Was ist ein Vollstreckungstitel bei Selbsttitulierern?

  • Bei uns kam geschäftsstellenseitig die Frage auf, was bei Selbsttitulierern eigentlich ein Vollstreckungstitel ist, da dies nicht immer eindeutig zu erkennen sei.

    Für Krankenkassen (und auch die meisten anderen Selbsttitulierer) ist das noch recht einfach, da gibt es hier immer irgendwas aus der Auswahl a) vollstreckbarer Beitragsbescheid, b) vollstreckbarer Auszug aus dem Heberegister, c) gesiegelte Bescheinigung des Vollstreckungsbeamten, daß eine vollstreckbare Forderung i.H.v. € 1234,56 besteht.

    Wie sieht das aber beim Finanzamt aus?

    Heute wurde mir die Frage angetragen, wie es sich beim Steuerbescheid verhält: weder unterschrieben noch gesiegelt noch mit Rechtskraft- oder Vollstreckbarkeitsvermerk versehen.

    Ich danke für erhellende Hinweise.

  • Einen Vollstreckungstitel im eigentlichen Sinn gibt es nicht. Es bedarf nur eines vollstreckbaren Verwaltungsaktes und meist eines Leistungsgebots (§ 254 AO).

    ... denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben. Römer 13,6

  • Neulich in diesem Theater ...

    Steuerbescheid = tituliert.
    Aber es muß ja nicht jeder Vollstreckungstitel auch automatisch eine "Schuldurkunde" i.S.d. § 178 II sein.

  • Bei den Steuerbescheiden ist es einfach: die sind Titel.
    Bei den Kassen ist es schwieriger: der Auszug aus dem Heberegister ist "nur" eine Bescheinigung eines entsprechenden Verwaltungsaktes der einen Leistungsanspruch tituliert (siehe exec).
    Ich lasse die Auszüge aus dem Heberegister jedoch als tituliert i.S.v. 179 II InsO zu, sofern sie nicht - wie gestern auf dem Tisch gehabt - zugleich die vbuH - Titulierung zu bescheinigen vorgeben. Da möchte ich bitte den VA sehen....(über dessen diesbezügliche Nichtigkeit ich mir aber als dummes Beurkundungsorgan da aber keine Gedanken machen muss, da würd ich den Schuldner belehren und auf die Klagefrist hinweisen :D

    herrschendes Recht ist das Recht der herrschenden
    Die Philosophen haben die Welt nur unterschiedlich interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern! (K.M.)
    Ich weiß, dass ich nicht weiß (Sokrates zugeschrieben); jeder der mein Wissen erfolgreich erweitert, verbreitert mein Haftungsrisiko (nicht sokrates, nur ich)
    legalize erdbeereis
    :daumenrau

  • Ich habe keinen besseren Thread gefunden und hänge mich hier mal ran:

    Krankenkasse meldet Forderungen aus Sozialversicherungsbeträgen an. Kein Hinweis auf Titel etc. Es werden "Kopien der Beitragsnachweise und Betriebsprüfung" beigelegt. Schuldner widerspricht der Forderung. Jetzt behauptet die Krankenkasse, ihre Forderungen seien tituliert. Denn der Bescheid über die Betriebsprüfung sei ein vollstreckbarer Titel. Es liegt lediglich eine Kopie des Bescheides über die Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV vor. Eine Rechtsbehelfsbelehrung und ein Hinweis auf die Vollstreckbarkeit befindet sich weder auf der Anmeldung oder auf dem Bescheid. Hat da jemand bereits Erfahrungen gesammelt? Oder kann mir aus dem Vakuum in meinem Schädel helfen. Ist so eine Forderung kraft Allmacht;) ein Titel?

    ---------------------------------------------
    " Die Titanic wurde von Profis erbaut... Die Arche Noah aber von 'nem Amateur. Verstehen Sie, was ich meine?" (Bernd Stromberg)

  • Kommt darauf an :D.

    Ich habe jetzt nichts Konkretes zum Betriebsprüfungsbescheid gefunden, meine aber, dass dieser kein vollstreckbarer Titel ist. Er ist, mit Ausnahme der Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status einer Person, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht mal ein Verwaltungsakt.

    In der Praxis ist dieser eine "Handlungsanweisung", der von den einzelnen Krankenkassen durch nachträgliche Beitragserhebung umgesetzt werden muss.
    Außerdem ist er, neben den vom Arbeitgeber eingereichten Beitragsnachweisen, der Nachweis für die Höhe der Gesamtsozialversicherungsbeiträge und wird deshalb bei Forderungsanmeldungen in der Regel zusammen mit diesen eingereicht.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • Ich werfe mal § 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV in den Raum:

    Zitat

    Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern; insoweit gelten § 28h Abs. 2 sowie § 93 in Verbindung mit § 89 Abs. 5 des Zehnten Buches nicht.

