§ 1821 Absatz 1 BGB - Vorgaben des Gesetzgebers und Umsetzung in der Wirklichkeit

  • Ich möchte mit diesem Post eine Diskussion zur Umsetzung der gesetzlichen Bestimmung des § 1821 Absatz 1 BGB in der täglichen Praxis -bei mir als Gericht, aber auch bei den Betreuern- anstoßen.

    Seit nunmehr 9 Monaten kennen wir die Vorschrift des § 1821 Absatz 1 BGB in nunmehr geltenden Fassung, die da lautet:

    "Der Betreuer nimmt alle Tätigkeiten vor, die erforderlich sind, um die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen. Er unterstützt den Betreuten dabei, seine Angelegenheiten rechtlich selbst zu besorgen, und macht von seiner Vertretungsmacht nach § 1823 nur Gebrauch, soweit dies erforderlich ist".

    Und (fast) jeden Tag trudeln bei mir Anträge von Betreuern

    a) zur Genehmigung von Grundstücksveräußerungsverträgen;
    b) zur Kündigung von Mietverhältnissen betr. die Wohnung der/des Betroffenen;
    c) zum Abschluss von Mietverträgen über Wohnraum, der dem Betroffenen gehört

    ein. Und dies, obwohl der Betroffene in der Lage ist, den Grundstückskaufvertrag, die Kündigung bzw. den Mietvertrag -mit Unterstützung des Betreuers, z.B. durch erklären in einfacher Sprache, durch Vorbereitung einer entsprechenden Erklärung bzw. durch Erläuterung des Inhalts des entsprechende Vertrags- selbst abzuschließen. Aber wie selbstverständlich werden die entsprechenden, vom Betreuer unterzeichneten Urkunden -und in den Regel ohne irgendeine Erklärung, wieso der Betreuer und nicht der Betroffene selbst gehandelt hat- dem Gericht zur Genehmigung eingereicht.

    Eine Rückfrage beim Betreuer, weshalb Stellvertretung erforderlich und Unterstützung nicht ausreichend war, wird von vielen Betreuern als Einmischung in ihre Betreuungsführung angesehen.

    Im Rahmen von persönlichen Anhörungen im Genehmigungsverfahren wird von manchen -eigenständig noch handlungsfähigen, aber unterstützungsbedürftigen- Betroffenen erklärt, sie seien nicht gefragt worden, ob sie den Grundstückskaufvertrag beim Notar selbst unterzeichnen wollen bzw. die Kündigung oder den Mietvertrag selbst unterzeichnen wollen.

    Aber auch im Aufgabenbereich der Gesundheitssorge kam es zu Berichten von Betroffenen, die ärztliche Aufklärung (das Aufklärungsgespräch zwischen Arzt und Patienten) hätte nur gegenüber dem Betreuer stattgefunden. Der Betroffene selbst sei vom behandelnden Arzt gar nicht aufgeklärt worden. Und so selten kann dieses Vorgehen in der täglichen Praxis nicht sein. Letztendlich hat sich ja sogar das Bundesministerium für Justiz dazu berufen gefühlt, eine entsprechende Broschüre mit dem Titel "https://www.bgt-ev.de/fileadmin/Medi…Innen_final.pdf" herauszugeben.

    Meines Erachtens ist deshalb eine Diskussion zwischen Betreuern, weiteren "Beteiligten" (z.B. Ärzte, Notare, ...) angezeigt, inwieweit der Grundsatz "Unterstützung vor Stellvertretung" in der täglichen Praxis angewandt bzw. gegen ihn verstoßen wird. Interessant dürften die Gründe sein, weshalb gegen den Grundsatz verstoßen wird. Mir wurde z.B. durch einen Betreuer auf Nachfrage mitgeteilt, dass beim Abschluss eines Grundstückskaufvertrags der Urkundsnotar erklärt habe, eine Beurkundung könne nur stattfinden, wenn neben dem Betroffenen auch der bestellte Betreuer bei der Beurkundung mitwirken würde. Bei Bestellung eines Betreuers könne die Beurkundung nur unter Mitwirkung des Betreuers erfolgen.

    Wie sehen denn die bisherigen diesbezüglichen Erfahrungen der Rechtspflegerinnen/Rechtspfleger bzw. Betreuerinnen/Betreuer aus?

    2 Mal editiert, zuletzt von Kobus (27. August 2023 um 12:13)

  • Hallo, dieser Notar scheint wohl das Kriterium Geschäftsunfähigkeit /Einwilligungsvorbehalt nicht zu kennen.

