Forderungsfreigabe Nachtragsliquidation AG

  • Der Sachverhalt:

    1. Kleine AG kommt wegen Nichtbezahlung einer grossen Forderung (Umfang der offenen Forderung beträgt einen Jahresumsatz) in die Insolvenz
    2. IV lehnt die Eigenverwaltung ab und wird in der 1. Gläubigerversammlung/Berichtstermin beauftragt die Forderung einzuklagen bzw. einen Aktivprozeß (über einen Teilbetrag) aufzunehmen
    3. IV versucht anstelle der Aufnahme des Aktivprozesses mit dem Gegner einen Vergleich zu schliessen: die Gläubiger lehnen einen außergerichtlichen Vergleich ab
    4. Der IV gibt die Forderung kurz vor Ablauf der Verjährung an den Schuldner frei (den Vorstand der insolventen AG)
    5. Schuldner reicht zwei Tage vor Ablauf der Verjährung Klage am Landgericht ein
    6. IV beantragt nach weiteren zwei Jahren Verfahren mangels Masse einzustellen und die AG im HR zu löschen: Gläubiger widersprechen der Löschung im HR
    6. Nach 6 Jahren wird der Prozeß aus der freigegebenen Forderung gewonnen: es ist jetzt wieder Vermögen da - aber auch Umsatzsteuer zu entrichten etc. etc.

    Die Frage:

    Das Vermögen aus der Freigabe "gehört" nicht zur Insolvenzmasse - es stellt Sondervermögen dar (das es eigentlich gar nicht geben dürfte): soll/muß jetzt eine Nachtragsliquidation beantragt werden? Unter anderem gäbe es einen Anspruch der Gläubiger aus der Einstellung mangels Masse einen Haftungsanspruch gegenüber dem IV, der die Forderung nicht verwertet, sondern freigegeben hat.

    Für Antworten wäre ich dankbar.

    Gerhart

  • Im Rahmen von Punkt 6 stellt sich mir die Frage, ob der Prozesserfolg dazu führt, dass alle Verbindlichkeiten beglichen werden können. Wenn diese Frage mit "nein" zu beantworten ist, stellt sich nämlich eventuell die Frage eines erneuten Insolvenzantrags.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • ME Nachtragsliquidation.

    Sollte der Liquiditätszufluss nicht ausreichen, sämtliche Verbindlichkeiten zu befriedigen, also alte + neue, besteht wohl trotzdem keine Verpflichtung, nochmalig ein Insolvenzverfahren einzuleiten.

    Das macht auch keinen Sinn. Anderenfalls müsste ja immer, wenn der GF aus einem freigegebenen Vermögensgegenstand noch 1,50 EUR realisiert, nach Abschluss des Verfahrens gleich einen neuen Antrag stellen müssen.

    [SIGPIC] [/SIGPIC] Vertrauue miiir (Kaa: Das Dschungelbuch, 4. Akt, 3. Szene)

  • Vielen Dank für die schnellen Antworten.

    zu Gegs Antwort:

    Zitat

    Im Rahmen von Punkt 6 stellt sich mir die Frage, ob der Prozesserfolg dazu führt, dass alle Verbindlichkeiten beglichen werden können. Wenn diese Frage mit "nein" zu beantworten ist, stellt sich nämlich eventuell die Frage eines erneuten Insolvenzantrags.

    Die Freigabe an den Schuldner bedeutet nach allem was dazu veröffentlicht wurde, daß insolvenzfreies Vermögen entstanden ist. Es stellt keine Masse dar aus der die Verbindlichkeiten der InsO-Gläubiger beglichen werden könnten - der Schuldner kann damit machen was er will. Die Frage von Geg kann deshalb nur im Konjunktiv beantwortet werden: hätte der IV die Forderung eingeklagt hätte sie ausgereicht alle Verbindlichkeiten der kleinen AG zu begleichen. Und weit darüber hinaus.

    Die Gläubiger der AG gehen leer aus - was zu einer Haftung des IV führen könnte aus § 60 InsO ("Die Freigabe steht im pflichtmäßigen Ermessen des Insolvenzverwalters z.B. bei Gegenständen, die sich als unverwertbar erwiesen haben oder infolge ihrer Belastung für die Masse einen Gewinn nicht erwarten lassen;schmälert der Insolvenzverwalter schuldhaft die Insolvenzmasse, ist er schadensersatzpflichtig").

    Eine Nachtragsliquidation (auf Antrag der Gläubigergemeinschaft) könnte deshalb zum Inhalt haben, den IV in die Haftung zu nehmen für die Freigabe eines nachgewiesenermassen werthaltigen Gegenstandes, der zu einer Vollbefriedigung aller Gläubiger und einer Beendigung der Insolvenz der AG geführt hätte.

