Diskussionen zu Entscheidungen des BVerfG hinsichtl. der zumutbaren Selbsthilfe u.ä.

  • Auf mehrfachen Wunsch, hier der Diskussionsthread zur Rechtsprechung in BerH-Sachen. Falls hier mehrere Themen diskutiert werden, die zur besseren Übersichtlichkeit verselbständigt werden sollten, bitte ich um eine entsprechende Meldung.

    li_li (Mod)

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    Zum Zeitpunkt des Postens war ich all meiner 5 Sinne (Stumpfsinn, Schwachsinn, Wahnsinn, Irrsinn und Unsinn) mächtig.

  • Ich habe schon in diesem Jahr 2 Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen zu meinen Akten bekommen.

    Die aktuelle Entscheidung beschäftigt sich auch mit der zumutbaren Eigeniniative und dem Begriff Mutwilligkeit.

    Bisher ist die Entscheidung in Juris und auf der Seite des Bundesverfassungsgerichts nicht veröffentlicht. Es handelt sich um das Verfahren 1 BvR 2681/09. Kann mir hierbei jemand weiterhelfen, damit ich die Entscheidung zu meinem Fall verlinken oder veröffentlichen kann?

    Oder sollte man einfach 1 Monat warten, bis die Entscheidung dort in der Datenbank gefunden werden kann? Evtl. brauchen die ja ne Weile zur Veröffentlichung...

  • Erstaunlich, dass zu diesem Thema hier nicht weiter diskutiert wurde. Ich hätte jeden Tag Anträge, wo ich mir die Frage stelle, ob da der Antragsteller z.B. nicht hätte selbst erst mal was unternehmen können, und wenn es ein eigener Anruf oder ein Schreiben ist, und wo ich mir zwangsläufig auch die Frage stellen muss, ob da nicht ein zahlungsfähiger Mandant den kosten verursachenden Anwalt hintenan gestellt und selbst noch mal was unternommen hätte oder wegen Belanglosigkeit einfach die Sache ganz unter den Tisch hätte fallen lassen.

    Beispiel mal zu letzterem: Forderung 40 €, Einigung auf 20 €; Anwaltskosten 255 € zu Lasten der Staatskasse; welcher zahlungspflichtige Mandant würde 255 € ausgeben, um eine Forderung von 40 auf 20 € zu drücken, sowas erlebt man nur bei Beratungshilfe, wenn also der Steuerzahler dafür aufkommen muss :teufel:

  • Erstaunlich, dass zu diesem Thema hier nicht weiter diskutiert wurde.



    Vielleicht liegt es daran, dass die Entscheidung als solche m. E. absolut nichts Neues enthielt. Die Frage der Mutwilligkeit ist weiter für jeden Einzelfall zu prüfen. Und über solche Einzelfälle diskutieren wir doch fleißig.

    Komplizierte Probleme heißen komplizierte Probleme, weil es keine einfachen Lösungen für sie gibt, sonst hießen sie einfache Probleme.

    - Frank Nägele, KStA v. 25.3.17 -

  • Jaaaaaa, meine Entscheidung ist endlich beim BVerfG verlinkt! :D :strecker (siehe Beitrag 2 - Link anklicken).

    Werde ich gleich mal in die Rechtsprechungsübersicht oben im Thread füttern.

    Hab nämlich wieder ne Akte auf den Tisch, wo meine Entscheidung vom BVerfG genau wie die Faust aufs Auge drauf passt.

  • welcher zahlungspflichtige Mandant würde 255 € ausgeben, um eine Forderung von 40 auf 20 € zu drücken

    Ich möchte bezweifeln, daß der eine oder andere BerH-Empfänger überhaupt eine Vorstellung davon hat, was das kostet (warum auch, ihn selbst ja schließlich nichts).

    Die Antwort auf o.g. Frage kann allerdings nur "keiner" lauten, denn eigentlich sollte doch mittlerweile geklärt sein, daß der Vergleich so nicht zutreffend ist, da mit dem Selbstzahler schließlich nicht nach der BerH-Vergütung abgerechnet wird.

  • Deswegen müßte man ( so mach ich es ) es ins Verhältnis setzen. Würde jemand zum RA gehen, wenn ihm -bspw. - 20% seines "Einkommens" gekürzt wird.

    Das "Missverhältnis" zwischen Kosten", "Gebührenrisiko" etc.ist daher im relativ zu sehen....

  • Eine Diskussion, die Relationen nur im Kontext monetärer Kategorien sucht, überschreitet "die Grenzen der Rechtswahrnehmungsgleichheit" im Sinne der o. g. Verfassungsgerichtsentscheidung.

  • So ?

    Das BVerfG hat aber entschieden, , dass „Der Unbemittelte nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden brauch, der seine rechtliche Situation vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt“ (BVerfGE 81,347; Beschluss 12.06.2007 1 BvR 1014/07).

    Dies ist daher m.E. mit ein Kriterium bei der Frage der Bewilligung ( Mutwilligkeit), aber - natürlich - nicht ein / das ausschließliche.