    Ansonsten spekulativ: Personen im Koma, oder auch zwingendes Handeln gegen den Willen des Betreuten (was ja § 1821 Abs. 3 BGB) durchaus zulässt. Außerdem: gerade bei Wohnungskündigungen wünsche ich mir schon eine gerichtliche Kontrolle. Habe da immer Betreuer vor Augen, die den Betreuten Dinge zur Unterschrift vorlegen, die dieser gar nicht (mehr) versteht. Unter der Fahne „unterstützte Entscheidungsfindung“.

  • Das war aber doch alles nach altem Recht auch nicht anders, wenn der Betreute geschäftsfähig ist.

    Der springende Punkt ist nach meiner Ansicht, dass das neue Recht beim geschäftsfähigen Betreuten nichts an dem Umstand geändert hat, dass sowohl der Betreute als auch der Betreuer handeln können (Doppelhandlungsbefugnis). Besonders deutlich wird dies beim Beginn der Ausschlagungsfrist für eine dem Betreuten angefallene Erbschaft, für welche es beim geschäftsfähigen Betreuten - nach wie vor - darauf ankommt, wer von beiden als Erster vom Erbanfall (und den sonstigen für einen Fristanlauf erforderlichen Umständen) erfährt.

    Außerdem darf nicht aus dem Auge verloren werden, dass es bei zweifelhafter Geschäftsfähigkeit des Betreuten schon die Rechtssicherheit gebietet, dass der Betreuer handelt, sodass gewährleistet ist, dass das (mit oder ohne erforderliche gerichtliche Genehmigung) vorgenommene Rechtsgeschäft auch materiell wirksam ist.

    Die Rechte des Betreuten hat das Gericht auf die gebotene Weise zu wahren (persönliche Anhörung und/oder Verfahrenspfleger). Im Übirgen hat es sich auch nach altem Recht so verhalten, dass Handlungen des geschäftsfähigen Betreuten und des Verfahrenspflegers (etwa bei der Beschwerdeeinlegung) miteinander kollidieren können.

    Ist die Betreuung mit einem gewissen Aufgabenkreis angeordnet, dann ist sie eben angeordnet und hieraus folgt die gesetzliche Vertretungsmacht des Betreuers. Der Gesetzgeber hat mit seinem völlig überbetonten Geschwafel im Bereich der Personensorge völlig den Blick für die vermögensrechtliche betreuungsrechtliche Lebenwirklichkeit verloren. Kann man es einem potentiellen Geschäftspartner eines Betreuten, dem kein Recht auf Einsicht in die vorliegenden ärztlichen Gutachten zusteht, wirklich verdenken, dass er zur Sicherstellung eines wirksamen Rechtsgeschäfts auf einem Handeln des Betreuers besteht? Oje, der Betreute war doch geschäftsunfähig, jetzt musst Du den erworbenen Grundbesitz wieder rausrücken. Das ist doch völlig absurd.

  • Aber gerade weil teilweise das alte Recht bzw. das Handeln der gesetzlichen Vertreter der UN-Behindertenrechtskonvention nicht entsprochen hat bzw. die Akteure im Betreuungsrecht die Intentionen des Gesetzgebers im alten Betreuungsrecht nicht richtig umgesetzt haben, kam es zum neuen Recht.

    Betreuung darf kein Makel sein. Ist es aber, wenn man bei bei Bestellung eines Betreuers aus Rechtssicherheitsgründen das Handeln des Betreuers verlangt und in der Konsequenz auch zulässt bzw. umsetzt, trotz Geschäftsfähigkeit des Betroffenen. Blos weil er einen rechtlichen Betreuer zu seiner Unterstützung hat und kein Gutachten über das Vorliegen einer Geschäftsfähigkeit vorlegen kann oder will. Er hat einen Betreuer. Deshalb kann er nicht selbst handeln.

