Rechtsprechungshinweise Zwangsvollstreckung

  • Orientierungssatz:
    1. Im Verfahren nach § 765a ZPO kann nicht mit angeblichen Gegenansprüchen aufgerechnet werden. Derartiges wäre gemäß § 767 ZPO prozessgerichtlich vom Schuldner geltend zu machen.
    2. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung attestiert keine Verhandlungsunfähigkeit. Nur bei attestierter Verhandlungsunfähigkeit kommt überhaupt eine Verlegung des Termins zur Abnahme der Vermögensauskunft in Betracht.
    3. Die "Corona-Pandemie" führt nicht dazu in der Anberaumung eines Termins zur Abnahme der Vermögensauskunft bereits eine sittenwidrige Härte i.S.d. § 765a ZPO zu sehen.

  • Ergeht ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss auch wegen der Zustellungskosten für diesen Beschluss, erstreckt sich die Pfändung auf die Kosten der Zustellung des Beschlusses an den Schuldner und an die im Beschluss genannten Drittschuldner.

    BGH, Urteil vom 10. Juni 2021 - IX ZR 90/20 -
    (Vorinstanzen: Landgericht Essen, Amtsgericht Essen)

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  • Mit Beschluss vom 17.08.2021 55 T 43/21 wurde die Beschwerde zurückgewiesen, die der Gläubiger mit Gläubigervertreter P einer Hansestadt einlegte, da er verschiedene Zinsbeginne nicht zusammenfassen wollte zu aufgelaufenen Zinsen und nebst laufenden...

    Der Beschwerdeführer stützte sich auf folgende Rechtsprechungen, die das LG Hannover nicht für anwendbar bzw. ungeeignet ansah, der Argumentation nicht folgt :

    BGH, 15.06.2016, VII ZB 58/15
    LG Frankfurt/Main vom 10.09.2019 2-09 T 338/19
    LG Bochum, 16.03.2021 l-7 T/53/21
    LG Bochum, 12.03.2021 l-7 T 35/21


    Damit muss der Gläubiger die Seite 3 ausfüllen, Veröffentlichung des Beschlusses ist beantragt worden und wird soweit ich sehe auch erfolgen.

  • Aus den Gründen:

    Die gemäß §§ 793, 567 Abs. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

    Zwar dürfte das falsch bezeichnete Datum des Kostenfestsetzungsbeschlusses dem Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nicht entgegenstehen, da die gepfändete Forderung vorliegend im Hinblick aus das ebenfalls angegebene Aktenzeichen durch Auslegung ermittelt werden kann (vgl. MüKo ZPO/Smid, 6. Aufl, 2020, § 829 Rn. 29).

    Gleichwohl hat das Amtsgericht aus den sonst zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und rechtsfehlerfrei den Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses zurückgewiesen, weil dieser nicht der nach § 829 Abs. 4 Satz 2 ZPO, § 2 Satz 1 Nr. 2 ZVFV in Verbindung mit Anlage 2 ZVFVm § 5 ZVFV vorgeschriebenen Form entspricht.

    Nach § 2 Satz 1 Nr. 2, § 5 ZVFV ist für Anträge auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses seit 01.11.2014 verbindlich das als Anlage 2 zur ZVFV in der Fassung der Verordnung zur Änderung der ZVFV vom 16.06.2014 (BGBl. I S. 754, 759 ff) vorgegebene Antragsformular zu nutzen. Nur soweit für den beabsichtigten Antrag keine zweckmäßige Eintragungsanordnung besteht, kann ein geeignetes freies Feld oder eine Anlage genutzt werden, § 3 Abs. 3 Satz 1 ZVFV. Auf diese Ausnahme vom Formularzwang wird der Antragsteller auf Seite 1 und insbesondere hinsichtlich der Angabe der zu vollstreckenden Forderungen auf Seite 3 des Formulars hingewiesen. Der Gläubiger ist darüber hinaus vom Formularzwang entbunden, soweit das Formular unzutreffend, fehlerhaft oder missverständlich ist. In diesem seinen Fall nicht zutreffend erfassenden Bereichen ist es nicht zu beanstanden, wenn er Streichungen, Berichtigungen oder Ergänzungen vornimmt oder das Formular insoweit nicht nutzt, sondern auf beigefügte Anlagen verweist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11.05.2016 - VII ZB 54/15, Rn. 12, juris; vom 04.11.2015 - VII ZB 22/15, NJW 2016, 81 Rn. 12 m. w.N.; vom 13.02.2014 - VII ZB 39/13, BGHZ 200, 145 Rn. 36, juris).

