Erben 4. Ordnung - voll- und halbbürtige Nachkommen der Urgroßeltern § 1928 BGB

  • Hallo Forum,

    hat jemand eine Fundstelle, wonach es für das Erbrecht der 4. Ordnung egal ist, ob ein Nachkomme der Urgroßeltern voll- oder halbbürtig ist?

    Vielen Dank.

  • Das ergibt sich schon aus dem § 1928 BGB, der für die IV. und höhere Erbfolgeordnungen vom Parentelsystem der niederen Ordnungen abweicht. Damit gibt es kein Erbrecht nach Stämmen mehr und folglich ist es auch egal, ob man halbbürtig oder vollbürtig mit dem Erblasser verwandt ist.

    Edit: Cromwell war schneller... :)

    Hatte schon darauf gewartet, dass er hier auf die von ihm initiierte Frage zur Verfassungsmäßigkeit eingehen wird. Ist ganz nett von Ihm damals begründet worden...umso kürzer die Begründung damals des LG...

    :)

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

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  • Ja, die Begründung des Landgerichts lautete, dass der Erblasser ein Testament hätte errichten können, wenn ihm die gesetzliche Erbfolge nicht gefällt.

    In jeder rechtlicher Hinsicht absolut unterirdisch, aber die Landgerichte haben seit der Änderung des Instanzenzugs in Nachlasssachen nichts mehr mitzureden - allerdings natürlich immer noch im Prozessverfahren.

  • AG Starnberg, Beschl. v. 21.3.2003, Az. VI 547/02, FamRZ 2003, 1131

    1. Über die Verfassungswidrigkeit vorkonstitutionellen Rechts haben die Gerichte (hier: der Rechtspfleger im Rahmen der ihm durch das RPflG zugewiesenen Aufgaben) selbst zu entscheiden.

    2. Die in § 1928 III BGB und in § 1929 II BGB normierte Aufgabe des Parentelsystems (Erbfolge nach Stämmen) zugunsten des Gradual- und Kopfsystems sowie die in § 1928 II BGB aufgegebene erbrechtliche Scheidung von Vater- und Mutterseite innerhalb der vierten und der ferneren gesetzlichen Erbordnungen verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG und die Erbrechtsgarantie des Art. 14 GG. Als verfassungsgemäße Ersatzanknüpfung kommt nur die durchgängige Anwendung des Parentelsystems im Sinne der Erbfolge nach Stämmen entsprechend den Regeln des § 1924 II-IV BGB in Betracht.

    3. Ist ein auf die genannten verfassungswidrigen Normen gestützter Erbscheinsantrag bereits wegen der feststehenden Existenz von nach dem Parentelsystem erbberechtigten (wenn auch noch nicht vollständig ermittelten) gradferneren Verwandten zurückzuweisen, sind diese Erbprätendenten im Rahmen der gebotenen Zurückweisung des Erbscheinsantrags nicht am Erbscheinsverfahren zu beteiligen.

    Gründe:

    Der vorliegende Erbscheinsantrag wurde darauf gestützt, dass der ASt. der vierten gesetzlichen [ges.] Erbordnung angehört und als gradnächster Verwandter nach § 1928 III, 1. Hs. BGB zum Alleinerben des Erblassers berufen sei. Der Wegfall sämtlicher Verwandter der vorhergehenden Erbordnungen und die gradnächste Verwandtschaft des ASt. wurde ordnungsgemäß und vollständig durch die Vorlage der entsprechenden Personenstandsurkunden nachgewiesen. Gleichwohl kann der Erbscheinsantrag keinen Erfolg haben, weil das Gericht das in § 1928 III, 1. Hs. BGB normierte Gradualprinzip - ebenso wie das in § 1928 III, 2. Hs. BGB verankerte Kopfprinzip - wegen eines nicht hinnehmbaren Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG für verfassungswidrig hält.