    Ansonsten sollte der Betreuer -aus Gründen der Rechtssicherheit- auch stets das Aufklärungsgespräch mit den behandelnden Ärzten des Betroffenen führen (was diese aus anderen Gründen gerne so hätten), nur er und nicht der Betroffene Geld bei der Bank ausbezahlt bekommen, …

    Bei erteilter Vollmacht verlangt ein Vertragspartner des Vollmachtgebers oder gar ein Notar ja auch nicht das Handeln des Bevollmächtigten, wenn der 100-jährige Vollmachtgeber bei Vertragschluss selber handeln will. Auch wird die Bank Bargeld vom Konto nicht nur an den Bevollmächtigten auszahlen. Da kommt ja niemand auf den Gedanken, dem Vollmachtgeber -egal wie tattrig er auch sein mag- Geschäftsunfähigkeit zu unterstellen. Trotzdem er zu seiner Unterstützung und zu seiner Stellvertretung einer Vertrauensperson Vollmacht erteilt hat.

    Es ist für den wegen körperlichen Gebrechen unterstützungsbedürftigen Betroffenen diskriminierend, wenn stellvertretendes Handeln verlangt und in der Folge auch kritiklos umgesetzt wird. Unter dem Deckmantel der Rechtssicherheit. Dann wäre die Anordnung einer Betreuung ein Makel und käme wieder einer Entmündigung gleich. Und genau das wollte und will der Gesetzgeber nicht.

    Deshalb §1821 BGB. Bindend für den Betreuer: nur stellvertretend Handeln, wenn Unterstützung nicht ausreicht. Und § 1821 BGB wird auch nicht von § 1823 BGB verdrängt. § 1823 BGB bestimmt nur, dass auch Handeln unter Verstoß gegen § 1821 BGB rechtswirksam ist.

    Wenn 6 Monate nach Inkrafttreten des neuen Betreuungsrecht schon wieder den Grundgedanken der UN-Behindertenrechtskonvention mit der Begründung, aus Rechtssicherheitsgründen seien zum Schutz der Rechtsgüter Dritter die Rechte der „Behinderten“ zweitrangig und müssten deshalb zurückstehen, dann werden wir die bevorstehende Evaluation wieder nicht bestehen. Es liegt an den Betreuern, ihre Betreuten nicht zu diskriminieren bzw. keine Diskriminierung durch Dritte zuzulassen. Nach dem Grundsatz: keine Stellvertretung wenn Unterstützung ausreichend.

    Wie gesagt: bei einer Vollmachtserteilung würde keiner auf den Gedanken kommen, den Vollmachtgeber zu diskriminieren.

    Und wenn ein Vollmachtgeber bei der Erteilung der notariell beurkundeten oder beglaubigten Vollmacht geschäftsunfähig war, dann trifft den Vertragspartner die gleiche Rechtsfolge wie beim geschäftsunfähigen Betroffenen. Und die Beurkundung oder die Beglaubigung durch einen Notar schützt den Vertragspartner im Hinblick auf eine evtl. Geschäftsunfähigkeit auch nicht.

    Einmal editiert, zuletzt von Kobus (27. August 2023 um 06:52)

  • Wenn man nachfragt, warum der Betroffene - mit Unterstützung des Betreuers - bei Erklärungen z.B. zur Erbausschlagung nicht selbst handeln konnte, kommt die Mitteilung, der Betroffene würde die Vertretung durch den Betreuer wünschen. Und ich gebe Kobus recht, all diese Nachfragen empfinden die Betreuer als Einmischung und unnötigen Schriftwechsel.

    Ein Genehmigungsantrag, der alle Angaben zur Vertretung, zu den Wünschen des Betreuten und den Gründen für das Handeln des Betreuers enthält, kommt bei mir in der Praxis nie vor. Ich finde es auch schwierig, wenn ich als Betreuungsgericht dann z.B. zur Erbausschlagung ermittelt habe, herausfinde dass der Nachlass nicht überschuldet ist und der Betroffene mir dann mitteilt er wünscht unter allen Umständen (ohne weitere Begründung) die Ausschlagung. Wenn ich seinen Wünschen so oder so folgen soll, kann ich mir dann die zeitaufwändigen Ermittlungen grundsätzlich sparen, zumindest wenn er nach dem Gutachten in der Lage ist seinen Willen frei zu äußern? Leider entspringt die Erbausschlagung bei einigen Betreuern dem Wunsch so wenig wie möglich mit komplizierten Nachlassverfahren zu tun zu haben.

    Welche Entscheidungsbefugnis im Genehmigungsverfahren habe ich als Gericht überhaupt noch wenn der Betroffene seinen Willen äußern kann?

    Für mich ist die derzeitige Situation in den Genehmigungsverfahren echt unbefriedigend.

