Brainstorming nachträgliche Beratungshilfe

  • Ich mache hier für eine Kollegin (Fachanwältin für Sozialrecht) gerade ein Brainstorming, wie das mit der nachträglichen Beratungshilfe funktionieren könnte, und suche Anregungen.

    Meine Vorüberlegungen:

    - Es gibt viele Kollegen, die lassen Beratungshilfeempfänger ohne Berechtigungsschein nicht mehr über die Türschwelle (keine Termine frei)
    - Das Amtsgericht ist von uns aus gesehen ca. 3 km entfernt.
    - Bei unserem Amtsgericht erhalten die Berechtigten die Scheine nicht mehr in die Hand. Es dauert mindestens ca. eine Woche, bis die Berechtigungsscheine per Post beim Berechtigten ankommen.
    - Zudem hören wir vermehrt Beschwerden, dass die Berechtigten beim Amtsgericht mehr oder weniger weggeschickt wurden, ohne dass ihnen erklärt wurde, was sie nachreichen müssen. Die Sozialrechtsklientel kommt damit nicht zurecht und läuft dann doch gleich zum Anwalt.
    - Wenn ein Berechtigter hier aufschlägt, dürfen wir ihn nicht wegschicken.
    - Das Amtsgericht erfindet bei Anträgen auf nachträgliche Beratungshilfe derzeit immer wieder neue Punkte, an denen es etwas bemängeln kann. Es gibt keine Verlässlichkeit oder gängige Praxis, an der wir uns orientieren können. Das Risiko ist hoch, dass die Bewilligung nicht problemlos durchläuft.
    - Die Bearbeitungsdauer für nachträgliche Anträge auf Beratungshilfe ist zu hoch. Beanstandungen kommen in der Regel nach 2 - 3 Wochen. Es kommt vor, dass der Mandant zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr mitwirkt und nachgeforderte Unterlagen beibringt. Die Beratung kann in der Regel nicht so lange warten.
    - Verfahren im Sozialrecht werden sehr oft gewonnen. Die Behörden versuchen aber immer, die Kostenerstattung wegzudiskutieren. Teilweise liegen auch Fälle vor, wo man darüber streiten kann, ob der Mandant bestimmte Unterlagen nicht hätte eher einreichen können. Man kann sich daher nicht auf die Kostenerstattung verlassen.

    Zwei denkbare Antworten lasse ich nicht gelten:
    - Dann arbeitet der Rechtsanwalt eben auf eigenes Risiko und damit im Ergebnis umsonst.
    - Dann bearbeitet der Rechtsanwalt eben keine Beratungshilfemandate mehr und überlässt die Leute ihrem Schicksal.

    Wie löst sich das Problem nun?

  • Das Problem lässt sich dadurch lösen (bzw. zumindest ein Versuch), indem sich mal alle an einen Tisch setzen und in Ruhe über die Handhabung redet. Das könnte über die Vermittlung des örtlichen Anwaltsvereins und der Justizverwaltung organisiert werden. Allerdings sollte das nicht als Beschwerde rüberkommen, denn dann werden wohl einige auf Stur setzen.

  • Zudem hören wir vermehrt Beschwerden, dass die Berechtigten beim Amtsgericht mehr oder weniger weggeschickt wurden, ohne dass ihnen erklärt wurde, was sie nachreichen müssen. Die Sozialrechtsklientel kommt damit nicht zurecht und läuft dann doch gleich zum Anwalt.

    Das liegt m. E. oftmals am Sender-Empfänger-Problem bei der typischen BerH-Klientel.


    Zitat von Papaenmeier

    Das Amtsgericht erfindet bei Anträgen auf nachträgliche Beratungshilfe derzeit immer wieder neue Punkte, an denen es etwas bemängeln kann. Es gibt keine Verlässlichkeit oder gängige Praxis, an der wir uns orientieren können. Das Risiko ist hoch, dass die Bewilligung nicht problemlos durchläuft.

    "Erfinden" klingt für mich wie "grundlose Schikane" und das ist es mit Sicherheit nicht. Vielleicht liegt es einfach daran, dass an vielen Gerichten die Beratungshilfe quasi ein Durchlaufposten für Berufsneulinge bzw. Wiedereinsteiger ist, bei denen also a) keine BerH-Erfahrung vorliegt und/oder b) andauernd das Pensum wechselt?

    Zitat von Papenmeier

    Die Bearbeitungsdauer für nachträgliche Anträge auf Beratungshilfe ist zu hoch. Beanstandungen kommen in der Regel nach 2 - 3 Wochen. Es kommt vor, dass der Mandant zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr mitwirkt und nachgeforderte Unterlagen beibringt. Die Beratung kann in der Regel nicht so lange warten.