    Allerdings weiß ich nicht, ob das schon durch den Betriebsprüfungsbescheid abgedeckt wird oder danach noch separate Bescheide über die Beitragsfestsetzung folgen.

    Eine fehlende Rechtsbehelfsbelehrung wäre in dem Kontext jedenfalls unschädlich, da sie die Wirksamkeit eines Bescheides nicht berührt.

    Eine Bescheinigung der Vollstreckbarkeit ist m.E. nach § 66 Abs. 1 S. 1 SGB X i.V.m. § 3 VwVG nicht erforderlich.

  • BREamter, La Flor: ich habe gestern noch LSG Hessen, Urt. v. 30. 1. 2020 – L 1 KR 683/18- insbesondere zu dem Thema § 28 I SGB IVB gefunden. Da wird eine Definition des vollstreckbaren Verwaltungsaktes vorgestellt, die wirklich ermüdend beim Lesen ist. Empfehle ich jedem als Nachtlektüre ;)...
    In meinem Fall hat eine Krankenkasse Forderungen aus Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung angemeldet. Dagegen hat der Schuldner Widerspruch erhoben (Rechtsgrund und Betrag) . Nach einem Jahr kommt jetzt die Krankenkasse und meint, die seien durch Beitragsbescheid tituliert. Bei der damaligen Anmeldung wurde natürlich mit keinem Wort darauf hingewiesen, dass möglicherweise ein Titel vorliegt. Hier kommt dazu, dass der Bescheid eine Woche vor EÖ ergangen und die Widerspruchsfrist noch garnicht abgelaufen war. Ist so ein Verwaltungsakt "vorläufig" vollstreckbar? Und ich bin auch etwas am Hadern, ob das nicht eine Änderung des Forderungsgrundes ist und ich somit eine erneute Prüfung der Forderung durchführen müsste. Oder ob ich jetzt einfach noch die Belehrung über die Monatsfrist nachhole. Auf jeden Fall ist das alles unbefriedigend. Soll ich denn zukünftig bei allen Verwaltungsbescheiden sofort davon ausgehen, dass die Forderung tituliert ist? oder wie soll ich da dem § 179 InsO nachkommen :nixweiss: ? Ich hatte einfach die Hoffnung, dass das hier schon welche durchgefochten haben (und hab sie immer noch) ;)...

    ---------------------------------------------
    " Die Titanic wurde von Profis erbaut... Die Arche Noah aber von 'nem Amateur. Verstehen Sie, was ich meine?" (Bernd Stromberg)

  • @ BREamter:
    Die von zitierte Regelung betrifft andere Bereiche, die ebenfalls bei der Deutschen Rentenversicherung angesiedelt sind. Insbesondere erfolgt die Statusfeststellung, ob jemand als Arbeitnehmer oder Selbstständiger zu werten is, tatsächlich per Bescheid

    Im Rahmen einer Betriebsprüfung ist es tatsächlich so, dass die Prüfergebnisse durch Beitragsbescheide der einzelnen gesetzlichen Krankenkassen umgesetzt werden.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • ... ich habe (leider) so einen Fall und vertrete den AG im Insolvenzverfahren.

    28 p als Titel wird auch dort von der KK vorgetragen. Nur sagt Absatz 3:

    (3) Die Träger der Rentenversicherung unterrichten die Einzugsstellen über Sachverhalte, soweit sie die Zahlungspflicht oder die Meldepflicht des Arbeitgebers betreffen.

    Damit wird mE klargestellt, dass es sich bei dem Bescheid nicht um einen Vollstreckungstitel der KK handelt, sondern um einen Grundlagenbescheid, den die KK zum Erlass eines eigenen Beitragsbescheides befähigen sollte.

    Daraus den Beitrag zu vollstrecken - mE abenteuerlicher Gedanke, aber Realität.

    Realität in meinem Fall ist auch, dass die KK diesen Bescheid auch für einen Titel hält, der eine vbuH feststellen konnte und wirksam festgestellt hat. Keine Umsetzung durch eigenen Beitragsbescheid.

  • Haben wir den Fall zusammen ;)?! Musst mal die Entscheidung oben lesen (LSG). Die sagen, das geht nach § 31 SGB X und ist Auslegung. Und dann erklären die die Auslegung.

    Hinsichtlich der Favbuh halte ich das aber nicht für richtig. Da kann man doch ganz gut mit der betreffenden BGH-Entscheidung argumentieren (richterliche Schlüssigkeitsprüfung).

    ---------------------------------------------
    " Die Titanic wurde von Profis erbaut... Die Arche Noah aber von 'nem Amateur. Verstehen Sie, was ich meine?" (Bernd Stromberg)

  • Ich ergänze das Thema noch, soll ja nicht zu einfach sein: Wenn die Forderung (selbst)tutliert ist, erfolgt die Umkehr der Verfolgungslast für ein Bestreiten gemäß § 179 Abs. 2 InsO trotzdem nur dann, wenn die Originaltitel im Prüfungstermin vorgelegen haben (BGH, Urteil vom 01.12.2005 - IX ZR 95/04 -, Rz. 13 m.w.N.).