    Zunächst ist vorauszuschicken, dass das Gericht über die Verfassungsmäßigkeit der Norm des § 1928 III BGB selbst entscheiden kann, weil es sich bei der betreffenden Vorschrift um vorkonstitutionelles Recht handelt und der Gesetzgeber das fragliche Gradual- und Kopfprinzip auch nicht in seinen nachkonstitutionellen Gesetzgebungswillen aufgenommen hat. Soweit das ges. Erbrecht des BGB nach dem In-Kraft-Treten des GG geändert wurde, beschränkten sich diese Änderungen nämlich auf güterrechtliche Fragen (§§ 1371, 1931 III, IV BGB) oder auf Status- und Abstammungsfragen im Rahmen des mehrmals geänderten Nichtehelichen- oder Adoptionsrechts. Auch soweit die betreffenden Änderungen im Nichtehelichenrecht auf verfassungsrechtlichen und aus dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG abgeleiteten Erwägungen beruhten, waren diese Änderungen ausschließlich aufgrund der gleichheitswidrigen Behandlung von Abstammungs- und Statusfragen im Hinblick auf ehel. und nichtehel. Abkömmlinge des Erblassers veranlasst. Hieraus folgt, dass die den genannten nachkonstitutionellen Gesetzesänderungen zugrunde liegenden Rechtsfragen die Grundregeln der ges. Erbfolge, also die Rangordnung der verschiedenen Erbordnungen und die innerhalb dieser Erbordnungen geltenden Regeln, nicht berühren. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber das Gradual- und Kopfprinzip des § 1928 III BGB in seinen nachkonstitionellen gesetzgeberischen Willen aufgenommen hat. Da eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 GG somit nicht in Betracht kommt, kann das Gericht über die Verfassungsmäßigkeit der Norm des § 1928 III BGB selbst entscheiden. Nachdem im vorliegenden Fall der Eintritt der ges. Erbfolge in Frage steht, ist für diese Entscheidung der Rechtspfleger funktionell zuständig (Arnold/Meyer-Stolte/Herrmann/Hansens, RPfIG, 5. Aufl., § 5 Rz. 9, m. w. N.).

    Für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Norm des § 1928 III BGB ist zunächst zu prüfen, welche gesetzgeberischen Gründe und Vorstellungen dafür maßgeblich waren, innerhalb der vierten Erbordnung (und nach § 1929 II BGB auch innerhalb der ferneren Erbordnungen) eine Abkehr vom Grundsatz des Eintrittsrechts nach Stämmen und (in § 1928 II BGB) vom Grundsatz der Scheidung von Vater- und Mutterseite zu vollziehen (vgl. die diese Grundsätze verwirklichenden Regelungen in den §§ 1924-1926 BGB). Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass im ersten BGB-Entwurf im Gegensatz zum Gesetz gewordenen Recht zunächst noch vorgesehen war, das für die ersten drei Erbordnungen geltende Parentelsystem bereits für die dritte Erbordnung (und die ferneren Erbordnungen) aufzugeben, um eine zu große Zersplitterung des Nachlasses zu vermeiden (Mot. V, 364). Diese Intention kam letztlich aber erst ab der vierten Erbordnung zum Zuge, weil die Abkehr vom Parentelsystem gegenüber den (an sich) nach Stämmen eintrittsberechtigten Verwandten des Erblassers vom Gesetzgeber als ungerecht empfunden wurde (Prot. V, 418; 2. Denkschrift S. 53, 54) und es nicht ratsam erschien, die Klarheit und Folgerichtigkeit der Erbfolge, die das Parentelsystem verbürgt, zugunsten einer unübersichtlichen Kasuistik aufzulockern (Staudinger/Lehmann, BGB, 11. Aufl., § 1926 Rz. 5).

    Neben dem geschilderten Zersplitterungsgedanken beruhte die ab der vierten Erbordnung Gesetz gewordene Abkehr vom Parentelsystem des Weiteren auf der Überlegung, dass bei weiter entfernten Generationen nicht mehr vom Bewusstsein der Familienzusammengehörigkeit im Verhältnis zum Erblasser ausgegangen werden könne und sich bei der Ermittlung dieser entfernteren Verwandtschaft vielfache Verwicklungen und Schwierigkeiten ergeben könnten (Planck/Strohal, BGB, 3. Aufl., § 1928 Anm. 2). Der Gesetzgeber war sich bei seinen Überlegungen im Hinblick auf die - letztlich für ausschlaggebend gehaltene - Gefahr der Nachlasszersplitterung somit schon damals darüber im Klaren, dass das ab der vierten Erbordnung zum Zuge kommende Gradual- und Kopfprinzip mit der Folgerichtigkeit des Parentelsystems nicht zu vereinbaren ist und dass die gebotenen Gerechtigkeitserwägungen (im Hinblick auf die gradferneren Verwandten des Erblassers) demzufolge eigentlich eine konsequente Fortführung des Parentelsystems für alle Erbordnungen gebieten würde (Planck/Strohal, a. a. O., § 1926 Anm. 4). Daraus folgt, dass sich der Gesetzgeber der aus der Anwendung des Gradual- und Kopfprinzips resultierenden Ungleichbehandlung von gradnäheren und gradferneren Verwandten des Erblassers bewusst war und ab der vierten Erbordnung nur aufgrund der Gefahr der Vermögenszersplitterung und im Hinblick auf die sich bei der Erbenermittlung ergebenden Schwierigkeiten von einer durchgängigen (also einer sich auf alle Erbordnungen erstreckende) Beibehaltung des Parentelsystems Abstand nahm.

