingereister Flüchtling, entgegen der Wahrheit, dass er volljährig ist. Mit diesem Volljährigen-Geburtsdatum beantragt er auch Asyl. Dem Betreuer in einer Sammelunterkunft erklärt er, dass er minderjährig sei. Ihm sei vor der Einreise nach Deutschland dringend geraten worden, sich volljährig zu machen, um schnell Asyl zu beantragen.

    Das örtliche Jugendamt der Stadt A erfährt davon. Um eine Inobhutnahme zu prüfen, wird ein Altersgutachten in Auftrag gegeben. Die Ärzte kommen zu dem Schluss, dass der junge Syrer tatsächlich jünger als 18 Jahre ist.

    Dem entgegen stehen seine in Deutschland erstellten Dokumente mit dem Volljährigen-Datum, mit dem er bei der Ausländerbehörde registriert ist.

    Der junge Mensch wird dann als Volljähriger in eine Sammelunterkunft der Stadt B verlegt. Das dortige Jugendamt erhält die Akte des vorherigen Jugendamtes und wendet sich an das Familiengericht. Das Familiengericht der Stadt B bestellt im Rahmen einer einstweiligen Anordnung einen Vormund, geht also vorläufig von Minderjährigkeit aus.

    Frage: Welche Rechtswirkung hat ein derartiger Beschluss? Macht dieser vorläufige Beschluss aus dem Syrer einen Minderjährigen, der dann auch vom Jugendamt in Obhut genommen werden könnte?

    Vielen Dank!

  • Der Beschluss besagt, dass der bestellte Vormund solange Vormund bleibt, bis die Vormundschaft endet. Der Vormund ist in allen Verfahren der gesetzliche Vertreter des Mündels. Das Wort "vorläufig" beeinträchtigt die Aufgabenkreise des Vormunds nicht. Also zählt, was der Vormund gegenüber den handelnden Behörden angibt.

    Das JA entscheidet über die Inobhutnahme auf der Basis eigener Ermittlungen. Das hat es gemacht. Wenn dabei Regeln des SGB VIII missachtet wurden, müssen die JÄ das untereinander klären. Klar ist aber, dass JA B die Feststellungen des JA beachten muss und den Jugendlichen entweder in Obhut, oder in Jugendhilfe unterbringen oder dem Vormund übergeben muss.

    Was der Vormund dann dem Bamf mitteilt, ist seine Sache.

  • Guten Abend!

    Eine Frage aus einem Berufsfeld, welches mit Rechtspflegern im Familiensachen zu tun hat:

    Ein junger syrischer Mensch erklärt als allein eingereister Flüchtling, entgegen der Wahrheit, dass er volljährig ist. Mit diesem Volljährigen-Geburtsdatum beantragt er auch Asyl. Dem Betreuer in einer Sammelunterkunft erklärt er, dass er minderjährig sei. Ihm sei vor der Einreise nach Deutschland dringend geraten worden, sich volljährig zu machen, um schnell Asyl zu beantragen.


    :eek:

    Meist dürfte es genau entgegengesetzt sein, lieber minderjährig, weil es dann häufig eine bessere Unterbringung und Versorgung gibt usw.

    Davon abgesehen, verstehe ich nicht, weshalb trotz des vorliegenden ärztlichen Gutachtens, das die Volljährigkeit feststellt, ein Vormund bestellt wurde.

    Man könnte daher dagegen Beschwerde einlegen bzw. die Aufhebung anregen.

  • Davon abgesehen, verstehe ich nicht, weshalb trotz des vorliegenden ärztlichen Gutachtens, das die Volljährigkeit feststellt, ein Vormund bestellt wurde.

    Lies den SV bitte nochmal, die Ärzte sagen "jünger als 18 Jahre" :)

    Wer "A" sagt, muss nicht auch "B" sagen. Er kann auch feststellen, dass "A" falsch war oder es auch noch "C" gibt.

    Wir Zauberer wissen über sowas Bescheid!

  • Vielen Dank :)

    Dann sollte das JA der Stadt B ihn tatsächlich ebenfalls als minderjährig betrachten.

    Ja, stimmt, der Fall ist atypisch. Häufiger ist die Variante, dass sich die jungen Flüchtlinge als minderjährig ausgeben. Vielleicht kann ich hierzu noch eine Frage loswerden:

    Wenn ein JA bei einem jungen Flüchtling die Minderjährigkeit anzweifelt, ein Altersgutachten in Auftrag gibt und dieses zu dem Schluss kommt, der Mensch ist volljährig: Ab wann gilt dann das neue Geburtsdatum, wenn in der amtlichen Duldung, ein Minderjährigen-Geburtsdatum steht? (Und damit ggf. das Versagen von Jugendhilfeleistungen in Aussicht steht)

    Erst wenn die Auslländerbehörde das Datum in der Duldung ändert? Oder ab Datum des Eingangs des Altersgutachtens? Oder eine andere Variante? Welches ist das formal die "richtigste" Variante?

    Vielen Dank!

