Strafaufschub - Arbeitsplatz

  • Ich wäre dankbar für die eine oder andere Meinung zu folgendem Antrag gem. § 456 StPO: Der Verurteile wurde zum Strafantritt einer 6-monatigen Freiheitsstrafe wegen Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung geladen. Aus dem BZR ergibt sich, dass drei zur Bewährung ausgesetzte Strafreste anderer StAen noch nicht erlassen sind (ursprüngliche Strafen: 9 Monate, 1 Jahr, 3 Monate). Er arbeitet als Saisonarbeiter in einem Gasthof. Nun beantragt er Haftaufschub bis Ende Oktober mit der Begründung, dass er, sollte er die Sommersaison fristgerecht beenden, nach der Haft von seinem Arbeitgeber wieder eingestellt werden würde und ab Herbst 2012 eine Ausbildung als Restaurantfachmann machen könne. Der Arbeitgeber bestätigt in einem Schreiben diese Angaben und erklärt ausdrücklich, dass er den Verurteilten nicht wieder einstellen werde, wenn dieser kurzfristig kündigen sollte. Ich habe schon nach Entscheidungen zu dem Thema gesucht, aber abgesehen davon, dass der Verlust des Arbeitsplatzes in der Regel kein erheblicher, außerhalb des Strafzwecks liegender Nachteil ist, habe ich nicht viel gefunden. Bei den meisten Entscheidungen geht es um selbständige Verurteilte. Schönes Wochenende :)

  • Ich sehe hier keinen ausserhalb des Strafzweckes ergebenen Nachteil. Die Bescheinigung des Arbeitgebers ist zudem unglaubwürdig, warum sollte er den Betroffenen im nächsten Jahr den nicht wieder beschäftigen? :gruebel: Offenkundig droht er dies nur an, weil er die Arbeitskraft gern noch bis Oktober hätte, glaubhaft ist das indes nicht. Wenn der Betroffene gute Arbeit geleistet hat, so wird er auch wieder beschäftigt, denn allein dieses dürfte den Arbeitgeber tatsächlich interessierren.

  • Ich denke, da bist du völlig frei in der Entscheidung.
    Meine Kollegin hat es (in Vertretung für mich) in einem fast gleich gelagerten Fall so bewilligt.
    - Wer wollte sich da beschweren?????
    Ich selbst schließe mich da eher CDenker an und hätte damals wohl den Antrag abgelehnt.
    Es gibt sicher für beide Entscheidungen gute Gründe.

    Nur: wenn es de facto lediglich um das "Wohl des Chefs" geht, dass er seine Arbeit erledigt bekommt, dann ist das kein Grund für § 456. Die unbillige Härte muss für den VU oder seine Familie vorliegen - nicht für den Chef.

  • Sowohl Ablehnung (wg. möglicherweise noch zu widerrufene Bewährungssachen, die ggfls. die Aufnahme der Ausbildung 2012 verhindern würden) als auch Gewährung (überschaubarer Zeitraum bis zum Ende der Sommersaison) sind hier vertretbar.

    Eine Unglaubwürdigkeit der Arbeitgeberbescheinigung sehe ich nicht. Arbeitgeber bevorzugen tatsächlich Saisonarbeiter, die bereits in der Vorsaison einen guten Eindruck gemacht haben. Bei einem Strafantritt in der Saison dürfte der Eindruck dann wohl doch ein wenig getrübt sein :D

  • Danke für eure Meinungen!
    Habe den Aufschub soeben bewilligt.
    Ich halte die Arbeitgeberbescheinigung nicht für unglaubwürdig, auch wenn der Arbeitgeber die Bescheinigung bestimmt nur aus eigenen Interessen ausgestellt hat. Dass allein die Arbeitgeberinteressen kein Grund für § 456 sind, ist klar. In so einem Fall lehne ich auch ab. Aber wenn der Arbeitgeber sich jetzt einen Neuen für den Job suchen muss und der sich bewährt, warum sollte er dann einen wieder einstellen, der plötzlich weg war?
    Eine Ablehnung mit den evtl. noch erfolgenden Widerrufen zu begründen, war mir irgendwie zu vage.

  • Was ist denn das für ne Kuschelvollstreckung? :eek:
    Bei uns wäre keiner auf die Idee gekommen, sowas zu bewilligen.

    "Der Glaube der mittelalterlichen Alchimisten, aus Blei Gold machen zu können, war eine Manifestation der nüchternen Vernunft im Vergleich zu dem neuzeitlichen Wahn, aus Papier Geld machen zu können." Roland Baader

    "Gold ist Geld, alles andere ist Kredit" – John Pierpont Morgan (1837-1913)

  • Da kann ich Oern1 nur zustimmen. Auch an unserer STA wäre eine Zurückstellung aus diesem Grund undenkbar.
    Der evtl. Verlust des Arbeitsplatzes ist eine vollkommen normale Folge der Strafvollstreckung (wie auch das evtl. Auseinanderbrechen familiären Beziehungen, wenn eine längere Haftstrafe zu vollstrecken ist)!