    Diese seinerzeitigen vorkonstitutionellen Erwägungen des Gesetzgebers vermögen im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG nicht mehr zu überzeugen, weil sich die Verhältnisse seit dem In-Kraft-Treten des BGB grundlegend geändert haben und die in § 1928 III BGB statuierte Benachteiligung der gradferneren Verwandtschaft des Erblassers demzufolge nicht mehr gerechtfertigt erscheint.

    Wie jedem erbrechtlichen Praktiker bekannt ist, lässt sich das Argument der (zu vermeidenden) Zersplitterung des Nachlasses schon durch die Tatsache widerlegen, dass das Parentelsystem bereits in der zweiten und dritten Erbordnung zu einer vom Gesetzgeber in Kauf genommenen Zersplitterung und im Einzelfall - vor allem beim Vorhandensein von Grundbesitz - sogar zu einer regelrechten „Zertrümmerung" des Nachlasses führt. Das erkennende Gericht hat erst vor kurzem (und wie schon des Öfteren) eine ges. Erbfolge der zweiten Erbordnung (also in der Geschwisterverwandtschaft des Erblassers) festgestellt, bei welcher eine Vielzahl von Personen als Erben berufen war und sich der kleinste Erbteil auf eine Quote von 1/1.024 - oder bei anderen Erbfällen auch auf weniger - belaufen hat (Höhe des Reinnachlasses in genannten Fall: ca. 500.000 EUR; Erbteil demzufolge: 488,28 EUR). Des Weiteren sind dem erkennenden Rechtspfleger aus seiner über 20-jährigen Tätigkeit in Nachlasssachen Erbfälle bekannt, bei welchen die nach langjährigen Ermittlungen festgestellte kleinste Erbquote innerhalb der dritten Erbordnung (also der Großelternverwandtschaft des Erblassers) weniger als 1/10.000 betragen hat. Diese unbestreitbaren Fakten machen deutlich, dass es keinen nachvollziehbaren Grund gibt, die Gefahr einer Zersplitterung des Nachlasses (erst) ab der vierten Erbordnung zu beschwören, weil der Gesetzgeber diese Gefahr bereits in der zweiten und dritten Erbordnung sehenden Auges in Kauf nimmt. Hinzu kommt, dass ges. Erbfolgen innerhalb der vierten (oder einer ferneren) Erbordnung äußerst selten sind und sich die Gefahr der Zersplitterung des Nachlasses demzufolge vorwiegend in der zweiten und (vor allem) in der dritten ges. Erbordnung verwirklicht. Auch unter diesem Gesichtspunkt besteht - erst recht (und auch im Hinblick auf Art. 14 I S. 1 GG) - kein nachvollziehbarer Grund, in der vierten (oder einer ferneren) Erbordnung vom in sich schlüssigen und den Grundgedanken des Verwandtenerbrechts konsequent verwirklichenden Parentelsystem abzuweichen.

    Auch das für einen Erbrechtsausschluss der gradferneren Verwandtschaft ins Feld geführte Argument des fehlenden „Familienzusammengehörigkeitsgefühls" (im Verhältnis zum Erblasser) vermag nicht zu überzeugen. Ganz abgesehen davon, dass es in heutiger Zeit aufgrund der seit dem In-Kraft-Treten des BGB erfolgten gesellschaftlichen Umwälzungen nicht einmal mehr eine Gewähr dafür gibt, dass das Gefühl der „Familienzusammengehörigkeit" in der ersten und zweiten Erbordnung noch besonders ausgeprägt ist, ist es nach den langjährigen Erfahrungen des Gerichts bei komplizierten Erbenermittlungen in der dritten (und mitunter auch in der zweiten) Erbordnung nicht die Ausnahme, sondern die Regel, dass die weitläufig ermittelten ges. Erben von der Existenz des Erblassers überhaupt keine Kenntnis hatten und demzufolge „wie die Jungfrau zum Kind" in den Genuss ihres Erbteils kommen. Weshalb der ab der vierten Erbordnung normierte Erbrechtsausschluss der gradferneren Verwandtschaft ausgerechnet aufgrund des angeblich nur dieser ferneren Erblasserverwandtschaft „abhanden gekommenen" Familienzusammengehörigkeitsgefühls gerechtfertigt sein soll, muss demnach unerfindlich bleiben.

