§ 765a ZPO in der Insolvenz

  • Aus der Entscheidung des BGH vom 15.11.2007 - IX ZB 34/06 -:

    4. Die Streitfrage, ob und inwieweit § 765a ZPO aufgrund der Verweisung des § 4 InsO im eröffneten Insolvenzverfahren anwendbar ist (vgl. Münch-Komm-InsO/Ganter, 2. Aufl. § 4 Rn. 34 mit weiteren Nachweisen in Fn. 92), kann in vorliegender Sache dahingestellt bleiben. Die Anwendung der Vorschrift ermöglicht jedenfalls nicht, der Masse kraft Gesetzes (§§ 35, 36 InsO) ausdrücklich zugewiesene Vermögenswerte wieder zu entziehen. Der Schuldner hat die mit der Insolvenz typischerweise verbundene Gesamtvollstreckung seines Vermögens hinzunehmen. Im Übrigen begründet die Pfändung von Einkünften, die nicht nach den Bestimmungen der §§ 850 ff ZPO unpfändbar sind, grundsätzlich keine sittenwidrige Härte im Sinne von § 765a ZPO; dies selbst dann nicht, wenn dies dazu führt, dass der Schuldner Sozialhilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts in Anspruch nehmen muss (BGHZ 161, 371, 374).

  • Tja, damit leider wieder keine Entscheidung in der Frage der generellen Anwendbarkeit von § 765a, nur eine Feststellung zu diesem Fall.
    In dieser Aussage allerdings interessant: was Masse ist kann nicht sittenwidrig zu dieser gelangt sein und für den Schuldner keine Härte bedeuten.

  • Schön das zu lesen. § 756 a ZPO wird allerdings massenhaft angewendet hier bei uns. Wie sonst könnte man die "Freigabe" einer Mietkaution begründen, die der Schuldner "unbedingt benötigt", um eine neue Wohnung zu beziehen. Und die Kaution ist auch ein Anspruch, der der Insolvenzmasse zusteht.

    Was du hier zitierst, ist leider nicht Praxis.

  • ..nach der Aussage des BGH dürfte § 765a somit weitgehend unbegründet sein, sofern Massegegenstände betroffen sind.
    Mit dem Hinweis § 35, 36 werden natürlich wieder die §§ 850ff ZPO aufgegriffen. Also ist ein Schuldner nur auf diese zu verweisen.

  • Der BGB hat diese Frage doch nicht generell beantwortet sondern nur festgestellt, dass nicht unpfändbare Beträge zur Masse gehören und nicht über § 765a ZPO freigegeben werden können.

    Ich könnte mir nur vorstellen, dass grundsätzlich unpfändbare Beträge (z.B. Beihilfe bei den Beamten) bei der Gutschrift auf dem Konto nicht mehr geschützt sind und daher nur über § 765a ZPO freigegeben werden können (falls der Arzt kein Insolvenzgläubiger ist).

  • Ich muss dieses Thema nochmal hervorkramen.

    Im eröffneten Insolvenzverfahren spart die Schuldnerin ihre unpfändbaren Beträge für eine ärztliche Behandlung auf. Davon bekommt der IV Wind und schnappt sich die Kohle - darf/muss er ja wohl.

    Nun beantragt die Schuldnerin bei mir die Freigabe, weil sie die Behandlung nicht nochmal 2-3 Monate verschieben könne, bis sie den Betrag neu angespart habe (sie hat relativ hohe pfandfreie Beträge)

    850 f ZPO geht m. E. nicht, weil die pfändbaren Beträge derzeit nicht vom IV, sondern vom Abtretungsgläubiger kassiert werden.

    765 a ZPO ja wohl auch nicht (s. obige Entscheidung), weil die angesparten unpfändbaren Beträge ja wohl massezugehörig sind.

    Wie sieht es denn mit 100 InsO aus? Ist der nur für die Sicherung des Existenzminimums gedacht oder geht der auch für besondere Ausgaben i. S. d. 850 f ZPO?:gruebel:

  • Ich meine schon, dass § 765a ZPO in diesem FAll Anwendung finden kann.

    Im eröffneten kann dem Schuldner, der eine natürliche Person ist, bei Vollstreckungsmaßnahmen des Insolvenzverwalters nach § 148 Abs. 2 InsO auf Antrag Vollstreckungsschutz nach § ZPO gewährt werden, jedenfalls soweit dies zur Erhaltung von Leben und Gesundheit des Schuldners erforderlich ist.

    BGH, Beschl. v. 16. 10. 2008 - IX ZB 77/08



  • Im eröffneten Insolvenzverfahren spart die Schuldnerin ihre unpfändbaren Beträge für eine ärztliche Behandlung auf. Davon bekommt der IV Wind und schnappt sich die Kohle - darf/muss er ja wohl.



    Wenn es sich tatsächlich um unpfändbare Beträge gehandelt hat, was ich mal voraussetze, dann werden diese Beträge durch eine Handlung des IV nicht automatisch pfändbar, sondern bleiben unpfändbar mit der Folge, dass der IV diese wieder rausrücken muss.

