Zuschlag trotz niedrigem Meistgebot?

  • Zitat von Stefan

    Darum geht es doch garnicht. Es bestreitet doch keiner, daß der 85 verfassungskonform ist. Nur hat der 85 mit der Thematik hier nur wenig zu tun. Er zwingt schließlich das Gericht nicht auf jedes Gebot unter 5/10 einen Zuschlag zu erteilen. Es gibt halt noch andere Gründe der Zuschlagsversagung.



    worum geht es denn sonst?

    wenn § 85 (ohne einschränkung?) verfassungskonform sein soll, ok. für mich nicht ohne bedenken. aber § 85 sagt nur, dass 5/10 nicht gilt. nirgendwo im (einfach-) gesetz steht aber, das gericht könne den zuschlag bei 3/10 oder whatever versagen. der grundsatz des vorbehalts des gesetzes verlangt, dass für die zuschlagsversagung eine norm da ist. das wird mir hier bisher dogmatisch nicht sauber genug getrennt bzw. begründet. wir haben schließlich keine freirechtslehre, wo das gericht aus billigkeitserwägungen entscheiden kann, was es für richtig hält, ohne entsprechende rechtsnorm.

  • Das Vollstreckungsgericht soll sich nicht an das GG halten? Oder was will ol hier erzählen, einfache Gesetze, einfache Gerichte und Verfassung nur für das BVerfG?
    Mal von den weiter zu beachtenden, weil unmittelbar die nationalen Gerichte und Gesetzgebungen bindenen europäischen Gemeinschaftsrecht abgesehen, aber wenn das Gericht im Verfahren einen Verfassungsverstoß begeht, dann wird die Entscheidung aufgehoben. Und dann darf ich doch von vornherein nicht diese Entscheidung so treffen. Schließlich bin ich an Recht und Gesetz gebunden, sei es das ZVG oder auch GG.

  • zur klarstellung: dass das GG nicht unmittelbar vom gericht als anspruchsbegründende oder vernichtende rechtsnorm angewendet werden kann, gehört doch wohl zu den fundamentalen basics des rechtswissens. es kann nur zu auslegungszwecken mittelbar herangezogen werden. siehe auch wortlaut des art. 20 GG:

    "Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden."



    ihr als gericht seit primär an recht und gesetz gebunden. da das GG die gesetzgebung selbst schon an die verfassung bindet, sollten an sich die erlassenen gesetze zu 100 % verfassungskonform sein, was aber wg. der vielfältigen anwendungsfälle nicht immer gewährleistet ist. kommt das gericht unter ausschöpfung aller vom gesetz gewährten auslegungsspielräume trotzdem noch zu (vermeintlich) verfassungswidrigen rechtsfolgen, ist die normenkontrolle beim BVerfG durchzuführen. kein einfach-gericht darf selbst die verfassungswidrigkeit aussprechen und dementsprechend entscheiden.

    das versteigerungsverfahren ist schließlich ein gesetzlich ausgestaltes, der meistbieter hat anspruch auf den zuschlag. da kann man nicht als gericht einfach sagen, das einschließlich der mindestgrenzen bis ins detail gesetzlich durchnormierte ZVG-verfahren verstößt gegen das GG.

    dass trotzdem im verschleuderungsfall keine normenkontrolle nötig ist, liegt daran, dass das ZVG quasi Teil der ZPO ist und der schuldner durch deren § 765 a geschützt ist. bei auslegung dieser norm kann dann neben den tatbestandsmerkmalen:

    "unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des
    Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist."

    auch die wertung des GG berücksichtigung finden.

    nur: 765 a setzt einen antrag voraus, daher hat der BGH auch die pflicht zur anberaumung eines zuschlagstermins ausgesprochen, damit der schuldner agieren kann. handelt der schuldner nicht, hat er pech.

    zuschlagsversagung mit der begründung "verstößt gegen das GG" ist hingegen m. E. rechtsdogmatisch fundamental fehlerhaft. ohne schuldnerantrag natürlich umso mehr.

  • @ol:
    Schon mal was davon gehört, das Sittenwidrigkeit von Amts wegen zu prüfen ist, bzw. die Ober- und Bundesgericht diese Prüfungspflicht jeder Vorinstanz auferlegen? Auch ohne Antrag.
    Eine sittenwidrige Entscheidung darf nun einmal nicht getroffen werden.
    Kein Zivilgericht gesteht einem Kläger 57% Prozent Zinsen zu, auch wenn der Beklagte sich nicht rührt.

    Natürlich kann ich nicht von Amts wegen in dieser Hinsicht irgendwelche Nachforschungen anstellen, ob diese Maßnahme gerade mal sittenwidrig sein könnte, aber bei einer Zuschlagsentscheidung habe ich alle notwendigen Informationen nun einmal vorliegen.
    Ich bleibe dabei: Einzelfallprüfung bei krassem Mißverhältnis Gebot / Wert.

    Und hinsichtlich Anwendung der Verfassung: siehe BGH und Mindestvergütung Treuhänder, Verfassungswidrigkeit wurde nicht vomBVerfG festgestellt. Also hat ol's Meinung nach der BGH Mist gebaut? Und die Regierung dann mit der neuen Vergütungsverordnung auch?