    Die Annahme der Mutwilligkeit kommt demnach in Betracht, wenn ein verständiger Selbstzahler wegen eines Missverhältnisses zwischen dem Wert der Angelegenheit und den Kosten der anwaltlichen Beratung oder Vertretung auf die Konsultation eines Rechtsanwalts verzichten würde.

    Und dies kann m.E. je nach Einkommenssituation anders sein.

    Bsp:
    ein Durchschnittsverdiener wird nicht wegen 50 € zum RA gehen, da es nur einen geringen Prozentsatz seines Einkommens ausmacht. Wenn man ihm bspw. 1/3 seines Einkommens wegnehmen würde, sieht die Sache wohl anders aus.

    50 € können für einen Bürger mit Leistungen nach dem SGB II jedoch durchaus einen großen Prozentsatz seines Einkommens ausmachen. Demnach würde er - da es einen relativ hohen Prozentsatz ausmacht - wohl verständlicherweise zum RA gehen, weil es objektiver Dritter ebenso machen würde, wenn ihm bspw. 1/7 oder 1/3 oder ¼ etc. „weggenommen“ würde.

    Ich will damit sagen: man muß den „Wert“ der Angelegenheit ins Verhältnis zum Vermögen des Astellers setzen.

  • Besser hätte ich das nicht schreiben können.

    Jetzt musste nur noch das statistische Durchschnittseinkommen nehmen. Z.B. in Wikipedia veröffentlicht oder diverse Quellen des statistischen Bundesamtes. Dann haste gute Zahlen mit denen man hantieren kann.

  • Ich will damit sagen: man muß den „Wert“ der Angelegenheit ins Verhältnis zum Vermögen des Astellers setzen.


    Es wäre in diesem Sinne sachgerecht, nicht immer zentral auf monetären Kategorien herumzureiten. Iudex non calculat.
    Versucht doch mal, auch über die anderen Kategorien und deren Relation zum Götzen Geld nachzudenken.

  • Man muss das aber nochmal präzisieren:

    Der Wert der Angelegenheit im Verhältnis zu dem Vermögen/ Einkommen des Rechtssuchenden reicht nicht aus, weil dann wiederum die Höhe der Kosten völlig außer Acht gelassen wird.

    Warum soll der Steuerzahler 255 € bezahlen, damit der Harz4-Empfänger 20 € einmalig mehr in der Tasche hat.

    Beispiel:
    Es geht jeweils um eine Forderung von 40 €, die auf 20 € gedrückt werden soll (s.o.). Es ließen sich hierzu viele andere Bagatellen aus der täglichen Arbeit finden, beispielsweise, wenn der eine Alkoholiker wegen der Beschimpfung mit einem Wort durch einen anderen Alkoholiker zum Anwalt rennt und auf Unterlassung geht ....

    B: Harz4-Empfänger, Kosten des Vergleiches 255 €
    Wert zu Kosten im völligen Missverhältnis (12:1)
    Wert zu Einkommen: (Beispielsweise 3:100); akzeptabel


    Bei der Gesamtbewertung darf man also keinesfalls nur das Verhältnis des Wertes zu dem Vermögen/Einkommen sehen, sondern sehr wohl auch das Verhältnis zu den Kosten im Auge behalten.
    Auch der Selbstzahler denkt nach und wägt ab, ob er zu einem Anwalt geht oder nicht, und wird dabei neben dem Verhältnis des Wertes zu seiner Vermögenssituation durchaus auch das Verhältnis des Wertes zu den Kosten berücksichtigen. Und genau das darf und muss man auch von einem Bedürftigen verlangen. Entscheidend ist nicht der Wert selbst, sondern es kommt auf das Verhältnis des Nettowertes (= Bruttowert abzüglich der für die Geltendmachung aufzuwendenden Kosten, auch wenn dieser der Steuerzahler aufzubringen hat) zum eigenen Vermögen/ Einkommen an, also auf das, was als "Gewinn" verbleibt. Und dieser "Gewinn" fällt nunmal in den erwähnten Beispielen bei Beratungshilfe mitunter (mehr oder weniger häufig) negativ aus - und das darf ganz einfach nicht sein.

    Wir erleben es doch an den Sachen immer wieder: Wenn der Selbstzahler, wie etwa ich, die Angaben in einer Stromrechnung anzweifelt, geht er als erstes zum Stromzähler, überprüft dort die Zahlen, und rechnet ggf. anhand der Preise die Rechnung nochmal nach. Der Bedürftige (und damit meine ich nur die für uns auffälligen Kandidaten) geht aber gar nicht erst zum Stromzähler, sondern gleich zum Anwalt, obwohl der Weg dorthin weiter ist, aber an Zeit mangelt es ja offensichtlich nicht. Und da ist das Kranke an der ganzen Sache.

  • Diskussionen, die Argumente mit "man muss" oder "das ist das Kranke an der Sache" vorbringen, sind schwer sachlich zu führen. Hartz-IV-Empfänger sind auch nicht das logische Gegenteil von Steuerzahlern.
    Aus der konkreten Frage, mit welcher Formel Mutwilligkeit exakt berechnet werden kann, möchte ich mich als Rechtspfleger auch lieber heraushalten. Zumal man, wenn es so einfach wäre, das im Interesse des Steuerzahlers ja auf den mittleren Dienst übertragen könnte und dadurch unnötig teure Rechtspflegerstellen streichen könnte.