    Auch die im Fall der Beibehaltung des Parentelsystems befürchteten Verwicklungen und Schwierigkeiten bei einer Erbenermittlung innerhalb der vierten (oder einer ferneren) Erbordnung vermögen den in § 1928 III, 1. Hs. BGB normierten Erbrechtsausschluss der gradferneren Verwandtschaft - jedenfalls aus heutiger Sicht - nicht (mehr) zu rechtfertigen. Dass dem so ist, ergibt sich bereits aus einem Vergleich des für eine Erbenermittlung bis zur vierten Erbordnung benötigten Zeitraums. Geht man nämlich davon aus, dass ein 60-jähriger Erblasser i. J. 1902 verstorben ist und unterstellt man des Weiteren für jede weitere aufsteigende Generation einen durchschnittlichen (Geburts)Zeitraum von 25 Jahren, so mutete der Gesetzgeber des BGB dem NachlG zu, die ges. Erben bis zum Jahre 1767 zurückzuermitteln (Geburtsjahr des Erblassers: 1842; Geburtsjahr der Erblassereltern: 1817; Geburtsjahr der Großeltern: 1792; Geburtsjahr der Urgroßeltern: 1767). Ist der 60-jährige Erblasser demgegenüber im Jahr 2002 verstorben, so müssen die ges. Erben in Anwendung dieser Berechnungsmethode heutzutage lediglich bis ins Jahr 1867 zurückermittelt werden (Geburtsjahr des Erblassers: 1942; Geburtsjahr der Erblassereltern: 1917; Geburtsjahr der Großeltern: 1892; Geburtsjahr der Urgroßeltern: 1867). Die sich hieraus ergebende zeitliche „Ermittlungsdifferenz" von 100 Jahren würde es unter Zugrundelegung der im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des BGB tolerierten „Zumutbarkeitskriterien" aus heutiger Sicht somit ermöglichen, die ges. Erben des Erblassers in Anwendung des Parentelsystems bis zur achten Erbordnung zu ermitteln (4 x weitere 25 Jahre = 100 Jahre: 1867/1767).

    Aber selbst wenn man das Argument der zeitlichen „Fortschreibung" dieser sog. Zumutbarkeitskriterien bis in die heutige Zeit nicht für überzeugend hält, ist nicht zu verkennen, dass eine Erbenermittlung aus heutiger Sicht aufgrund des möglichen Einsatzes von vielfältigen technischen Hilfsmitteln und wegen der erfolgten sorgfältigen - und über Jahrzehnte zurückreichenden - Archivierung von Abstammungs- und Personenstandsdaten weit „weniger schwierig" ist als am Anfang des 20. Jahrhunderts. In diesem Zusammenhang ist insbesondere von Bedeutung, dass die NachlGe bis zum Jahre 1870 (nach obiger Berechnungsmethode also ohnehin bis zur vierten Erbordnung) auf Standesamtsunterlagen zurückgreifen können, während im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des BGB seit der erfolgten Einrichtung von Standesämtern gerade einmal ein Zeitraum von 30 Jahren verstrichen war und ein i. J. 1902 tätig werdendes Nachlassgericht somit bereits im Hinblick auf den Geburtseintrag eines 60-jährigen Erblassers auf Ermittlungen in den entsprechenden (und je nach Konfession „verschiedenen") Kirchenbüchern zurückgreifen musste.