  • Der Anstoß für die Diskussion hier kommt meines Erachtens zu spät. Das Bundesjustizministerium hat sich leider wiederholt am Nasenring durch die Manege führen lassen. Die Drohung, das Deutschland als böser Bube dastehen könnte, wenn es die VN-Behindertenkonvention nicht umsetzt, trägt leider solche Blüten.


    Meines Erachtens nach, tangiert die VN-Behindertenkonvention vorrangig körperliche Behinderungen und unsere Rechtliche Betreuung vorrangig psychische Einschränkungen (Vertretungsrecht bei Geschäftsunfähigkeit). Würde es dieser nicht mehr bedürfen, gebe es keine rechtliche Betreuung mehr. Da der Sozialkasse schon immer die Teilhabekosten ein Dorn im Auge waren, haben die Sozialbehörden diese sukzessive auf die Justiz (Rechtliche Betreuer) verschoben und die sozialarbeitenden rechtlichen Betreuer haben es mit sich machen lassen. Die Justiz hat versucht sich zu wehren und die Vergütung von Stundenabrechnung auf Pauschalvergütung umzgestellt. Der Rechtliche Betreuer musste sich darauf hin wieder wehren, in dem er sich auf seine Kernkompetenz zurückziehen musste und wiederum die Teilhabe vor sich hertrieb, welche in der Sozialbehördlichen Stellungnahme der Betreuungsbehörden, welche bei den Sozialkassen und nicht bei der Justiz angegliedert sind, verhindert hat. Parallel dazu hat der Sozialstaat, weil er nicht zugeben will, dass er sich den Sozialstaat nicht leisten kann, dass so toll und wohlklingende Bundesteilhabegesetz eingeführt, was zusammengefasst lediglich ein Verschieben, Vermeiden, Verzögern und Verschleppen von Kosten zum Inhalt hat.


    Im fachlichen Kern hat sich die Rechtliche Betreuung seit 1992 nicht geändert. Vertretung bei Bedarf und den Willen des Betroffenen achten. Lebe und handhabe ich seit 1992.


    Deswegen singe ich regelmäßig Jedem, egal ob er es hören will oder nicht, mein Mantra vor:

    Rechtliche Betreuung ist keine soziale Arbeit!

    Rechtliche Betreuung heißt, Dach übern Kopf, Essen auf dem Tisch, Geld auf dem Konto, eventuell vor dem Suizid bewahren und TEILHABE am Leben ORGANISIEREN.


    Ach so, zur Ausgangsfrage der gerichtlichen Genehmigungen, siehe oben, es ist einfach ein pragmatisches und effizientes praktizieren der rechtlichen Betreuung durch den Rechtlichen Betreuer. Und machen wir uns doch nichts vor, ein unter rechtlicher Betreuung stehender Betroffener ist doch als Erbe so was von besser gestellt als jeder andere. Wärend des Genehmigungsverfahren ist die Ausschlagungsfrist gehemmt und ich lasse den Nachlass durch einen Nachlasspfleger abwickeln und wenn etwas übrig bleibt, bekommt er es augekehrt. System erkannt, System genutzt.


    Ich freue mich auf ein fortleben der hier aufgerufenen Diskussion.

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    “Das tolle am Internet ist, dass endlich jeder der ganzen Welt seine Meinung mitteilen kann. Das Furchtbare ist, dass es auch jeder tut.” Marc-Uwe Kling, Die Känguru Chroniken
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  • Hallo, ich kann ARK nur beipflichten. § 1814 Abs. 3 BGB verlangt doch weiterhin die Notwendigkeit der gesetzlichen Vertretung. Klar, nicht für jede einzelne Willenserklärung. Aber doch zumindest regelmäßig. Denn ansonsten ist die Betreuung aufzuheben oder zumindest der Aufgabenbereich. Selbiges wird auch dauernd abgefragt. Spätestens mit dem Anfangsbericht müsste in vielen Fällen der AK viel kleinteiliger formuliert werden. Geschieht nicht? Vielleicht deshalb, weil Richter keine ständigen Änderungsanregungen wünschen; weil jedesmal damit ein Rattenschwanz verbunden ist? Und „unterstützte Entscheidungsfindung“, dieser Begriff, der in Art 12 Abs. 4 UN-BRK gar nicht steht, meint doch offenbar am Ehesten, dass der Betreuer den Willen des Betreuten erforscht und danach handelt - und nicht, dass er den Betreuten dann allein lässt. Der Rechtspfleger Uwe Harm beschreibt in seinen Beiträgen im HKBUR und der BtPrax übrigens schön das Missverständnis, dass die angelsächsiche Deutung der BRK hier in der pol. Diskussion ausgelöst hat. Der Betreuer handelt auf Wunsch des Betreuten. Wenn der Betreute es nicht will, ist die Betreuung oder der AB aufzuheben.