  • Auch diese Frage hat eine vormundschaftliche und eine jugendhilferechtliche Antwort.
    Vormund bleibt Vormund bis das Familiengericht entscheidet.

    JA hebt per Bescheid an den jungen Menschen und den Vormund die Inobhutnahme/HzE zum nächsten Tag auf.

    Meistens handele ich dann noch ein paar Tage in der Jugendhilfe aus, bis die Ausländerbehörde einen Platz zuweist.

    Eine Kollegin hat versucht, vor dem Verwaltungsgericht dagegen zu klagen. Sie ist mit der Klage an der Dauer des Verfahrens gescheitert. Die gerichtlichen Zuständigkeitsfragen waren nicht zu klären.

  • Ob jemand minderjährig oder volljährig ist, richtet sich nach den objektiven Gegebenheiten und nicht nach zutreffenden oder unzutreffenden Angaben der Beteiligten, die dann Eingang in irgendwelche amtlichen Papiere finden. Wie mein Vorredner zutreffend hervorhebt, ist es aber eine andere Frage, ob eine in irriger Annahme der Minderjährigkeit erfolgte Anordnung einer Vormundschaft die mit Beschluss bezweckten Rechtswirkungen zeitigt.

  • Auch diese Frage hat eine vormundschaftliche und eine jugendhilferechtliche Antwort.
    Vormund bleibt Vormund bis das Familiengericht entscheidet.

    JA hebt per Bescheid an den jungen Menschen und den Vormund die Inobhutnahme/HzE zum nächsten Tag auf.

    Meistens handele ich dann noch ein paar Tage in der Jugendhilfe aus, bis die Ausländerbehörde einen Platz zuweist.

    Eine Kollegin hat versucht, vor dem Verwaltungsgericht dagegen zu klagen.


    Aus welchem Grund? :gruebel:

  • Ob jemand minderjährig oder volljährig ist, richtet sich nach den objektiven Gegebenheiten und nicht nach zutreffenden oder unzutreffenden Angaben der Beteiligten, die dann Eingang in irgendwelche amtlichen Papiere finden. Wie mein Vorredner zutreffend hervorhebt, ist es aber eine andere Frage, ob eine in irriger Annahme der Minderjährigkeit erfolgte Anordnung einer Vormundschaft die mit Beschluss bezweckten Rechtswirkungen zeitigt.

    Hört sich toll an, ist aber keine objektive Gegebenheit. Die medizinischen Gutachten arbeiten mit Wahrscheinlichkeiten und in der Altersgruppe >16 mit Spannbreiten von 24 Monaten.

    In 2016 hat mehr als die Hälfte der bei uns aufgeschlagenen UMF keine Personenstandsdokumente vorgelegt. Wenn die Clearingstelle davon ausgeht, der junge Mensch sei volljährig, wird ihm die Inobhutnahme verweigert.
    Auch in diesem Verfahren wird kein neues Geburtsdatum gesetzt. Der junge Mensch sagt dann: Ich wurde am x.x. geboren, aber die Behörden glauben es mir nicht.

  • .......

    Eine Kollegin hat versucht, vor dem Verwaltungsgericht dagegen zu klagen.


    Aus welchem Grund? :gruebel:


    Frog, ich gehe davon aus, dass sich deine Frage auf die letzte Aussage bezieht:
    Das Familiengericht hielt an der Schutzbedürftigkeit fest. Es orientierte sich im unteren Rahmen des Gutachtens, das JA am oberen.
    Die Ausländerbehörde verlegte den jungen Menschen nach Beendigung der IO sofort in ein anderes Bundesland. Dadurch waren die familien- und verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeitsfragen neu zu beantworten. Die Kollegin hat m.W. nicht einmal PKH bekommen.

    Es ist nicht so selten, dass sich Flüchtlinge älter machen. Fragen Sie mal die Strafrichter.


  • Vielen Dank für die Erläuterung.

    Dass sich Flüchtlinge für älter ausgeben als sie sind, scheint in der hiesigen Gegend nicht vorzukommen. Im Hinblick auf das mildere Jugendstrafrecht wäre dies wohl auch eher unsinnig.

  • Dann sind Eure Verteidiger noch nicht auf die Masche gekommen: Steht ein angeblich 22jähriger vor Gericht, würde je nach Straftat der clevere Verteidiger einwenden, der Täter sei zum Tatzeitpunkt erst 20 gewesen.


    16jährige, die in Deutschland arbeiten sollen/wollen sind in der Jugendhilfe schlecht aufgehoben. Dazu ist die Betreuung dann doch zu intensiv. Und dann die nervigen Vormünder...
    Mädchen sind zur Zeit nur relativ wenige alleine in Deutschland unterwegs. Selbst 14jährige wurden volljährig gemacht.

  • Dann sind Eure Verteidiger noch nicht auf die Masche gekommen: Steht ein angeblich 22jähriger vor Gericht, würde je nach Straftat der clevere Verteidiger einwenden, der Täter sei zum Tatzeitpunkt erst 20 gewesen.

    Aber damit macht er sich doch jünger und nicht älter!? :gruebel:

    "Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht." (Abraham Lincoln)

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