Wirksame Anfechtung der Ausschlagung der Erbschaft

  • Hallo,

    meine Erblasserin hat ihren Ehemann und zwei Kinder hinterlassen. Die Erblasserin war deutsche Staatsangehörige, hat in Polen geheiratet und ist dann mit ihrer Familie nach Deutschland übergesiedelt.

    Die Kinder der Erblasser haben wegen Unkenntnis der 6- wöchigen Ausschlagungsfrist die Annahme der Erbschaft aus allen Berufungsgründen ( ohne die Angabe von Gründen ) angefochten. Der Notar stellte daraufhin einen Alleinerbscheinsantrag für den Ehegatten. Ich habe ihn darauf hingewiesen, dass das Alleinerbrecht des Ehegatten gemäß § 1931 Abs. 2 BGB erst eintritt, wenn auch Erben der 2. Erbordnung nicht vorhanden sind. Die Erblasserin hat nämlich noch zwei Brüder in Polen.
    Aufgrund seines Irrtums reichte der Notar dann eine Anfechtungserklärung des Sohnes der Erblasserin ein, wonach dieser die Anfechtung der Erbausschlagung erklärte. Als Grund wurde angegeben, dass der Sohn nunmehr erfahren habe, dass der Nachlass doch nicht überschuldet sei.

    Zuvor wurde vom Notar ein Entwurf einer Anfechtung eingereicht, worin der Sohn angab, dass er in Unkenntnis des § 1931 II BGB und damit in Unkenntnis vom Anfall der Erbschaft an den nächtsberufenen Erben ausgeschlagen habe. Erst nach meinem Hinweis, dass es sich hierbei um einen unbeachtlichen Motivirrtum über die nunmehr vom Gesetz nächstberufene Person handelt, wurde die Anfechtungserklärung entsprechend abgeändert.
    Nunmehr liegt ein Erbscheinsantrag dahingehend vor, dass die Erblasserin von ihrem Ehemann und ihrem Sohn zu je 1/2 des Nachlasses beerbt worden ist. Ist der Erbschein so zu erteilen?

  • ...das sieht doch sehr danach aus, als hätte der Notar im Unterricht beim Thema "Gesetzliche Erbfolge" etwas besser aufpassen müssen...

    Wenn der ES sowohl von der Ehefrau als auch dem Sohn übereinstimmend erklärt wurde, würde ich dazu tendieren, den ES auch so zu erteilen. In dem Fall würde ich aber wg. der Anfechtung zuerst noch den weiteren Sohn und die Erben II ErbfO. anhören oder ggf. Vorbescheid erlassen.

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

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    Nachlasspfleger Thomas Lauk - http://www.thomaslauk.de

  • Ich würde (bei angenommener Wirksamkeit der Ausschlagungserklärungen beider Kinder) den anfechtenden Sohn (zu Händen des Beurkundungsnotars !) anschreiben, dass "zur Prüfung der Wirksamkeit der Anfechtungserklärung (Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft i.S.v. § 119 Abs. 2 BGB (=Überschuldung)) weiterer Sachvortrag erforderlich erscheint, worauf konkret die Annahme der Überschuldung bei Ausschlagungserklärung (unter Anfechtung des Versäumnisses der Ausschlagungsfrist) beruhte und wann und wodurch der Irrtum konkret bemerkt wurde. Geeignete Belege sind nach Möglichkeit zur Glaubhaftmachung des Sachvortrags in Kopie einzureichen."

    Liegen schlüssige Erklärungen insoweit vor, so würde ich den Erbscheinsantrag für Ehegatten und Kinder wohl sodann antragsgemäß erteilen.

    Was ist aber mit dem 2. Kind des Erblassers, dass nach Sachvortrag ausgeschlagen, aber augenscheinlich nicht angefochten hat ? Hat der sich auch geirrt ? Ggf. würde ich eine Kopie der Anfechtungserklärung an diesen schicken und 6 Wochen bis zur ES-Erteilung abwarten.

    the bishop :kardinal:

    NOBODY expects the spanish inquisition !

  • Zunächst wurde von beiden Kindern die Versäumung der Ausschlagungsfrist angefochten (§ 1956 BGB), und zwar lt. Sachverhalt, weil Unkenntnis von der Existenz einer Ausschlagungsfrist bestand. In diesem Fall kann aber eine Anfechtung nach § 119 Abs.2 BGB wegen Eigenschaftsirrtums von vorneherein nicht in Betracht kommen, weil von einer aufgrund des Eigenschaftsirrtums fehlerhaften Willensbildung überhaupt nicht die Rede sein kann. Eine Anfechtbarkeit der Fristversäumung wegen Eigenschaftsirrtums ist daher nur möglich, wenn der Anfechtende Kenntnis vom Fristablauf hatte und wegen eines Eigenschaftsirrtums (z.B. fehlender Kenntnis von einer Überschuldung) die Ausschlagung unterließ (MünchKomm/Leipold § 1956 RdNr.6).

