Einstellung der Zwangsversteigerung gemäß § 765 a ZPO auf unbestimmte Zeit

  • Ich habe ein Zwangsversteigerungsverfahren übernommen, welches im Jahre 2012 aufgrund öffentlich-rechtlicher Ansprüche angeordnet wurde.

    Kurz vor dem anberaumten Zwangsversteigerungstermin im Jahre 2016 legt der Schuldner ein ärztliche Bescheinigung vor, aus welcher ersichtlich ist,

    dass der Schuldner seit Jahren unter Erkrankungen aus dem psychosomatischen Formenkreis leidet und aufgrund des bevorstehenden Termins eine

    Verschlechterung des Befindens mit Veränderung und Entwicklung einer hochgradigen suizidalen Gefahr besteht.

    Der Schuldner wird im Wege der einstweiligen Anordnung in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses untergebracht und

    seitens der Tochter des Schuldners wird ein Antrag auf Betreuung gestellt.

    Das Zwangsversteigerungsgericht holt, da es zu prüfen hat, ob der Schuldner durch die Zwangsversteigerung in seinem Leben/seiner körperlichen

    Gesundheit gefährdet ist und wieweit die Zwangsversteigerung ggfls. durch flankierende Maßnahmen durchgeführt werden kann, ein Gutachten ein.

    Das Gutachten wird erstellt, der Zwangsversteigerungstermin gem. § 765 a ZPO aufgehoben und das Verfahren auf unbestimmte Zeit einstweilen eingestellt.

    Zwischenzeitlich wird eine Betreuung eingerichtet und der Schuldner stand bis Mitte 2021 unter Betreuung. Die Betreuung ist aufgrund einer seitens des

    Schuldners eingelegten Beschwerde aufgehoben worden. Zur Begründung wird dort aufgeführt, dass sich eine paranoid-querulatorische Persönlichkeitsstörung

    nicht feststellen lasse, vielmehr liege eine leichte Depression vor. Im Laufe der Jahre hätten sich wegen ständigen Streits mit Behörden und Enttäuschung

    über den Betreuer ein großes Misstrauen, Antriebs- und Interessenverlust sowie Stimmungsschwankungen entwickelt. Die Betreuung kann nicht gegen den

    Willen aufrechterhalten bleiben. Das scheint auch nicht mehr notwendig zu sein, da er von der Person "X" bei Bewältigung seiner Wohn- und Behördenan-

    gelegenheiten unterstützt wird.

    Wie verfahre ich nun in dem jetzt übernommenen Verfahren? Hebe ich den Beschluss aus dem Jahre 2012 (einstweilige Einstellung auf unbestimmte Zeit)

    auf unter Hinweis auf den Aufhebungsbeschluss der Betreuung? Oder muss ich vorab ein erneutes Gutachten einholen, wo ich prüfen lasse, ob der Schuldner durch

    die Zwangsversteigerung in seinem Leben/seiner körperlichen Gesundheit gefährdet ist? :/:/

  • Grundsätzlich gibt es zu dieser Grundproblematik ausreichend Rechtsprechung.

    Hier kommt es aber auch auf den ergangenen Beschluss an (der offensichtlich rechtskräftig ist und den du nun nicht einfach abändern kannst, schon gar nicht von Amts wegen). Was steht da genau drin?

    "Just 'cos you got the power, that don't mean you got the right!" ((c) by Mr. Kilmister, passt zum Job)

    "Killed by Death" (ebenfalls (c) by Lemmy, passt eigentlich immer)

  • Die Gläubigerin verhält sich immer noch still.

    In dem Beschluss steht genau drin, dass der Zwangsversteigerungstermin am 12..09.2016, 9.00 Uhr gem. § 765 a ZPO aufgehoben und das Verfahren auf unbestimmte Zeit einstweilen eingestellt wird.

    Gründe: Der Zwangsversteigerungstermin war nach § 765 a ZPO unter Abwägung der Schuldner- und Gläubigerinteressen aufzuheben und auf unbestimmte Zeit einzustellen, da der vom Gericht zu beachtende Lebens- und Gesundheitsschutz des Schuldners (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) absoluten Vorrang vor dem ebenfalls grundrechtlich geschützten Rechten der betreibenden Gläubigerin (Art. 14 GG) genießt.

    Gleichwohl ist keine Aufhebung des Verfahrens insgesamt anzuordnen, da dies einer Verweigerung der bereits rechtskräftig festgestellten Gläubigerrechte (Forderungen gegen den Schuldner) gleich käme. Die betreibende Gl. würde durch eine jetzige Aufhebung und spätere mögliche Neuanordnung der Zwangsversteigerung immense Rangverluste im Rangsystem des Zwangsversteigerungsverfahrens erfahren. Hierbei überwiegen daher im Rahmen der Abwägung der Schuldner- und Gläubigerinteressen, die Gläubigerinteressen. Die Aufhebung des Zwangsversteigerungstermins und die Anordnung der einstweiligen Einstellung auf unbestimmte Zeit stellt daher das mildeste Mittel dar, welches auch erforderlich ist.