    Ein solcher Fall liegt in diesem Fall, in dem der Beschwerdeführer Zinsen nur aus den festgesetzten Kosten verlangt, nicht vor. Die vom Beschwerdeführer auf Seite 3 des Formulars vorgenommene Eintragung ist aus sich heraus durch Eintragung der ausgerechneten Zinsen in der linken Spalte missverständlich, weil unklar bleibt wie sich die ausgerechneten Zinsen zusammensetzen bzw. wann der Beginn der ursprünglichen Zinsberechnung war. Um diese Berechnung nachzuprüfen, wäre das Amtsgericht gehalten, die vom Beschwerdeführer formlos und frei gestaltete beigefügte Zinsberechnung durchzusehen, was einen erheblichen Mehraufwand bedeuten würde und damit gegen den Zweck des bestehenden Formerfordernisses spricht.

    Mit zutreffender Begründung weist das Amtsgericht darauf hin, dass Altzinsen nicht auszurechnen seinen, sondern lediglich der Zinsbeginn neben der Zinshöhe und dem Betrag, aus welchem Zinsen verlangt würden, in der rechten Spalte des Formulars einzutragen sei.

    Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 11.05.2015 (VII ZB 54/15) klargestellt, dass das Formulars zwar nicht die Möglichkeit bietet, ausgerechnete Zinsen aufzuführen, da in den Zeilen 3, 4, 9 und 10 jeweils nur Beträge "nebst" Zinsen eingesetzt werden können. Vielmehr hätte der Beschwerdeführer die Zinsforderung vollständig als vom Vollstreckungsgericht auszurechnende Nebenforderung in die zweite Spalte der zehnten Zeile des vorgegebenen Formulars eintragen können (vgl. BGH, Beschluss vom 04.11.2015 - VII ZB 22/15 -, NJW 2016, 81 Rn. 14 m. w.N.).

    Nach alledem hat das Amtsgericht den Antrag des Beschwerdeführers zu Recht zurückgewiesen.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

    Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Diese Entscheidung ist damit unanfechtbar.

  • Die Möglichkeit des vereinfachten Vollstreckungsantrags bei Vollstreckungsbescheiden gemäß § 829a ZPO ist für einen Gläubiger, der sich durch einen Inkassodienstleister als Bevollmächtigten vertreten lässt, nicht eröffnet, weil gemäß §§ 80, 88 Abs. 2 ZPO die Vollmacht durch Einreichung der schriftlichen Vollmachtsurkunde zu den Gerichtsakten nachgewiesen werden muss und es sich bei der Vollmachtsurkunde um eine die Anwendung des § 829a ZPO ausschließende, vorlegungspflichtige "andere Urkunde" im Sinne des § 829a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO handelt.

    BGH, Beschluss vom 29. September 2021 - VII ZB 25/20 -
    (Vorinstanzen: LG Hamburg, AG Hamburg-Harburg)

    Anmerkung:
    Die Entscheidung beruht noch auf der bis 31.12.2020 geltenden Rechtslage vor Inkrafttreten des § 753a ZPO.