    Es bleibt somit nur die Anfechtbarkeit der Fristversäumung nach § 119 Abs.1 BGB. Für die Begründetheit einer solchen Anfechtung ist aber nicht nur erforderlich, dass keine Kenntnis von der Ausschlagungsfrist bestand, sondern auch (Kausalität!), dass der betreffende Beteiligte, hätte er diese Kenntnis besessen, die Frist hätte nicht ablaufen lassen, sondern ausgeschlagen hätte. Diese Kausalität ist zwar in der Regel anzunehmen, wenn die Erbschaft wegen bestehender Überschuldung des Nachlasses nach der Lebenserfahrung ausgeschlagen worden wäre. Dieser Fall liegt hier aber gerade nicht vor, weil der Nachlass objektiv überhaupt nicht überschuldet ist und die fehlende (!) Überschuldung daher auch kein Grund sein konnte, die Erbschaft auszuschlagen.

    Langer Rede kurzer Sinn:

    Ich sehe keinen Anfechtungsgrund im Hinblick auf die von beiden Kindern erklärte Anfechtung der Fristversäumnis. Damit läuft auch die "Anfechtung der Anfechtung" durch eines der beiden Kindern ins Leere, weil bereits die ursprüngliche Anfechtung nicht begründet war.

    Ergebnis:

    Beide Kinder sind neben der Ehefrau des Erblassers gesetzliche Miterben geworden. Zu welchen Quoten, hängt davon ab, welcher Güterstand in der Ehe des Erblassers gegolten hat (wozu der Sachverhalt bisher schweigt).

  • @juris2112 :

    Der Fall hört sich augenscheinlich aber doch so an, dass die Kinder zunächst aufgrund angenommener Überschuldung unter Anfechtung des Versäumnisses der Ausschlagungsfrist (infolge Belehrung durch den Notar über das Bestehen einer Frist)) nach § 1956 BGB die Erbschaft (dann wirksam) ausgeschlagen hatten; danach vom Irrtum i.S.v. § 119 II BGB (keine Überschuldung) Kenntnis erlangten und dann aufgrund § 119 Abs. 2 BGB der eine Sohn die Ausschlagung angefochten hat ?!

    the bishop :kardinal:

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  • Ausgangspunkt der Überlegungen muss sein, dass es auch für die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist eines Irrtums i.S. des § 119 BGB bedarf, der im Sinne eines Inhaltsirrtums im vorliegenden Fall in der Unkenntnis von der Existenz einer Ausschlagungsfrist bestand. Das Vorliegen eines solchen Irrtums steht lt. Sachverhalt nicht in Zweifel.

    Hinzukommen muss aber -wie bei jeder Irrtumsanfechtung-, dass der betreffende Beteiligte bei unterstellter Kenntnis von der Ausschlagungsfrist die Erbschaft nicht angenommen, sondern ausgeschlagen hätte. Diese Frage ist nicht nach subjektiven Kriterien oder Fehlvorstellungen in der Person des Anfechtenden, sondern nach einer objektiven Wertung zu beantworten (MünchKomm/Leipold § 1956 RdNr.8). Da der Nachlass in Wahrheit nicht überschuldet ist, hat es in dieser maßgeblichen objektiven Hinsicht aber von vorneherein keinen Grund für eine Erbausschlagung gegeben, sodass die erforderliche Kausalität und damit die Begründetheit der Anfechtung zu verneinen ist.

    Eine Anfechtung der Fristversäumung wegen Eigenschaftsirrtums kommt im vorliegenden Fall ebenfalls nicht in Betracht, weil keine Kenntnis von der Ausschlagungsfrist bestand und ihr Ablauf daher nicht von einem solchen Eigenschaftsirrtum verursacht sein worden kann. Außerdem fehlt es auch am Eigenschaftsirrtum selbst, weil der Nachlass in Wahrheit überhaupt nicht überschuldet ist und die Begründung für die Anfechtung der in der Fristversäumnis liegenden Erbschaftsannahme demzufolge nicht durchgreift. Genau genommen: Es geht nicht um einen vorliegenden Eigenschaftsirrtum, sondern um den Irrtum im Hinblick darauf, dass die Voraussetzungen eines Eigenschaftsirrtums vorlägen.

    Außerdem ist das von mir befürwortete Ergebnis doch äußerst praktisch:

    Der Nachlass ist nicht überschuldet, damit entfiel das Bedürfnis für eine Ausschlagung, damit auch das Bedürfnis für eine Anfechtung der Fristversäumung und die Kinder sind Miterben.

  • Der Fall hört sich danach an, dass die Kinder ausgeschlagen haben, um dem Witwer das Alleinerbrecht zu ermöglichen. Hierbei wurde übersehen, dass an Stelle der Kinder die Verwandten 2. Ordnung treten. Hatte ich vom Grundsatz her auch schon das eine oder andere Mal.

