Einwände gegen Testament - Vorlage an Richter?

  • Hallo zusammen,

    ich habe folgenden Fall:

    Erblasserin A ist verstorben. Sie hat im Jahre 2022 ein handschriftliches Testament errichtet und enterbt darin ihren Ehemann. Dieser stellt nun einen Erbscheinsantrag und legt ein psychiatrisches Gutachten vor, das eine freie Willensbildung in Bezug auf die Scheidung, die die Erblasserin im selben Jahr durch ihren Rechtsanwalt eingereicht hat, ausschließt.

    Ich frage mich nun: darf ich überhaupt über den Erbscheinsantrag entscheiden?

    Die Richterin meint, dass ja noch keine Einwände von irgendeiner Seite gegen den Erlass der beantragten Entscheidung vorliegen und sie meine Zuständigkeit bejaht.

    Ich bin mir jedoch nicht ganz sicher.

    Was sind eure Meinungen?

  • Ich hänge mich mal mit dran. Ich habe folgenden Fall und wäre für eine Einschätzung dankbar.

    Ich habe vor einiger Zeit ein Verfahren von einer Kollegin übernommen. Dem Erbscheinsantrag lag dabei ein Testament mit einer ausdrücklichen Enterbung der Tochter zugrunde. Diese hat dann einen Antrag auf Austellung eines Alleinerbenerbscheins gestellt, weil sie sagt, dass sich die Umstände seit der Testamentserstellung zum Erblasser geändert hätten und dies dem Willen des Erblassers nicht mehr entspräche. Sie hat das Testament zudem angefochten und sich anwaltlich vertreten lassen.

    Durch den gesetzlichen Erben, bei wirksamer Enterbung, wurden bei der Anhörung keine Einwände erhoben. Er hat dem Antrag ausdrücklich zugestimmt.

    Meine Kollegin hat den Erbscheinsantrag nach Darlegung der bestehenden Mängel dann zurückgewiesen, da sie die Anfechtung für nicht wirksam hielt. Dagegen wurde Beschwerde eingelegt und ich habe dann eine Nichtabhilfe gemacht und dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.

    Diese haben die Sache prompt zur erneuten Entscheidung an das AG zurückgegeben mit der Begründung, dass die Rechtspflegerin nicht hätte entscheiden dürfen. Die Ausführungen der Antragstellerin seien als Einwand zu werten, sodass Richterzuständigkeit besteht.

    Bedeutet das nun für mich, sobald ich anderer Meinung als der Antragsteller bin und eine Zurückweisung machen möchte, habe ich die Sache dem Richter vorzulegen? Es dürfte sich doch eigentlich nicht um Einwände gegen den Erlass der beantragten Entscheidung handeln. Oder liege ich hier falsch?

  • Also mein erster Gedanke ist, dass das OLG § 19 Abs 2 RPflG nicht richtig gelesen hat. M.E. war das Vorgehen deiner Kollegin völlig richtig. Kannst du die komplette Entscheidung des OLG (natürlich ohne Nennung von Namen) oder zumindest die wichtigste Passage reinstellen, damit man die Worte des OLG vollständig lesen kann?

  • Also mein erster Gedanke ist, dass das OLG § 19 Abs 2 RPflG nicht richtig gelesen hat. M.E. war das Vorgehen deiner Kollegin völlig richtig. Kannst du die komplette Entscheidung des OLG (natürlich ohne Nennung von Namen) oder zumindest die wichtigste Passage reinstellen, damit man die Worte des OLG vollständig lesen kann?

    Ich werde morgen gerne mal den genauen Wortlaut des OLG einstellen. Vielleich liegt es wirklich halt an den vorliegenden Gegebenheiten des Falles.

  • Dies ist der Wortlaut des OLG hierzu:


    "Vorliegend war zwar von der Antragstellerin ein Erbschein nach der gesetzlichen Erbfolge beantragt worden, aber für die Prüfung, ob der beantragte Erbschein zu erteilen war, kam es maßgeblich auf das notarielle Testament des Erblassers vom XXX an, da dieses die Enterbung der Antragstellerin vorsah.


    Im Weiteren widersprach die Nichterteilung des beantragten Erbscheins dem erklärten Willen der Antragstellerin und war damit nicht einvernehmlich.


    Nach der allgemeinen Ansicht sind auch solche Einwände ausreichend, die der Antragsteller selbst gegen die beabsichtigte Entscheidung des Nachlassgerichts erhebt (vgl. Arnold/Meyer-Stolte - Rellermeyer, RPflG, 9. Auflage, § 19, Rd. 2).


    Spätestens in der Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin bringt diese klar zum Ausdruck, dass sie Einwände gegen die Entscheidung erhebt, da sie die Auffassung vertritt, dass das Testament vom XXX anfechtbar sei. Der vorliegende Fall ist damit mit der Interessenlage nach § 19 Absatz 1 Satz 2 ZustVOJustiz vergleichbar, da der Richtervorbehalt erkennbar für die Fälle geltend soll, in denen keine antragsgemäße Entscheidung ohne Erhebung von Einwänden getroffen werden kann.