  • Hier geht es keinesfalls, für irgendjemand Partei zu ergreifen oder andere wieder in die Ecke zu stellen, es geht um einen Versuch, die Vielschichtigkeit der Verhältnisse oder Probleme nur mal anzudeuten - dass man sie abschließend nicht lösen kann, geschweige denn mit einer Formel, ist mir auch völlig klar. Man muss das eben von Fall zu Fall beurteilen. Ich musste aber ganz einfach auf einen Vorbeitrag, mit dem das so vereinfacht wurde, dass es auf das Verhältnis Wert zu Vermögen ankäme, geeignet antworten, um zu zeigen, dass das so auch nicht zutrifft bzw. dass man es sich so einfach nicht machen kann. Und ich maße mir auch nicht an, eine abschließende Lösung für ein derart komplexes Problem zu haben. Der Beitrag sollte nur verdeutlichen, wie komplex und schwierig es eigentlich ist. Und wenn man einzelne Fälle sieht, kann man durchaus auch mal das Wort "krankhaft" verwenden, weil es einfach so ist. Aber diese z.T. extreme Ausnutzung unserer Sozialsysteme möchte ich wirklich nur auf die einzelnen Fälle beschränken, die es betrifft. Aber auch hier ist ggf. Handeln gefragt - schließlich gibt es auch nur wenig Kriminelle, und der Staat ergreift dennoch geeignete Maßnahmen gegen sie.

  • Zitat

    und der Staat ergreift dennoch geeignete Maßnahmen gegen sie.

    Der Staat ergriff jedoch bislang keine Maßnahmen, um lange bekannte Auswüchse im Bereich BerHG/PKH zu verhindern. Es ist nicht die Aufgabe der Gerichte, vermeintliche Fehler der Politik durch übertriebene Auslegung zu korrigeren. So lange es von Selbstzahlern angestrengte Zivilverfahren mit Streitwerten von deutlich unter 100 € gibt, vermag ich keinen Anlass zu erkennen, unter dem Deckmantel der Mutwilligkeit über Missverhältnisse auch nur nachzudenken. Wenn der Gesetzgeber solche toleriert, muss die Rechtsprechung nicht versuchen, sie zu beseitigen.

    Das Folgende soll niemand persönlich nehmen, aber die Kostendiskussionen in den verschiedensten Rechtsbereichen verschaffen den Rechtspflegern zudem etwas Kleinkrämerisches und von Volljuristen Belächeltes. Es wäre schön, wenn sich mehr Rechtspfleger als praktisch orientierte Fachjuristen, die zunächst Kernfragen des Rechts klären und sich auf das Wesentliche konzentrieren, verstehen würden.

  • Das Folgende soll niemand persönlich nehmen, aber die Kostendiskussionen in den verschiedensten Rechtsbereichen verschaffen den Rechtspflegern zudem etwas Kleinkrämerisches und von Volljuristen Belächeltes. Es wäre schön, wenn sich mehr Rechtspfleger als praktisch orientierte Fachjuristen, die zunächst Kernfragen des Rechts klären und sich auf das Wesentliche konzentrieren, verstehen würden.



    Soll im Ergebnis für die BerH was heißen?

    "Es ist nicht wahr, dass die kürzeste Linie immer die gerade ist."
    (Gotthold Ephraim Lessing)

  • Was genau meint eigentlich der Hinweis auf moral hazard-Phänomen? Geht es um die Ausführungen zu Beginn, die zum Berufsbeamtentum, die Marxistische Kritik an neoliberalen Aspekten oder soll hier gar ein "Dritter Weg" entwickelt werden?

  • Ich will damit sagen: man muß den „Wert“ der Angelegenheit ins Verhältnis zum Vermögen des Astellers setzen.


    Es wäre in diesem Sinne sachgerecht, nicht immer zentral auf monetären Kategorien herumzureiten. Iudex non calculat.
    Versucht doch mal, auch über die anderen Kategorien und deren Relation zum Götzen Geld nachzudenken.

    Hilf mir bitte auf die Sprünge. Was meinst Du ? In erster Linie ist mir das geld wurscht. Ic zahl es schließlich nicht unmittelbar aus meinem geldbeutel und das ist auch kein Kriterium für Beratungshilfe.

    Mutwilligkeit ist aber ein Kriterium, welches zu prüfen ist. Selbstzahlervergleich auch. Andere Hilfen etc. auch. Das sind die Voraussetzungen der Beratungshilfe, die ich zu prüfen habe. Diese sind nicht in erster Linie monetär. Lediglich bei einem Kriterium ( Mutwilligkeit) kann zur Prüfung der eigentlichen Voraussetzung monetäre Kriterien herangezogen werden - nach der Entscheidung des BVerfG. Oder wie soll man sonst das Kriterium der Mutwilligkeit in dieser Definition, die das BVerfG damit festgelegt hat für diesen Teilbereich prüfen?

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