    Gerade das vorliegende Nachlassverfahren zeigt, dass es dem für die Erbenermittlung bestellten Nachlasspfleger innerhalb von sieben Monaten gelungen ist, die ges. Erbprätendenten der vierten Erbordnung zu ermitteln und sämtliche für den Erbscheinsantrag erforderlichen Personenstandsurkunden und Kirchenbucheinträge im Umfang von zwei dicken Ordnern (mit hunderten von Urkunden) zu beschaffen. Da der bestellte Nachlasspfleger in einer Vielzahl von anderen Nachlassverfahren gleichermaßen erfolgreich und zügig tätig ist, kann aus heutiger Sicht somit nicht mehr an der Auffassung festgehalten werden, wonach eine Erbenermittlung in der vierten (oder einer ferneren) Erbordnung unüberwindliche Schwierigkeiten bereitet oder zu nicht mehr beherrschbaren Verwicklungen führt. Dass die bei der Erbenermittlung auftretenden Schwierigkeiten einer lückenlosen Feststellung des gesetzlichen Verwandtenerbrechts in Anwendung des Parentelsystems nicht (mehr) entgegenstehen, ergibt sich im Übrigen auch daraus, dass die früher übliche Großfamilie aufgrund der gesellschaftlichen Zeitläufe bereits seit Jahrzehnten von der „erbenermittlungsfreundlichen" Kleinfamilie abgelöst wurde und dass dem NachlG - damals wie heute - der Weg der öffentlichen Aufforderung nach § 2358 II BGB zur Verfügung steht, um im Einzelfall nicht mehr ermittelbare ges. Erben von ihrer Berücksichtigung im Erbscheinsverfahren auszuschließen.

    Den vorkonstitutionellen Überlegungen des Gesetzgebers des BGB muss aber aus heutiger Sicht auch noch aus einem anderen wichtigen Grund die Zustimmung versagt bleiben. Der Gesetzgeber des BGB konnte am Ende des 19. Jahrhunderts noch davon ausgehen, dass die Zahl der vermögenden Erblasser relativ gering ist und sich die Höhe der zu vererbenden Nachlässe - jedenfalls in der Regel - in überschaubaren Grenzen hält. Unter diesen Voraussetzungen mag es im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des BGB noch angemessen gewesen sein, die bei durchgängiger Anwendung des Parentelsystems gebotenen umfangreichen Erbenermittlungen jedenfalls innerhalb fernerer Erbordnungen durch einen Übergang auf das Gradual- und Kopfsystem abzukürzen. Aus heutiger Sicht - über 100 Jahre später - ist im Gegensatz zu den damaligen Vermögensverhältnissen der Bürger aber zu konstatieren, dass breite Bevölkerungsschichten der heutigen Erblasser-Generation (auch durch Erbschaften) zunehmend zu Wohlstand gelangt sind und deshalb immense und sich immer weiter erhöhende Vermögenswerte - vor allem in Form von Grundbesitz - zur Vererbung anstehen. Die geschilderte verfassungsrechtliche Problematik spitzt sich daher auch auf die (zu verneinende) Frage zu, ob es angesichts der heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse noch hinnehmbar ist, die nach dem Parentelsystem zur Erbfolge berufenen Verwandten des Erblassers durch den ab der vierten Erbordnung normierten Übergang zum Gradual- und Kopfsystem völlig von einer erbrechtlichen Beteiligung an diesen immensen Vermögenswerten auszuschließen. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Nachlasswerte i. H. von mehreren Millionen EUR (und weit darüber) bei Grundstückspreisen bis zu 750 EUR/qm und wegen vorhandener umfangreicher Geld- und Wertpapierguthaben im hiesigen Gerichtsbezirk keine Seltenheit sind, erscheint der Schluss zwingend, dass die seinerzeitigen Überlegungen des Gesetzgebers des BGB in heutiger Zeit nicht mehr für eine Rechtfertigung des genannten Erbrechtsausschlusses herangezogen werden können. Wenn ein nach § 1928 III Hs. 1 BGB von der Erbfolge ausgeschlossener gradfernerer Verwandter des Erblassers bei Anwendung des Parentelsystems mit einer Erbquote von 1/50 an einem Nachlass im Wert von 2.500.000 EUR zum Miterben berufen wäre, handelt es sich im Hinblick auf die Werthaltigkeit des dem gradferneren Verwandten „entzogenen" Erbteils im Betrag von 50.000 EUR jedenfalls nicht mehr um eine rechtlich zu vernachlässigende Größenordnung. Im Übrigen ist die Gewährleistung der Grundrechte aus verfassungsrechtlicher Sicht ohnehin nicht von der Werthaltigkeit der betreffenden Grundrechtsposition abhängig.

