konkludenter Verzicht auf Reisekosten (OLG HAMM, NJOZ 2006, 3647)

  • Hallo zusammen,

    bin heute in der neuen NJOZ (2006, 3647) auf eine Entscheidung des OLG Hamm mit folgenden Leitsätzen gestoßen:

    1. Ein nicht beim Prozessgericht zugelassener Rechtsanwalt darf einer Partei im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe beigeordnet werden, wenn hierduch keine höheren Reisekosten entststehen als bei einem im Bezirk des Prozessgerichts zugelassenen Anwalt oder wenn durch diese Beiordnung die sonst gebotene Beiordnung eines Verkehrsanwalts erspart wird.

    2. Der Antrag eines nicht beim Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalts, ihn im Rahmen der Prozesskostenhilfe beizuordnen, ist regelmässig als stillschweigender Verzicht auf Reisekosten zu deuten.
    [OLG Hamm, Beschl. vom 15.08.06, 27 U 53/06]

    Aus den Urteilsgründen ergibt sich weiterhin, dass das OLG Hamm, anders als z.B. das OLG Nürnberg, in der bekannten Entscheidung, auch den Zusatz "zu den Bedingungen eines am Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalts" nach wie vor für zulässig erachtet. Das Gericht sieht darin ausweislich der Urteilsbegründung keine Einschränkung der PKH-Bewilligung sondern eine Klarstellung.

    Was haltet ihr von der Entscheidung?

  • Interessant ist insbesondere der 2. Absatz des Leitsatzes. Damit wird die Fahrtkostendiskussion wieder neu entfacht. Die Ansicht des OLG Hamm deckt sich im Übrigen mit einer Entscheidung des OLG Celle aus 2000, die immer noch greift.

    Die Entscheidung des OLG Hamm findet man auch in juris unter KORE 207752006.

  • Aus den Urteilsgründen ergibt sich weiterhin, dass das OLG Hamm, anders als z.B. das OLG Nürnberg, in der bekannten Entscheidung, auch den Zusatz "zu den Bedingungen eines am Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalts" nach wie vor für zulässig erachtet.


    Ich kenne die Entscheidung nicht, der Zusatz wird hier noch regelmäßig von den Richtern benutzt. Er ist auch m.E. weiter zulässig aufgrund von § 121 Abs. 3 ZPO. Die entsprechende Vorschrift der BRAGO wurde nach der Gesetzesbegründung nur deshalb nicht in das RVG übernommen, weil die Einschränkung in der ZPO für ausreichend erachtet wurde.

  • Da der Beitrag vom 30.10.06 (wie alle anderen) dank der Hacker verschwunden ist, hier nochmals der Hinweis auf einen Auszug von Rechtsprechung zur PKH und Reisekosten: https://www.rechtspflegerforum.de/showthread.php…osten#post68251 siehe dort #23

    Insb. kann man sehen, dass das OLG Hamm in einer anderer Entscheidung den einrschränkenden Zusatz für unzulässig erachtet...

    "Der Staat ist vom kühlen, aber zuverlässigen Wächter zur Amme geworden. Dafür erdrückt er die Gesellschaft mit seiner zärtlichen Zuwendung."

  • Ich frage mich, ob in den Threads zum Thema PKH und Reisekosten nicht evtl. zwei verschiedene Konstellationen miteinander vermengt werden? :gruebel:

    Bei der von 13 genannten Entscheidung des OLG Celle aus 2000 handelt es sich vermutlich um den Beschluß vom 14.04.2000 (18 WF 91/00). Dieser betrifft den Fall, daß der RA nicht beim Prozeßgericht zugelassen ist.

    Davon ist m.E. aber der Fall zu unterscheiden, daß der RA beim Prozeßgericht zugelassen ist, seine Kanzlei aber nicht am Sitz des Prozeßgerichts hat (wird z.B. abgehandelt bei OLG Oldenburg, Beschluß vom 06.01.2006 - 3 UF 45/05, siehe die Aufstellung von Ernst P. in dem Link im vorletzten Beitrag). Insoweit geht es also "nur" um die - vom OLG Oldenburg verneinte - Frage, ob "Zulassung beim Prozeßgericht" gleichbedeutend mit Ortsansässigkeit o.ä. ist.