    Zu La Flor de Cano:

    Zitat

    Sollte der Liquiditätszufluss nicht ausreichen, sämtliche Verbindlichkeiten zu befriedigen, also alte + neue, besteht wohl trotzdem keine Verpflichtung, nochmalig ein Insolvenzverfahren einzuleiten.

    s.o.: der Liquiditätszufluss würde ausreichen - wenn er noch zur Masse gehören würde. Die kleine AG ist mangels Masse eingestellt worden nach 6 Jahren, die meisten Verbindlichkeiten wurden darüberhinaus vom IV im Prüftermin bestritten, keiner der Gläubiger hat nach dem Prüftermin auf Feststellung geklagt - womit bis auf wenige titulierte Verbindlichkeiten Verjährung der Verbindlichkeiten eingetreten sein dürfte.

    Was bleibt wäre eine Haftungsklage gegen den IV aus § 60 InsO (der Freigabe einer werthaltigen Forderung) und eine von der Gläubigermeinschaft beantragte Nachtragsliquidation: einen vergleichbaren Fall "Nachtragsliquidation wegen Haftungsklage gegen den IV" konnte ich in der Literatur nicht finden.

    Die Haftung des IV endet 3 Jahre nach Einstellungsbeschluß mangels Masse vor zwei Jahren.

    Gerhart

  • Wenn die freigegebene Forderung eingezogen wurde, dann müsste doch eine Menge insolvenzfreies Vermögen der Aktiengesellschaft vorhanden sein. Was passiert denn damit? Wer steckt sich den Batzen (und die Heller) in die Tasche?

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • Den Gläubigern festgestellter Forderungen steht es ja frei, den Anspruch nach § 201 InsO zu verfolgen. Ob eine Verjährung der bestrittenen Ansprüche eingetreten ist, wäre zu prüfen, da die Hemmung erst mit Ende des Verfahrens endet und nicht mit bestreiten der Forderung.

    Da es eine Gläubigergemeinschaft nicht mehr gibt, kann sie eine Nachtragsliquidation auch nicht beschließen.

    Wegen § 60 InsO wäre erst einmal ein Sonderverwalter gem § 92 InsO zu bestellen, der Anspruch gebührt nicht der Schuldnerin, IX ZR 93/08

    [SIGPIC] [/SIGPIC] Vertrauue miiir (Kaa: Das Dschungelbuch, 4. Akt, 3. Szene)

  • Vielen Dank für die weiteren Fragen und Antworten (die sich mit meinen decken):

    zu Gegs:

    Zitat

    Wenn die freigegebene Forderung eingezogen wurde, dann müsste doch eine Menge insolvenzfreies Vermögen der Aktiengesellschaft vorhanden sein. Was passiert denn damit? Wer steckt sich den Batzen (und die Heller) in die Tasche?

    Der ehemalige Vorstand (Schuldner) verwaltet das "Sondervermögen" parallel zur Insolvenz: das ist der Fall den es eigentlich nicht geben dürfte - deshalb § 60 InsO.

    zu La Flor de Cano:

    Zitat

    Wegen § 60 InsO wäre erst einmal ein Sonderverwalter gem § 92 InsO zu bestellen, der Anspruch gebührt nicht der Schuldnerin, IX ZR 93/08

    Es sieht so aus, daß das so zutrifft:

    "...Schädigungen der Gläubigergemeinschaft, die durch Verminderung der Sollmasse entstehen und vom Verwalter zu vertreten sind ("endogene" Gesamtschäden), können nur vom neu bestellten Insolvenzverwalter geltend gemacht werden - § 92 Satz 2 InsO. Grundfall endogener Gesamtschaden: Fehlerhafte Verwertung von Massegegenständen..."

    Problem ist dann immer noch: wie wird ein Sonderverwalter bestellt? Und von wem? Die Gläubiger haben über die Jahre hinweg unzählige Anträge auf Absetzung des Insolvenzverwalters gestellt einschliesslich der Bestellung eines Sonderverwalters - immer abgelehnt mit dem immer gleichen Satz "damit hat es sein Bewenden".

    Warum sollte das Gericht jetzt einen Sonderverwalter bestellen?