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    Einmal editiert, zuletzt von Bolleff (3. November 2021 um 12:11)

  • Bei einer Vorauspfändung (Dauerpfändung) für künftig fällig werdende Unterhaltsansprüche kann Pfändungsgegenstand auch eine Eigentümerbriefgrundschuld des Schuldners sein (Anschluss an BGH, Beschluss vom 31. Oktober 2003 - IXa ZB 200/03, NJW 2004, 369).

    BGH, Beschluss vom 16. September 2021 - VII ZB 9/21 -
    (Vorinstanzen: LG Kassel, AG Kassel)

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  • Die Regelung des § 754a Abs. 1 ZPO erfasst ausschließlich an den Gerichtsvollzieher gerichtete Vollstreckungsaufträge und nicht auch einen an das Vollstreckungsgericht gerichteten Antrag auf Erlass eines Erzwingungshaftbefehls.

    BGH, Beschluss vom 23. September 2021 - I ZB 9/21 -
    (Vorinstanzen: LG Berlin, AG Schöneberg)

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  • a) Bei der Zwangsvollstreckung zur Erwirkung einer unvertretbaren Handlung gemäß § 888 Abs. 1 Satz 1 ZPO darf gegen eine prozessunfähige natürliche Person, die mangels hinreichender Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht in der Lage ist, einen natürlichen Willen zur Vornahme der von ihr geschuldeten Handlung zu bilden, keine Zwangshaft verhängt werden.

    b) Bei der gegen eine prozessunfähige natürliche Person gerichteten Zwangsvollstreckung zur Erwirkung einer unvertretbaren Handlung gemäß § 888 Abs. 1 Satz 1 ZPO darf gegen den Bevollmächtigten des Schuldners keine Zwangshaft verhängt werden.

    c) Bei der gegen eine prozessunfähige natürliche Person gerichteten Zwangsvollstreckung zur Erwirkung einer nicht vertretbaren Handlung nach § 888 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist ein Zwangsgeld stets gegen den Schuldner und nicht gegen den gesetzlichen Vertreter festzusetzen.

    d) Einer prozessunfähigen natürlichen Person ist die Vornahme einer nach § 888 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu erwirkenden Handlung nicht unmöglich, wenn die Handlung durch deren Bevollmächtigten vorgenommen werden kann.

    BGH, Beschluss vom 23. September 2021 - I ZB 20/21 -
    (Vorinstanzen: OLG Hamburg, LG Hamburg)

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  • § 866 Abs. 1 ZPO

    Bei der Eintragung einer Zwangssicherungshypothek können Zinsen, die in dem Vollstreckungstitel als Nebenforderungen ausgewiesen sind, nicht in kapitalisierter Form der Hauptforderung hinzugerechnet und als Betrag der Hypothek eingetragen werden.

    § 53 Abs. 1 Satz 1 GBO

    Eine Verletzung gesetzlicher Vorschriften i.S.v. § 53 Abs. 1 Satz 1 GBO liegt vor, wenn das Grundbuchamt bei der Eintragung das Gesetz nach seinem objektiven Inhalt nicht oder nicht richtig anwendet; darauf, ob die der Eintragung zugrundeliegende Rechtsauffassung des Grundbuchamtes vertretbar ist oder war, kommt es nicht an.

    BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2021 - V ZB 52/20 -
    (Vorinstanzen: OLG Dresden, AG Leipzig - Grundbuchamt -)

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  • Corona-Prämien, die einem Arbeitnehmer in der Gastronomie vom Arbeitgeber zusätzlich zum geschuldeten Arbeitslohn gezahlt werden, können aufgrund ihrer Zweckbestimmung auch unter Berücksichtigung der Gläubigerinteressen als unpfändbare Erschwerniszuschläge gem. § 850 a Nr. 3 ZPO qualifiziert werden.

    (Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 25. November 2021 – 6 Sa 216/21 –, juris)

  • Leitsatz (selbst formuliert):

    Coronasonderzahlungen an Mitarbeiter im medizinischen Bereich können eine Erschwerniszulage im Sinne des § 850a Nr. 3 ZPO darstellen und gem. § 906 II ZPO pfandfrei zu stellen sein. Die Frage der Angemessenheit der Leistung ist anhand der steuerlichen Freibeträge zu beurteilen.