  • Davon ist m.E. aber der Fall zu unterscheiden, daß der RA beim Prozeßgericht zugelassen ist, seine Kanzlei aber nicht am Sitz des Prozeßgerichts hat



    Recht hast du!

    Im übrigen:
    Wenn eine Partei einen RA an ihrem Wohnsitz beauftragt, der am Prozessgericht zugelassen ist, so will mir immer noch nicht einleuchten mit welchem Argument man die Reisekosten im Rahmen der PKH für nicht erstattungsfähig halten will, wo doch der BGH für die Erstattung der Reisekosten im Rahmen von § 91 ZPO wiederholt entschieden hat, dass die Beauftragung eine RA am Wohnsitz zu den erstattungs- und notwendigen Kosten des Rechtsstreits zählt...

    "Der Staat ist vom kühlen, aber zuverlässigen Wächter zur Amme geworden. Dafür erdrückt er die Gesellschaft mit seiner zärtlichen Zuwendung."

  • Ernst P.:

    Meiner Meinung nach ist zumindest auffällig, daß es sich bei einem nicht unerheblichen Teil dieser Entscheidungen um Familiensachen handelt (siehe auch Deine Übersicht in dem Thread Absetzung Reisekosten bei PKH? Link dorthin).

    Da kann man sich durchaus seinen Teil dazu denken, wie es zu der Auffassung gekommen sein könnte, daß die Ortsansässigkeit eine Rolle spielt.

    Insofern bin ich auch der Meinung, daß die Entscheidung des OLG Oldenburg sehr lesenswert ist, und zwar auch und erst recht im Hinblick darauf, daß der Senat dort auf eine Gegenvorstellung seine Auffassung um 180 Grad geändert hat.


  • Davon ist m.E. aber der Fall zu unterscheiden, daß der RA beim Prozeßgericht zugelassen ist, seine Kanzlei aber nicht am Sitz des Prozeßgerichts hat.



    Vgl. hierzu OLG Düsseldorf, 7. FamSenat, Beschl. 06.07.2006, FamRZ 2006, 1613:

    Aus den Gründen:
    Im Hinblick auf den klaren Wortlaut des § 121 Abs. 3 ZPO betrifft die Beschränkung der Beiordnung lediglich Anwälte, die nicht beim Prozessgericht zugelassen sind, also insbesondere solche Anwälte, die bei einem Amtsgericht, Landgericht oder Oberlandesgericht zugelassen und damit an jedem anderen Amtsgericht, Landgericht oder Oberlandesgericht postulationsfähig sind und im Rahmen dieser Postulationsfähigkeit beigeordnet werden möchten. Der vor dem Oberlandesgericht Oldenburg mit Beschluss vom 06.01.2006 - 3 UF 45/05 - entschiedene Fall fällt darunter nicht, weil die Rechtsanwältin, um deren Beiordnung es ging, beim Oberlandesgericht Oldenburg zugelassen war. Wegen der eindeutigen Gesetzesvorschrift und dem Wegfall von § 126 Abs. 1 S. 2 HS 1 BRAGO darf die Beiordnung nur bei den beim Prozessgericht zugelassenen Anwälten nicht gemäß § 121 Abs. 3 ZPO beschränkt werden. Die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten richtet sich nach § 46 Abs. 1 RVG. Danach sind Reisekosten zu erstatten, wenn eine Reise erforderlich ist. Daran dürften bei Terminswahrnehmungen für einen bei dem entsprechenden Gericht zugelassenen Anwalt keine Bedenken bestehen.