    Grundsätzlich würde ich deshalb dafür plädieren, den Fall im Sinne der Kinder "wohlwollend" zu interpretieren.

    Fraglich ist allerdings, warum nur ein Kind erben soll. Das andere Kind sollte auf alle Fälle ausreichend beteiligt werden.

  • Wenn dies der wahre Grund für die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist war, dann greift die Anfechtung natürlich "erst recht" nicht durch und wir sind wieder bei dem Ergebnis, dass Witwe und beide Kinder zu Erben berufen sind.

  • Die Ehegatten lebten übrigens im Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Sollte ich einen Vorbescheid machen? Weder die weitere Tochter noch die Verwandten der II. Erbordnung ( wohnhaft in Polen ) haben auf die Anhörung reagiert. Erbt die Tochter nun mit? Sie hat ihre Anfechtung der Annahme der Erbschaft nicht angefochten.

  • Es ist so, der überlebende Ehegatte sollte durch die Ausschlagung des Sohnes Alleinerbe werden.



    Ich sagte doch schon, daß der Notar offenbar im Erbrecht nicht die große Leuchte ist...

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  • Die Geschwister in Polen kann man wohl eher "vernachlässigen", zumal sie auf die Anhörung nicht reagiert haben.

    Hinsichtlich der Tochter würde ich versuchen, das positiv zu klären (Anruf bei ihr - sie lebt doch in Deutschland? - oder Rückfrage beim Notar).

  • Die Tochter weiss, dass ihr Bruder seine Anfechtung ausgeschlagen hat. Sie reagiert nicht auf die Post des Gerichts.




    Also dann doch wie in #2 !!??

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  • Ich muss nochmals nachhaken:

    Wenn die (verspätete) Ausschlagung (in Form der Anfechtung der Fristversäumnis) dazu dienen sollte, der Witwe ein gesetzliches Alleinerbrecht zu verschaffen, so kann die Anfechtung ebenfalls nicht durchgreifen. Denn in diesem Fall liegt zwar wiederum ein Irrtum im Hinblick auf die Existenz der Ausschlagungsfrist vor, er war aber wiederum nicht kausal für die erfolgte Erbschaftsannahme, weil die Erbschaft auch bei unterstellter Kenntnis der Ausschlagungsfrist "bei verständiger Würdigung des Falles" (objektive Wertung nach § 119 Abs.1 BGB) überhaupt nicht ausgeschlagen, sondern ebenfalls angenommen worden wäre, weil die Ausschla-gung der Witwe dieses Alleinerbrecht überhaupt nicht verschaffen kann (hier wäre die Erbschaftsannahme mit anschließender Erbteilsübertragung der richtige Weg).

    Damit geht die Anfechtung der Fristversäumung durch beide Kinder ins Leere, sodass es bei ihrer Erbschaftsannahme verbleibt.

    Ich bin demnach aufgrund aller in Betracht kommenden Alternativen der Ansicht, dass der Erblasser von seiner Ehefrau zu 1/2 und den beiden Kindern zu je 1/4 beerbt worden ist, weil die erklärten Anfechtungen der Fristversäumnis nicht durchgreifen. Auf die Begründetheit der Anfechtung der Anfechtungserklärung durch den Sohn kommt es somit überhaupt nicht mehr an, weil die angefochtene Anfechtungserklärung ohnehin unwirksam ist und daher überhaupt nicht angefochten zu werden braucht.

    Damit ist der gestellte Erbscheinsantrag zurückzuweisen, weil die im Antrag bezeichnete Erbfolge nicht eingetreten ist. Der Erlass eines Vorbescheids kommt nicht in Betracht, weil überhaupt keine widerstreitenden Anträge vorliegen. Es bleibt also nur antragsgemäße Erbscheinserteilung oder Zurückweisung des Erbscheinsantrags.

  • Juris kann man nur zustimmen. Die Zurückweisung würde ich aber ankündigen, vielleicht kommt dann die Erbteilsübertragung.

  • Selbst wenn sie käme, würde dies am Inhalt des zu erteilenden Erbscheins allerdings nichts ändern, weil die Erbteilsübertragung ja nicht zu einer Erbenstellung des Erwerbers führt.

  • Jetzt muss ich auch nachhaken: Es sind offensichtlich 3 Kinder vorhanden, die Tochter bleibt daher auch Miterbin, daher Kinder je 1/6 oder habe ich was übersehen?

  • Jetzt muss ich auch nachhaken: Es sind offensichtlich 3 Kinder vorhanden, die Tochter bleibt daher auch Miterbin, daher Kinder je 1/6 oder habe ich was übersehen?

    in # 1 steht "hat Ehemann und 2 Kinder hinterlassen"

    woher kommt jetzt das dritte Kind?

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