  • Du hast WAS entschieden?
    :eek:
    Alter Schwede, na dann mal viel Glück.
    Verurteilt wegen Beleidigung und Bedrohung, drei Freiheitsstrafenreste deren Widerruf droht und eine offensichtliche Gefälligkeitsbescheinigung des Arbeitgebers,
    bei dem Du selber erkennst, dass er diese im eigenen Interesse ausgestellt hat.
    Das was Du zugunsten des VU berücksichtigt hast, das sind die normalen und im Übrigen selbstverschuldeten (weil: die ersten drei FS-Verurteilungen und deren Teilverbüßungen sowie die Bewährungschance haben bei ihm ja nichts genutzt!!) Folgen einer Inhaftierung. Die treffen JEDEN Verurteilten. Nur dieser hat sie mal benannt.
    Und ist damit durchgekommen...

    Im Hinblick auf die Verurteilungshintergründe und die gewiss ähnlichen Vorstrafen wünsche ich Dir (ernsthaft!!:)), dass der Verurteilte nicht nervös wird und im Stress des
    Saisonbetriebs noch zulangt.
    Als Opfer oder Angehöriger würde ich der StA, die diesen Menschen noch frei rumlaufen ließ, die Beine langmachen.
    Wenn der Arbeitgeber im Lohnstreit was "aufs Maul bekommt" wird der es übrigens ganz plötzlich genau so sehen.

    Aus der Ausbildung nächstes Jahr wird es m.E. nichts. Der Arbeitgeber wird doch keinen Straftäter einstellen! Der ist doch bloß JETZT froh, dass er eine willige Arbeitskraft hat...

    Dennoch: Viel Glück!

  • Ist bei uns auch so, " ..der Verlust des Arbeitsplatzes ist regelmäßig mit der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe verbunden und muß als Folge der abgeurteilten Strafe hingenommen werden." In meinem Skript zur Schulung 1. Justizmodernisierungsgesetz ist ausdrücklich ein Aufschub wegen Saisonarbeit verneint (ohne aber eine entsprechende Entscheidung anzuführen). Ja, in Bayern wird halt noch richtig vollstreckt!:teufel:

    Die höchste Form des Glücks ist Leben mit einem gewissen Grad an Verrücktheit.
    Erasmus von Rotterdam

  • Ist ja nett, dass nach meiner Entscheidung ein Haufen eindeutiger Meinungen kommt, danke!;)
    Im Übrigen wird von mir keineswegs in Frage gestellt, dass allein der Verlust des Arbeitsplatzes KEIN Grund für einen Strafaufschub ist! Sonst müsste ja jeder Berufstätige einen Haftaufschub bekommen... Dass Saisonarbeit aber eine Ausnahme sein kann, habe ich auch in einem Skript gelesen (ebenfalls ohne Entscheidung oder Begründung). :gruebel:
    @ B.A.: Zur "Gefährlichkeit" des Verurteilten möchte ich noch anmerken, dass das AG zunächst eine FS von 10 Monaten zur Bewährung ausgesetzt hatte. Es ist also wohl auch nicht davon ausgegangen, dass der Nächstbeste vom Verurteilten "eine aufs Maul bekommt". Und der Arbeitgeber hat ja bereits einen Straftäter eingestellt...

  • Um Angel mal beizustehen:
    Außerdem handelt es sich ja bei dem Strafaufschub um einen doch sehr überschaubaren Zeitrahmen von knapp 3 Monaten. Und dass der VU dank des Strafaufschubes auf einmal äußerst gefährlich werden würde, vermag ich auch nicht zu erkennen.

  • Ich sehe auch nicht die vorstehend angedeutete Unvertretbarkeit, weder von der Dauer noch vom Inhalt. Der Aufschub wird nicht mit dem aktuellen Verlust des Arbeitsplatzes begründet, sondern mit der Aussicht, dass nach Vollstreckung eine verbesserte Wiedereingliederung und Resozialisierung durch Wiederaufnahme der Tätigkeit besteht. Der Gedanke, dass der AG, wenn sich ein neuer AN bewährt, den VU nicht wieder einstellt, da er unsicher ist, ist nicht völlig fernliegend.

    Von daher nur keine schlaflosen Nächte.

    Es ist immer besser, die Figuren des Gegners zu opfern.

