§ 1821 Absatz 1 Satz 2 BGB: Stellvertretendes Handeln durch Betreuer trotz Möglichkeit des unterstützten Handelns - Verstoß? Ahndung?

  • Folgender Fall:

    Betreuer stellt Antrag auf Erteilung der Genehmigung nach § 1833 BGB zur Kündigung/Aufhebung des Mietverhältnisses der ehemaligen Wohnung des Betroffenen. Der Betroffene wohnt im Heim. Lt. Mitteilung des Betreuers ist eine Rückkehr des Betroffenen nicht mehr möglich.

    Auf Rückfrage erklärt der Betreuer, stellvertretendes Handeln sei "zur Erlangung der Rechtssicherheit" geboten.

    Im Rahmen der Anhörung des Betroffenen im Heim erklärt der Betroffene, dass er gerne im Heim bleiben möchte und eine Rückkehr in seine bisherige Wohnung aufgrund seiner körperlichen Probleme keine Option sei.

    Der Betroffene ist nach Auffassung des Gerichts in der Lage, eine Entscheidung über die Kündigung/die Aufhebung des Mietverhältnisses seiner ehemaligen Wohnung selbst zu treffen. Ja, er hat die Entscheidung getroffen. Es will kündigen. Er ist mit Unterstützung des Betreuers hierzu auch in der Lage. Der Betreuer hätte bei der Erstellung eines Kündigungsschreibens unterstützend durch Fertigung eines Entwurfs zur Unterschrift des Betroffenen mitwirken können. Er hat sich aber -aus Gründen, die in seiner Person liegen werden- für die stellvertretende Kündigung entschieden.

    M.E. liegt ein Verstoß gegen die Bestimmung des § 1821 Absatz 1 Satz 2 BGB ("...und macht von seiner Vertretungsmacht nach § 1823 nur Gebrauch, soweit dies erforderlich ist.") vor.

    Ist dieser im Rahmen der Aufsichtspflicht des Betreuungsgerichts zu ahnden? Und ggf. wie?

    Kommen solche Fälle in der Gerichtspraxis häufig(er) vor? Wie handeln ggf. die Betreuungsgerichte?

  • Ja, so was habe ich öfter. Gerade wenn zwischen Betroffenem und Betreuer ein Konsens über die Aufgabenverteilung besteht, toleriere ich das in der Regel (auch wenn ich schon dieselben Gedanken hatte wie du). Letztlich wird man das Gesetz nach Sinn und Zweck auslegen müssen. Ziel des ganzen § 1821 BGB ist ja, dass nicht über den Kopf des Betroffenen hinweg entschieden wird, sondern soweit möglich sein Wille durchgesetzt wird und er so selbstbestimmt wie möglich leben kann. Wenn der Betroffene die Entscheidung trifft, dass er im Heim bleiben möchte, aber die konkrete Abwicklung der Bürokratie lieber dem Betreuer überlässt, wird insoweit ja auch sein Wunsch befolgt.

    Kritisch finde ich es nur, wenn sich daraus ein Schaden ergeben könnte (z.B. weil wegen der Dauer des Genehmigungsverfahrens länger Miete gezahlt werden muss). Aber selbst das wird man hinnehmen müssen.

    Ich wäre ja schon positiv überrascht, wenn ich es bei der Anhörung nicht mehr erleben müsste, dass mich ein Betroffener (ohne Gedächtniseinschränkungen) mit großen Augen ansieht und mir erzählt, dass er von der geplanten Wohnungskündigung zum ersten Mal hört.

  • Ist dieser im Rahmen der Aufsichtspflicht des Betreuungsgerichts zu ahnden? Und ggf. wie?

    Naja, man muss ja nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen. Oft ist es Unkenntnis oder das Ziel des Betreuers, mit der Genehmigung auf der sicheren Seite zu sein.

    In solchen Fällen weise ich den Betreuer darauf hin, dass er die Kündigung für den Betreuten vorbereiten und dann von ihm unterschreiben lassen kann. Meistens kommt es gar nicht zur Anhörung, weil ich im Regelfall nach Eingang des Genehmigungsantrags erst mal mit dem Betreuer telefoniere und solche Sachen klären kann.

  • Es gibt aber auch Fälle, da kündigt der Betreuer, weil er meinst, es sei zumindest nicht abwegig, meinen zu können, der Betroffene sei Geschäftsunfähig...

    Dann gibt's noch Vermieter, die stellen sich auf den Standpunkt vor 1992.