    LG München I, Beschluss vom 18. November 2021 – 20 T 12771/21

  • BVerfG, 17. Mai 2022 - 2 BvR 661/22:

    Erfolglose Verfassungsbeschwerde betreffend die bereits vollzogene Zwangsräumung einer Wohnung der Beschwerdeführer

    Zu den Anforderungen an das vollstreckungsrechtliche Verfahren bei Suizidgefahr

    Zu den von den Fachgerichten hier vorausgesetzten Hilfen durch die Angehörigen des Schuldnershttps://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Ent…2bvr066122.htmlhttps://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Ent…2bvr066122.html

  • Vuia, Der Normzweck des Vollstreckungsschutzes nach § 765a ZPO –unter besonderer Berücksichtigung seiner Geltung im Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren und der Pfändbarkeit coronabedingter Sonderzahlungen-

    Rpfleger 2022, 361

  • Ein Antrag des Gläubigers an das Vollstreckungsgericht auf Konkretisierung der von dem Schuldner nach § 836 Abs. 3 Satz 1 ZPO zu erteilenden Auskunft in dem (Pfändungs- und) Überweisungsbeschluss oder einem diesen ergänzenden Beschluss ist unzulässig.

    BGH, Beschluss vom 7. September 2022 - VII ZB 38/21 -
    (Vorinstanzen: LG Berlin, AG Berlin-Spandau)

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  • Ein durch eine Vollstreckungsbehörde in elektronischer Form eingereichter und qualifiziert signierter Vollstreckungsauftrag ersetzt den Vollstreckungstitel. Die zusätzliche Übersendung des Vollstreckungsauftrags und des Antrags auf Erlass eines Haftbefehls in unterzeichneter und mit Dienstsiegel versehender Papierform ist nicht notwendig. Ob auch ein einfach signierter Vollstreckungsauftrag genügen würde, kann dahinstehen.

    Landgericht Hamburg, Beschluss vom 09.01.2023, 332 T 76/22

    Sachverhalt:

    Die Beschwerdeführerin - eine Vollstreckungsbehörde - übermittelte am 27.06.2022 auf elektronischem Wege einen qualifiziert signierten Vollstreckungsauftrag vom 24.06.2022 mit dem eingeschlossenen Antrag auf Erlass eines Haftbefehls nach § 802g ZPO an die Gerichtsvollzieherverteilerstelle des Amtsgerichts. Einen Vollstreckungsauftrag in Papierform übersandte die Beschwerdeführerin nicht. Das Amtsgericht wies den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls mit Beschluss vom 03.12.2022 zurück.

    Aus den Gründen:

    Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.

    Die Einreichung eines qualifiziert signierten Vollstreckungsauftrags in elektronischer Form ersetzt im vorliegenden Fall den Vollstreckungstitel. Die zusätzliche Übersendung des Vollstreckungsauftrags und des Antrags auf Erlass eines Haftbefehls in unterzeichneter und mit Dienstsiegel versehener Papierform ist nicht notwendig.

    Eine Voraussetzung für den Erlass eines Erzwingungshaftbefehls nach § 802c ZPO ist das Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung, mithin u.a. das Vorliegen einer vollstreckbaren Ausfertigung eines Vollstreckungstitels. Beantragt eine Vollstreckungsbehörde den Erlass eines Erzwingungshaftbefehls, ersetzt der Vollstreckungsauftrag grundsätzlich den Vollstreckungstitel. Als Ausgleich für den fehlenden Titel muss sichergestellt sein, dass der Vollstreckungsauftrag auch wirklich von der Vollstreckungsbehörde stammt (BeckOK Kostenrecht, Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, 39. Edition, Stand: 01.10.2022, § 7 JBeitrG, Rn 9). Es wurde von der Rechtsprechung bisher ein unterschriebener und mit einem Dienstsiegel versehener Vollstreckungsantrag gefordert. § 6 Abs. 3 Satz 3 JBeitrG, wonach es keiner Unterschrift bei automatisiert erteilten Aufträgen bedarf, findet keine (anlaloge) Anwendung (BGH, Beschluss vom 18.12.2014, Az.: I ZB 27/14).