  • Auch ich bleibe bei meiner Ansicht.
    Vielleicht sollte man es oL einfacher machen und sich der Argumentation von holger anschließen. Bei einem krassen Mißverhältnis von Wert und Gebot und dem Vorliegen besonderer Umstände, von denen das Gericht positive Kenntnis hat und die ein wesentlich höheres Gebot verhindert haben, gebietet es der Grundsatz des fairen Verfahrens, daß der Zuschlag nicht erfolgt, weil ansonsten das Grundstück verschleudert werden würde, worin ein sittenwidriges Verhalten zu sehen und dem besonderen Schutz des Eigentums im Grundgesetz nicht Rechnung getragen wäre. § 85 a II ZVG ist hiervon nicht berührt.:cool:

  • eins vorab: mir ist doch völlig egal, wie ihr es im tatsächlich handhabt.

    in einem forum wie diesem gehts doch um die rechtliche diskussion, zu diesem zweck habe nur die rechtstechnik zur handhabung des grundgesetzes im verhältnis zum einfachgesetzlichen recht dargestellt, weil mir das in der bisherigen diskussion nicht differenziert genug dargestellt wurde. man braucht ja schließlich, grade als gericht, auch eine rechtsdogmatische grundlage für sein handeln. gesetzesvorbehalt ist da das stichwort.

    harry ist ja nun offenbar im gegensatz zum vorposting von der von mir kritisierten direkten anwendung des GG zur sittenwidrigkeit gewechselt, die auch stefan als begründung heranzieht. nur: für die sittenwidrigkeit gibts eine konkrete rechtsnorm, § 765 a, und die setzt nun mal einen antrag voraus. das hat ja auch der BGH festgestellt, in dem er forderte, einen besonderen zuschlagstermin anzuberaumen, um dem schuldner die möglichkeit entsprechender einwendungen zu geben. von maßnahmen von amts wegen ist da nichts gesagt, steht ja auch nicht im gesetz.

    wie man als gericht an der für sittenwidrigkeit einschlägigen rechtsnorm des § 765 a vorbeikommt, ohne den darin vorgeschriebenen antrag des schuldners zu haben, lässt sich für mich nach dem bisher gesagten nicht begründen.

  • Ich kann meinem Vorredner nur zustimmen. Bei aller amtswegigen Liebe zu den Schuldnern darf doch nicht vergessen werden, dass auch der Gläubigeranspruch durch das Grundgesetz geschützt ist. Dieser hat ein Recht darauf, dass ihm der Staat bei der Realisierung seines Anspruchs hilft.

    Von den Fällen des Rechtsmissbrauchs abgesehen: Was soll der Gläubiger denn sonst noch machen? Wenn er jetzt noch nicht einmal Hilfe vom Staat bekommt, dann wäre das wohl ein Fall für Mosk... Inkasso. Das will doch bestimmt keiner von uns.

  • Hallo Manfred,
    da frage ich mich doch, wie Du soetwas aus meinen Postings rauslesen konntest. Es geht in keinem Fall um die Beschneidung der Gläubigerrechte. Ich glaube Ihr überseht, daß es sich um absolute Einzelfallentscheidungen handelt. Ich bringe jetzt ein drastische Beispiel. Schuldner nicht erreichbar, Zustellungsvertreter ist bestellt. Finanzamt betreibt wegen 3.000 € aus Rangklasse III. gG= 2.000,-- €. Meistgebot 5.000,-- € vom einzig anwesenden im Saal, VW=80.000,-- €. Schuldner kann sich nicht rühren, FA ist zufrieden. Derweil sind die Straßen meterhoch zugeschneit und dem Gericht ist bekannt, daß mindestens drei Interessenten nicht kommen können, haben das telef. mitgeteilt. Diese Interessenten haben in der Wohnanlage bereits mehrere Wohnungen ersteigert. So, dann erteilt ihr man den Zuschlag im VK, ich nicht!

  • @ Stefan
    Ausgehend von Deinem Beispiel muss natürlich sicher gestellt sein, dass der Schuldner Kenntnis von dem Zuschlagstermin hatte, und dass er auch ausreichend Zeit hatte, einen Antrag nach § 765a ZPO zu stellen.

    Im Zweifel würde ich den VK vertagen, aber keinesfalls den Zuschlag versagen.

  • Natürlich hat der Gläubiger auch eine geschützte Rechtsposition und diese nimmt er regelmässig auch durch Einstellung des Verfahrens bei nicht ausreichendem wirtschaftlichen Ergebnis war, oder ist das bei Euch anders?
    Im Einzelfall ist die Frage nach Zuschlagserteilung bei geringem Gebot nun einmal meiner Ansicht nach zu stellen, weder aus besonderer Liebe zu den Schuldner, noch aus Verhinderung des Anspruchs des Gläubigers, sondern aus rechtsstaatlicher Garantie des Verfahrens. Sei es nun der Anspruch auf ein faires Verfahren für alle Beteiligten, sei es die grundgesetzliche Garantie des Eigentums oder die Vermeidung einer sittenwidrigen Entscheidung.

  • frage zur klarstellung: geht jemand hier (gesetzt den fall, es wäre materiell eine sittenwidrige verschleuderung) davon aus, dass verfahrensrechtlich ohne schuldnerantrag, wie in § 765 a vorgeschrieben und vom BGH gefordert, der zuschlag quasi "von amts wegen" versagt werden könnte/müsste?

  • Zitat von oL

    frage zur klarstellung: geht jemand hier (gesetzt den fall, es wäre materiell eine sittenwidrige verschleuderung) davon aus, dass verfahrensrechtlich ohne schuldnerantrag, wie in § 765 a vorgeschrieben und vom BGH gefordert, der zuschlag quasi "von amts wegen" versagt werden könnte/müsste?




    Ja. Über § 83 Ziff. 6 ZVG ist das möglich.

    Es stand alles in Büchern, die Alten lebten noch
    Wir haben nicht gelesen, nicht gesprochen, weggeschaut, uns verkrochen ...
    No!

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