Nachlasspflegschaft neben besonderem gesetzlichen Vertreter

  • Guten Morgen,

    ich habe hier eine kuriose Fallkonstellation.

    Erblasserin ist in den 1930er Jahren verstorben. In den Nachlass fällt lediglich ein Grundstück, für welches die Erblasserin alleinige Eigentümerin ist. Nachlasspflegschaft war bereits seit einiger Zeit angeordnet. Akte war dann lange Zeit beim Grundbuchamt (warum auch immer) und kam vor kurzem zurück. Beigefügt war die beglaubigte Abschrift einer Bestallungsurkunde des Landkreises. Von dort wurde zwischenzeitlich ein besonderer gesetzlicher Vertreter gem. Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB bestellt.

    Da der Nachlass lediglich aus dem Grundstück besteht und für dieses nunmehr ein (weiterer) gesetzlicher Vertreter bestellt ist, würde ich die Nachlasspflegschaft mangels eines weiteren Fürsorgebedürfnisses jetzt gern aufheben wollen.

    Wie seht ihr das? Wie ist das Verhältnis zwischen Nachlasspflegschaft und Vertreterbestellung gem. EGBGB? Ist ein besonderer Vertreter „höherwertig“ als eine Nachlasspflegschaft oder sind die beiden Vertretungen „gleichberechtigt“?

  • Es kommt darauf an, für welchen Wirkungskreis der gesetzliche Vertreter gem. Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB bestellt wurde. Meistens hat die Kommunalverwaltung nur ein temporäres Interesse an der gesetzlichen Vertretung (z.B. Bestellung von Grunddienstbarkeiten), während die Nachlasspflegschaft neben dem Sicherungsanlass ein Fürsorgebedürfnis voraussetzt und grundsätzlich andere, langfristige Ziele verfolgt.
    Es macht daher m.E. keinen Sinn, die Nachlasspflegschaft aufzuheben, wenn davon auszugehen ist, dass der gem. Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB bestellte[FONT=verdana, geneva, lucida, lucida grande, arial, helvetica, sans-serif] gesetzliche Vertreter alsbald wieder abberufen wird. Bei konkurrierender Vertretung ist daher der Nachlasspflegschaft der Vorrang einzuräumen.
    Im Übrigen sollte der oben beschriebene Fall inzwischen sehr selten sein. Die Kommunalverwaltungen fragen in aller Regel vorher an, ob eine gerichtlich angeordnete Pflegschaft besteht und sparen sich die Einsetzung eines gesetzlichen Vertreters.[/FONT]

  • Vielen herzlichen Dank für eure Rückmeldungen und die zitierte Entscheidung.

    Dann werde ich wohl die Pflegschaft nicht aufheben und den Landkreis mal dezent darauf hinweisen, dass die Vertreterbestellung aufzuheben ist. Schade, anders herum hätte es mir besser gefallen.

    Im Übrigen habe ich gesehen, dass der Landkreis sehr wohl über die Nachlasspflegschaft Bescheid wusste.

  • Hier flattert soeben eine Anfrage ein, wie sinnvoll noch der Art. 233 § 2 EGBGB zur Bestellung eines gesetzlichen Vertreters durch den Landkreis ist. Argumentiert wird danach, dass die Neuen Länder nach mehr als 30 Jahren Wiedervereinigung nicht (mehr) schlechter gestellt sind, als die bisher am jeweiligen Gericht vorliegenden Instrumente zur Bestellung von gesetzlichen Vertretern.

    M.E. sind nach den hier gemachten Beobachtungen die Bestellungen durch die Landkreise noch immer sinnvoll, gewähren sie weiterhin schnellere Handlungsbefugnisse gesetzlicher Vertreter im Interesse einer (immer noch bestehenden) Vielzahl unbekannter Eigentümer, als es die Gerichte je schaffen würden - geschweige denn, dass sie denn überhaupt ein Bedürfnis zur Vertreterbestellung "zeitnah" feststellen.

    Was meint Ihr?

    Im Übrigen geht der BGH, Beschluss vom 18.04.2012 - XII ZB 624/11, gerade nicht davon aus, dass Parallelbestellungen durch Gericht und Behörde kollidieren, so dass auch keine der beiden Bestellungen aufzuheben sei, so wohl auch Böhringer, in NJ 2015, 177ff.   