    Genau da liegt doch aber die Crux. ENTWEDER geht der Mandant direkt zum Gericht und beantragt dort die Beratungshilfe (und der Antrag sollte i. d. R. auch sofort entschieden werden) ODER der Anwalt prüft beim Direktzugang die Vss. und berät/wird tätig bei Vorliegen derselben. Den Beratungshilfe schriftlich zu stellen und dann wochenlang auf ein Ergebnis zu warten, kann und sollte m. E. nicht der Regelfall sein.

    Zitat von Papenmeier

    Wie löst sich das Problem nun?

    Wie Juergen: Beschwerden dieser Art sind seit Anbeginn der Beratungshilfe immer wieder ein Thema. Am einfachsten finde ich es, mit den Beteiligten regelmäßige Treffen zu vereinbaren, in den aktuelle Probleme angesprochen und nach Möglichkeit gelöst werden. Habe an der hiesigen und auch an vorherigen Behörden damit sehr gute Erfahrungen gemacht.

    "Es ist nicht wahr, dass die kürzeste Linie immer die gerade ist."
    (Gotthold Ephraim Lessing)

  • Nach der derzeitigen Gesetzeslage lässt sich das Problem nur wie folgt lösen: Der Anwalt muss die gleichen Prüfungskriterien an den Tag legen, wie es das Gericht tut, nämlich: Einkommenslage, andere Hilfen, Mutwilligkeit. Gibt es andere Hilfen, muss auch der RA den Bedürftigen nach dort verweisen und darf nicht denken: Der hat jetzt 30 Minuten meiner kostbaren Zeit vergeudet, jetzt will ich wenigstens die 99,00 € verdienen.
    Auch die Berechnung des einzusetzenden Einkommens und die Frage der Mutwilligkeit muss der Anwalt genau prüfen.
    Wenn diese Prüfung zu einem Ja führt, dann braucht der Anwalt eigentlich kein späteres Erinnerungsverfahren scheuen.

    Befasst sich der RA zuerst mit dem eigentlichen Rechtsproblem und erst danach mit den Voraussetzungen für die Beratungshilfe, muss er sich über die gerichtlichen Entscheidungen nicht wundern.

  • Beratungshilfe ist Sozialarbeit.
    Sozialarbeit kostet alle Beteiligten Zeit, Geld und Nerven. Und oft bringt Engagement im sozialen Bereich nicht einmal in der Sache eine Verbesserung. Gleichwohl ist dieses Engagement für unsere Gesellschaft elementar.

    Das sollten wir uns bewußt halten, um uns nicht gegenseitig das Leben unnötig schwer zu machen. Miteinander im Gespräch bleiben hilft dabei sicher.

  • Nach der derzeitigen Gesetzeslage lässt sich das Problem nur wie folgt lösen: Der Anwalt muss die gleichen Prüfungskriterien an den Tag legen, wie es das Gericht tut, nämlich: Einkommenslage, andere Hilfen, Mutwilligkeit. Gibt es andere Hilfen, muss auch der RA den Bedürftigen nach dort verweisen .


    Dem kann ich nur zustimmen. Aus eigenen Erfahrungen habe ich den Eindruck gewinnen können, dass sich einige Rechtsanwälte ihre eigenen Bewilligungsvoraussetzungen schaffen und dann ungehalten sind, wenn das Gericht die Sache anders beurteilt. Ich bin mir auch nicht sicher, ob die Rechtsanwaltschaft den Beratungshilfeverfahren genausoviel Bedeutung beimessen wie die Rechtspflegerschaft. Das ließe sich schon daran erkennen, dass viele Anträge nicht unterschrieben sind, alternative Hilfe (Jugendamt, Verbraucherzentrale) außer Acht gelassen werden und eben auch Nachweise zur Mittellosigkeit sowie zum Anfall der Geschäftsgebühr nicht beigefügt werden. Manchmal hilft es auch nicht, wenn das Gericht mühevoll ein Merkblatt erstellt, das aber offenbar nicht oder nicht mit der geboten Sorgfalt gelesen, geschweige denn angenommen wird. Vielmehr wird lieber gemeckert und das Gericht (oft zu Unrecht) an den Pranger gestellt. Das das Beratungshilfegesetz in vielen Teilen unklar und schwammig ist, mag eine Frage sein...

  • Ich sehe es wie B s Esel. Auch Rechtspfleger in ihren gesicherten Positionen müssen mit der nötigen Gelassenheit die Probleme sachlich lösen. Unnötige Zwischenverfügungen, die dann doch zu nichts führen, kleinliche Beanstandungen und unklare Begründungen in den Entscheidungen haben auch dazu beigetragen, dass die Arbeit erschwert ist.
    Grundsätzlich sollten die Begründungen sachlich sein und frei von persönlicher Wertung der Person.
    Rechtsanwälte sollten sich mehr am Gesetz orientieren. Das Beratungshilfegesetz ist seinem Inhalt nach nahezu unbekannt.