    Ich habe kein Problem damit, wenn ein Konsens zwischen Betroffenen und Betreuer besteht, der Betreuer handelt, anstatt zu unterstützen, gerade bei Altersschwachen.

  • "Unterstützung" bedeutet nicht, dass ich den zu Unterstützenden alles selber machen lassen muss. Wenn meine Mitarbeiter mich dadurch "unterstützen" würden, dass sie mir abends Briefumschläge und Schreiben auf den Tisch legen und die eingeschaltete Frankiermaschine daneben stellen, damit ich die Tagespost falzen, eintüten, zukleben und frankieren kann, würde ich ihnen kündigen - obwohl ich das selbstverständlich alles auch selber machen könnte. Aber: die Post unterschreiben und anweisen, wer was zugeschickt bekommt, das darf nur ich.

    Von daher: "Mach das für mich!" + Bretreuerhandeln = Unterstützung, "Ich hab' das gemacht, ohne Dich zu fragen" = Bevormundung

    "Allen ist alles egal, außer der Handyvertrag" - Kraftklub

  • Von daher: "Mach das für mich!" + Bretreuerhandeln = Unterstützung, "Ich hab' das gemacht, ohne Dich zu fragen" = Bevormundung

    :thumbup::thumbup::thumbup:

    Also für mich ist doch das Einholen der Unterschrift unter einer vorbereiteten (Unterstützung) Kündigung tausendmal einfacher, als ein Betreuungsgerichtliches Genehmigungsverfahren anzuschieben.

    Die Sachkundebefreiung, egal ob für Rechtsanwälte oder Sozialarbeiter, halte ich für einen ganz, ganz großen Fehler. Das widerspricht jeglicher Qualitätsoffensive in der Rechtlichen Betreuung. Passte gerade.

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  • "Unterstützung" bedeutet nicht, dass ich den zu Unterstützenden alles selber machen lassen muss. Wenn meine Mitarbeiter mich dadurch "unterstützen" würden, dass sie mir abends Briefumschläge und Schreiben auf den Tisch legen und die eingeschaltete Frankiermaschine daneben stellen, damit ich die Tagespost falzen, eintüten, zukleben und frankieren kann, würde ich ihnen kündigen - obwohl ich das selbstverständlich alles auch selber machen könnte. Aber: die Post unterschreiben und anweisen, wer was zugeschickt bekommt, das darf nur ich.

    Von daher: "Mach das für mich!" + Bretreuerhandeln = Unterstützung, "Ich hab' das gemacht, ohne Dich zu fragen" = Bevormundung

    Das Problem ist eher: der Betreuer hat keine Lust, zur Einholung der Unterschrift zum Betroffenen zu fahren. Es ist für ihn einfacher, den Antrag auf Erteilung der Betreuung bei Gericht zu stellen und dem Gericht dann auf den G... zu gehen mit seinen ständigen Rückfragen, weshalb das Genehmigungsverfahren doch so lange dauere, der Betroffene (genauer gesagt: der Träger der Sozialhilfe) neben den Heimkosten noch die Kosten der Mietwohnung zu tragen hat.

    Mir ist schon klar: der Betreuer hat einen Genehmigungsantrag gestellt und deshalb ist das Genehmigungsverfahren durchzuführen. Aber die Spielregeln des Betreuungsrechts (persönliche Anhörung des Betroffenen) sind einzuhalten. Die Genehmigung wird am Ende des Tages erteilt werden und auch rechtskräftig werden.

    Aber: m.E. hätte der Betreuer unterstützend tätig werden müssen. Was auch zur Verfahrensbeschleunigung geführt hätte. Ein Besuch, eine Unterschrift. Alles in trockenen Tüchern.

    Ich freue mich schon auf den Tag, an dem hier der Träger der Sozialhilfe anfragt und ich im mitteilen kann, dass bei Beachtung des § 1821 Absatz 1 Satz 2 BGB die Kündigung u.U. schneller hätte erfolgen können.

    Aber: kann ich den Betreuer (grr...) im Rahmen meiner Prüfung seiner Führung der Betreuung -neben dem wiederholten Hinweis auf die Beachtung des § 1821 Absatz 1 Satz 2 BGB-maßregeln, d.h. "auf die Füße treten"? Oder muss ich es bei seiner Entscheidung "Stellvertretung vor Unterstützung" belassen?

    Und tom: Du stehst ja auch nicht unter Betreuung und deine -von dir bezahlten Mitarbeiter- sind auch nicht deine Betreuer, welche die betreuungsrechtlichen Vorgaben (hier: § 1821 Absatz 1 Satz 2 BGB) beachten müssen.

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