  • Wenn die Gründe einer Ungleichbehandlung nicht mehr vorliegen, dann ist die Ungleichbehandlung einzustellen!

    Stellt sich aber wie immer im Leben die Frage, wer trägt welche Kosten? Hat derjenige, der Mehrkosten aufgedrückt bekommt ein Interesse daran, diese Kosten zu tragen? Und dann bedarf es einer starker Lobby, im Wege des gesetzgebenden Verfahrens, etwas zu ändern oder eine Höchstrichterliche Entscheidung, die es dem Gesetzgeber ins Stammbuch schreibt.

    Es wird wohl alles so bleiben wie es ist, danke der Nachfrage. ;)

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  • Hier flattert soeben eine Anfrage ein, wie sinnvoll noch der Art. 233 § 2 EGBGB zur Bestellung eines gesetzlichen Vertreters durch den Landkreis ist. Argumentiert wird danach, dass die Neuen Länder nach mehr als 30 Jahren Wiedervereinigung nicht (mehr) schlechter gestellt sind, als die bisher am jeweiligen Gericht vorliegenden Instrumente zur Bestellung von gesetzlichen Vertretern.

    Wo kommt denn das schon wieder her. Bereits Anfang des Jahres wurde diese Abfrage im Geschäftsbereich durchgeführt. Das OLG Naumburg hat sich in seiner Stellungnahme klar gegen die Abschaffung ausgesprochen.

    Die Vertreterbestellung nach Art. 233 EGBGB hat 2 große Vorteile:

    1. Im Falle einer Gemeinschaft wird ein Mitglied der Gemeinschaft zum gesetzlichen Vertreter bestellt.

    2. Der Vertreter ist von den Beschränkungen des § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuchs befreit.

    OLG: ... Ob viele Personen als zu bestellende Pfleger gefunden werden könnten, wenn Einzelbestellungen erforderlich seien, werde angezweifelt. ...

    Alleine im Geschäftsbereich des OLG Naumburg laufen Flurbereinigungsverfahren im dreistelligen Zahlenbereich, darunter sehr große Unternehmensflurbereinigungen für Neubauten von Bundesstraßen und die Nordverlängerung der BAB 14.

    Befürworter der Aufhebung mögen bitte Mitteilen, wo die von den Flurbereinigungsverfahren betroffenen Amtsgerichte hunderte verschiedene Pfleger finden sollen, wenn die meisten Anwälte keine Lust auf Pflegerbestellungen haben oder bereits für einen Beteiligten in dem Verfahren bestellt sind.

  • Die Missbrauchsgefahr der Norm ist aber nicht zu unterschätzen. Wenn eine Stadt ein bestimmtes Grundstück möchte, kann sie es sich auf diese Weise recht einfach verschaffen. Man könnte höchstens argumentieren, dass die Filetstücke vielleicht eh schon alle weg sind. Das ist aber kein Argument für ein solches Sonderrecht.

  • ... Wenn eine Stadt ...

    Wir reden hier nicht über die 9 (+1) kreisfreien Städte (Meckleburg-Vorpommern 2, Sachsen und Sachsen-Anhalt jeweils 3, in Brandenburg 4), sondern über die 99,99 % aller Anwendungsfälle, die sich im ländlichen Raum befinden. Dort bestellt, überwacht und genehmigt der Landkreis den Vertreter.

  • Absolut sinnvoll. Wir bräuchten sowas generell für Grundstücke, bei denen „unlösbare“ Eigentümergemeinschaften im Grundbuch stehen.

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

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  • ... Wenn eine Stadt ...

    Wir reden hier nicht über die 9 (+1) kreisfreien Städte (Meckleburg-Vorpommern 2, Sachsen und Sachsen-Anhalt jeweils 3, in Brandenburg 4), sondern über die 99,99 % aller Anwendungsfälle, die sich im ländlichen Raum befinden. Dort bestellt, überwacht und genehmigt der Landkreis den Vertreter.

    Papenmeier rekurriert mit "eine Stadt" vermutlich auf die Vorgänge in der einwohnermäßig größten kreisfreien Stadt in Sachsen (BGH, 5 StR 313/15).

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

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