    Vorliegend erfordert der Antrag der Beschwerdeführerin eine umfassende Auseinandersetzung mit den von ihr vorgebrachten Einwänden gegen die Nichterteilung des Erbscheins. Dies ist dem Richter vorbehalten."

  • Also ich kann die Gedankengänge des OLG leider nicht nachvollziehen.

    Es liegt ein Erbscheinantrag vor und keiner der anderen Verfahrensbeteiligten hat Einwände gegen die Erteilung des Erbscheins geltend gemacht. Demzufolge greift doch § 19 Abs. 2 RPflG gar nicht und du als Rechtspfleger musst doch den Erbscheinantrag prüfen und entweder den Erbschein erteilen oder zurückweisen.

    Da nunmehr aber die Entscheidung vom OLG in der Welt ist, würde ich die Akte dem zuständigen Nachlassrichter vorlegen.

  • Nach der allgemeinen Ansicht sind auch solche Einwände ausreichend, die der Antragsteller selbst gegen die beabsichtigte Entscheidung des Nachlassgerichts erhebt (vgl. Arnold/Meyer-Stolte - Rellermeyer, RPflG, 9. Auflage, § 19, Rd. 2).

    Ich habe keinen Zugriff auf den genannten Kommentar, jedenfalls spricht aber das Gesetz nicht von der "beabsichtigen Entscheidung des Nachlassgerichts", sondern von der "beantragten".

  • Vielen Dank für die Einschätzungen. Ich habe die Akte nach Anweisung des OLG natürlich umgehend dem Richter vorgelegt.

    Mir ging es vorallem auch um die grundlegende Frage, wie in einem solchen Fall nunmehr zu verfahren ist, da die Situation, dass der Antragsteller Einwände erhebt, ja durchaus häufiger eintritt.

  • Ich wollte nochmal über den Fortgang berichten. Das OLG Oldenburg hält auch in einem weiteren Fall an seiner Ansicht fest.

    Demnach sind auch Einwände die der Nachlassrechtspfleger gegen eine Entscheidung erhebt zu beachten und dem Richter ist die Sache zur weiteren Bearbeitung vorzulegen.

    Die Entscheidung hierzu wurde bereits veröffentlicht:

    OLG Oldenburg (Oldenburg) 3. Zivilsenat, Beschluss vom 21.August 2024 , Az: 3 W 53/24

  • Endlich ausführlich begründet wird diese Sichtweise vom OLG Oldenburg mit dem Hinweis darauf, dass § 19 RpflG eine planwidrige Regelungslücke aufweise.

    Der Gesetzgeber habe sich mit der Vorlagepflicht ausschließlich für den Fall, dass der Einwand von einem Verfahrensbeteiligten oder einem Dritten erhoben wird, befasst (vgl. BT-Drucks. 15/1508, S. 10, 45).

    Entsprechend ist die Regelung demnach auch bei Einwänden tatsächlicher oder rechtlicher Art des zuständigen Rechtspflegers anzuwenden.

    Für mich ist die Entscheidung mit der in der o.g. Entscheidung dargelegten ungewollten Regelungslücke zumindest nachvollziehbar.

    Über die Mehrbelastung der Richter bei böswilligen Rechtspflegern sollte man sich nun aber keine Gedanken machen :)

  • Die Entscheidung des OLG wertet uns Rechtspfleger mal wieder ab.

    Sollte ich als Rechtspfleger dem Erbscheinsantrag in der beantragten Form nicht zustimmen, dann werde ich weiterhin selbstständig entscheiden (durch Zurückweisung)

  • Das OLG Oldenburg stellt den Rechtssatz auf, dass ein Rechtspfleger keinen Erbscheinsantrag zurückweisen kann. Wenn das richtig wäre, wäre die Folgefrage, ob er eigentlich Hinweise erteilen darf, wenn seiner Ansicht nach z.B. eine Urkunde fehlt.

    Ich bin gespannt, wie das weiter geht.

  • Wie wird jetzt in der Rechtspflegerschaft mit Erbscheinsansträgen verfahren, gegen deren direkte antragsmäßige Erteilung des Erbscheins -egal mit welcher Begründung- „Einwendungen“ erhoben werden?

    Das OLG Oldenburg führt ja aus, das jedwede weitere Ermittlung im Erbscheinsverfahren eine Richtervorlage begründen soll. Im „Rechtspflegerverfahren“ zur Erbscheinserteilung seien eigenständige Ermittlungen nicht vorgesehen. Diese seien dem „Richterverfahren“ vorbehalten.

    Werden seitens der Rechtspflegerschaft nunmehr alle Erbscheinsverfahren, bei denen weitere Ermittlungen erforderlich sind (z.B. Personenstandsurkunden nachzufordern sind oder eine eidesstattliche Versicherung des Antragstellers für erforderlich erachtet wird) oder in denen Bedenken gegen die Erbscheinserteilung bestehen, der Richterin bzw. dem Richter vorgelegt?

