Verfahrensgebühr bei Untätigkeitsklage

  • Nach hiesiger Rechtssprechung ist bei einer Untätigkeitsklage Nr. 3103 VV-RVG einschlägig und aufgrund der deutlich unterdurchschnittlichen Tätigkeit im Sinne des § 14 RVG eine halbe Mittelgebühr i.H.v. 85,00 EUR angemessen.
    Wenn zeitgleich mehrere Untätigkeitsklagen der gleichen Kläger gegen den gleichen Beklagten eingereicht und dann auch zeitgleich beendet werden, geht man davon aus, dass für die weiteren Klagen die Mindestgebühr ausreichend ist. Das müssten dann analog nach Nr. 3103 VV-RVG doch 20,00 EUR sein, oder?
    Hier werden bisher dafür immer 40,00 EUR angesetzt. Wie wird das an anderen Sozialgerichten gehandhabt?

  • Bei Untätigkeitsklagen (und auch in ER-Verfahren) wenden wir Nr.3103 VV RVG nicht mehr an. Uns fehlt dafür die Grundlage im Sinne eines (als Klagevoraussetzung) vorausgegangenen Vorverfahrens nach § 78 SGG. Dafür haben wir dann allerdings auch wieder die Möglichkeit, anwaltliche Vorkenntnisse bei der Gebührenprüfung zu berücksichtigen. Im Ergebnis ist es daher fast egal, welche Norm man anwednet.

    Hier hat sich für "normale" Untätigkeitsklagen eine doppelte Mindestgebühr (= 80,00 €) durchgesetzt. Grundsätzlich ändert sich daran nichts, wenn mehrere Untätigkeitsklagen zeitglich erhoben und beendet werden (Masseverfahren). Aber natürlich kann es in Betracht kommen, etwaige Synergieeffekte gebührenmindernd zu berücksichtigen.

  • Eine Mindestgebühr würde ich grundsätzlich nur dann festsetzen, wenn entweder alle von § 14 Abs.1 S.1 RVG genannten Bemessungskriterien absolut unterdurchschnittlich sind oder ein Kriterium so unterdurchschnittlich ist, dass es die Relevanz aller anderen Kriterien zurückdrängt.

    Eine Verfahrensgebühr in Höhe der Mindestgebühr entsteht doch bereits dann, wenn der Rechtsanwalt das Verfahren betreibt. Er muss dazu nicht mal einen einzigen Schriftsatz an das Gericht schicken.

    Auch bei einer Untätigkeitsklage ist grundsätzlich zu unterstellen, dass ein - wenn auch kurzes - Mandantengespräch stattfindet. Der Rechtsanwalt wird dann prüfen, ob die von § 88 Abs.1 oder Abs.2 SGG genannten Fristen abgelaufen sind und vielleicht sogar, ob ein wichtiger Grund für die bislang ausgebliebene Bescheidung erkennbar ist. Dann muss er eine Klageschrift fertigen (bei Untätigkeitsklagen reicht ja oft sogar ein Zweizeiler) usw. Ich komme daher regelmäßig - jedenfalls in Verfahren aus dem Sachgebiet AS - zu folgender Bewertung:

    Umfang der anwaltlichen Tätigkeit: weitgehend unterdurchschnittlich
    Schwierigkeit bzw. Intensität der anwaltlichen Tätigkeit: weitgehend unterdurchschnittlich
    Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber: unterdurchschnittlich
    Einkommens- und Vermögensverhältnisse: unterdurchschnittlich

    Im Ergebnis ein - orientiert an den von § 14 Abs.1 S.1 RVG genannten Kriterien -deutlich unterdurchschnittliches Verfahren. Aber doch auch nicht so unterdurchschnittlich, dass eine Mindestgebühr festzusetzen ist. Daher setzte ich eine doppelte Mindestgebühr fest (im Einzelfall natürlich auch mal weniger oder mehr).

    Wie der Rechtsanwalt bei seiner Tätigkeit im Untätigkeitsklageverfahren von einem vorangehenden Verwaltungs- oder Vorverfahren profitieren kann, erschließt sich mir ebenfalls nicht ganz. Die Fristen muss er nach wie vor prüfen und er weiß auch nicht schon vorher, ob die Behörde einen Grund für die Nichtbearbeitung hat. Dass er mit dem zu Grunde liegenden Lebenssachverhalt oder der zu Grunde liegenden Rechtsfrage vertraut ist, kann doch bei einer reinen Bescheidungsklage keine Rolle spielen.