    Rechtsmittelbelehrung: sofortige Beschwerde.

  • Einstellung auf unbestimmte Zeit?

    Hätte ich nicht gemacht und ich frage mich gerade, ob sowas überhaupt möglich ist, denn diese (aus meiner Sicht unzulässige) Tenorierung bringt dich jetzt in die Bredouille.

    Abgesehen davon: Gerade bei Suizidgefahr ist es überlegenswert, die Zeit der Unterbringung in einer Klinik für die Durchführung der Versteigerung zu nutzen, denn dort hat der Schuldner die entsprechende Hilfe, mit der Situation umzugehen.

    Es stand alles in Büchern, die Alten lebten noch
    Wir haben nicht gelesen, nicht gesprochen, weggeschaut, uns verkrochen ...
    No!

  • Auch eine unbefristete Einstellung gem. §765a ZPO kann zulässig und richtig sein; BGH 20.02.2020, V ZB 17/19;

    zum weiteren Verfahren hilft vielleicht BGH 07.11.2019, V ZB 135/18

    (sehr interessante Entscheidung, wie ich find mit dem starken Absatz:

    Die im System der maßgeblichen Vorschriften angelegte Schwäche, dass die Vollstreckungsgerichte den Lebensschutz des Schuldners zu Lasten des Gläubigers gewährleisten müssen, wenn die primär zuständigen staatlichen Stellen nicht eingreifen, lässt sich mit den Mitteln richterlicher Rechtsauslegung und Rechtsfortbildung nicht ausgleichen. Sie kann nur durch eine Ergänzung der gesetzlichen Vorschriften über den Vollstreckungsschutz, über die Handlungsmöglichkeiten der primär für den Lebensschutz zuständigen Behörden oder Stellen oder durch eine Kombination von beidem behoben werden. Das ist die Aufgabe des zuständigen Bundes- oder Landesgesetzgebers.)

    Aber klar, das bringt Schwierigkeiten mit sich!

    Ich denke richtig wäre es, in regelmäßigen (jährlichen?halbjährlichen?) Abständen von Amts wegen (durch SV-Gutachten) zu überprüfen, ob die Voraussetzungen der eE noch erfüllt sind; sind sie es nicht mehr, kannst du den Gl darauf hinweisen, dass er jetzt nen Fortsetzungsantrag stellen kann und 6 Monate dafür Zeit hat.


    Hier also Schuldner anschreiben, ob die Gründe der Einstellung noch erfüllt sind (vielleicht schreibt er ja selber, dass es jetzt besser ist), dann SV beauftragen, den Schuldner zu begutachten lassen und entsprechend weiter verfahren

    Ich kaufe ein "I" und möchte lösen! -BOCKWURST-


    Wenn ich sterbe, sollen meine Überreste in Disneyland verstreut werden.
    Außerdem möchte ich nicht verbrannt werden.

  • Ist der Kollege noch greifbar, der den Beschluss damals gemacht hat? Frag mal, was er sich vorgestellt hat, wie das Verfahren weitergehen soll.

    Dann würde ich den Gläubiger mal anrufen, was der sich so vorstellt, wie es weitergeht.

    Im Zweifel soll er den Antrag zurücknehmen und einen neuen Antrag stellen.

    "Just 'cos you got the power, that don't mean you got the right!" ((c) by Mr. Kilmister, passt zum Job)

    "Killed by Death" (ebenfalls (c) by Lemmy, passt eigentlich immer)

  • Der Fall zeigt erneut: Die Vollstreckung ist an einem Punkt angelangt, wo es keine gütliche Lösung geben kann, zumindest nicht für den Gläubiger. Ein Verfahren mit über 10-jähriger Dauer zeigt die Hilfslosigkeit des Rechtsstaates. JoansDong nimmt zu Recht Bezug auf BGH v. 7.11.2019 – V ZB 135/18 nach dem Ruf des Gesetzesgebers. 


    18 TEUR in Rangklasse 3 spricht dafür, dass wohl weder Grundsteuern noch KAG-Gebühren beglichen werden. Die RK 3 wurde deshalb eingeführt, um für die Allgemeinheit Gelder vor privaten Gläubigern zu sichern. Wenn nun schon Rk 3 wegen der Erkrankung des Schuldners nicht mehr vollstreckt werden darf bzw. kann, ist das System des ZVG am Ende. 


    Dies ist auch in Berlin bekannt – nur sehe ich derzeit keine Gesetzesinitiativen. Eine Reform des § 765a ZPO erscheint geboten. Eine große ZVG-Reform wird, soweit ich informiert bin, nicht kommen, aber einzelne Punkte sollen angepackt werden. Die Studie von Böttcher/Keller/Schneider/Beeneken, Das ZVG auf dem Prüfstand, Teil I Rechtstatsachen sprach die Suizid-Problematik an (S. 47-50, sehr ausführlich ab S. 226)) ist aber auch schon 6 Jahre alt. 