  • Muss ich denn als Gericht zukünftig z.B. im Rahmen einer Genehmigung zur Erbausschlagung überhaupt noch ermitteln wie sich der Nachlass zusammensetzt wenn den Wünschen des Betreuten Folge zu leisten ist? Kann ich vom Betreuer überhaupt verlangen dass er mir Gründe für seinen Genehmigungsantrag darlegt außer dass er den Wünschen des Betreuen Folge geleistet hat?

    Oder ist das Genehmigungsverfahren zu Ende und die Genehmigung zwingend zu erteilen wenn ich geprüft habe ob der Betroffene seinen Willen frei äußern kann und die Erteilung der Genehmigung seinen Wünschen entspricht?

    Das würde manches erleichtern wo man bisher eben umfassend ermittelt und abgewogen hat.

  • Einen Hinweis findet man in § 1862 Abs. 1 Satz 2 BGB. Maßstab sind die Wünsche, es sei denn, es ist eine Vermögensgefährdung zu befürchten (ähnlich auch § 1838 Abs. 2 Satz 2 BGB).

    Bei der Erbausschlagung wird ja das bereits vorhandene Vermögen keinesfalls tangiert. Wird also der Nachlasserwerb zurückgewiesen, hat man ja weiter seinen bisherigen Besitz (man bekommt dann weder was on top - den Aktivnachlass, aber es wird auch nicht weniger - Nachlassverbindlichkeiten). Ich lese das Ganze so, dass jedenfalls bei ausdrücklichen Wünschen keine Ausnahme gegeben ist.

  • Das sehe ich anders.

    Wenn der Betroffene nur ein Vermögen von 10.000 € hat und einen Vermögenserwerb in Höhe von 100.000 € mittels Ausschlagung seitens des Betreuers ablehnen möchte (die der Betreuer aber nicht erklären möchte), lässt sich eine Vermögensgefährdung im weiteren Sinne nicht von der Hand weisen.

    Also: Erbschaftswert 1 Mio. €, der Betroffene möchte aus einer Laune heraus ausschlagen, der Betreuer erklärt die Ausschlagung und das Gericht genehmigt diese, weil sie dem Wunsch des Betroffenen entspricht. Ich wünsche heute schon viel Spaß, wenn der Betroffene später daherkommt und erklärt, dass eine solche absurde Ausschlagung keinesfalls hätte erklärt und genehmigt hätte werden dürfen, weil sein Wille nicht ernst zu nehmen gewesen sei.

    Das geht alles völlig an der Lebenswirklichkeit vorbei.

  • Das sehe ich anders.

    Wenn der Betroffene nur ein Vermögen von 10.000 € hat und einen Vermögenserwerb in Höhe von 100.000 € mittels Ausschlagung seitens des Betreuers ablehnen möchte (die der Betreuer aber nicht erklären möchte), lässt sich eine Vermögensgefährdung im weiteren Sinne nicht von der Hand weisen.

    Also: Erbschaftswert 1 Mio. €, der Betroffene möchte aus einer Laune heraus ausschlagen, der Betreuer erklärt die Ausschlagung und das Gericht genehmigt diese, weil sie dem Wunsch des Betroffenen entspricht. Ich wünsche heute schon viel Spaß, wenn der Betroffene später daherkommt und erklärt, dass eine solche absurde Ausschlagung keinesfalls hätte erklärt und genehmigt hätte werden dürfen, weil sein Wille nicht ernst zu nehmen gewesen sei.

    Das geht alles völlig an der Lebenswirklichkeit vorbei.

    :thumbup: :thumbup: :thumbup:

    Und vor allem, er wird mal Sozialhilfeberechtigt oder ist schon im AlgII Bezug.

    Als Alg II Empfänger anwachsendes Vermögen zu vermeiden, am besten damit es gleich an die nächste Genaration weitergeht (alles schon erlebt) ist schon immer strafrechtlich relevant.

    Zum Thema Du kannst Dir alles wünschen, aber sind wir hier bei wünsch Dir was, dass wird ein Heidenspass an höchstrichterliche Urteile.