    Mit Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs zum 01.01.2022 wurde auch § 130d ZPO eingeführt. Dieser bestimmt, dass vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, als elektronische Dokumente zu übermitteln sind. Sollte dies aus technischen Gründen nicht möglich sein, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig, die Unmöglichkeit ist jedoch spätestens unverzüglich danach glaubhaft zu machen und ein elektronisches Dokument ist auf Anforderung nachzureichen. Mit dieser Regelung wird die elektronische Einreichung von Anträgen der Normalfall und eine Übermittlung auf herkömmlichen Wege nur noch bei technischer Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung gestattet. Für die Einreichung schriftlicher Dokumente durch die Vollstreckungsbehörde gilt gemäß § 753 Abs. 5 ZPO - welcher die Vollstreckung durch Gerichtsvollzieher und deren Beauftragung zum Gegenstand hat - § 130d ZPO entsprechend. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 ist § 753 Abs 5 ZPO für die Vollstreckung nach Maßgabe der Abs. 2 und 4 des § 6 JBeitrG sinngemäß anzuwenden. Die Gläubigerin hatte als Vollstreckungsbehörde ihren titelersetzenden Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher somit obligatorisch nach § 130d ZPO elektronisch zu übermitteln. Auch der Vollstreckungsauftrag gern. § 6 Abs. 3 S. 2 ist seitdem elektronisch zu übermitteln (BeckOK Kostenrecht, Dömdorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, 39. Edition, Stand: 01.10.2022, § 6 JBeitrG, Rn 9a). Dies gilt auch für den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls nach § 802g ZPO. Der Haftantrag ist ein Vollstreckungsantrag nach §§ 753 Abs. 1 und 2 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 18.12.2014, Az.: I ZB 27/14). Soweit der BGH mit Beschluss vom 18.12.2014 (Az.: I ZB 27/14) entschieden hat, dass Vollstreckungsaufträge der Gerichtskasse schriftlich erteilt werden und eine Unterschrift und ein Dienstsiegel tragen müssen, ist diese Rechtsprechung durch Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs zum 01.01.2022 nach Auffassung der Kammer überholt. Um die erforderliche Schriftform zu wahren, genügt nun jedenfalls eine qualifizierte elektronischen Signatur und eine anschließende elektronisch Übermittlung. § 753 Abs. 4 ZPO ermöglicht die Einreichung elektronischer Dokumente beim Gerichtsvollzieher, wenn für das Dokument Schriftform vorgesehen ist. Nach § 130a Abs. 3 ZPO, welcher über § 753 Abs. 4 Anwendung findet, regelt, dass das Dokument entweder qualifiziert elektronisch signiert und anschließend elektronisch übermittelt werden muss oder man auf die qualifizierte Signatur verzichten kann, dass aber eine einfache elektronische Signatur der verantwortlichen Person vorliegen müsse und der elektronische Übertragungsweg im Sinne von § 130a Abs. 4 ZPO sicher sein müsse. In Übertragung der bisherigen Rechtsprechung des BGH (Erforderlichkeit von Unterschrift und Dienstsiegel) bedarf es vorliegend wohl einer qualifizierten Signatur, da diese im hier konkret zu entscheidenden Fall vorliegt, kann eine Entscheidung dazu, ob auch eine einfache Signatur ausreichen würde, dahinstehen.