    Es gibt eine ähnlich gelagerte Problematik, wenn unpfändbare Beträge auf dem Konto eines Schuldners liegen, weil er sich diese dort für eine bestimmte Verwendung angespart hat.
    Sofern er die Herkunft dieser Beträge nachweisen kann, hätte ich mit einer Freigabe, wie auch im geschilderten Ausgangsfall, keine Probleme.
    Vielleicht hat rainer19652003 auch noch eine entsprechende Entscheidung, die sich nicht nur auf Leben und Gesundheit beschränkt, parat.


    Gerade gefunden:

    [FONT=Verdana, Arial, Helvetica]Unpfändbarkeit von Guthaben auf dem Girokonto, das aus den pfändungsfreien Einkommen angespart wurde[/FONT]
    [FONT=Verdana, Arial, Helvetica]OLG Hamm, Beschluss vom 18.05.2001 - 28 W 167/00
    [/FONT][FONT=Verdana, Arial, Helvetica]Geht auf ein Girokonto regelmäßig nur noch der unpfändbare Teil des Einkommens ein, so sind davon angesparte Beträge auch nach dem nächsten Zahlungseingang nicht der Pfändung unterworfen. In diesen Fällen kann eine zeitlich und betragsmäßig unbegrenzte Kontofreigabe erfolgen. Aus dem unpfändbaren Einkommen angesparte Beträge sollen dem Schuldner und nicht dem Gläubiger zur Verfügung stehen.[/FONT]
    [FONT=Verdana, Arial, Helvetica]Aus den Gründen:[/FONT]
    [FONT=Verdana, Arial, Helvetica]Da dargelegt ist, dass auf das von der Gläubigerin gepfändete Konto ausschließlich dem Schuldner wegen der Vorabtretung und der nachrangigen Pfändung des Arbeitseinkommens durch die Gläubigerin pfandfrei zu belassene Bezüge überwiesen werden, konnte eine zeitlich und betragsmäßig unbezifferte Freigabe des Kontos auch für spätere Zahlungseingänge erfolgen (vgl. LG Bad Kreuznach in RPfleger 1990, 216; Musielak-Becker, z. Aufl., ZPO § 850k Rdn. 12 a.E. ). Der Pfändungsschutz des § 850k ZPO für bereits eingegangene Überweisungen ist auch nicht zeitlich bis zum nächsten Zahlungseingang beschränkt.[/FONT]
    [FONT=Verdana, Arial, Helvetica]Der Verweis auf den nächsten Zahlungseingang in § 850k Abs.l ZPO dient der Berechnung des freizugebenden Betrages (vgl. Zöller- Stöber, ZPO, 22. Aufl., § 850k Rdn: 9; Stöber, „Forderungspfändung", 12. Aufl., Rdn. 1290). Ist ein Betrag auf dieser Berechnungsgrundlage freigegeben, dann unterliegt er auch dann nicht mehr der Pfändung des vollstreckenden Gläubigers, wenn der Schuldner ihn auf dem Konto belässt (vgl. Musielak-Becker, z. Aufl., ZPO § 850k Rdn. 10). Es besteht auch kein sachlicher Grund, einen nach den gesetzlichen Wertvorstellungen unpfändbaren Betrag nur deshalb wieder dem Zugriff des Gläubigers zuzuführen, weil ihn der Schuldner nicht innerhalb einer bestimmten Zeit verbraucht hat. Dieser unterlassene Verbrauch ist kein Indiz, dass der Schuldner ihn nicht - entsprechend den gesetzlichen Vorstellungen - für den eigenen und den Lebensunterhalt seiner Familie benötigt. Zum einen kann es zur Vermeidung von Überziehungskosten sinnvoll sein, auf dem Konto einen gewissen Betrag für die Erledigung erwarteter oder unerwarteter Abbuchungen stehen zu lassen. Zum anderen ist es auch einem überschuldeten Schuldner nicht verwehrt, sich in seiner Lebensführung über das vom Gesetzgeber durch die Pfändungsfreigrenzen geschützte Maß einzuschränken, um sich dadurch ihm ansonsten verwehrte Ausgaben zu ermöglichen. Solche Einschränkungen kommen ihm und nicht seinen Gläubigern zu.[/FONT]

  • Ich meine schon, dass § 765a ZPO in diesem FAll Anwendung finden kann.

    Im eröffneten kann dem Schuldner, der eine natürliche Person ist, bei Vollstreckungsmaßnahmen des Insolvenzverwalters nach § 148 Abs. 2 InsO auf Antrag Vollstreckungsschutz nach § ZPO gewährt werden, jedenfalls soweit dies zur Erhaltung von Leben und Gesundheit des Schuldners erforderlich ist.

    BGH, Beschl. v. 16. 10. 2008 - IX ZB 77/08



    Ich habe hier aber keine Vollstreckungsmaßnahme des IV nach § 148 II InsO.