    Ich hoffe, dass ich demnächst einen Betreuerwechsel, den die Kammer vom Landgericht vornehmen will, dann mal nach oben bekomme. Ich freu mich drauf.

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  • Also: Erbschaftswert 1 Mio. €, der Betroffene möchte aus einer Laune heraus ausschlagen, der Betreuer erklärt die Ausschlagung und das Gericht genehmigt diese, weil sie dem Wunsch des Betroffenen entspricht. Ich wünsche heute schon viel Spaß, wenn der Betroffene später daherkommt und erklärt, dass eine solche absurde Ausschlagung keinesfalls hätte erklärt und genehmigt hätte werden dürfen, weil sein Wille nicht ernst zu nehmen gewesen sei.

    Und wenn man als Gericht seine Arbeit sauber erledigt hat, kann man sich entspannt zurücklehnen. Insbesondere wenn der Betreute in seiner persönlichen Anhörung seinen Wunsch erklärt hat, wird er damit "dass sein Wille nicht ernst zu nehmen gewesen sei" nicht sonderlich weit kommen.

    Ich weiß schon, dass dir die Ausrichtung des Betreuungsrechts überhaupt nicht gefällt, aber deshalb die derzeitige Rechtslage ignorieren zu wollen, ist doch gerade von jemanden wie dir (den ich bisher als jemand rechtlich sehr genaues kenne) eher erstaunlich.

    Außerdem darf nicht aus dem Auge verloren werden, dass es bei zweifelhafter Geschäftsfähigkeit des Betreuten schon die Rechtssicherheit gebietet, dass der Betreuer handelt, sodass gewährleistet ist, dass das (mit oder ohne erforderliche gerichtliche Genehmigung) vorgenommene Rechtsgeschäft auch materiell wirksam ist.

    Nehmen wir das mal beispielhaft. Jeder, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, ist nach deutschem Recht geschäftsfähig, solange nicht § 104 BGB etwas anderes bestimmt. Im Zweifel ist daher auch von Geschäftsfähigkeit auszugehen. Es gibt absolut keine rechtliche Grundlage, wegen einer Betreuung plötzlich etwas anderes anzunehmen. Dem Rechtsverkehr muss man in diesem Fall einfach ein gewisses "Lebensrisiko" zumuten.

    Macht man beim Betreuer selbst übrigens auch: der Betreuerausweis bietet keinen Rechtsschein und wenn da was falsches drin steht, hat der Vertragspartner mitunter auch Pech.

  • Der BGH hat jedenfalls den Pflichtteilsverzicht eines Sozialhilfeempfängers nicht beanstandet (keine Sittenwidrigkeit und damit auch keine Sozialwidrigkeit). Die Erbfreiheit (auch die negative) ist halt grundgesetzlich geschützt. Und die Wahrnehmung eines Grundrechtes darf auch der SHT nicht beanstanden: https://lexetius.com/2011,98

    Der BGH hat dabei auch ausdrücklich den OLGen Stuttgart und Hamm widersprochen, die Erbausschlagungen werthaltiger Nachlässe als nicht genehmigungsfähig angesehen hatten.

  • Ich sehe das Problem bei Haftungsfragen / Gesetztesverstößen.

    Angenommen der voll geschäftsfähige Betreute erklärt, dass er den Nachlass ausschlagen will. Dies möge aber Bitte der Betreuer für ihn tun.

    1. Variante: Der Betreuer weigert sich weil der Betreute es ja selber kann. Verstößt er dann gegen § 1821 Abs. 2 (Wunscherfüllung)?

    2. Variante: Der Betreuer weiss, dass der Betreute dadurch Sozialhilfebtrug begehen würde. Muss er also die Erbschaft und die Ausschalgung melden auch wenn dadurch das Vertrauensverhltnis gestört würde? Ist der Betreuer dann, nach Aufforderung durch das Sozialamt, verpflichtet den Nachlass anzunehmen, auch gegen den Willen des Betroffenen?

    3. Variante: Der Betreuer schlägt, auf schriftlichen Wunsch des Betreuten, mit Genehmigung aus. Nun kommt das Sozialamt. Wer haftet für den Schaden?

