Erbe ist bekannt – trotzdem Nachlasspflegschaft anordnen?

  • Wie geht ihr mit Ausschlagungen um, die offensichtlich verfristet sind? Bzw, wie geht ihr damit um, dass - trotz gerichtlicher Inkenntnissetzung - keine Ausschlagung erklärt wird?

    Hintergrund ist folgender Sachverhalt:

    Erblasser ist Grundstückseigentümer. Er ist verwitwet und hat nur 1 Sohn. Der Sohn schlägt die Erbschaft (fristgerecht) wegen Überschuldung aus. Seine beiden Kinder werden von uns - wie üblich - vom Erbanfall informiert. Von einem Enkel geht eine (verfristete) Ausschlagung ein. Der andere Enkel erklärt keine Ausschlagung.

    So weit so eindeutig. Die beiden Enkel sind Erbe geworden.

    Wir regen beim Grundbuchamt die Durchführung eines Grundbuch-Berichtigungsverfahren gem. § 82 GBO an. Nach Aussage des Grundbuchamtes reagieren die Enkel hierauf nicht.

    Jetzt habe ich einen Antrag auf Nachlasspflegschaft eines Gläubigers (§ 1961 BGB) auf dem Tisch.

    Würdet ihr einen Nachlasspfleger bestellen oder nicht?

    Meine Überlegungen hierzu:

    Für die Bestellung eines Nachlasspflegers - egal ob nach § 1960 oder § 1961 BGB - muss der Erbe unbekannt sein. Die Frage, ob der "Erbe unbekannt" ist oder nicht, ist dabei vom Standpunkt des Nachlassgerichts aus im Zeitpunkt der Entscheidung zu beurteilen (u.a. BGH, Beschluss vom 17.07.2012, Az. IV ZB 23/11, juris; OLG München, Beschluss vom 16.08.2018, Az. 31 Wx 145/18, juris).

    Unbekannt ist die Person des Erben immer dann, wenn nicht mit zumindest hoher Wahrscheinlichkeit feststeht, wer Erbe ist, sei es aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen (vgl. OLG München, a.a.O.)

    Für die (vom Standpunkt des Nachlassgerichtes aus vorzunehmende Beurteilung der Erbenstellung - s.o.) ist das Vorhandensein eines Erbscheins nicht erforderlich (MüKoBGB/Leipold, 7. Aufl. 2017, § 1960 BGB RdNr. 18).

    Unerheblich ist hierbei auch -so wie vorliegend-, ob der Erbe bereit ist, (tatsächlich) über den Nachlass zu verfügen, insbesondere diesen in Besitz zu nehmen (so auch AG Borken (Westfalen), Beschluss vom 17.05.2019, Az.: 22 VI 218/19, juris).

    Vorliegendem sind für mich die beiden Enkel Erben geworden. Die Erben sind für mich also gerade nicht unbekannt. Die Pflegschaft müsste daher wohl abgelehnt werden.

    ABER:

    Als Nachlassgericht bin ich grundsätzlich ja nicht befugt, über die Wirksamkeit einer Ausschlagung außerhalb eines Erbscheinsverfahrens förmlich zu entscheiden (so u.a. Beschluss OLG München vom 25.02.2010, Az.: 31 Wx 20/10, juris). Ein Erbscheinsantrag liegt nicht vor.

    Es stellt sich jetzt also die Frage, ob die beantragte Nachlasspflegschaft trotzdem angeordnet werden kann, oder der Antrag des Gläubigers mit dem Hinweis abzulehnen ist, dass die Erben bekannt sind.

    Wie seht ihr das?

  • "Es stellt sich jetzt also die Frage, ob die beantragte Nachlasspflegschaft trotzdem angeordnet werden kann, oder der Antrag des Gläubigers mit dem Hinweis abzulehnen ist, dass die Erben bekannt sind."

    M.E. könnte man ihm mitteilen, dass die Erben bekannt sind (ohne zu sagen wer) und ihn auf die Antragstellung nach § 792 ZPO hinweisen.

    pareo, non servio (Diener bin ich, nicht Sklave)

  • Als Nachlassgericht bin ich grundsätzlich ja nicht befugt, über die Wirksamkeit einer Ausschlagung außerhalb eines Erbscheinsverfahrens förmlich zu entscheiden

    In dem genannten Beschluss heißt es doch "Das Nachlassgericht ist grundsätzlich nicht befugt, außerhalb eines bei ihm anhängigen Verfahrens - etwa auf Erteilung oder Einziehung eines Erbscheins – durch förmliche Entscheidung über die Wirksamkeit einer Ausschlagung zu befinden." Es muss also nicht zwingend ein ES-Verfahren sein.