    @SAR: Das mit den angesparten unpfändbaren Beträgen scheint mir aber eine Mindermeinung des OLG Hamm zu sein. Ich hätte jetzt keine Zweifel daran, dass die Beträge vom IV eingezogen werden müssen. Bei der normalen Pfändung hat der AN, der unpfändbare Beträge anspart bei einer Kontenpfändung i. d. R. ja auch Pech (s. Zwangsvollstreckungsforum) Er hat allerdings - im Gegensatz zum Insolvenzschuldner - nicht das Problem, dass § 765a ZPO nicht gilt.



  • Ich habe hier aber keine Vollstreckungsmaßnahme des IV nach § 148 II InsO.



    Bitte Entscheidung ganz durchlesen:

    Bei der Anwendung des § 765a ZPO sind im Einzelfall auch die Ziele des § 1 InsO und die Besonderheiten der Gesamtvollstreckung grundsätzlich vorrangig zu berücksichtigen. Der Umstand, dass dem Schuldner im Insolvenzverfahren wegen des Charakters der Gesamtvollstreckung eine Vielzahl von Gläubigern gegenübersteht, schließt die nach § 765a ZPO gebotene Interessenabwägung nicht aus; sie muss jedoch in besonderem Maße den vielfältigen, regelmäßig die Schuldnerinteressen überwiegenden Gläubigerbelangen gebührend Rechnung tragen. Ein Eingreifen auf der Grundlage des § 765a ZPO, der als eng auszulegende Ausnahmevorschrift ohnehin ein bei Anwendung des Gesetzes ganz untragbares Ergebnis voraussetzt (BGHZ 44, 138, 143; 161, 371, 374; 163, 66, 72 f; BGH, Beschl. v. 25. Juni 2004 - IXa ZB 267/ 03, NJW 2004, 3635, 3636 f), kommt daher nur in Betracht, sofern zusätzlich Rechte des Schuldners in insolvenzuntypischer Weise schwerwiegend beeinträchtigt werden (HK-InsO/ Kirchhof aaO § 4 Rn. 19; MünchKomm-InsO/ Ganter, aaO § 4 Rn. 34).



  • :confused:

    Die Entscheidung sagt doch aber nicht, dass § 765 a ZPO im Insolvenzverfahren als solches Anwendung findet. Ich verstehe die Entscheidung (die ich mir bereits durchgelesen hatte) noch immer so, dass es darin um die Anwendung des § 765 a ZPO im Zusammenhang mit § 148 InsO geht und sonst nichts. Lasse mich natürlich gerne eines Besseren belehren.



  • Der obige Absatz ist doch allgemein gehalten und nimmt keinerlei Bezug zu § 148 InsO.

  • Ohne die Kommentierung beigezogen zu haben und nur nach Bauchgefühl:

    Welcher TH oder Verwalter macht denn jedes Monatsende eine quasi-Taschenpfändung beim Schuldner zuhause, um die angesparten unpfändbaren Beträge des Monats vom Schuldner einzukassieren? Habe ich noch nicht erlebt. Und § 850k ZPO ist doch nicht einschlägig, wenn das Konto aus der Masse freigegeben wurde und nur in § 850k wird auf den Zeitraum vom Zeitpunkt der Pfändung bis zum nächsten Zahlungstermin abgestellt, woraus man den fehlenden Schutz für angespartes Guthaben aus den Vormonaten ableiten kann.

    Deshalb vermute ich, die Gelder fallen nicht in die Masse gem. § 36 Abs. 1 S.1 InsO - vielleicht findet man ja etwas dazu.

    Sollte das Konto nicht freigegeben sein und sich das Guthaben auf dem Konto befinden, könnte man vielleicht doch noch eine Lösung über §§ 850k,f ZPO basteln, indem man den unpfändbaren Betrag nur für die Kontopfändung erhöht, da macht die Gehaltsabtretung dann keinen Unterschied.

    Ich glaube, § 850k(f) braucht man in letzterem Fall gar nicht heranziehen (auch wenn er von mancher Kommentierung trotz Nichterwähnung in § 36 für anwendbar gehalten wird). Es liegt dann schon so ein Fall von § 36 I1 vor, und es ist an den Schuldner herauszugeben (ob nun als Aussonderungsberechtigter nach § 47 InsO oder nicht, da streiten sich die Gelehrten auch wieder)

    Einmal editiert, zuletzt von Simulacrum (10. Februar 2009 um 12:16) aus folgendem Grund: Ergänzung

  • Ich glaube, die Frage passt hier auch irgendwie...

    Schuldner hat lange vor IE eine Zusatzkrankenversicherung (hier Zahnzusatzversicherung) abgeschlossen. Da bei solchen Verträgen immer Wartezeiten von bis zu 5 Jahren zu erfüllen sind, hat er sie auch noch nicht in Anspruch genommen. Nun aber muss er dringend zum Monteur de la Fress, um sich die Kauleiste richten zu lassen, kostet einiges. Frage: Die Erstattung der Versicherung, die nach Ablauf der Wartezeit ganz ordentlich ist- zur Masse oder kann er sie dem Zahnklempner berappen ?

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