    Gerhart

  • Wenn ich Dich richtig verstehe, gehst Du davon aus, dass der Prozesserfolg nicht an die Gläubiger zu verteilen ist, sondern am Ende aller Tage den Aktionären anheim fällt. Ich verstehe nämlich nicht, wieso den Gläubigern ein Schaden entsteht, wenn hier doch eine Nachtragsliquidation im gesellschaftsrechtlichen Sinn im Raum steht.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • Gegs hatte nachgefragt, wem das freie Vermögen gehört: im Fall einer kleinen AG gehört es den Gesellschaftern - d.h. den Aktionären. Wenn die Aktien - wie hier - zu mehr als 95 % im Besitz des ehemaligen Vorstandes der Schuldnerin sind, gehört das insolvenzfreie Vermögen in diesem Verhältnis ebenfalls dem ehemaligen Vorstand der Schuldnerin.

    Irgendjemand muß das Verfahren in die Hand nehmen und beenden:

    1.) den IV in die Haftung nehmen
    2.) die Verteilung des Sondervermögens an die Aktionäre vornehmen

    Daher die Frage, ob das ein Fall für einen Nachtragsliquidator ist, der auch der ehemalige Vorstand der Schuldnerin sein kann oder ob das Gericht einen Sonderverwalter ernennen muß oder möglicherweise beides.

    Nochmal zur Frage von La Flor de Cano die Freigabe betreffend:

    "..der IV hat ausdrücklich klargestellt, daß seine Erklärung eine echte Freigabe enthalte, die zum Erlöschen des Insolvenzbeschlages und zur Wiedererlangung der Verfügungsbefugnis durch die Schuldnerin führe. Eine eventuell von ihr im Prozeßwege erzieltes Vermögen fällt daher nicht gemäß § 35 InsO in die Masse (vgl. dazu Henckel, aaO S. 296 ff)..."

    Zitat

    Den schutzwürdigen Belangen aller Beteiligten sei ausreichend dadurch Rechnung getragen, daß der Insolvenzverwalter, sofern er von der Freigabebefugnis Gebrauch macht, gemäß § 60 Abs. 1 InsO auf Schadenersatz haftet (IX ZR 281/03, Urteil BGH vom 21.04.2004).

    Gerhart

  • @ Gegs:

    Tut mir leid: die Antworten haben sich überschnitten.

    Zitat

    Wenn ich Dich richtig verstehe, gehst Du davon aus, dass der Prozesserfolg nicht an die Gläubiger zu verteilen ist, sondern am Ende aller Tage den Aktionären anheim fällt. Ich verstehe nämlich nicht, wieso den Gläubigern ein Schaden entsteht, wenn hier doch eine Nachtragsliquidation im gesellschaftsrechtlichen Sinn im Raum steht.

    So ist es: siehe oben.

    Die "Nachtragsliquidation im gesellschaftsrechtlichen Sinn" ist es, die ich auch nicht verstehe: jedenfalls nicht deren Beantragung durch wen, bei wem und gegen wen.

    Gerhart



  • Waren es wirklich nur "die Gläubiger" oder die gar Gläubigergemeinschaft?

    Da die Entlassung gem. § 59 InsO nicht nur auf Gläubigerantrag erfolgt kann, sondern auch von Amts wegen, stellt sich die Frage, ob der Rpfl. im Wege der Aufsicht nicht einen Sonderverwalter bestellen muss.

    Was sagen denn die Fachleute dazu ?

    [SIGPIC] [/SIGPIC] Vertrauue miiir (Kaa: Das Dschungelbuch, 4. Akt, 3. Szene)

  • @ Gegs:

    Ein "Beteiligter" meldet sich beim zuständigen Registergericht, beantragt eine Nachtragsliquidation für die kleine AG mit dem Hinweis auf das entstandene und noch zu verteilende Sondervermögen: und schlägt sich selbst bzw. eine andere Person als Nachtragsliquidator vor?

    Ist ein Nachtragsliquidator insolvenzrechtlich gesehen gleichzusetzen mit einem Sonderverwalter - in Sachen "endogener Gesamtschaden" (§ 60 InsO)?

    Gerhart

  • Gibt es Aufsätze dazu:

    ZInsO 2005, 953 - 964 (Ausgabe 18 v. 30.09.2005)
    InsbürO 2007, 318 - 320 (Ausgabe 8)

    Bei Bedarf kann ich per PN senden.

    Dem einzelnen Insolvenzgläubiger steht keine Beschwerdebefugnis gegen die Entscheidung des Insolvenzgerichts zu, von der Einsetzung eines =doctype_z#msearch_match_1"]Sonderinsolvenzverwalters=doctype_z#msearch_match_3"] abzusehen.

