Vorerbfolge ohne Bestimmung des Nacherben

  • Ich (naja, eigentlich ne Kollegin) hab da mal wieder ein Problem und ich hoffe, dass ihr weiterhelfen könnt.

    Das notarielle Ehegattentestament lautet:

    ..."Wir setzen uns gegenseitig zu alleinigen Erben ein.
    Ich der Ehemann, setze als Vorerben meine Ehefrau ein.
    Ich die Ehefrau setze als Erben meinen Ehemann ein.
    Den weiteren Erben wollen wir jetzt noch nicht gemeinsam bestimmen.
    Vielmehr soll der Überlebende berechtigt sein, den weiteren Erben allein zu bestimmen.
    Der Überlebende soll auch ausdrücklich ermächtigt sein, demjenigen, den er als Erben erwählt hat, die Landstelle und sonstigen Besitzungen im Wege der Vorweggenommenen Erbfolge durch Übergabevertrag zu überlassen."

    Der Ehemann ist 1984 verstorben, die Ehefrau 2005.
    Ein weiteres Testament gibt es nicht.
    Wie würdet ihr die Erbfolge nach dem Ehemann sehen?

    1. Dadurch, dass kein weiteres Testament existiert, ist die Vorerbin Vollerbin geworden oder
    2. gilt hier § 2104 BGB, so dass diejenigen gesetzlichen Erben des Mannes , die zum Zeitpunkt des Todes der Frau ( = Eintritt des Nacherbfalls ) vorhanden sind, die Nacherben sind

  • In diesem Fall ist das Testament des Ehemannes in zwei Punkten unvollständig.

    Zum einen bestimmt es nicht, wann der Nacherbfall eintreten soll. Hier gilt § 2106 Abs.1 BGB, wonach der Nacherbfall mit dem Ableben des Vorerben eintritt.

    Des weiteren hat der Erblasser keinen Nacherben bestimmt, sondern dessen Auswahl entgegen § 2065 Abs.2 BGB in unwirksamer Weise der Vorerbin überlassen. Es liegt somit nicht die klassische Fallgestaltung des § 2104 S.1 BGB vor, bei welcher das Testament überhaupt keine Aussage darüber trifft, wer Nacherbe sein soll.

    Es ist umstritten, ob § 2104 S.1 BGB auf den vorliegenden Fall des § 2065 Abs.2 BGB anwendbar ist.

    Bejahend: OLG Hamm NJW-RR 1995, 1477 = ZEV 1995, 376 = FGPrax 1995, 198; LG München I FamRZ 1998, 1261; Palandt/Edenhofer § 2104 RdNr.2 a.E. -allerdings unter unrichtiger Zitierung der Entscheidung des OLG Hamm: 1998 statt richtig 1995-; Staudinger/Behrends/Avenarius § 2104 RdNr.10; Otte ZEV 2001, 318/319; verneinend OLG Frankfurt FamRZ 2000, 1607 = ZEV 2001, 316; Lange/Kuchinke § 28 II 2; differenzierend MünchKomm/Grunsky § 2104 RdNr. 3 a: Keine Anwendung von § 2104 BGB, wenn der Erblasser einen bestimmen Personenkreis benannt hat, aus dem sich der Nacherben rekrutieren soll.

    Diese Streitfrage gewinnt aber nur an Bedeutung, wenn sich der Wille des Erblassers auch im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung nicht feststellen lässt. Wie in der Ausgangsfrage bereits anklingt, ist es auch denkbar, dass der Erblasser -hätte er die Unwirksamkeit nach § 2065 Abs.2 BGB gekannt- seine Ehefrau zur Vollerbin einsetzen wollte.

    Möglich erscheint des weiteren, das Testament dahingehend auszulegen, dass Nacherbe werden soll, wen die Witwe ihrerseits zu ihrem Erben einsetzt (was trotz § 2065 Abs.2 BGB für zulässig gehalten wird: Palandt/Edenhofer § 2065 RdNr.7 m.w.N.). In diesem Fall wäre der Nacherbe zwar ursprünglich vom Erblasser bestimmt gewesen, die Bestimmung aber mangels Testament der Witwe wieder hinfällig geworden. Auf diese Fallgestaltung ist § 2104 BGB nicht anwendbar (vgl. BGH NJW 1986, 1812).

