Warnung an alle Rechtspfleger des Nachlassgerichts

  • Warnung für alle Rechtspfleger des Nachlassgerichts

    Die wohl am meisten haftungsträchtige Vorschrift des Erbrechts ist die Norm des § 2306 BGB. Hierzu folgender Fall aus der Praxis, den ich als Gutachter im Sinne der Mandantschaft einer befriedigenden Lösung zuführen konnte:

    Die Erblasserin A hatte ein einziges Kind B, die Enkelin B1 und die Urenkelin B2. Es lag folgendes notarielles Testament vor: Erbeinsetzung zugunsten von B zu 1/2 und zugunsten der familienfremden X zu je 1/2. Außerdem Vorausvermächtnis zugunsten X in Form eines lebenslangen Wohnungsrechts an der zum Nachlass gehörenden Immobilie im Wert von etwa 600.000 €.

    Nach Testamentseröffnung sucht Kind B einen Anwalt auf, der ihr rät, die Erbschaft zum Zwecke der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs auszuschlagen (§ 2306 I 2 BGB). Die Erbausschlagung wird vom Nachlassgericht beurkundet. Im gleichen Termin schlagen auch Enkelin B1 und Urenkelin B2 die Erbschaft aus. Im Termin beim Nachlassgericht wurde mehrmals erklärt, dass die Ausschlagungen nur erfolgen, um Kind B die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs zu ermöglichen. Diese Intention der Beteiligten wird nicht in die nachlassgerichtliche Niederschrift aufgenommen.

    Problem:

    Es liegt kein Fall des § 2306 I 2 BGB, sondern des § 2306 I 1 BGB vor, weil Kind B kraft Gesetzes zur Alleinerbin berufen gewesen wäre und ihr testamentarischer Erbteil (1/2) ihre Pflichtteilsquote (von ebenfalls 1/2) nicht übersteigt. Damit hat Kind B trotz Ausschlagung kein Pflichtteilsrecht und infolge erklärter Ausschlagung erhält sie vom Nachlass überhaupt nichts. Diese Rechtslage hatten sowohl Notar als auch Nachlassgericht übersehen. Der Notar hätte also darauf hinwirken müssen, dass Kind B mit einer Erbquote von mindestens 50,01 % bedacht wird (dann: § 2306 I 2 BGB).

    Alsdann erfolge die Anfechtung der Erbausschlagung wegen Irrtums. Das LG erklärte die Anfechtung für begründet. Das BayObLG hob die Entscheidung des LG auf und verwies an das LG zurück, weil nicht genügend aufgeklärt war, ob die Intention der Pflichtteilsgeltendmachung tatsächlich im nachlassgerichtlichen Ausschlagungstermin zur Sprache kam. Die Rechtspflegerin erklärte, sich an den konkreten Fall nicht mehr erinnern zu können. Enkelin B1 erklärte als Zeugin, dass der mit der Ausschlagung verfolgte Zweck der Pflichtteilsgeltendmachung im nachlassgerichtlichen Termin mehrmals zur Sprache kam.

    Lösung:

    Die Ausschlagung des Kindes B war aus zwei Gründen von vorneherein unwirksam. Einmal deshalb, weil Kind B die Ausschlagung mit einer zulässigen Gegenwartsbedingung (dem Bestehen ihres Pflichtteilsanspruchs) verknüpfte, was keine unzulässige Bedingung i.S. des § 1947 BGB darstellt, weil eine Bedingung immer ein zukünftiges ungewisses Ereignis zum Gegenstand hat (ob B durch die Ausschlagung pflichtteilsberechtigt wurde, stand aber aufgrund der Norm des § 2306 BGB bereits im Zeitpunkt der Ausschlagung unverrückbar fest). Und zum zweiten deshalb, weil die Erklärung im Hinblick auf den hiernach zulässigen Vorbehalt des Pflichtteilsrechts nicht vollständig beurkundet wurde und dies nach § 139 BGB im Zweifel zur Nichtigkeit der gesamten Ausschlagung führt.

    Aufgrund der glaubwürdigen Zeugenaussage von Enkelin B1, die sich vollständig in Übereinstimmung mit dem Inhalt der notariellen Anfechtungserklärung befand, stellte das LG die Unwirksamkeit der Ausschlagung des Kindes B1 fest. Eine (nochmalige) weitere Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde nicht mehr eingelegt.