    Anders verhält es sich demgegenüber bei solchen Rechtsanwälten, die beim Prozessgericht nicht zugelassen, aber postulationsfähig sind. Hier ist die Frage der Erstattungsfähigkeit von Reisekosten und die Beschränkung der Beiordnung nicht unumstritten. Grundsätzlich darf den Wunsch einer Partei, ihr einen nicht beim Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt beizuordnen nur nach § 121 Abs. 3 ZPO stattgegeben werden, wenn dadurch keine weiteren Kosten entstehen. Nach Schütt (MDR 2003, 236) widerspricht diese Regelung der Grundsatzentscheidung des BGH in FamRZ 2003, 441. Hiernach sind die Reisekosten eines Rechtsanwalts, der seinen Büro am Wohnort der Partei hat, in aller Regel vom unterlegenen Gegner nach § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO zu erstatten, weil dessen Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig ist. Schütt folgert aus der erwähnten Entscheidung, dass auch die mit Prozesskostenhilfe prozessierende Partei verlangen kann, ihr einen an ihrem Wohnort ansässigen Rechtsanwalts beizuordnen. Er meint, man dürfe die bedürftige Partei nicht schlechter behandeln, als eine begüterte Partei (ebenso OLG Koblenz FamRZ 2003, 1939 , OLG Karlsruhe FamRZ 2004, 1298; a. A. OLG Saarbrücken FamRZ 2004, 707). Diese Auffassung von Schütt ist allerdings aus Art. 3 GG nicht herzuleiten, da im Bereich des Rechtsschutzes arme und reiche Prozessparteien nicht vollständig gleichgestellt werden müssen (BVerfGE 22, 83; 63, 380; 81, 347). Der Gesetzgeber kann frei gestalten, in welchem Ausmaß eine Angleichung stattfindet. Das Grundgesetz verlangt lediglich, dass den armen Parteien der Rechtsschutz nicht versagt wird (BVerfGE 78, 104). Dies dürfte auch durch die Anwendung von § 121 Abs. 3 ZPO nicht zu befürchten sein, da durch diese Vorschrift lediglich unnötige Reisekosten vermieden werden sollen (OLG Köln FamRZ 2004, 123). Die Beiordnung eines auswärtigen Anwalts kommt jedoch dann in Betracht, wenn die zu erwartenden Kosten nicht höher sind als die dadurch verursachte Kostenersparnisse (OLG Nürnberg MDR 2002, 55). Hier könnten insbesondere die Reisekosten der Parteien eine Rolle spielen, die zu einem ortsansässigen Rechtsanwalt reisen muss, um diesen zu informieren.

    Die Beschwerde hat auch nicht deswegen Erfolg, weil das Gericht die Beschränkung des § 121 Abs. 3 ZPO ohne Einverständnis des beigeordneten Anwalts angeordnet hat (vgl. OLG Celle FamRZ 2000, 1387, OLG Nürnberg FamRZ 2002, 106, OLG München MDR 2002, 1277; a. A. FamRZ 1993, 819; OLG Rostock FamRZ 2001, 510; OLG Köln FamRZ 2004, 123). Ein ausdrückliches Einverständnis zu dem Antrag auf Beiordnung ist deswegen nicht erforderlich, weil sich die Beschränkung der Beiordnung unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Nach § 121 Abs. 3 ZPO darf ein beim Prozessgericht nicht zugelassener Rechtsanwalt nur beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen. Das Gesetz schreibt damit die Beschränkung der Beiordnung als gebundene Entscheidung ausdrücklich vor, so dass für eine abweichende Beiordnung kein Spielraum besteht. Ein nicht zugelassener Rechtsanwalt weiß demgemäß aufgrund des Gesetzeswortlautes, dass eine Beiordnung nur unter dieser Beschränkung in Betracht kommt. Aus diesem Grund besteht weder Raum noch Anlass, eine gesonderte Einwilligung zu verlangen. Diese liegt bereits in dem Antrag auf Beiordnung. Ein Teil der Gegenmeinung, die ein ausdrückliches Einverständnis erfordert, bezieht sich zur Begründung auf die Vorschrift des 126 Abs. 1 S. 2 BRAGO, die allerdings inzwischen weggefallen ist.

    "Der Staat ist vom kühlen, aber zuverlässigen Wächter zur Amme geworden. Dafür erdrückt er die Gesellschaft mit seiner zärtlichen Zuwendung."

  • OLG Celle, FamS., Beschl. 01.06.2006, FamRZ 2006, 1552:

    Ls. zu 1. : Die Beiordnung eines nicht ortsansässigen RA kann nicht gestützt auf § 121 III ZPO abgelehnt werden.

    Ls. zu 2. : Die Erstattungsfähigkeit von Reisekosten eines auswärtigen RA richtet sich nach § 46 RVG.

    aus den Gründen:
    Insb. kann deren Zulässigkeit entgegen der Auffassung des AG nicht aus § 121 III ZPO hergeleitet werden. Bereits der ausdrückliche und eindeutige Wortlaut beschränkt den Anwendungsbereich der Vorschrift auf solche RA, die "nicht beim Prozessgericht zugelassen" sind. Unabhängig davon, ob der Begriff der Zulassung i. S. der §§ 18 BRAO (so OLG Oldenburg, FamRZ 2006, 629) oder gem. § 78 ZPO (so offenbar Zöller, 25. Aufl. § 121, Rz. 11) zu verstehen ist, kann er jedenfalls nicht mit dem Begriff der Ortsansässigkeit gleichgestellt werden. Beide Rechtsgrundlagen (meint: § 91 II S. 2 a. F. ZPO und § 126 I S. 2 BRAGO) sind mit Inkrafttreten des RVG ersatzlos gestrichen worden.