    Im Ergebnis gibt es -je nach Auslegung- also zwei Möglichkeiten:

    Die Witwe wurde Vollerbin

    oder

    die Witwe blieb Vorerbin bei Berufung der gesetzlichen Erben des Ehemannes zu Nacherben, wobei sich der Personenkreis dieser "gesetzlichen Erben" aber nicht nach dem Zeitpunkt des Ablebens des Ehemannes, sondern nach dem Zeitpunkt des Eintritts des Nacherbfalls (also dem Ableben der Witwe) bestimmt.

    Eine Tendenz, zu welcher Lösung ich neige, kann ich nur mitteilen, wenn die Verwandtschaftsverhältnisse näher aufgeklärt werden. Hatten die Ehegatten gemeinsame Kinder? Sind Kinder (nur) des Mannes oder (nur) der Frau vorhanden? Oder gibt es nach beiden Erblassern -vom überlebenden Ehegatten abgesehen- nur gesetzliche Erben der zweiten Erbordnung?

  • in Vertretung für Kollegin:

    Vielen Dank zunächst für die umfangreiche Hilfestellung!

    Hier noch die erbetenen weiteren Angaben zu den Verwandtschaftsverhältnissen.
    Die Ehegatten hatten jeweils keine (auch keine gemeinsamen) Kinder.
    Der Ehemann hinterließ zum Zeitpunkt seines Todes (1984 ) drei gesetzliche Erben: seine Mutter, seinen Bruder und seine Ehefrau.
    Zum Zeitpunkt des Todes der Ehefrau (2005) lebt nur noch sein Bruder.

    Die Ehefrau hinterlässt als gesetzliche Erben 2 Nichten und einen Neffen.
    Problematisch wird es im Grundbuch. Die Berichtigung im Grundbuch ist 1984 aufgrund des notariellen Testaments vorgenommen worden. Es wurde damals kein Nacherbenvermerk eingetragen. 2004 erfolgte die Veräußerung fast des gesamten Grundbesitzes durch die Ehefrau. Eine Vormerkung wurde eingetragen. Die Umschreibung ist noch nicht erfolgt.

    Über eine abschließende Rückmeldung würde ich mich sehr freuen.

  • Ganz wichtig:

    Wer war vor dem Ableben des Ehemannes Eigentümer des Grundbesitzes?

    Der Ehemann alleine?

    Die Ehegatten zu je 1/2 oder in Gütergemeinschaft?

  • Das habe ich mir fast gedacht.

    Rollen wir die Sache zunächst einmal von hinten auf:

    Das GBA hat die Ehefrau aufgrund des notariellen Testaments im Wege der Grundbuchberichtigung als Alleinerbin des Ehemannes eingetragen, ohne zugleich einen NE-Vermerk i.S. des § 51 GBO anzubringen. Diese Verfahrensweise war zutreffend, weil die Verfügungsbeschränkung des § 2113 BGB nicht zum Zuge kommt, wenn ein in Gütergemeinschaft lebender Ehegatte seinen Ehepartner als Vorerbe beerbt und sich das Grundstückseigentum auf diesem Wege in einer Hand vereinigt (Palandt/Edenhofer § 2113 RdNr.3 m.w.N.). Der Grund hierfür ist darin zu sehen, dass die Geltung des § 2113 BGB dazu führen würde, dass auch andere (nicht der Nacherbfolge) unterliegende Gesamthandsanteil des überlebenden Ehegatten (und damit der Nachlassgegenstand selbst) von der Verfügungsbeschränkung erfasst würden. Aus der Nichtanwendbarkeit des § 2113 BGB folgt, dass ein NE-Vermerk nicht einzutragen ist und der überlebende Ehegatte ohne Zustimmung der Nacherben sowohl entgeltlich als auch unentgeltlich über das Nachlassgrundstück verfügen kann. Der pflichtteilsberechtigte Nacherbe ist hier lediglich durch § 2306 II, I 2 BGB geschützt. Ist er nicht pflichtteilsberechtigt, stehen ihm lediglich Schadensersatzansprüche nach § 2138 II Alt.2 BGB zur Seite. Wird über den Nachlassgegenstand bis zum Eintritt der Nacherbfolge nicht verfügt, so kommt die Nacherbfolge für den vormaligen gütergemeinschaftlichen Anteil des Ehemannes aber selbstverständlich zum Zuge. Denn im hier besprochenen Kontext geht ja nur darum, ob der Vorerbe der Verfügungsbeschränkung des § 2113 BGB unterliegt oder nicht. Diese Fragestellung setzt aber begrifflich voraus, dass der Anteil des Ehemannes von der angeordneten Nacherbfolge umfasst wird.