  • Ich kann meinen vorrednern/-schreibern nur zustimmen.:daumenrau

    Im Übrigen glaube ich mich daran zu erinnern Entwürfe für die beabsichtigte Änderung der Beratungshilfevorschriften gesehen zu haben, nach denen die nachträgliche Beratungshilfe zum absoluten Ausnahmefall werden soll.

    Was das "Erfinden" von Zurückweisungsgründen angeht, so muss ich bei solchen Aussagen zur äußersten Vorsicht mahnen. Ähnliches wurde an unserem Gericht von einigen - sehr wenigen - Kanzleien auch schon behauptet und bei näherem Hinsehen wurde nichts "erfunden", die Anwälte hatten sich einfach ganz offensichtlich weder die Mühe gemacht das Beratungshilfegesetz zu lesen, ihnen immer wieder erteilte Hinweise zur Kenntnis zu nehmen oder einfach mal anzurufen und nachzufragen. Es war wohl einfacher und bequemer dem Rechtspfleger zu unterstellen er wolle ihre Anträge böswillig abwürgen.

  • Das Wort "erfinden" war vielleicht nicht glücklich gewählt. Es geht darum, dass sich Anforderungen von heute auf morgen ändern, ohne dass ein Grund dafür ersichtlich ist oder mitgeteilt wird.

    Wenn die Antwort lauten soll, dass der Rechtsanwalt eben gründlicher prüfen soll, dann müsste das Gericht dem Rechtsanwalt auch einen Beurteilungsspielraum zugestehen und das Prüfungsergebnis hinnehmen, wenn es nicht auf groben Fehlern beruht. Das scheint aber nicht der Fall zu sein.

    Der Verweis auf die Erinnerung ist wirtschaftlicher Wahnsinn. Die Beratungshilfe ist schon so nicht kostendeckend. Der Aufwand für das Erinnerungsverfahren ist enorm. Da wären wir bei der Antwort: Schickt sie weg, überlasst sie ihrem Schicksal!

  • Ich persönlich - das hab ich wohl schon mehrfach erwähnt - stelle keine nachträglichen Anträge mehr. Wenn die postwendende Antwort nämlich (immer und ohne Anlaß im Einzelfall) ist, ich solle bitte die Kontoauszüge des Mandanten für 3 Monate vor Antragstellung vorlegen, dann fühl ich mich schlichtweg veräppelt. Deshalb - BerHSchein oder pro bono.

    Mein SozR-Kollege nimmt ebenso die wenigen Fälle in Kauf, bei denen er auf den Kosten sitzen bleibt. Meist muß ja letztlich eh die Behörde zahlen, es werden schließlich nur aussichtsreiche Widersprüche erhoben. :cool:

    In diesem einen Bereich habe ich schlicht resigniert.

  • @ Adora Belle:

    Da fällt mir eine Lösung ein - man kann ja auch bei einem nachträglichen Antrag gleich die Kontoauszüge mit vorlegen und dem Gericht, dass sich sicher auch veräppelt vorkommt, wenn es diese immer wieder anfordern muss, die Arbeit leichter machen... die Bedürftigkeit muss ja auch der Anwalt prüfen, also müsste es ja möglich sein die Kontoauszüge zu kopieren und alle sind glücklich:)

  • Wenn die Antwort lauten soll, dass der Rechtsanwalt eben gründlicher prüfen soll, dann müsste das Gericht dem Rechtsanwalt auch einen Beurteilungsspielraum zugestehen und das Prüfungsergebnis hinnehmen, wenn es nicht auf groben Fehlern beruht.


    Das hat der Gesetzgeber bedacht, aber nicht in der Form, dass das Gericht den Prüfungsmaßstab des RA übernehmen soll.
    In der Gesetzesbegründung Drs. 8/3695 steht auf Seite 9 zu § 7 "Hält der Rechtsanwalt die Voraussetzungen für die Beratungshilfe nicht für gegeben, kann der Rechtsuchende die Entscheidung des Amtsgerichts herbeiführen, indem er für seine Angelegenheit die Ausstellung eines Berechtigungsscheines beantragt."

    Es liegt doch folglich an den RA, welchen Prüfmaßstab sie anlegen. Prüft der RA strenger als das Gericht, steht er auf der sicheren Seite. Liegen z.B. die Kontoauszüge der letzten drei Monate nicht lückenlos vor, endet das Gespräch, bevor es überhaupt begonnen hat.