    Auch wenn ich der Meinung bin, dass das Thüringer LSG in Kostensachen viele gute und nachvollziehbare Entscheidungen getroffen hat - die hier angeführte würde ich persönlich nicht dazu zählen (und das liegt nicht daran, dass die dort über "Beitragsrahmengebühren" reden ;)).

  • Ich glaube, ich kenne die Gründe des ThürLSG. Man möchte verhindern, so baden zu gehen, wie ein bestimmtes SG in ihrem Zuständigkeitsgebiet... :mad:.

    Helga

  • Dann wäre es aber zweckentsprechender, einfach die Beschwerdemöglichkeit in Kostenverfahren zu verneinen. So wie Niedersachsen-Bremen, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Berlin-Brandenburg...:mad:

  • Hallo,

    vorliegend wurde Untätigkeitsklage erhoben (Verwaltungsgericht), danach der ablehnende Widerspruchsbescheid erlassen. Sodann erfolgte Fortführung der Klage unter Einbeziehung des Widerspruchsbescheides.

    Kläger beantragt nun jeweils Verfahrensgebühr und Postpauschale samt Ust. für die Untätigkeitsklage und das fortgeführte Klageverfahren. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass das nicht geht. Nur tue ich mich mit dem Begründen schwer. Die Angelegenheit dürfte nach dem Erlass des Widerspruchsbescheides nun eine andere sein?!

  • Es liegt m.E. nicht dieselbe Angelegenheit zwischen Untätigkeitsklage und "fortgeführte" Klage im Sinne des § 15 RVG vor.

    Genau genommen ist die Untätigkeitsklage eine sog. formelle Bescheidungsklage vor Gericht, die auf bloße Bescheidung eines Antrags oder Widerspruchs gerichtet ist und nicht auf ein zuvor ergangenes Verwaltungsverfahren aufbaut (vgl. zum SGG Gerold/Schmidt 22. Auflage § 3 Rn. 24).

    Insoweit hätte m.E. bei "Fortführung" der Klage eine Auslegung in ein neues Klagebegehren nach sich ziehen müssen, so dass das Verfahren auch ein neues Az. hätte bekommen müssen, denn de facto ist mit Widerspruchsbescheiderteilung das Verfahren "tot", vgl. § 75 Satz 4 VwGO.

    Der Anwalt hat demnach m.E. tatsächlich getrennt zwei Vergütungsansprüche, auch wenn das schon sehr merkwürdig ist. Wie ist denn die Verpflichtungsklage, also die Entscheidung über den Widerspruchsbescheid ausgegangen?

  • Wie ist denn die Verpflichtungsklage, also die Entscheidung über den Widerspruchsbescheid ausgegangen?

    Der Kläger bekam Recht, der Widerspruchsbescheid wurde aufgehoben.

    Die Möglichkeit der Fortführung der Klage unter Einbeziehung des Ablehnungsbescheids ist gegeben nach VGH Mannheim, NVwZ 1997, 396 sowie Bayerischer VGH, Beschluss vom 12.03.2010, Az.: 11 ZB 08.1495.

  • NVwZ 1997, 396 verweist auf eine Entscheidung des BVerwG, 15.10.1996 - 1 WB 93.95 - , die nix mit der Ausgangsfrage zu tun hat (war trotzdem spannend mal drüber zu fliegen:D). Die bayerische VGH-Entscheidung sagt lediglich aus, dass die Klage hätte fortgeführt werden können, weil der ursprüngliche Klagegenstand unzulässig war und einer Auslegung bedurft hätte, worüber aber nicht mehr zu entscheiden war, weil die Sache nicht rechtshängig wurde. Hat also auch eher nix mit unserem Fall zu tun...

  • Ich habe jetzt hierzu noch was in Kopp/Schenke, Komm. zur Verwaltungsgerichtsordnung, 17. Auflage 2011, § 75, Rn. 19 ff. gefunden, wonach die Einbeziehung des Widerspruchsbescheides kraft Gesetzes oder auf Antrag erfolgen kann.

    Rn 21: Der Streitgegenstand der Untätigkeitsklage umfasst auch den im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht ergangenen Verwaltungsakt.

    Demnach dürfte es sich doch um eine Angelegenheit handeln.

    Einmal editiert, zuletzt von RPflinDD (1. September 2017 um 13:29)

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