    Savielly Tartakover

  • Ist ja nett, dass nach meiner Entscheidung ein Haufen eindeutiger Meinungen kommt, danke!;)
    Im Übrigen wird von mir keineswegs in Frage gestellt, dass allein der Verlust des Arbeitsplatzes KEIN Grund für einen Strafaufschub ist! Sonst müsste ja jeder Berufstätige einen Haftaufschub bekommen... Dass Saisonarbeit aber eine Ausnahme sein kann, habe ich auch in einem Skript gelesen (ebenfalls ohne Entscheidung oder Begründung). :gruebel:
    @ B.A.: Zur "Gefährlichkeit" des Verurteilten möchte ich noch anmerken, dass das AG zunächst eine FS von 10 Monaten zur Bewährung ausgesetzt hatte. Es ist also wohl auch nicht davon ausgegangen, dass der Nächstbeste vom Verurteilten "eine aufs Maul bekommt". Und der Arbeitgeber hat ja bereits einen Straftäter eingestellt...


    Wußte er das?


    Ich schaue hier nicht täglich rein, deshalb kam die Antwort dann natürlich zu spät für Deine Entscheidung.
    Den Wortlaut bitte nicht auf die Goldwaage legen, ist nicht böse gemeint.

    Generell wäre die Saisonarbeit trotz der Angabe in Deinem Skript für mich kein Grund gewesen, dem VU Strafaufschub zu bewilligen, insbesondere für einen so langen Zeitraum.
    (Wenngleich der Zeitraum aufgr. der 4-Monats-Regelung sogar noch länger hätte ausgeschöpft werden können.)
    Vielleicht befinden sich AG und AN(VU) ja in einem sog. "Strukturschwachen Gebiet", so dass die Chance tatsächlich vorhanden ist, dass in 14 Monaten (...!) der AG wieder zu dem AN(VU) hält. Ich halte das für unwahrscheinlich.
    Hier in der "Großstadt" (klingt arrogant, oder:D) ist es so, dass sich die AG in der Regel immens für den VU einsetzen.... bis sie alsbald etwas besseres gefunden haben. Sodann fliegt der AN.
    Ebenso zu sehen übrigens auch bei PfÜB. Notiert... und nach 2 Monaten keine Zahlung mehr => "Dem AN wurde aus betrieblichen Gründen gekündigt."
    Das ist "hier" Standard.
    In diesem Kontext hätte ich die Stellungnahme des Arbeitgebers gewertet. Abgesehen von der Tatsache, dass die Begründung ohnehin nicht zieht.

    Ich kenne die Entscheidung(Urteil) natürlich nicht in den Einzelheiten.
    Dass das AG 10 Monate mit Bew. ausgeprochen hat, ist aber m.E. auch keine Begründung, denn das LG hat ja - nicht ohne Grund - 6 Monate ohne Bew daraus gemacht.
    Insofern liegt dieser Entscheidung zu Grunde, dass der Verurteilte derzeit ohne die Einwirkung von Strafvollzug nicht zu einem normengetreuen Lebenswandel angehalten werden kann und derzeit (trotz vermutlich dem LG bekannter Arbeitstätigkeit) kein günstige Sozialprognose vorliegt.
    DAS liegt dem Verfahren zu Grunde, nicht die aufgehobene Einschätzung des Amtsgerichts.
    Zudem ist ein Antrag auf Strafaufschub z.B. dann regelmäßig abzulehnen, wenn der VU in Kenntnis des nahenden Strafantritts Tatsachen schafft, die nun einen Strafaufschub rechtfertigen sollen, wenn er in Deinem Fall z.B. nach bekanntem Ausgang des Berufungsverfahrens die Arbeitstätigkeit erst aufgenommen hat.

    Die Resozialisierung ist letztlich auch Aufgabe des Strafvollzugs. Insofern kann der VU in der Strafhaft die Ausbildungsmöglichkeit vortragen, dortigerseits kann dann Kontakt zum Arbeitgeber aufgenommen werden und...etc.

    Ich habe - OK, selten, aber auch in diesem Haus - schon wirklich gefährliche Dinge im Rahmen von z.B. auch § 35 BtMG durch Verurteilte geschehen sehen, so dass ich so etwas "im Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit" wohl strenger auslege als Du. Denn - das habe ich auch erlebt, zum Glück nicht selber - den Letzten beißen die Hunde.
    Und das ist nicht der VU... das sind Du und ich.
    Bei einem Dieb oder Schwarzfahrer, ja gut, da würde ich das auch lockerer sehen. Bedrohung... da hörts dann langsam auf.

    Aber wie gesagt, ich habe das nicht vorliegen. Ich kann das in den Einzelheiten und Feinheiten natürlich nicht nachvollziehen.

    Liebe Grüße
    B.A.

    Einmal editiert, zuletzt von B.A. (28. Juli 2011 um 10:27)

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