    Ergebnis:

    Kind B und X wurden je zur Hälfte Erben. Das zugunsten von X angeordnete Vorausvermächtnis war wegen § 2306 I 1 BGB unwirksam.

    Folgerungen für die Rechtspfleger des Nachlassgerichts:

    Vor der Beurkundung einer Erbausschlagung bei gegebenem Anlass (also auch bei der Ausschlagung durch Nacherben nach § 2306 II BGB) immer prüfen, ob ein Fall des § 2306 I 1 BGB oder des § 2306 I 2 BGB vorliegt. Sonst kommt man leicht in Teufels Küche.

  • Ein früherer alter Kollege riet den Neulingen im Nachlaßgericht immer sie sollten über dem schreibtisch ein Schild mit der Aufschrift: " 2306 !!!! " von der Decke baumeln lassen.
    so ganz Unrecht hatte er mit seinem väterlichen Ratschlag wohl nicht.

  • Hierzu noch ein weiterer Fall aus meiner Praxis:

    Ein Erblasser hatte seine mit ihm im gesetzlichen Güterstand lebende Ehefrau zu 3/4 und seinen behinderten und unter Betreuung stehenden Sohn zu 1/4 zu Erben eingesetzt und seine Ehefrau gleichzeitig als Testamentsvollstrecker für den Erbteil seines Sohnes eingesetzt.

    Als ich der Witwe erklärte, dass die TV leider wegen § 2306 I 1 BGB unwirksam angeordnet sei, entgegnete sie, dass das Testament ihres Ehemannes von ihrem Schwager (einem Richter am LG) formuliert worden ist.

    So kann es gehen!

    Der Richter am LG hat seinen Rechtsirrtum aber dann eingesehen. Hat aber natürlich nichts mehr geholfen.

  • Das müsste sich dann ja auch auf die GBberichtigung auswirken!
    Wenn mir als GBamt ein notarielles Testament dieser Fallgestaltung vorgelegt werden würde, müsste ich normalerweise die TV bezüglich des Kindes als Beschränkung im GB verlautbaren. Wenn diese aber wegen 2306 unwirksam ist, dann dürfte ich das ja wohl nicht.

  • Und wenn nun ein ES mit dem Vermerk: Es ist TV angeordnet

    erteilt wurde. Ist der dann unrichtig?:gruebel:
    Muß er eingezogen werden?

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

    Nachlass-Kanzlei / Büro für gerichtliche Pflegschaften / Nachlasspflegschaften, Nachlassverwaltungen, Testamentsvollstreckungen, Nachlassbetreuungen /
    Nachlasspfleger Thomas Lauk - http://www.thomaslauk.de

  • Natürlich.

    In ein Erbschein erkanntermaßen wegen § 2306 I 1 BGB im Hinblick auf eine angeordnete TV oder Nacherbfolge unrichtig, so hat das GBA umgehend das Nachlassgericht zu verständigen, damit dieses im Sinne der Einziehung des Erbscheins tätig werden kann.

    Wie blue richtig feststellt, erstreckt sich die gesamte Problematik auch auf die ohne Erbschein mögliche GB-Berichtigung i.S. des § 35 GBO.

  • Das GBA kann aber oft nicht prüfen ob der besagte "Fall" vorliegt, sondern muß auf die Richtigkeit des ES vertrauen.

    Im ES steht ja idR nur:

    .. wurde beerbt von a) zu 3/4 und b) zu 1/4

    Angaben über die Verwandtschaftsverhältnisse (Ehefrau, Tochter, Sohn...)"fehlen" meist.

    Oder?

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

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  • In Bayern ist es üblich, dass der Grundbuchberichtigungsantrag in die nachlassgerichtliche Niederschrift für den Erbscheinsantrag aufgenommen wird. Da diese Niederschrift in der Regel auch alle Verwandtschaftsangaben enthält, stellt sich das genannte Problem der "Nichterkennbarkeit" nicht. Das gleiche gilt, wenn der Erbscheinsantrag notariell gestellt wurde und der GB-Berichtigungsantrag in der Notarurkunde enthalten ist.

    Soweit sich Nachlassgericht und Grundbuchamt beim gleichen Gericht befinden, ist es ohnehin üblich, dass die gesamten Nachlassakten an das GBA zum Zweck der Vornahme der GB-Berichtigung weitergeleitet werden.