    Zwischenergebnis: Das Grundbuchamt hat im Hinblick auf die Nichteintragung des Nacherbenvermerks richtig gehandelt.

    Aus dem Gesagten folgt, dass die Ehefrau den Grundbesitz mangels Geltung der Verfügungsbeschränkungen des § 2113 BGB ohne weiteres als materiell Berechtigte veräußern konnte. Damit hat der Erwerber die zu seinen Gunsten eingetragene Vormerkung mangels Verfügung eines Nichtberechtigten ohne weiteres erworben. Diese Vormerkung verhilft ihm (analog §§ 883 Abs.2, 888 Abs.1 BGB) auch nach dem Eintritt der Nacherbfolge zum Rechtserwerb, weil der Erwerber nicht schlechter stehen kann, als wenn er die Vormerkung gutgläubig vom Nichtberechtigten erworben hätte (so z.B., wenn der Ehemann Alleineigentümer gewesen wäre, das GBA die Ehefrau als Alleinerbin einträgt, den Nacherbenvermerk vergisst und die Ehefrau anschließend veräußert und eine Vormerkung bestellt; hierzu vgl. die ausführlichen Bemerkungen im Grundbuch-Thread „Amtswiderspruch bei Vor- Nacherbenkonstellation“).

    Das bedeutet: Die Erben der Ehefrau sind im Hinblick auf deren Eigentumsanteil schon wegen der insoweit eingetretenen Gesamtrechtsnachfolge an die Erklärungen der Erblasserin gebunden. Die Nacherben des Ehemannes für dessen Eigentumsanteil müssen -wenn die Grundbuchberichtigung noch vor der Eintragung der Auflassung erfolgt- der Eigentümereintragung des Erwerbers nach den §§ 883 Abs.2, 888 Abs.1 BGB -analog- zustimmen (sprich: sie i.S. des § 19 GBO bewilligen).

    Dies heißt aber natürlich nicht, dass die Nacherben des Ehemannes im vorliegenden Fall völlig leer ausgehen. Zum einen werden sie für den Eigentumsanteil des Ehemannes natürlich Nacherben im Hinblick auf den von der Witwe nicht veräußerten Grundbesitz und zum anderen tritt für den hälftigen Verkaufserlös Surrogation i.S. des § 2111 BGB ein, sodass den Nacherben auch dieser hälftige Veräußerungserlös gebührt. Interessant sind allerdings die Eigentumsverhältnisse am nicht veräußerten Grundbesitz. Denn: Wenn Bruder A Nacherbe des Ehemannes und die Nichten/Neffen B, C und D Erben der Ehefrau werden, stellt sich die Frage nach dem in Abt.I des Grundbuchs eingetragenen Berechtigungsverhältnis. Ich würde meinen A (1a) sowie B, C und D (1bI-III), wobei 1bI-III in Erbengemeinschaft berechtigt sind und 1a,b in beendeter nicht auseinandergesetzter Gütergemeinschaft.