    Eine zusätzliche Übersendung in Papierform ist nicht mehr erforderlich. Es wird auf die zutreffenden Ausführungen des LG Essen in seinem Beschluss vom 09.11.2022 (Az.: 7 T 342/22), welchen sich die Kammer vollumfänglich anschließt verwiesen:

    „Soweit teilweise die gleichzeitige papierschriftliche Einreichung des Vollstreckungsauftrages neben der elektronischen Einreichung, wie er bisher eingereicht wurde, eingefordert wird, ist dies nach Auffassung des Beschwerdegerichts nicht mehr geboten. Vielmehr ist eine entsprechende Vorgehensweise nach der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs mit aktiver Nutzungspflicht überholt. Nach dem hiesigen Verständnis der gesetzlichen Kodifikation soll eine Abkehr von der Papierakte erfolgen, welche bei der vorgenannten Einreichungsmöglichkeit bzw. -pflicht stets weiterhin erforderlich bliebe. Auch würde die ausdrücklich normierte aktive Nutzungspflicht ausgehebelt. Eine entsprechende Einreichungsmöglichkeit bleibt für diejenigen Titel vorbehalten, die ausschließlich in dieser Form existieren bzw. für den Fall technischer Unmöglichkeit einer Einreichung über die gebotene elektronische Vorgehensweise“.

    Soweit der BGH mit Beschluss vom 23.09.2021 (Az.: I ZB 9/21) entschieden hat, die Regelung in § 754a ZPO zum elektronischen Vollstreckungsauftrag erfasse ausschließlich an den Gerichtsvollzieher gerichtete Vollstreckungsaufträge und nicht auch einen an das Vollstreckungsgericht gerichteten Antrag auf Erlass eines Erzwingungshaftbefehls, ist dies auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. In der vom BGH entschiedenen Konstellation hat ein Gläubiger die Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid betrieben, auf welche § 754a ZPO explizit Anwendung findet. Soweit aus einem anderen Titel vollstreckt werden soll, findet die Vorschrift keine Anwendung (vgl. BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf, 47. Edition, Stand: 01.07.2022, § 754a ZPO, Rn 3). Im vorliegenden Fall vollstreckt eine Vollstreckungsbehörde mittels eines den Vollstreckungstitel ersetzenden Vollstreckungsauftrags.

  • Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung des BGH:

    § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO

    § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO ist dahin auszulegen, dass bei der Bestimmung des pfandfreien Betrags die laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten des Schuldners gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden oder gleichstehenden Unterhaltsberechtigten nur in dem Umfang zu berücksichtigen sind, in dem der Schuldner seine gesetzlichen Unterhaltspflichten den weiteren Unterhaltsberechtigten gegenüber erfüllt oder in dem er von den weiteren Unterhaltsberechtigten im Wege der Zwangsvollstreckung in Anspruch genommen wird (Aufgabe von BGH, Beschluss vom 5. August 2010 - VII ZB 101/09, MDR 2010, 1214).

    BGH, Beschluss vom 18. Januar 2023 - VII ZB 35/20 -

    (Vorinstanzen: LG Mainz, AG Mainz)

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    Einmal editiert, zuletzt von Bolleff (1. März 2023 um 14:38)

  • § 850d Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 850c Abs. 6 ZPO und § 1612b Abs. 1, § 1609 Nr. 1, § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB

    a) Der Schuldner, der einem dem pfändenden Gläubiger gleichstehenden minderjährigen Kind keinen Barunterhalt, sondern Naturalunterhalt leistet, kann wie ein Barunterhalt leistender Schuldner die Heraufsetzung des ihm pfandfrei zu belassenden Betrags nach § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO verlangen.

    b) Das den notwendigen Unterhalt des Schuldners übersteigende Einkommen ist zum Zwecke der Bestimmung des pfandfreien Betrags gemäß § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO im Verhältnis der Höhe der gesetzlichen Unterhaltsansprüche der Unterhaltsberechtigten in der gleichen Rangstufe zueinander zu quoteln.

    BGH, Beschluss vom 15. März 2023 - VII ZB 68/21 -

    (Vorinstanzen: LG Bremen, AG Bremen)

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