  • [Es geht darum, dass sich Anforderungen von heute auf morgen ändern, ohne dass ein Grund dafür ersichtlich ist oder mitgeteilt wird. Wenn die Antwort lauten soll, dass der Rechtsanwalt eben gründlicher prüfen soll, dann müsste das Gericht dem Rechtsanwalt auch einen Beurteilungsspielraum zugestehen und das Prüfungsergebnis hinnehmen, wenn es nicht auf groben Fehlern beruht. Das scheint aber nicht der Fall zu sein.]

    Wie in richterlichen Verfahren sind auch die Rechtspfleger sachlich unabhängig. Da muss man als Anwalt eben damit rechnen, dass der eine oder andere Entscheider geringere oder höhere Anforderungen stellt. Das ist in anderen gerichtlichen Verfahren nicht anders. Beratungshilfe auf Zuruf gibt es nicht, auch nicht, wenn ein Rechtsanwalt ruft. Das einzige, was Dir und Deinen Kollegen helfen könnte, wäre die Konzeption einer grobe Richtschnur, die natürlich mit den derzeit zuständigen Rechtspflegern zu entwickeln ist. Aber das Ganze könnte bereits dann hinfällig werden, wenn es einen Zuständigkeitswechsel gibt. Mehr Möglichkeiten einer Arbeit " Hand in Hand" sähe ich allerdings bei der gegenwärtigen Gesetzeslage nicht.

  • Der Verweis auf die Erinnerung ist wirtschaftlicher Wahnsinn. Die Beratungshilfe ist schon so nicht kostendeckend. Der Aufwand für das Erinnerungsverfahren ist enorm. Da wären wir bei der Antwort: Schickt sie weg, überlasst sie ihrem Schicksal!



    Nein, bei dieser Antwort sind wir nicht: Wer Geld verdienen will, muß arbeiten. Und es ist auch wirtschaftlicher Wahnsinn, daß eine Friseuse für 4,- EUR die Stunde arbeitet.

    Die BerH ist als Querschnittsfinanzierung gedacht, d. h. die Anwaltschaft ist verpflichtet, auch mal ein paar weniger lukrative Mandate zu erledigen.

    §§ 36b II 2, 5 III 1 RPflG: Die vorgelegten Sachen bearbeitet der Rechtspfleger, solange er es für erforderlich hält.

  • ...Zwei denkbare Antworten lasse ich nicht gelten:
    - Dann arbeitet der Rechtsanwalt eben auf eigenes Risiko und damit im Ergebnis umsonst.
    ...


    Sei doch nicht so voreingenommen, dir fehlt nur die Begeisterung, ich wette, im Dialog mit dem Gesetzgeber zeigt sich dieser enthusiastischer. Der RA hat keinen Ärger um die paar Kröten, der Mandant zahlt nix und die Staatskasse ist auch nicht belastet, alle sind glücklich. :D:flucht:

    Klick:

    Es ist immer besser, die Figuren des Gegners zu opfern.

    Savielly Tartakover

  • Ich arbeite in Berlin und leider nicht im kleinen Dorf. Daher war mein Ansinnen bereits von Anfang an sinnfrei, sich mit den Anwälten an den Tisch zu setzen...

    Hab's vor 8 Jahren mal versucht und dann aufgegeben. Hatte für Anwälte sogar eine Prüfungsschemata gebastelt, an der die sich langhangeln können und so gleich sehen können, ob bewilligt werden kann.

    Der erste Spruch war: "Also wenn ich das Prüfungsschemata hier so nehme, dann kann ich ja sogut wie nie bewilligen, weil da ja ständig was fehlt..." Aha, gut, dass der Anwalt das gleich erkennt *G*

    Aber was soll ich sagen, die Rechtspflegerfluktuation ist zu hoch und die sonstigen Versuche fruchten nix. Es bleibt also bei Verfügungen in Massen und Zurückweisungsbeschlüssen in Massen, sowie anschließender Erinnerungsverfahren.

    Laut Statistik habe ich eine Beanstandungsquote von ca. 80 % und eine Zurückweisungsquote von ca. 50 %... dabei bin ich nichtmal streng.

    Das Einzige was ich dem Threadstarter ans Herz legen kann (auch wenn hier einige Kollegen aufschreien): Antragsteller konsequent an die RAST verweisen mit der Bitte dort Beratungshilfe zu beantragen.

    Meine Mutter ist auch Rechtsanwältin und sie hat folgenden Spruch: "B-Schein oder G-Scheine, sonst mach ich nichts."

  • ...was ich nicht schlimm finde.

    "Just 'cos you got the power, that don't mean you got the right!" ((c) by Mr. Kilmister, passt zum Job)

    "Killed by Death" (ebenfalls (c) by Lemmy, passt eigentlich immer)

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