    Nun zur erbrechtlichen Sicht der Dinge:

    Wie die Sache grundbuchrechtlich letztlich abläuft, hängt natürlich davon ab, welche Erbfolge nach dem Ehemann denn nun tatsächlich eingetreten ist. Wird der Bruder Nacherbe, bleibt es bei dem Gesagten. Wird die Witwe dagegen Vollerbin, ergibt sich ohnehin kein Problem, denn dann fiel der Grundbesitz insgesamt in ihr Eigenvermögen und die erfolgte Veräußerung stößt schon aus diesem Grund auf keinerlei rechtliche Bedenken.

    Im Ergebnis würde ich im vorliegenden Fall dazu tendieren, den Erblasserbruder als Nacherben des Ehemannes anzusehen. Dies führt nicht nur zu einer gleichmäßigen Verteilung des Nachlasses zwischen den Verwandten des Ehemannes und der Ehefrau (letztere wird ja kraft Gesetzes von ihren Verwandten beerbt), sondern lässt sich m.E. im Wege der Auslegung auch aus dem Testament ableiten. Die Ehefrau hatte ihren Ehemann zum alleinigen Vollerben eingesetzt und dadurch zum Ausdruck gebracht, dass dieser als überlebender Eheteil völlig frei unter Lebenden und von Todes wegen verfügen kann. Umgekehrt hat der Ehemann seine Ehefrau aber lediglich zur Vorerbin eingesetzt und dadurch zu erkennen gegeben, dass diese in ihrer Erbenstellung grundsätzlich beschränkt sein soll. Dies kann insbesondere plausibel sein, wenn der Grundbesitz (was ich fast behaupten möchte) aus der Familie des Ehemannes stammt und die Ehefrau ihren Anteil nur kraft Vereinbarung der Gütergemeinschaft erworben hat. Sollte dies zutreffen, hielte ich es nicht für angemessen, dass der gesamte Grundbesitz (bzw. der Veräußerungserlös) nunmehr ausschließlich der Verwandtschaft der Ehefrau zugute kommt. In diesem Fall dürfte es dem Willen des Ehemannes nämlich viel eher entsprechen, dass zumindest sein gütergemeinschaftlicher Hälfteanteil an seine eigene Verwandtschaft „zurückfallen“ soll. Unter diesem Gesichtspunkt macht die angeordnete Nacherbfolge durchaus Sinn und ich würde daher nicht davon ausgehen, dass die Witwe im vorliegenden Fall Vollerbin geworden ist.

    Problematisch wird das Ganze natürlich, wenn die Witwe nicht voll entgeltlich an einen Dritten veräußert, sondern den wesentlichen Teil des Grundbesitzes unentgeltlich an ihre eigenen Verwandten übergeben hat. Da in diesem Fall keine Gegenleistung erbracht wurde, kann insoweit natürlich auch keine Surrogation zugunsten der Nacherben des Ehemannes eintreten. Hier bleibt dann nur noch der Schadensersatzanspruch aufgrund Missbrauchshaftung nach § 2138 Abs.2 Alt.2 BGB, da diese Vorschrift auch dann als Korrektiv eingreift, wenn der Vorerbe aufgrund der eingangs geschilderten gesamthänderischen Probematik völlig frei (und daher auch unentgeltlich) über den Grundbesitz verfügen konnte (BGHZ 26, 371, 383 = NJW 1958, 708 = LM Nr.1 zu § 2138 BGB m. Anm. Johannsen). Ich glaube allerdings eher, dass im vorliegenden Fall keine unentgeltliche Überlassung an Verwandte der Ehefrau erfolgt ist. Denn in diesem Fall wäre die Eintragung einer Vormerkung doch einigermaßen unüblich.

  • Meine Kollegin - (bald ebenfalls Benutzerin: jamo) geht heute in einen Kurzurlaub und wird dann dieses Problem nach ihrer Rückkehr wieder (selbst) aufnehmen.

    vielen Dank schon mal für die Hilfestellungen.

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