    Regelungslücke hin oder her. Die Entscheidung des OLG liest sich sehr flüssig. Und wenn das OLG richtig liegen würde, wären Erbscheinserteilugsverfahren grundsätzlich Richterverfahren. Und es wären nur solche Verfahren dem Rechtspfleger übertragen, welche mit der sofortigen Erbscheinserteilung abgeschlossen werden könnten.

    Läge das OLG richtig, wären entsprechend den Ausführungen im zitierten Beschlüss viele Rechtspflegerentscheidungen in Erbscheinserteilungsverfahren unwirksam.

    Gibts es außer der zitierten Entscheidung des OLG Frankfurt noch weitere Entscheidungen zu diesem Themenkomplex?

    Einmal editiert, zuletzt von Kobus (22. Oktober 2024 um 08:46)

  • DippelRipfl Das ist dein gutes Recht.

    Und es ist sehr gut vertretbar. Denn auch das OLG Frankfurt und ein Teil der Literatur vertreten die gegenteilige Auffassung und meinen, dass der Rechtspfleger auch für die Zurückweisung eines Erbscheinsantrages zuständig sei (vgl. nur OLG Frankfurt, Beschluss vom 30.07.2015 - 21 W 99/15, juris, Rn. 35).

    Das OLG Oldenburg scheint hier aus nicht klar erkennbaren Gründen unbedingt eine planwidrige Regelungslücke fingieren zu wollen. Vielleicht mag es daran liegen, dass beim erstmaligen Vertreten dieser Ansicht (die betreffende Nachlassakte lag mir vor, ich weiß aber nicht, ob der Beschluss veröffentlicht wurde) - obwohl kein gleichgelagerter Fall vorlag, bei einer Entscheidung des OLG Braunschweig (OLG Braunschweig Beschl. v. 10.8.2020 – 3 W 92/20, BeckRS 2020, 22584) abgeschrieben wurde, ohne sich tiefergehend mit der Rechtsfrage zu befassen.

    In dem Verfahren, mit dem das OLG Braunschweig sich auseinanderzusetzen hatte, gab es widerstreitende Rechtspositionen bei den Verfahrensbeteiligten.

    Der dort zitierte Beschluss des OLG Brandenburg (OLG Brandenburg, Beschluss vom 10.12.2019 – 3 W 129/19 = BeckRS2019, 37471) ist nicht vergleichbar, da zum damaligen Zeitpunkt das Land Brandenburg von der Öffnungsklausel des § 19 RPflG nicht im gleichen Umfang Gebrauch gemacht hat.

    Gleiches dürfte für den Beschluss des OLG München (OLG München, Beschl. v. 13.9.2016 – 31 Wx 99/16) gelten, da Bayern von der Öffnungsklausel im Bereich der Nachlasssachen nach meiner Kenntnis bislang keinen Gebrauch gemacht hat. Der Richter war demnach originär zuständig, da die Erteilung des Erbscheins nach testamentarischer Erbfolge in Betracht kam.

    Dies gilt auch für den Beschluss des OLG Hamm (OLG Hamm, Beschl. v. 25.5.2016 – 15 W 210/16). Das Land Nordrhein-Westfalen hat nach meiner Kenntnis ebenfalls nicht in vollem Umfang die Öffnungsklausel genutzt.

    Der weiter zitierte Beschluss des OLG Hamburg (OLG Hamburg, Beschl. v. 7.3.2018 – 2 W 31/16, BeckRS 2018, 22063 ErbR 2019, 197 (Ls.) ZEV 2018, 751 (Ls.) LSK 2018, 22063 (Ls.), FamRZ 2019, 1276) ist ebenfalls nicht vergleichbar, da dort unter den Verfahrensbeteiligten widerstreitende Rechtspositionen vorgetragen wurden.

    All das wurde nach meiner Auffassung vom OLG Oldenburg übersehen. Um jedoch nach nunmehr gründlicher Befassung von der eigenen Entscheidung nicht abrücken zu müssen, wurde wohl die planwidrige Regelungslücke herbeigezaubert.

    Ist aber lediglich ein Eindruck, der sich mir aufdrängt.

  • Siehe oben.

    Sobald Einwände erhoben werden, ist das Verfahren dem Richter vorzulegen. Ich bleibe aber dabei, dass es Einwände eines weiteren Verfahrensbeteiligten (nicht verschiedene Rechtsauffassungen zwischen Antragsteller und Rechtspfleger) sein müssen.

    Sollte dies nicht der Fall sein, läge es in der Hand des Rechtspflegers und/oder des Antragstellers, ob das Verfahren vom Richter zu bearbeiten ist. Auch wäre uns die Zurückweisungskompetenz genommen. Das ist in sich total unschlüssig, zumal der Rechtsweg gegen unsere Entscheidungen immer offen steht.

    Das OLG Frankfurt hat insoweit sehr gut begründet; den Entscheidungen der anderen OLGs lagen abweichende Sachverhalte und Rechtslagen zugrunde.

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!