    Bereits diese Beispiele zeigen, dass das GBA in vielen Fällen anhand der Eintragungsunterlagen über die Verwandtschaftsverhältnisse informiert ist.

    Lann die GB-Berichtigung nach § 35 GBO ohne Erbschein vollzogen werden, empfiehlt es sich ja ohnehin, sich die Nachlassakten beizuziehen.

  • TL
    Ja, da sprichst du eine Problematik an, die mich auch immer wieder vor unbeantwortete Fragen stellt. Neuerdings steht tatsächlich das Verwandtschaftsverhältnis nicht nur nicht mehr auf den Erbscheinen sondern auch immer seltener in den notariellen Urkunden. Dabei ist es im Grundbuchverfahren für etliche Fragen von Bedeutung, z.B. bei der Berechnung der Kosten oder für die Frage des gesetzlichen Vorkaufsrechts der Gemeinden und die UB.

  • Mal zurück zum Ausgangsfall,
    m.E. muss ich nicht prüfen, aus welchen Gründen die Ausschlagung erfolgt, weil die Wirksamkeit der Ausschlagung oder die rechtlichen Folgen bei der Beurkundung ohne Bedeutung sind. Das ist in anderen Verfahren (Z.B Erbschein) zu prüfen.Nur sollte man die Gründe für die Ausschlagung in die Urkunde mit aufnehmen, weil dass für eine eventuelle Anfechtung der Ausschlagung interessant sein dürfte.

  • Helmut Vieten:

    Das sehe ich anders. Wenn die Beteiligten aufkreuzen und erklärtermaßen zum Zwecke der Geltendmachung der Pflichtteilsanspruchs ausschlagen wollen, dann muss die Vorschrift des § 2306 BGB auch geprüft werden. Denn nur im Fall des § 2306 I 2 BGB kann sich die mit der Ausschlagung verbundene Intention der Beteiligten im Rechtssinne verwirklichen.

  • Das sehe ich nun anders und zwar so ähnlich wie "Helmut Vieten". Es gehört nicht zu den Aufgaben des beurkundenden Rechtspflegers (der übrigens nicht unbedingt Nachlassrechtspfleger sein muss), über die reinen Folgen der Ausschlagung hinaus Rechtsberatung zu erteilen oder die Absichten der Parteien zu prüfen. Die Aufnahme ausdrücklicher Erklärungen kann natürlich sinnvoll sein.

  • Aber bei der Fallgestaltung des § 2306 I 1 BGB führt die Ausschlagung (wie im Ausgangsfall) doch dazu, dass der betreffende Beteiligte weder Erbteil noch Pflichtteil und demzufolge gar nichts vom Nachlass erhält. Eine solche Ausschlagung kann man doch nicht einfach sehenden Auges beurkunden, noch dazu, wenn der Beteiligte erklärt, dass er gerade wegen § 2306 I 2 BGB ausschlagen will.

  • Abgesehen davon, dass vielen Nachlassrechtpflegern das Problem kaum oder nicht bewusst sein dürfte, gilt das noch mehr für die Rechtspfleger, die Urkunds- und keine Nachlasssachen bearbeiten. Das Gericht ist zwar zur Beurkundung bestimmter Vorgänge (wie eben Ausschlagungserklärungen verpflichtet), eine Beratungspflicht ist aber nicht vorgesehen. Nicht ohne Grund weisen viele Rechtspfleger bei solchen Verfahren bzw. bei Rechtsantragstellentätigkeit ausdrücklich darauf hin, dass keine Rechtsberatung gewährt wird. Die Tätigkeit beschränkt sich auf den rein formalen Akt der Beurkundung und die direkte Folge der Erklärung. Das muss dem Bürger immer klar sein oder klar gemacht werden. Man kann hier nicht mehr verlangen als es ein Notar bei seiner Beglaubigung im Normalfall tun würde. Sonst wären die Gerichte bei auf den ersten Blick unverständlichen Erklärungen fast schon in einer zwangsläufigen Pflicht zum Nachfragen und es würde ihnen einen Aufgabe zugedacht, die sie im Rechtssystem nicht haben.

    Schon auf Grund der fehlenden Beratungspflicht sehe ich deshalb kein Risiko für Rechtspfleger. Eine andere Sache ist, ob man die Erklärenden in Kenntnis der Folgeproblematik auf Grund gemachter Äußerungen darauf hinweist. Das befürworte ich auch.

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