    "Der Staat ist vom kühlen, aber zuverlässigen Wächter zur Amme geworden. Dafür erdrückt er die Gesellschaft mit seiner zärtlichen Zuwendung."

  • Ich will nicht ausschließen, dass ich einen Tippfehler drin habe, aber als in JURIS geschaut habe (weil ich mir die Abtipperei ersparen wollte, man ist ja schließlich faul), war die Entscheidung auch (noch) nicht drin. Das betraf auch nicht nur diese Entscheidung, sondern mehrere. Mir lag hingegegen die Original-FamRZ (ja, in Papierform gib`s die auch noch :D ) vor, aus der ich die Daten abgeschrieben (hat` sich was mit "kopieren und einfügen :mad:" ) habe.

    Ich könnte mir vorstellen, dass die noch so "druckfrisch" war, dass die Mitarbeiter bei JURIS (noch) nicht so fix waren und die Entscheidung (noch) nicht eingescannt hatten, oder wie auch immer die die Dinger in die Datenbank bekommen.

    Vielleicht einfach abwarten. Wenn du in nächster Zeit bei JURIS immer noch nicht fündig geworden bist, bitte (ggf. per PN) eine Erinnerung an mich, dann würde ich mich auf die Suche des hausinternen Umlaufs mit der Original-FamRZ machen. Entgegen der Kollegen die auf Umläufen sitzen, habe ich die nämlich nach abschließender Lektüren bereits sofort wieder in den Geschäftsgang gegeben...

    "Der Staat ist vom kühlen, aber zuverlässigen Wächter zur Amme geworden. Dafür erdrückt er die Gesellschaft mit seiner zärtlichen Zuwendung."

  • Der für den Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellte Beiordnungsantrag eines nicht bei dem Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalts enthält regelmäßig ein konkludentes Einverständnis mit einer dem Mehrkostenverbot des § 121 Abs. 3 ZPO entsprechenden Einschränkung der Beiordnung nur zu den Bedingungen eines am Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalts.

    BGH, Beschluß vom 10.10.2006 - XI ZB 1/06 (Hervorhebung von mir)

    Wenn eine Partei einen RA an ihrem Wohnsitz beauftragt, der am Prozessgericht zugelassen ist, so will mir immer noch nicht einleuchten mit welchem Argument man die Reisekosten im Rahmen der PKH für nicht erstattungsfähig halten will, wo doch der BGH für die Erstattung der Reisekosten im Rahmen von § 91 ZPO wiederholt entschieden hat, dass die Beauftragung eine RA am Wohnsitz zu den erstattungs- und notwendigen Kosten des Rechtsstreits zählt...

    Ich meine, den Ansatz für dieses auch meiner nach unzutreffende Argument ebenfalls in der o.g. Entscheidung gefunden zu haben, und zwar in dieser Aussage:

    "Bei Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 121 Abs. 1 und 3 ZPO ist in der Regel ein beim Prozessgericht zugelassener Rechtsanwalt beizuordnen, weil dadurch wegen der Verpflichtung des Rechtsanwalts, seine Kanzlei am Ort des Gerichts zu betreiben (§ 27 Abs. 1 Satz 1 BRAO), grundsätzlich sichergestellt ist, dass keine Reisekosten anfallen (BAG NJW 2005, 3083)."

    Die Verpflichtung, die Kanzlei am Ort des Gerichts zu betreiben, ist nicht die ganze Wahrheit: In Lohne habe ich noch kein Amtsgericht gefunden. :D Das sieht für mich ein bißchen so aus, als ob da anwaltliches Berufsrecht und ZPO in einen Topf geworfen werden. An welchem Ort innerhalb des AG-/LG-Bezirks der Anwalt seine Kanzlei betreibt, ändert nichts daran, daß er beim Prozeßgericht zugelassen ist.

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!