Sterbefall im Jahr 1885

  • Ich bin vom Grunbuchamt gem. § 82a Satz 2 GBO ersucht worden, die Erben zu ermitteln.

    Bislang ist bekannt:

    Es ist unbebauter Grundbesitz (57 qm) in Stadtlage vorhanden. Bodenrichtwert beträgt weniger als 50,-€/qm.

    Der im Grundbuch eingetragene Eigentümer ist im Jahr 1835 geboren und im Jahr 1885 (!) verstorben. Sterbeort und letzter Wohnsitz liegen in meiner Zuständigkeit. Die Stadt hat bereits eigene Ermittlungen angestellt. Der Erblasser soll danach zweimal verheiratet gewesen sein und mindestens 10 Kinder haben. Zu einigen Kindern gibt es Geburtsdaten, aber keine Geburtsorte. Von anderen Kindern sind nur die Namen bekannt. Angaben zur (letzten) Ehefrau (vorverstorben/nachverstorben, Güterstand ...) habe ich nicht.

    Für mich stellt sich jetzt die Frage, was ich mit der Sache mache.

    Habt ihr eine Idee? Würdet ihr tatsächlich in die Erbenermittlung einsteigen - hierbei wäre dann davon auszugehen, dass sämtliche Kinder ebenfalls vor 1900 geboren sind und nicht mehr leben. Die Erbenermittlung dürfte sich - wenn sie überhaupt zu einem Abschluss gebracht werden kann - über Jahre hinziehen. Zudem müsste ich dann erst mal klären, welches Erbrecht überhaupt gilt. Eine Kollegin meine, es müsste "preußisches Landrecht" gelten - davon habe ich noch nie etwas gehört.

    Oder habt ihr andere Ideen?

    Und ja, in meinem Zuständigkeitsbezirk haben wir viele ungeklärte Eigentumsverhältnisse an Grundstücken. Ich habe letztens erst einen Erbschein erteilt, da war der Erbfall im Jahr 1912.

    Mich werden solche Altsterbefälle auch weiterhin begleiten.

  • Pfleger nach § 1913 BGB soll für die unbekannten Berechtigten die sich aus dem Erbfall und der Berechtigung am Grundbuch ergeben handeln.

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

    Nachlass-Kanzlei / Büro für gerichtliche Pflegschaften / Nachlasspflegschaften, Nachlassverwaltungen, Testamentsvollstreckungen, Nachlassbetreuungen /
    Nachlasspfleger Thomas Lauk - http://www.thomaslauk.de

  • In so einem Fall ist Erbenermittlung nicht machbar. Der Nachlass von ca. 2500 Euro würde allein von den Standesamts- und Archivgebühren aufgefressen, noch bevor man den ersten lebendigen Erbeserben gefunden hat.

  • Sofern kein Nachlassvorgang mit Erben existiert (was anzunehmen ist), kann auch ein Nachlasspfleger das Objekt liquidieren u. den Rest hinterlegen.

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  • @ carlson:

    Ich sehe das genauso wie du.

    @ TL:

    An eine NLP hatte ich auch schon gedacht. Die Frage ist aber, ob eine NLP zulässig ist.

    Der Sterbefall ist ja vor dem Inkrafttreten des BGB eingetreten. Muss deshalb nicht auf das materielle Recht zum Zeitpunkt des Todes abgestellt werden? Eine BGB-Nachlasspflegschaft wird es deshalb wohl nicht sein können, oder? Ob es in der vor dem Jahr 1900 geltenden Rechtsordnung etwas vergleichbares wie § 1960 BGB gab, entzieht sich meiner Kenntnis.

    Gleiches dürfte dann auch für den von dir vorgeschlagenen Pfleger nach § 1913 BGB gelten.

    Könnte man nicht anstatt einer Nachlasspflegschaft lieber das Erbrecht des Fiskus feststellen?

  • Denkfehler. Das materielle (Erb-)Recht bezieht sich auf den Todestag. Das Verfahrensrecht (der Nachlasspflegschaft) bezieht sich aber auf den Tag der Anordnung.

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

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  • Fiskuserbrecht ohne Recherchen (die schon mit Vorzeichen auf Verwandtschaft bestehen), geht gar nicht! Fiskuserbrecht ist kein Allheilmittel für blöde Fälle.