    Anderer Fall:

    Ein voll geschäftsfähiger Betreuter weigert sich eine korrekte Rechnung zu bezahlen mit der Begründung: "Mir doch egal. Bei mir ist eh nichts zu holen. Pfändungen interessieren mich nicht. Bekomme Bürgergeld". Er verlangt nun vom Betreuer dies der Firma so mitzuteilen und unterschreibt eine Erklärung, dass er nicht zahlen will. Muss der Betreuer, um einen größeren Schaden (Schulden, evtl. Gerichtsverfahren wegen Betrug) tätig werden? Nicht das es später heisst "Du als Betreuer hättest dafür Sorge tragen müssen, dass die Rechnung bezahlt wird". (ich würde gegen den Willen des Betreuten nichts überweisen).

    Klassiker:

    Der Betreute möchte, entgegen jeden ärztlichen Rat, nicht in einem Pflegeheim bleiben. Objektiv betrachtet ist eine Rückkehr in eine Wohnung, auch mit Pflegediensten, nicht möglich (Sturzgefahr, Dehydrationsgefahr, Verwahrlosung etc.).

    Der Betreuer weigert sich diesem Wunsch nachzukommen (§1821 Abs 2 Satz 1.) Nun kommen die Angehörigen und fordern von dem Betreuer Schadenersatz für die Heimkosten, da Miete ja billiger gewesen wäre. Reicht hier der Verweis auf den genannten Paragraphen?

    Und was ist wenn der Betreuer dem Wunsch nachkommt, der Betreute stürzt, die Wohnung und er verwahrlosen oder ähnliches? Kann der Betreuer dann sagen "ich bin nur der Pflicht zur Wunscherfüllung nachgekommen"?

    Grundsätzlich bin ja durchaus dafür die Betreuten, nach Beratung und Besprechung über das Für und Wider der Entscheidung , mehr selber machen zu lassen. Nur dann bitte auch die Haftungsfrage deutlich klären.

  • Der BGH hat jedenfalls den Pflichtteilsverzicht eines Sozialhilfeempfängers nicht beanstandet (keine Sittenwidrigkeit und damit auch keine Sozialwidrigkeit). Die Erbfreiheit (auch die negative) ist halt grundgesetzlich geschützt. Und die Wahrnehmung eines Grundrechtes darf auch der SHT nicht beanstanden: https://lexetius.com/2011,98

    Der BGH hat dabei auch ausdrücklich den OLGen Stuttgart und Hamm widersprochen, die Erbausschlagungen werthaltiger Nachlässe als nicht genehmigungsfähig angesehen hatten.

    Entscheident scheint mir da der Grund der Ausschalgung zu sein.

    Wenn der potentielle Erbe erklärt "Ich schlage aus weil ich sonst keine Sozialhilfe mehr erhalte" scheint mir eine Kürzung der Leistungen doch realitisch.

    Ansonsten aber Danke für den Hinweis. Das Urteil war mir bisher nicht so bekannt.

  • Der Betreuer muss keinem Wunsch folgen, durch den er sich selbst strafbar macht (zB Beihilfe zum Betrug oder zur Steuerhinterziehung). Das fällt unter die Unzumutbarkeit und sollte vor allem von Berufsbetreuern beachtet werden, weil eine Verurteilung für ein betreuungsrelevantes Vergehen zwingend zum Registrierwiderruf führt (§ 27 BtOG). Die Sache mit der Erbausschlagung oder dem Pflichtteilsverzicht ist aber tatsächlich nicht strafbar.

  • Muss ich denn als Gericht zukünftig z.B. im Rahmen einer Genehmigung zur Erbausschlagung überhaupt noch ermitteln wie sich der Nachlass zusammensetzt wenn den Wünschen des Betreuten Folge zu leisten ist? Kann ich vom Betreuer überhaupt verlangen dass er mir Gründe für seinen Genehmigungsantrag darlegt außer dass er den Wünschen des Betreuen Folge geleistet hat?

    Oder ist das Genehmigungsverfahren zu Ende und die Genehmigung zwingend zu erteilen wenn ich geprüft habe ob der Betroffene seinen Willen frei äußern kann und die Erteilung der Genehmigung seinen Wünschen entspricht?

    Das würde manches erleichtern wo man bisher eben umfassend ermittelt und abgewogen hat.