    Für Selbsttitulierer bedeutet es, dass sie ihre Titel einreichen müssen. Zumindest für niedersächsische Gerichtskostenforderungen kann ich sagen, dass ich es nach einiger Beschäftigung mit diesem Thema als ausreichend ansehe, wenn mir ein Schreiben der Behörde (Forderungsanmeldung) vorliegt, in dem diese das Bestehen der Forderung und deren Vollstreckbarkeit bescheinigt + unterschreibt + siegelt. Ausreichend wäre auch die Vorlage des Antrags nach § 7 Abs. 2 JBeitrG. Im Verwaltungs- und Sozialrecht gibt es entsprechende Regelungen bezüglich der Nachweiswirkung von Behauptung, Unterschrift und Siegel.

    Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, gilt auch für den selbsttitulierenden Gläubiger § 179 Abs. 1 InsO. Die Finanzämter lösen das Problem, indem sie die Feststellung über Feststellungsbescheide betreiben.

    Bezüglich der Verfolgungslast für einen Widerspruch des Schuldners kann es meiner Ansicht nach gemäß § 184 InsO ausreichen, wenn ein Titel vorliegt und dieser (seinerzeit) dem Schuldner zustellt worden ist. Der Titel muss nicht auch (dem Insolvenzverwalter) im Prüfungstermin vorgelegen haben.

  • Ich ergänze das Thema noch, soll ja nicht zu einfach sein: Wenn die Forderung (selbst)tutliert ist, erfolgt die Umkehr der Verfolgungslast für ein Bestreiten gemäß § 179 Abs. 2 InsO trotzdem nur dann, wenn die Originaltitel im Prüfungstermin vorgelegen haben (BGH, Urteil vom 01.12.2005 - IX ZR 95/04 -, Rz. 13 m.w.N.).

    Für Selbsttitulierer bedeutet es, dass sie ihre Titel einreichen müssen. Zumindest für niedersächsische Gerichtskostenforderungen kann ich sagen, dass ich es nach einiger Beschäftigung mit diesem Thema als ausreichend ansehe, wenn mir ein Schreiben der Behörde (Forderungsanmeldung) vorliegt, in dem diese das Bestehen der Forderung und deren Vollstreckbarkeit bescheinigt + unterschreibt + siegelt. Ausreichend wäre auch die Vorlage des Antrags nach § 7 Abs. 2 JBeitrG. Im Verwaltungs- und Sozialrecht gibt es entsprechende Regelungen bezüglich der Nachweiswirkung von Behauptung, Unterschrift und Siegel.

    Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, gilt auch für den selbsttitulierenden Gläubiger § 179 Abs. 1 InsO. Die Finanzämter lösen das Problem, indem sie die Feststellung über Feststellungsbescheide betreiben.

    Bezüglich der Verfolgungslast für einen Widerspruch des Schuldners kann es meiner Ansicht nach gemäß § 184 InsO ausreichen, wenn ein Titel vorliegt und dieser (seinerzeit) dem Schuldner zustellt worden ist. Der Titel muss nicht auch (dem Insolvenzverwalter) im Prüfungstermin vorgelegen haben.

    Problem ist bloß, dass es einen "Originaltitel" nicht gibt. Die Rentenversicherer übersenden den Bescheid an den Schuldner und damit ist der Betrag auch tituliert. Insofern stellt sich doch schon die Frage, was die überhaupt vorlegen müssen. Ich werde hier wohl einfach die Belehrung nachholen.

    ---------------------------------------------
    " Die Titanic wurde von Profis erbaut... Die Arche Noah aber von 'nem Amateur. Verstehen Sie, was ich meine?" (Bernd Stromberg)

  • Ich hänge mich hier mal an.

    Die Justizkasse (NDS) meldet mehrere Forderungen (Kostenrechnungen Gerichte und StAen) an.
    Die Anmeldung enthält die Formulierung "Die Vollstreckbarkeit wird bescheinigt. Ich weise darauf hin, dass im Falle des Bestreitens meiner Forderung auf Grund meines vollstreckbaren Anspruchs nach § 179 Abs. 2 Inso zu verfahren ist."

    Die Anmeldung ist unterschrieben, aber nicht gesiegelt.

    Im Grundbuch würde mir das nicht reichen. Ich würde die Form beanstanden.

    Der Verwalter bestreitet mit dem Argument: "Kostenrechnungen liegen nicht vor. Nebenkosten nicht nachgewiesen."
    Muss ich jetzt den Verwalter oder den Gläubiger belehren?

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!