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  • Und wer vertritt eigentlich heute den preußischen Fiskus?

    Sitzt der nicht zur Zeit in U-Haft?

    :teufel:

    Nee, der heißt Reuß und die stammen aus dem Thüringischen.

    Beginne den Tag mit einem Lächeln. Dann hast Du es hinter Dir. (Nico Semsrott)

    "Das Beste an der DDR war der Traum, den wir von ihr hatten." Herrmann Kant in einem Fernsehinterview

  • in meinem Zuständigkeitsbezirk haben wir viele ungeklärte Eigentumsverhältnisse an Grundstücken

    Das deutet auf die neuen Bundesländer hin, richtig?

    Wenn die Stadt schon eigene Ermittlungen angestellt hat, scheint sie offenbar ein Interesse an dem Grundstück zu haben. Wie wär's dann mit einem gesetzlichen Vertreter nach Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB? Sofern es sich nicht um eine kreisfreie Stadt handelt, müsste die Stadt unter Darlegung ihres berechtigten Interesses einen entsprechenden Antrag beim zuständigen Landkreis stellen. Fraglich ist, wer sagt's ihr - Grundbuchamt oder Nachlassgericht? Ich würde das davon abhängig machen, ob die Recherchen der Stadt zu den Nachlass- oder Grundbuchakten gereicht wurden.

  • Jemand muß doch aber diese 57 qm in der Stadt genutzt und die Grundsteuer dafür bezahlt haben. Und möchte das Grundstück vielleicht auch weiterhin nutzen -> Par. 927 BGB.

    Leider nein. Dem Anschreiben der Stadt (Kämmerei) ist zu entnehmen, dass offensichtlich schon seit Jahren niemand die Grundsteuer gezahlt hat.

    Ein Aufgebotsverfahren nach § 927 BGB dürfte damit wohl ausscheiden.

    Das deutet auf die neuen Bundesländer hin, richtig?

    Richtig (schau in mein Profil).

    Wie wär's dann mit einem gesetzlichen Vertreter nach Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB?

    Ist eine Überlegung wert.

    Welche Bestimmung ist vorrangig - § 1960 BGB oder Art. 233 EGBGB?

  • Jemand muß doch aber diese 57 qm in der Stadt genutzt und die Grundsteuer dafür bezahlt haben. Und möchte das Grundstück vielleicht auch weiterhin nutzen -> Par. 927 BGB.

    Leider nein. Dem Anschreiben der Stadt (Kämmerei) ist zu entnehmen, dass offensichtlich schon seit Jahren niemand die Grundsteuer gezahlt hat.

    Ein Aufgebotsverfahren nach § 927 BGB dürfte damit wohl ausscheiden.

    Das ist nicht gesagt. Eigenbesitzer kann man auch sein, wenn man die Steuer nicht zahlt (mangels Heranziehung). Es kommt nur darauf an, dass Eigenbesitz (§ 872 BGB) besteht, wofür es ein Indiz sein kann, dass die Grundsteuer gezahlt wird. Erforderlich ist das aber nicht, genausowenig wie guter Glaube daran erforderlich ist, dass der Besitzer zurecht das Grundstück als "ihm gehörend besitzt" (§ 872 BGB).

    Von daher: wie wird das Grundstück denn genutzt? Ist es bebaut? Parkplatz? Straßenraum?

    "Allen ist alles egal, außer der Handyvertrag" - Kraftklub

  • Wie wär's dann mit einem gesetzlichen Vertreter nach Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB?

    Ist eine Überlegung wert.

    Welche Bestimmung ist vorrangig - § 1960 BGB oder Art. 233 EGBGB?

    In Abhängigkeit vom aktuellen Rechtsschutzbedürfnis würde ich die Konkurrenz der Vertreterbestellung nach § 2 Abs. 3 Art. 233 EGBGB (Vertretung des Eigentümers) nicht zu § 1960 BGB (allgemeine Nachlasssicherung, Erbenermittlung) sondern zu § 1913 BGB (bestimmte Angelegenheit) sehen. Soweit tatsächlich eine Konkurrenz vorliegt, würde ich im daraus folgenden Zuständigkeitsstreit (Gericht oder Landkreis bzw. kreisfreie Stadt) der jüngeren Vorschrift, also dem Art. 233 EGBGB den Vorzug geben.

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