    Bei mir läuft das aktuell meist so:

    Ich bekomme die Ausschlagungserklärung und fordere die Nachlassakte an. Diese ist meist nicht sonderlich ergiebig und besteht in aller Regel nur aus Ausschlagungserklärungen, wobei unklar ist, auf welcher Erkenntnisse da eigentlich die Erbausschlagung erklärt wurde. Meist läuft das nach dem Prinzip "Lemming" (der erste schlägt aus und alle weiteren rennen ohne Sachkenntnis und weitergehende Überlegungen hinterher). Wenn ich teilweise im Wege der Amtsermittlung (vor der Reform) versucht habe, bei den Erben der ersten und zweiten Ordnung deren Kenntnisse über die Nachlasszusammensetzung zu erfragen, kam da meist wenig verwertbares. Die bloße Zahl der Ausschlagungen hat daher für mich allenfalls Indizienwirkung.

    Nach der Aktendurchsicht bestimme ich einen Anhörungstermin und teile dem Betroffenen mit, dass sein Betreuer für ihn die Erbschaft ausgeschlagen hat (im Regelfall sollte der Betreute davon schon wissen, da der Betreuer die Ausschlagung mit ihm besprochen hat). Ich stelle in einfachen Worten dar, was ich über den Nachlass weiß, damit der Betroffene zumindest eine halbwegs informierte Entscheidung treffen kann.

    In aller Regel kommt dann die Antwort "Wenn alle anderen ausgeschlagen haben, will ich mit dem Erbe auch nichts zu tun haben" oder "Ich vertraue meinem Betreuer, der wird das schon alles richtig gemacht haben". Im Hinblick auf die Wunschbefolgungspflicht sehe ich dann von noch tiefergehenden Ermittlungen ab und erteile die Genehmigung.

    Bei den Betreuten, die unstreitig geschäftsfähig sind (vor allem jüngere Menschen mit Depressionen u.ä.) bekomme ich kaum Genehmigungsanträge. Die Betreuer lassen die Betroffenen schon aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung selbst handeln. Das war auch schon nach der alten Rechtslage bei mir so.

  • "Die Betreuer lassen die Betroffenen schon aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung selbst handeln. Das war auch schon nach der alten Rechtslage bei mir so."

    Das ist eben bei uns leider oft nicht der Fall, obwohl es aus meiner Sicht die beste Variante ist. Eben weil das Gericht bisher im Rahmen der Genehmigung zur Zusammensetzung des Nachlasses ermittelt hat war die Lage für die Betreuer recht komfortabel, bei Bedarf wurde dann eben der Antrag auf Genehmigung zurückgenommen und der Betreute konnte erben. Deswegen wurde der Weg über die Ausschlagung des Betreuers vorgezogen.

    Die persönliche Anhörung (die versuche ich immer) habe ich bisher erst angesetzt wenn ich alles Mögliche ermittelt hatte und soweit auch Auskunft zur Nachlasszusammensetzung geben konnte. Wenn ich mir die Rechtslage jetzt so anschaue würde ich das eher nicht mehr machen und sofort anhören. Der Aufwand für die Ermittlungen würde entfallen, aber eben dann auch der Schutz des Betreuten vor der "falschen" Entscheidung.

    Leider stellen wir hier inzwischen oft fest dass die Ausschlagung eher dem Wunsch des Betreuers entspricht, weil eben vielfach die Zeit und auch die Kenntnisse fehlen, die Nachlassverfahren abzuwickeln. Ob man das dann immer in der Anhörung so herausfindet muss man mal gucken. Und ohne konkrete Ermittlungen zum Nachlass brauche ich dann ja auch gar nicht zu argumentieren dass die Annahme der bessere Weg sein könnte.

  • Leider stellen wir hier inzwischen oft fest dass die Ausschlagung eher dem Wunsch des Betreuers entspricht, weil eben vielfach die Zeit und auch die Kenntnisse fehlen, die Nachlassverfahren abzuwickeln.

    Ja, dieses fiskalische/Zeit Problem kann ich nachvollziehen.


    Ich habe eine Betreuung bekommen, weil der Betroffene nicht in der Lage ist, den Nachlass seines vorverstorbenen Sohnes, der sein Vollmachtnehmer war, als dementer Heimbewohner abzuwickeln.


    Ich betreue jetzt den Betroffenen, der nicht sehr einfach ist und aus seinem Unverständnis heraus wie aufwendig eine Nachlassabwicklung ist, in der Rechtlichen Betreuung.


    Ich wickle jetzt einen Nachlass mit Immobilien und Geldanlagen bei ausländischen Banken (insgesamt ca. 700.00,00€ Nachlasswert) ab, für welche ich als Nachlasspfleger eine Vergütung von 5 – 10 T€ hätte generieren müssen.

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