    Die vorstehenden Ausführungen belegen nach Auffassung des Gerichts ohne jeden vernünftigen Zweifel, dass die beim In-Kraft-Treten des BGB maßgeblichen gesetzgeberischen Erwägungen für die in § 1928 III, 1. Hs. BGB und § 1929 II BGB normierte Abkehr vom Parentelsystem aus heutiger Sicht unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt mehr berechtigt sind. Da für den genannten Erbrechtsausschluss der gradferneren Verwandtschaft auch keine anderen rechtfertigenden und nachvollziehbaren Gründe ins Feld geführt werden können, muss dieser ges. Erbrechtsausschluss somit als willkürlich und damit als gleichheitswidrig i. S. des Art. 3 GG verworfen werden.

    In diesem Zusammenhang erscheint es aus verfassungsrechtlicher Sicht im Übrigen auch nicht hinnehmbar, dass sämtliche gradferneren Verwandten des Erblassers vom NachlG aufgrund der Vorschrift des § 1928 III, 1. Hs. BGB überhaupt nicht mehr ermittelt und demzufolge am Nachlassverfahren auch nicht beteiligt werden, sobald die Ermittlungen zum Auffinden eines gradnäheren Verwandten des Erblassers geführt haben. Aufgrund dieser Verfahrensweise sind die „kenntnislosen" gradferneren Verwandten des Erblassers nämlich nicht einmal in die Lage versetzt, die Verfassungswidrigkeit der zu ihrem Erbausschluss führenden Normen im Erbscheinsverfahren geltend zu machen. Da die Erben- und Beteiligtenstellung der gradferneren Verwandten aber gerade von der Beantwortung dieser verfassungsrechtlichen Fragestellung abhängt, führt die geschilderte Verfahrensweise der NachlGe zu einem verfahrensrechtlichen Ausschluss der gradferneren Erblasserverwandten, der als solcher ebenfalls mit dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit zu belegen ist.

    Mit der Feststellung, dass sich die ges. Erbfolge in der vierten Erbordnung (und in den ferneren Erbordnungen) nicht nach den verfassungswidrigen Normen des § 1928 III, 1. Hs. BGB und des § 1929 II BGB bestimmt, ist für sich alleine noch nichts für die Beantwortung der Frage gewonnen, nach welchen Kriterien sich die ges. Beerbung des Erblassers in diesen Erbordnungen zu richten hat. Aus den genannten Gründen bedarf es jedoch keiner weiteren Begründung, dass als verfassungsgemäße Ersatzanknüpfung insoweit nur die durchgängige Anwendung des Parentelsystems und damit die analoge Anwendung der Regeln des § 1924 II-IV BGB in Betracht kommt. Dabei steht der analogen Anwendung des in § 1924 III BGB statuierten Stammesprinzips insbesondere nicht entgegen, dass § 1928 III, 2. Hs. und § 1929 II BGB für die vierte Erbordnung und die ferneren Erbordnungen insoweit eine weitere (und damit eine „doppelte") Abkehr vom Parentelsystem vorsehen, als die in den ersten drei Erbordnungen durchgeführte Erbfolge nach Stämmen durch das Kopfprinzip ersetzt wird. Denn soweit diese beiden letztgenannten Normen aufgrund der „Halbsatz"-Systematik des § 1928 III BGB nicht ohnehin die (verfassungswidrige) Geltung des Gradualsystems i. S. des § 1928 III, 1. Hs. BGB voraussetzen, sind sie wegen der im Vergleich zur „Gradnähenproblematik" identischen Interessenlage der (nunmehr) vom Kopfprinzip benachteiligten Erbprätendeten aus den bereits zur Verfassungswidrigkeit des § 1928 III, 1. Hs. BGB führenden Gründen ebenfalls als gleichheitswidrig i. S. des Art. 3 GG einzustufen.

    Dass diese rechtliche Beurteilung unabweisbar ist, ergibt sich insbesondere aus den im vorliegenden Erbfall ermittelten Verwandtschaftsverhältnissen und den aus diesen Verwandtschaftsverhältnissen resultierenden und von der jeweiligen Rechtsanwendung abhängigen unterschiedlichen Erbquoten. Der ASt., der sich nach § 1928 III, 1. Hs. BGB als Alleinerbe des Erblassers betrachtet, hatte nämlich noch zwei Geschwister, die unter Hinterlassung von zwei bzw. drei Kindern vorverstorben sind. Diese fünf Neffen und Nichten des ASt., die ihr ges. Erbrecht als gradfernere Verwandte nur aufgrund der Verfassungswidrigkeit des § 1928 III, Hs. 1 BGB erlangen können, wären bei Anwendung des Kopfprinzips des § 1928 III Hs. 2 BGB und beim Fehlen sonstiger Erblasserverwandtschaft zusammen mit dem Antragsteller nämlich zu je einem Sechstel als Miterben berufen, während der ASt. bei Anwendung des Parentelsystems zu einem Drittel, die beiden Kinder der Schwester des ASt. - hier unverändert - zu je einem Sechstel und die drei Kinder des Bruders des ASt. zu je einem Neuntel als ges. Miterben in Betracht kämen.