    LG Cottbus, Beschl. v. 27. 8. 2009 - 7 T 324/07

  • Zu La Flor de Cano:

    Zitat

    Waren es wirklich nur "die Gläubiger" oder die gar Gläubigergemeinschaft? Da die Entlassung gem. § 59 InsO nicht nur auf Gläubigerantrag erfolgt kann, sondern auch von Amts wegen, stellt sich die Frage, ob der Rpfl. im Wege der Aufsicht nicht einen Sonderverwalter bestellen muss.

    Es war die Gläubigergemeinschaft (95% der angemeldeten Forderungen - pauschal bestritten vom IV): weder das Gericht noch der Rpfl. MUSS irgendetwas tun. Je länger sich das Gericht geweigert hat, den bisherigen IV abzuberufen und je deutlicher wird, daß es ein Fehler war ihn im Amt zu belassen, desto weniger ist es bereit, diesen Fehler zu korrigieren.

    Der Rpfl. hat gewechselt: das ist die einzige Chance - eine Akteneinsicht hat ergeben, daß von dort her jetzt ein anderer Ton gegenüber dem bisherigen IV angeschlagen wurde. Leider zu spät für die Gläubiger.

    Gerhart

  • Gerhart:

    Meines Erachtens sind der Sonderinsolvenzverwalter und der Nachtragsliquidator zwei unterschiedliche Dinge. Da bei einer Gesellschaftsinsolvenz keine Restschuldbefreiung erfolgt, können die Gläubiger nach Beendigung des Insolvenzverfahrens weiter gegen die Gesellschaft vorgehen. Sollte diese wegen Vermögenslosigkeit gelöscht werden, können sie die Wiedereintragung veranlassen. Zwangsvollstreckung aus dem Tabellenblatt sollte dann möglich sein. Alternativ könnte eine Nachtragsliquidation erfolgen. Dabei wären die bestehenden Verbindlichkeiten gleichmäßig zu berichtigen.

    Da bei einem erfolgreichen Vorgehen den Gläubigern kein Schaden entsteht, muss man über Haftungsansprüche gegen den Insolvenzverwalter wohl erst einmal nicht nachdenken.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • @rainer:

    ich habe die Literatur erhalten: wunderbarer Lesestoff!

    @ Gegs:

    Noch erschliesst sich mir nicht, warum der Gläubigermeinschaft kein Schaden entstanden sein sollte:

    Eine werthaltige Forderung ist freigegeben worden und hat dann das Ergebnis erbracht zu der der IV alleine einen Auftrag von der Gläubigermeinschaft erhalten hatte: zur klageweisen Geltendmachung ebendieser Forderung.

    Dem Vergleich, den der IV noch vor der ersten Gläubigerversammlung schliessen wollte, hat die Gläubigergemeinschaft nicht zugestimmt (wurde auch so protokolliert): er wäre im übrigen bei 10% der jetzt erzielten Summe gelegen und hätte damit lediglich die Kosten der IV-Verwaltung gedeckt.

    Zusammengefaßt:

    ein Nachtragsliquidator tritt in die Rechte und Pflichten des IV ein? D.h. er könnte den IV auch in die Haftung nehmen für den Gesamtschaden - wie ein Sonderverwalter?

    Ich gehe jetzt erstmal in die Literatur von Rainer und versuche dort etwas zu finden.

    Gerhart



  • Nein: der Liquidator ist Schuldnervertreter, siehe o.g. BGH-Entscheidung.

    [SIGPIC] [/SIGPIC] Vertrauue miiir (Kaa: Das Dschungelbuch, 4. Akt, 3. Szene)

  • Gerhart mach Dich davon frei, dass das Insolvenzverfahren etwas mit der gesellschaftsrechtlichen Nachtragsliquidation zu tun hat. Wie ich bereits gesagt habe, kann sich jeder Gläubiger nach Ende des Insolvenzverfahrens im Wege der Zwangsvollstreckung an dem erzielten Prozesserlös gütlich tun. Wenn der Gläubiger dann aber außerhalb des Insolvenzverfahren (teilweise) befriedigt wird, dann hat er doch, was er zu bekommen hat. Dann entsteht ihm durch das Handeln des Insolvenzverwalters kein Schaden. Der Nachtragsliquidator hat mit dem Insolvenzverwalters nichts absolut nichts zu tun. Er tritt nicht in dessen Rechte ein und macht auch keinen Schadenersatz geltend. Er liquidiert die Gesellschaft mit dem nicht (mehr) dem Insolvenzbeschlag unterfallenden Vermögen.

    Mach Dich frei, Rachegedanken gegenüber dem IV zu erwägen. Auf einfacher gesellschafts- und zivilrechtlicher Schiene kommst Du wahrscheinlich eher zum Ziel.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

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