    Und du hast ein Verfahren. Nämlich das über den Antrag gem. § 1961. Also steht eine Beurteilung der Wirksamkeit auch nicht im Widerspruch zu dem Beschluss des OLG München.

  • Meines wissen gibt es auch Entscheidungen, die dem Forderungsgläubiger nicht zumuten, ewig auf eine Erbenfeststellung zu warten. Gerade auch dann, wenn ein permanenter Vermögensabfluss durch Nichtabwicklung des Nachlasses erfolgt. Ich kenne Gerichte, die Leben die Münchner OLG Entscheidung förmlich.

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    “Das tolle am Internet ist, dass endlich jeder der ganzen Welt seine Meinung mitteilen kann. Das Furchtbare ist, dass es auch jeder tut.” Marc-Uwe Kling, Die Känguru Chroniken
    Wie oft kommt das vor? "Öfter als niemals, seltener als immer." Jack Reacher - Der Bluthund
    "Aufs Beste hoffen, fürs Schlimmste planen" Jack Reacher

  • Meines wissen gibt es auch Entscheidungen, die dem Forderungsgläubiger nicht zumuten, ewig auf eine Erbenfeststellung zu warten. Gerade auch dann, wenn ein permanenter Vermögensabfluss durch Nichtabwicklung des Nachlasses erfolgt.

    Hast du zufällig eine passende Entscheidung parat?

  • M.E. könnte man ihm mitteilen, dass die Erben bekannt sind (ohne zu sagen wer) und ihn auf die Antragstellung nach § 792 ZPO hinweisen.

    Und wie soll er nach § 792 ZPO einen Erbschein beantragen, wenn man ihm nicht sagt, wer die bekannten Erben sind?

    Ich kann dem Gläubiger ja die Erben benennen.

    Unabhängig davon ist es für den Gläubiger eh geboten, vor einer Antragstellung zunächst selbst Einsicht in die Nachlassakte zu nehmen, um die für den Antrag nach § 352 FamFG notwendigen Daten zu sammeln und bereits vorliegende Personenstandsurkunden einzusehen. Zudem muss der Gläubiger auch ergründen können, bei welchem Standesamt ggf. weitere Personenstandsurkunden angefordert werden können (vgl. Anmerkung von Adamus zu dem Beschluss des OLG Düsseldorf vom 19.12.2019, Az. I-3 Wx 210/19 in jurisPR-FamR 17/2020 Anm. 7, veröffentlicht in juris.)

  • Meines wissen gibt es auch Entscheidungen, die dem Forderungsgläubiger nicht zumuten, ewig auf eine Erbenfeststellung zu warten. Gerade auch dann, wenn ein permanenter Vermögensabfluss durch Nichtabwicklung des Nachlasses erfolgt.

    Hast du zufällig eine passende Entscheidung parat?

    Nein. Aber Kommentierung zu §1991 BGB oder die Bücher zu Nachlasspflegschaft sollten dazu etwas enthalten.

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  • “Als Nachlassgericht bin ich grundsätzlich ja nicht befugt, über die Wirksamkeit einer Ausschlagung außerhalb eines Erbscheinsverfahrens förmlich zu entscheiden (so u.a. Beschluss OLG München vom 25.02.2010, Az.: 31 Wx 20/10, juris). Ein Erbscheinsantrag liegt nicht vor.”

    Ich weiß wirklich nicht, wie oft ich das lesen uns dazu schreiben muss, dass diese Aussage falsch ist.

    Natürlich wird auch außerhalb des Erbscheinsverfahrens über eingegangene Ausschlagungen „entschieden“. Zwar nicht unmittelbar, aber zumindest mittelbar.

    In deinem Fall bedeutet es, dass du genau mit der von dir gegebenen Begründung, warum du die Erben als bekannt ansiehst, den Antrag auf Nachlasspflegschaft zurückweisen kannst. Und natürlich musst du dich da als Gericht positionieren. Wenn ich lese, man könne den (nicht mit Titel versehenen!) Gläubiger auf die Beantragung eines Erbscheins verweisen, ihm aber dabei nicht sagen, wer der Erbe sei, dann weiß ich nicht ob ich lachen oder weinen soll. Dem ä Antrag auf Nachlasspflegschaft wird entweder mit entsprechender Begründung stattgegeben oder er wird mit ausführlicher Begründung abgelehnt. Alles andere ist ängstliches Getue und dem Rechtspflegerstand unwürdig.

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    Einmal editiert, zuletzt von TL (21. November 2022 um 20:44)

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