    Mangels rechtfertigender Gründe für die erstgenannte „Kopflösung" liegt auf der Hand, dass alleine die letztgenannte Erbfolge nach Stämmen vor der „Meßlatte" des Art. 3 GG Bestand haben kann. Denn es ist unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt nachvollziehbar, weshalb die (nur) aufgrund der Verfassungswidrigkeit des § 1928 III Hs. 2 BGB zur Erbfolge berufenen drei Abkömmlinge des vorverstorbenen Bruders nach § 1928 III Hs. 2 BGB nunmehr auf einmal die gleiche Erbquote wie der ASt. (ein Sechstel statt ein Neuntel) erhalten sollen und der ASt. auf eine ihm verbleibende (und im Ergebnis „halbierte") Erbquote von ebenfalls einem Sechstel (statt einem Drittel) verwiesen wird. Dieser Lösung das Wort zu reden, würde im Ergebnis bedeuten, sich die wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG bejahte Verfassungswidrigkeit des § 1928 III Hs. 2 BGB mit einer weiteren gleichheitswidrigen Bevorzugung bzw. Benachteiligung im Verhältnis zwischen gradnäherer und gradfernerer Erblasserverwandtschaft im Anwendungsbereich des § 1928 III Hs. 2 BGB zu erkaufen.

    Damit verbleibt es dabei, dass für die Beurteilung der eingetretenen ges. Erbfolge in der vierten (oder einer ferneren) Erbordnung nur die durchgängige Anwendung des Parentelsystems und damit die analoge Anwendung der Regeln des § 1924 II-IV BGB als verfassungsgemäße Ersatzanknüpfung für die gleichheitswidrigen Normen des § 1928 III BGB und des § 1929 II BGB in Betracht kommt. Dass wegen identischer Interessenlage natürlich auch die bereits „aus Altersgründen" nahezu obsolete Vorschrift des § 1928 II BGB (i. V. mit § 1929 II BGB) als gleichheitswidrig zu verwerfen ist, ist im vorliegenden Erbscheinsverfahren nicht entscheidungserheblich, weil die dort geregelte Fallgestaltung „altersbedingt" nicht vorliegt.

    Nach den bisherigen Ausführungen ist der Erbscheinsantrag des ASt. schon deshalb (und zwar in jedem Fall) unbegründet, weil der ASt. nachgewiesenermaßen schon wegen der Existenz seiner fünf Neffen und Nichten nicht der einzige der vierten Erbordnung angehörende Erblasserverwandte ist und nach der geschilderten Rechtsauffassung des Gerichts schon aus diesem Grunde nicht zum ges. Alleinerben des Erblassers berufen sein kann. Der gestellte Erbscheinsantrag war daher ohne weitere Ermittlungen und in folgerichtiger Konsequenz der Rechtsauffassung des Gerichts auch ohne Anhörung der übrigen ges. Erbprätendenten zurückzuweisen. Diese Erbprätendenten sind vielmehr erst in einem neuen Erbscheinsverfahren (unter Einschluss ihrer Person) zu beteiligen. Zu diesem Zweck werden die weiteren ges. Erbprätendenten der vierten Erbordnung vom Nachlasspfleger noch vollständig zu ermitteln sein. Welche Dimensionen die im vorliegenden Beschluss aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen erlangen können, ergibt sich im Übrigen bereits aus der Mitteilung des Nachlasspflegers, wonach ohne Einrechnung des ASt. und seiner fünf Neffen und Nichten noch in mindestens fünfzehn weiteren Stämmen lebende Abkömmlinge der diversen Erblasserurgroßeltern vorhanden sind. Auch diese Mitteilung des Nachlasspflegers belegt, dass es aufgrund der in heutiger Zeit zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten keine unüberwindlichen Schwierigkeiten bereitet, sämtliche Angehörigen der vierten (oder einer ferneren) ges. Erbordnung vollständig zu ermitteln.

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