    Solche (Extrem)Fälle, wie hier, sollten dem BMJ vorgetragen werden (AG mit Aktenzeichen und kurze Wiedergabe des SV). Ich kann die Praxis dazu nur ermuntern. Auch die Weitergabe an den AK Vollstreckung und ZVG des BDR halte ich für sinnvoll.  


    Araya: „Dann würde ich den Gläubiger mal anrufen, was der sich so vorstellt, wie es weitergeht“. So sehe ich das auch. Es ist der Sozialdienst einzuschalten. Gibt es vielleicht ab Jan. 2023 Wohngeld für diesen Eigentümer? Wie schaut es denn mit weiteren Gläubigern aus, werden diese bedient? Sind Grundschulden noch valutiert? Die Rückstände vielleicht per Sicherungshypothek sichern, dann den Antrag zurücknehmen und und und - ohne nähere Kenntnisse dieses Einzelfalles sind an dieser Stelle Hilfestellungen nur eingeschränkt möglich. 



  • Der Kollege hat die Akte im Jahre 2020 bearbeitet und zwar in Form eines Vermerks, dass der Schuldner noch unter Betreuung steht, sich an seinem Gesundheitszustand nichts geändert hat und eine Frist von einem Jahr notiert. Seit Fristablauf hat der Kollege die Akte nicht bearbeitet und jetzt ist er nicht im Dienst und somit nicht greifbar.

    Im Grundbuch sind in Abt. III lfd. Nr. 1 bis 26 gelöscht; 27 bis 30 sind jeweils Grundschulden zugunsten eines Kreditinstituts eingetragen, Nr. 31 bis 34 sind Eigentümergrundschulden, Nr. 35 bis 42 diverse Sicherungshypotheken.

    Ob die Grundschulden -lfd. Nr. 27 bis 30- tatsächlich noch valutieren, kann ich nicht beantworten. Die Sicherungshypotheken

    betragen insgesamt 555.794,26 Euro, diese werden nicht beglichen sein.

    • Offizieller Beitrag

    Minni:

    Bedenke bitte, dass das Forum öffentlich ist. Daher ist mein grundsätzlicher Rat: Soviel Informationen wie nötig, aber auch so wenig wie möglich. So würde ich z.B. davon abraten, auf den Cent genau Beträge zu nennen, wenn dies (wie hier) nicht für die Problemlösung erforderlich ist.

    Es ist immer misslich, wenn Beteiligte hier ihr Verfahren erkennen (und damit auch den Fragesteller).

  • Das sehe ich anders; ich bin nicht der Meinung, dass die Belehrung gem. §31 III ZVG zwingend im Einstellungsbeschluss enthalten sein muss und dass ein Verstoß dazu führt, dass das Verfahren nicht wirksam einstweilen eingestellt wurde.

    Zunächst einmal handelt es sich bei §31 III um eine Soll-Vorschrift

    Auch eine fehlende Rechtsmittelbelehrung hat nicht die Unwirksamkeit der Entscheidung zur Folge.


    Darüber hinaus kann m.E. die Belehrung auch völlig zulässigerweise durch gesondertes Schreiben stattfinden; ich denke nicht dass sie wie eine Rechtsmittelbelehrung in den Beschluss selbst rein muss

    in manchen Konstellationen (wie genau hier!) kann überhaupt noch nicht sinnvoll gem. §31 III ZVG belehrt werden, da die Einstellung unbefristet angeordnet wurde und noch überhaupt nicht feststeht (feststehen kann), ob und wann die Einstellung endet (nämlich dann wenn festgestellt wird, dass die Gründe für §765a ZPO nicht mehr vorliegen)

    Außerdem stehen die Folgen einer fehlenden Belehrung im §31 III 2 ZVG ja drin: Frist zur Stellung des Fortsetzungsantrags beginnt nicht zu laufen

    Die Entscheidung würde mich trotzdem interessieren; hast du ne Fundstelle?

    Ich kaufe ein "I" und möchte lösen! -BOCKWURST-


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    Außerdem möchte ich nicht verbrannt werden.

  • Die Belehrung ist nicht zwingender Beschlussinhalt, so dass sich ein Fehlen auch nicht auf die Wirksamkeit der Entscheidung auswirkt.

    Erforderlich ist normalerweise der Zugang einer Belehrung zur Fortsetzung, um feststellen zu können, ob der Fortsetzungsantrag rechtzeitig gestellt wird.

    Aufgrund der unbefristeten Einstellung, kann die Frist zur Stellung eines Fortsetzungsantrag aber weder beginnen noch ablaufen.

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