BMJ: Reformüberlegungen zum Unterbringungsrecht

  • Aus den Meldungen des BMJ Datum 15.07.2013:

    "Vor dem Hintergrund der breiten öffentlichen Diskussion um die Unterbringung von Gustl Mollath in der Psychiatrie und der seit Jahren steigenden Zahl von Personen, die in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, hat Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Eckpunkte erarbeiten lassen."


    Meldung siehe hier: http://www.bmj.de/SharedDocs/Kur…d297?nn=3433226
    Eckpunktepapier hier:http://www.bmj.de/SharedDocs/Dow…publicationFile

    Im Kern geht es also um die Einführung engmaschigerer Überprüfungen der Notwendigkeit des Maßregelvollzugs und obligatorische zweijährliche Wechsel des Gutachters.

    Hm. Ich fürchte, im konkreten Fall Mollath hätte auch die Umsetzung dieses Papiers vermutlich keine kürzere Unterbringung bewirkt, denn Mollath hat ja beharrlich jedwede Kommunikation mit Gutachtern verweigert. Grundsätzlich mag es schon sinnvoll sein, die Notwendigkeit der Unterbringung engmaschig zu prüfen; und es steht auch außer Frage, dass mit fortschreitender Dauer die Abwägung zwischen dem Freiheitsrecht des Einzelnen und dem Schutz der Allgemeinheit vor seiner Gefährlichkeit zu anderen Ergebnissen führen kann.

    Auf der anderen Seite bin ich in Sorge um die Opfer eines untergebrachten, womöglich psychisch kranken Menschen. Wie viel darf man diesen Menschen zumuten? Was darf der über die weitere Unterbringung entscheidende Richter ihnen abverlangen? Wie viel Gefahr muss die Gesellschaft ertragen?

  • Zum Thema Sicherungsverwahrung kam neulich eine bemerkenswerte Doku. Erstaunlich fand ich die Argumentation -soweit ich mich erinnere- eines Kriminologen, dass diese Maßregeln eigentlich nicht wirklich etwas bringen...

  • Die "Legale Tribune online" hat einen recht kritischen Artikel zum Eckpunktepapier veröffentlicht:
    Constantin Baron van Lijnden, BMJ-Reformpapier zu Unterbringung in psychiatrischen Anstalten: Lehren aus dem Fall Mollath oder Wahlkampfpropaganda?. In: Legal Tribune ONLINE, 19.07.2013, http://www.lto.de/persistent/a_id/9176/ (abgerufen am 19.07.2013)

    Hauptkritikpunkt: Es gibt gar nicht genug Sachverständige für diese Fragen. Und wird es auch nicht geben, denn als Sachverständiger, dessen positive Prognose sich als falsch herausstellt, wird man "ans Kreuz genagelt".

  • Sollte man sich darüber als Sachverständiger nicht immer im Klaren sein? Das gilt doch, man verzeihe mir den Vergleich, doch auch für Bausachverständige. Wenn sich die Immobilie im Nachhinein als Schrott herausstellt, wird dieser SV, um bei deinem Bild zu bleiben, gleichfalls an Kreuz genagelt.

    Immer da, wo Menschen etwas beurteilen sollen, passieren Fehler.

  • Sollte man sich darüber als Sachverständiger nicht immer im Klaren sein? Das gilt doch, man verzeihe mir den Vergleich, doch auch für Bausachverständige. Wenn sich die Immobilie im Nachhinein als Schrott herausstellt, wird dieser SV, um bei deinem Bild zu bleiben, gleichfalls an Kreuz genagelt.

    Immer da, wo Menschen etwas beurteilen sollen, passieren Fehler.

    Nun bin ich lieber von Immobilien umgeben als von (mutmaßlichen?) Psychopathen.
    Gerade weil die Abwägung von Nutzen und Risiko dieser Spezialisierung nicht eben attraktiv ausfällt, würde es mich nicht wundern, wenn es tatsächlich nur wenige gäbe, die sich ausgerechnet auf die Forensik und hier auf die Begutachtung von Untergebrachten konzentrierten.

    Was also kann die entsprechend ausgebildeten Psychologen dazu bewegen, sich ausgerechnet hierauf zu spezialisieren und - wie es dem BMJ vorschwebt - alle 4 Monate die derzeit 6750 Untergebrachten in den alten Bundesländern und wohl noch einmal 1500 bis 2000 Untergebrachte in den neuen Bundesländern zu begutachten? In dem Artikel ist die Rede davon, dass es deutschlandweit wohl kaum mehr als 100 entsprechender Sachverständiger gebe.

    Wenn die Zahlen so stimmen, müssten diese 100 Gutachter jährlich 25.000 Begutachtungen stemmen. Das wären je Gutachter mehr als 1 Gutachten am Arbeitstag. Vollkommen unrealistisch.

    Curiosity is not a sin.

    Einmal editiert, zuletzt von 15.Meridian (19. Juli 2013 um 14:29) aus folgendem Grund: Rechenfehler

  • Es ging mir im Kern um meinen letzten Satz.

    Selbst wenn jeder dieser Psychologen nur alle 7 Tage ein Gutachten erstellen müsste, so wäre die Gefahr der Fehldiagnose doch stets latent vorhanden. Gerade in der Psychologie gilt doch: man kann den Menschen immer nur vor den Kopf gucken und ein guter Schauspieler, na ja, der wird es auch locker schaffen, einen Spezialisten zu überzeugen.

    Wie gesagt: damit muss ein Sachverständiger leben können, so wie ein Richter damit leben muss, in dubio pro reo einen Angeklagten laufen zu lassen, der wenig später vielleicht das nächste Verbrechen begeht.

  • Es ging mir im Kern um meinen letzten Satz.

    Selbst wenn jeder dieser Psychologen nur alle 7 Tage ein Gutachten erstellen müsste, so wäre die Gefahr der Fehldiagnose doch stets latent vorhanden.

    Und in dem Artikel geht es u.a. um die Beobachtung bzw. Befürchtung, dass ein Psychologe den Teufel tun wird, sich dieser Gefahr auszusetzen, wenn es für ihn andere, lukrativere Betätigungsfelder gibt.

    Und angesichts des Sachverständigenmangels werden die hehren Ziele des BMJ nicht umsetzbar sein, selbst wenn man sie in Gesetzesform gießt.

  • Nun liegt der Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB vom 18.05.2015 des BMJV vor. Gesetzentwurf Damit soll das Unterbringungsrecht sich mehr am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientieren. Außerdem soll den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (2 BvR 2258/09) Genüge getan werden.

    Der BDR darf zum Gesetzentwurf Stellung nehmen. Zuarbeiten bitte an die BDR-Landesverbände!

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